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ASIEN/861: Myanmar - Rohingya, erst verfolgt, dann vom Zensus totgeschwiegen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Oktober 2013

Myanmar: Erst verfolgt, dann totgeschwiegen - Menschenrechtler warnen vor 'Völkermord' an Rohingya durch Zensus

von Marwaan Macan-Markar


Bild: © Anurup Titu/IPS

Bangladeschische Grenzwachen verweigern Rohingya aus Myanmar im November 2012 den Grenzübertritt
Bild: © Anurup Titu/IPS

Bangkok, 8. Oktober (IPS) - In Myanmar ist nach 30 Jahren wieder eine Volkszählung geplant. Menschenrechtsaktivisten befürchten, dass die muslimisch-ethnische Minderheit der Rohingya nicht mitgezählt wird, um jeden Hinweis auf ihre Existenz auszulöschen.

Nurul Islam, der den Verband 'Arakan Rohingya National Organisation' (ARNO) von London aus leitet, will nun die Unterstützung der Vereinten Nationen und der europäischen Staaten mobilisieren. Sie sollen Druck auf Myanmar ausüben, damit die staatenlosen Rohingya mitgezählt und erfasst werden. Die internationale Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HWR) hat ähnliche Befürchtungen wie ARNO geäußert.

Die Volkszählung soll zwölf Tage dauern und Ende März durchgeführt werden. Die Kosten gab Myanmars Einwanderungs- und Bevölkerungsminister Khin Yi auf einer Pressekonferenz Mitte September in der Verwaltungshauptstadt Naypidaw mit 58,5 Millionen US-Dollar an. 15 Millionen Dollar wird die Regierung, fünf Millionen Dollar die UN übernehmen. Für den Rest sollen westliche Geberstaaten aufkommen. Entsprechende Zusagen liegen aus Großbritannien (16 Millionen Dollar), Australien (2,8 Millionen Dollar), aus Norwegen und der Schweiz vor.


Systematische Dezimierungspolitik

Die Bedenken gegenüber der im nächsten Jahr geplanten Volkszählung rühren von der seit Jahrzehnten andauernden Unterdrückung der Rohingya her. Sie sind Opfer von Zwangsarbeit und anderen Menschenrechtsverletzungen, haben keinen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung und Bildung und werden daran gehindert, ihre Dörfer zu verlassen. Auch verweigern ihnen die Lokalbehörden das Recht, untereinander zu heiraten. Dies wiederum hat Aktivisten zufolge dazu geführt, dass tausende Rohingya-Babys nicht gemeldet sind. Zudem sind die Rohingya anders als die landesweit 135 Volksgruppen nicht als Ethnie anerkannt.

Die letzte Volkszählung fand 1983 statt. Danach lebten in dem südostasiatischen Land 35,4 Millionen Menschen. Beim vorangegangenen Zensus 1973 waren 28,9 Millionen Burmesen erfasst worden. Beide Jahre fallen in die langjährige Amtszeit der letzten repressiven Militärregierung, die den Rohingya die nationale Anerkennung vorenthalten hatte.

In amtlichen Mitteilungen und in den lokalen Medien werden die auf 800.000 geschätzten Angehörigen der Minderheit 'Bengalen' genannt. "Die Bezeichnung macht sie zu Ausländern, die angeblich aus dem benachbarten Bangladesch stammen", meint Chris Lewa, Leiter des 'Arakan Project', einer unabhängigen Denkfabrik, die die Geschichte der Rohingya aufzeichnet. "Die Institutionalisierung des Begriffs hat dazu geführt, dass den Rohingya das Recht auf die burmesische Staatsbürgerschaft verweigert wird."

Der Konsens werde die Frage der Nationalität der Rohingya nicht berühren, sagt Janet Jackson, Leiterin des Myanmar-Büros des Weltbevölkerungsprogramms (UNFPA). "Die Kontroverse in dieser Frage sollte einer vollständigen Volkszählung nicht im Wege stehen und die Durchführung des Zensus die Spannungen in dieser Angelegenheit nicht verschärfen."

Die Regierung habe UNFPA zugesichert, den Zensus nach internationalen Standards durchzuführen und jede Person im Lande unabhängig von deren Nationalität oder Ethnizität zu erfassen, betont Jackson. Man erwarte ein Bevölkerungsprofil, dass allen der grob geschätzten 60 Millionen Menschen gerecht werde.


Tödliche Übergriffe und Vertreibungen

Dass sich die Behörden an die Zusage halten, ist nach Ansicht von Menschenrechtsaktivisten zweifelhaft, zumal die Rohingya keinen Schutz genießen. Im letzten Jahr kam es zwischen den ethnischen buddhistischen Arakern in dem von Buddhisten dominierten Land und den Rohingya zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Angriffe auf die staatenlose Minderheit im Oktober 2012 und im Juni 2013, die fast 200 Menschen das Leben kosteten und 140.000 in die Flucht trieben, hatte den Rohingya international Unterstützung eingebracht. HRW sprach in einem im April veröffentlichten Bericht von "Opfern ethnischer Säuberungen".

Doch die Situation hat sich für die Betroffenen noch weiter verschlechtert. So hat die in Toronto ansässige Menschenrechtsorganisation 'Sentinel Project for Genocide Prevention' Myanmar als "Lehrbuchfall für ein Land am Rande des Völkermords" beschrieben. "Die Völkermord-Maschinerie, der gesamte systemische Prozess, der auf die Eliminierung der Rohingya abzielt - ist in Burma (Myanmar) bereits in vollem Gang und hat zu ethnischen Säuberungen und Isolation geführt."

In dem Bericht 'High Risk of Genocide in Burma', den die Gruppe Anfang September veröffentlicht hat, heißt es, dass es genügend Hinweise gebe, die den Vorwurf des Völkermords rechtfertigten. Zu den Indikatoren der Völkermordabsichten gehörten die Zwangsregistrierung der Rohingya unter einer 'ausländischen' ethnischen Identität und die Versuche, die Existenz der Gruppe aus den amtlichen Unterlagen zu tilgen". (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.rohingya.org/portal/
http://thesentinelproject.org/
http://thesentinelproject.org/new-report-high-risk-of-genocide-in-burma/
http://www.ipsnews.net/2013/10/after-persecution-rohingyas-face-erasure/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2013