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ASIEN/865: Christen in Pakistan - Rückkehr der Angst nach Terroranschlag (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Oktober 2013

Pakistan: Wenn 'schmutzige' Christen nicht mehr putzen wollen - Rückkehr der Angst nach Terroranschlag

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Eine Verletzte des Bombenanschlgs auf die Allerheiligenkirche in Peshawar
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 24. Oktober (IPS) - Wie die meisten Christen in Pakistan hatte Johar Maseeh von den Einkünften aus einem kleinen Putzjob in einer Fabrik in Peshawar, der Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Norden des Landes gelebt. Er gehörte zu den Opfern des Selbstmordanschlags im September, der 85 Menschen das Leben kostete.

Weil die Christen in Pakistan vorwiegend als Reinigungskräfte arbeiten, werden sie von den Muslimen im Lande als 'schmutzig' betrachtet. "Niemand ist bereit, uns die Hand zu schütteln", meint dazu Rafiq Maseeh, ein Schneider in Peshawar. "Im Grunde bilden wir die Kaste der Unberührbaren. Auch wenn viele Muslime zu meinen Kunden zählen, so sind die meisten nur ungern bereit, mit mir zu reden."

Pakistans Christen leben vorwiegend in Peshawar. Sie gehen davon aus, dass sie in den Dörfern noch schlechter behandelt und drangsaliert würden. Viele leben in Slums ohne Zugang zu Wasser, Sanitäranlagen und Gesundheitsdiensten. Javid Pyara, der in der Universität von Peshawar als Reinigungskraft arbeitet, teilt sich mit seiner zehnköpfigen Familie eine Zwei-Zimmer-Hütte aus Lehm und Ziegelsteinen. "Wir leben hier schon sehr beengt", sagt er.

"Sobald es irgendwo auf der Welt Fälle von Blasphemie gibt, müssen wir, die pakistanischen Christen, als Sündenböcke herhalten". betont Shamshad Khan gegenüber IPS. Im letzten Jahr wurde eine Kirche im benachbarten Mardan aus Protest gegen einen den Propheten Mohamed verunglimpfenden Film eines US-Amerikaners in Brand gesetzt. "Christen sind unbeliebt, weil sie keine Muslime sind", sagt er.

Nach der pakistanischen Verfassung ist es Christen nicht erlaubt, für die Posten des Präsidenten und des Ministerpräsidenten zu kandidieren. "Zwar ist uns in den Landes- und Provinzparlamenten ein Prozent der Sitze vorbehalten, doch bedeutet das noch lange nicht, dass wir etwas in der Politik zu melden haben", so Khan. "Viele Muslime sind nicht bereit, einem Christen die Hand zu schütteln, geschweige denn mit ihm eine Mahlzeit zu teilen."


Bessere Jobs für junge Christen

Doch für die junge Generation von Christen besteht Anlass zu Hoffnung. "Sie hat Zugang zu Bildung und besser bezahlten Jobs, Viele geben sich nicht mehr mit Putzjobs zufrieden", versicherte der 60-jährige Bhuta Maseeh. "Ich habe einen Abschluss an einem örtlichen College gemacht und bin nun Mitarbeiter einer Bank", berichtet sein Sohn Akram Maseeh. Auch viele seiner Freunde, die ein Studium vorweisen können, haben gut bezahlte Stellen gefunden.

"Wir sitzen mit unseren muslimischen Freunden zusammen und diskutieren über Politik und andere Fragen. Wir respektieren uns eben", fügt Mukhtiar Maseeh, Sohn einer Reinigungskraft und Schüler am 'Islamia College' in Peshawar, hinzu.

"Die meisten christlichen Mädchen lassen sich zu Pflegekräften ausbilden. Muslimische Mädchen haben an solchen Jobs kein Interesse", erklärt Jalal Maseeh, ein Einwohner von Peshawar. "Auch finden sie in den staatlichen und privaten Schulen Lehrerstellen."

Doch das Selbstmordattentat im September auf die Allerheiligenkirche hat den Ängsten der Menschen in der armen christlichen Gemeinde wieder neue Nahrung gegeben. Bei dem Anschlag starben 85 Menschen, weitere 140 wurden verletzt. Die etwa 100.000 Christen in Peshawar leben nun in der ständigen Angst, Zielscheibe terroristischer Anschläge zu werden.

"Wir sind in keiner Weise geschützt. Die Terroristen richten ihre Gewehre auf uns. Es fehlt an strikten Sicherheitsvorkehrungen", klagt der 29-jährige Jamil Maseeh, einer der Verletzten.

Dem Religionsgelehrten Muhammad Karim zufolge zielte der Angriff darauf ab, Muslime und Christen zu spalten. "Wir sollten den Christen dankbar dafür sein, dass sie unsere Krankenhäuser, Büros und Märkte reinigen. Wir dürfen ihnen kein Leid zufügen, denn sie dienen unserem Volk. Außerdem sieht der Islam ein friedliches Zusammenleben mit Nicht-Muslimen vor."

"Es ist schockierend und eine Schande, dass wir nicht in der Lage sind, unsere Minderheiten zu schützen", sagt Maulana Tahir Ashrafi, Vorsitzender des Ulema-Rats. "Dem heiligen Propheten Mohamed zufolge, der Friede sei mit ihm, ist es Aufgabe des Staates, für die Sicherheit die Gebetsstätten von Nicht-Muslimen zu garantieren."

Doch immer wieder kommt es zu Streitigkeiten mit orthodoxen Muslimen. "Die Beziehungen zwischen den Kirchen und Moscheen sind nicht so gut, wie sie eigentlich sein sollten", bestätigt Maulana Zafar Gul, ein muslimischer Gelehrter. Die Mehrheit der Muslime lehnt die Kirchen ab, verhält sich aber aufgrund des staatlichen und internationalen Drucks ruhig.


"Gefahr der physischen Vernichtung"

"Wir führen ein erbärmliches Leben in Pakistan", meint der Vorsitzende der Pakistanischen Minderheitenbewegung, Saleem Grabble. "Unsere Leute arbeiten für Minilöhne als Reinigungskräfte. Nun laufen wir sogar Gefahr, physisch vernichtet zu werden."

Für Sawar Shah, Politikdozent in Lahore, steht fest, dass der Terroranschlag auf die Allerheiligenkirche dazu gedacht war, die internationale Aufmerksamkeit auf die Pläne der Regierung zu lenken, mit den Taliban in den Dialog zu treten. "Die Terroristen haben bereits Moscheen, Schiiten, Begräbniszeremonien, Schulen, Marktplätze, und Regierungsgebäude attackiert, um ihren Ärger über die Rolle Pakistans im Krieg gegen den Terrorismus Luft zu machen." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/10/pakistans-dirty-christians-now-afraid-to-clean/

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IPS-Tagesdienst vom 24. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2013