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ASIEN/947: Bangladesch - Massenexodus und Menschenhandel, Geschäft mit der Armut blüht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2015

Bangladesch: Massenexodus und Menschenhandel - Geschäft mit der Armut blüht

von Naimul Haq


Bild: © Abdur Rahman/IPS

Diese Flüchtlinge wurden von Schleusern mitten auf dem Meer sich selbst überlassen
Bild: © Abdur Rahman/IPS

TEKNAF, BANGLADESCH (IPS) - Mohammad Yasin ist erst 16, doch er hat bereits die Hölle auf Erden durchgemacht. In einem mit über 100 Menschen überfüllten Frachtraum eines Holzbootes hat er eine 45-tägige Fahrt über den Indischen Ozean überlebt - von seiner Heimat Bangladesch nach Malaysia. Die Migranten hatten kaum Lebensmittel und Trinkwasser. Yasin musste mit ansehen, wie ein anderer Passagier neben ihm verhungerte.

Eine Gruppe von Männern hatte Yasin und fünf weiteren Jugendlichen aus dem Dorf Teknaf im äußersten Süden des bangladeschischen Küstenbezirkes Cox's Bazaar Arbeit in Malaysia versprochen. Umgerechnet 80 US-Dollar könnten sie im Monat verdienen, hieß es. Mit dem Geld wollte Yasin seine Familie und den kranken Vater unterstützen. Den Menschenhändlern sollten die Migranten später jeweils 2.600 Dollar zurückzahlen, wenn sie einen Job gefunden hätten.

"In der letzten Aprilwoche wurden wir zusammen mit einer Gruppe von Männern und Frauen auf die verlassene Insel Shah Porir Dwip gebracht, wo wir am selben Abend an Bord des Holzbootes gingen", berichtet Yasin. In einem Hafen im Süden von Myanmar kamen auch Rohingya-Muslime an Bord, die in ihrem Land politisch verfolgt werden. Das Leben der Flüchtlinge lag in der Hand von zehn Schleusern.

"Die Fahrt war ein einziger Horror", erinnert sich Mohammad Ripon aus dem Bezirk Narayanganj im Zentrum von Bangladesch. "Nahrungsmittel und Wasser wurden streng rationiert. Viele von uns mussten sich wegen des starken Seegangs übergeben." Über Tag öffnete die Crew die Luke zum Laderaum, um die Sonne einzulassen. Nachts wurde die Klappe geschlossen, und die Menschen froren. Inmitten der Klagelaute kranker und verängstigter Mitreisender konnte niemand schlafen.


Nach langer Irrfahrt im Stich gelassen

Fragen stellten die meisten Passagiere aus Angst, verprügelt oder über Bord geworfen zu werden, nicht. Nach einem Martyrium von fast anderthalb Monaten steuerte das Boot die Insel Saint Martin vor der Küste von Cox's Bazaar an, wo die Irrfahrt begonnen hatte. Als es die unterernährten Migranten endlich wagten, an Deck zu gehen, hatte sich die Crew längst aus dem Staub gemacht.

Andere Menschen erleiden auf solchen Überfahrten ein weitaus schlimmeres Schicksal. Sie werden ausgeraubt und auf offenem Meer ins Wasser gestoßen. Im Südosten Asiens sind mehrere Netzwerke von Schleusern und Menschenhändlern aktiv, die aus der Ausbeutung verzweifelter Menschen Profit schlagen.

Dem UN-Flüchtlingshochkommissariat zufolge machten sich im Laufe von 15 Monaten schätzungsweise 88.000 Menschen, zumeist Bangladescher oder Rohingya-Muslime aus Myanmar, auf den Weg nach Thailand, Malaysia oder Indonesien. Etwa 63.000 Migranten hatten sich im letzten Jahr auf lebensgefährliche Reisen begeben, weitere 25.000 folgten im ersten Quartal dieses Jahres. Geschätzt wird, dass 300 von ihnen zwischen Januar und Ende März 2015 auf dem Meer den Tod fanden. Seit Oktober vergangenen Jahres starben etwa 620 Migranten während der Überfahrten durch den Golf von Bengalen.

Im Kampf gegen die Menschenschmuggler weisen die Behörden Thailands und Malaysias gnadenlos alle Flüchtlingsboote ab, die ihre Häfen ansteuern. Zwei Mal wurden Boote aufs Meer zurückgeschickt, obwohl Menschen an Bord vorm Verhungern waren.


Über 30 Prozent Arme in Bangladesch

Viele Bangladescher verlassen ihr Land, um dem Teufelskreis von Armut und Arbeitslosigkeit zu entkommen. 31 Prozent der insgesamt 157 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze. Offiziell sind 6,7 Millionen Bangladescher arbeitslos.

Der 34-jährige Mohammad Hasan erhoffte sich im Ausland einen Job in der Baubranche. Der Schweißer hatte das Grundstück seiner Familie im Nordwesten von Bangladesch verkauft, um nach Malaysia zu gehen. Zu Hause verdiente er nur knapp hundert Dollar im Monat. Zu wenig, um seine sechsköpfige Familie zu ernähren.

Auch Hasan und seine etwa 100 Mitreisenden wurden von den Schleusern im Stich gelassen. Ihr Boot wurde vor der Küste Thailands aufgebracht, alle kamen mit dem Leben davon. Das Geld, das sie bereits für die Überfahrt gezahlt hatten, war jedoch verloren.

Der Bauer Kawser Ali aus dem nordbangladeschischen Bezirk Rangpur wurde schließlich mitten in einem Wald in Thailand entdeckt, wo er und 50 weitere Migranten von Menschenhändlern ihrem Schicksal überlassen worden waren. Wie Kawser wollen viele andere Farmer ihre prekäre Existenz hinter sich lassen, um in der Fremde zu arbeiten und ihrer Familie eine bessere Zukunft zu sichern.

Um den Migrantenstrom einzudämmen, hat die Küstenwache in Bangladesch kürzlich weitere Kontrollpunkte errichtet, um Boote abzufangen. An die Regierung appellierte sie, die Vorschriften für die Registrierung von Schiffen zu verschärfen. Doch solange die Regierung nichts gegen die weitverbreitete Armut im Land unternimmt, wird sich der Exodus über das Meer kaum stoppen lassen. (Ende/IPS/ck/06.07.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/bangladeshi-migrants-risk-high-seas-and-smugglers-to-escape-poverty/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2015

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