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ASIEN/842: Malaysia - Massenproteste nach den Wahlen, kein Ende in Sicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2013

Malaysia: Massenproteste nach den Wahlen - Kein Ende in Sicht

von Baradan Kuppusamy



Kuala Lumpur, 22. Mai (IPS) - Fast drei Wochen nach den allgemeinen Wahlen dauern die Proteste gegen den Sieg der regierenden Nationalen Front ('Barisan-Nasional' - BN) an. Analysten zufolge ist es dem regierenden Ministerpräsidenten Najib Tun Razak am 5. Mai zwar gelungen, den Wahlkampf erneut für sich zu entscheiden, doch stehe er zunehmend als Verlierer da.

Derzeit erschüttert eine von dem Vorsitzenden der Volkspartei ('Pakatan Rakyat' - PR), Anwar Ibrahim, angeführte Protestbewegung das südostasiatische Land. Ibrahim wirft der seit 56 Jahren regierenden BN Wahlbetrug vor. "Wäre es am 5. Mai nicht zu den Unregelmäßigkeiten gekommen, befänden wir uns heute in Putrajaya", sagte er in Anspielung auf das Verwaltungszentrum des Landes rund 25 Kilometer von der Hauptstadt Kuala Lumpur entfernt.

Ibrahim zufolge haben "Flugzeugladungen von Bangladeschern" illegal ihre Stimme abgegeben. Dem PR-Vorsitzenden zufolge wurde das malaysische Volk um demokratische Verhältnisse geprellt.


Städter wollen Wandel

Zigtausende von Menschen erscheinen auf den Protestveranstaltungen, zu denen Ibrahim aufruft, und bekunden damit ihre Unzufriedenheit mit dem Ausgang des Urnengangs. Auch wenn sich nicht vorhersehen lässt, ob Malaysia ein Arabischer Frühling bevorsteht, ist der Wunsch der Menschen nach einem politischen Wandel unverkennbar.

Den Auftakt der Serie der Versammlungen, die 'Schwarz 505' genannt werden, machte eine Veranstaltung im Kelana-Jaya-Stadion am Rande der Hauptstadt Kuala Lumpur. Sie zog 120.000 Menschen an - in der Mehrheit junge Städter, die sich über die sozialen Netzwerke organisiert hatten.

Zur bisher letzten Unmutsdemonstration kam es am 17. Mai in Seremban, der Hauptstadt des an der Westküste der malaysischen Halbinsel gelegenen Bundesstaates Negeri Sembilan. Die Stimmung auf den Großdemonstrationen, zu denen die Menschen in schwarzer Kleidung erscheinen, ist feierlich. Ihrem Ruf nach Reformen verleihen sie mit den durchdringenden Tönen der Vuvuzela-Tröten Nachdruck.

"Meine Familie und ich hatten gehofft und gebetet, dass sämtliche Jungwähler dieser repressiven Regierung den Laufpass geben. Doch wir wurden um unseren Sieg betrogen", meinte Angelina Tan im IPS-Gespräch in Seremban, rund 60 Kilometer südlich von Kuala Lumpur entfernt. Die 34-jährige Designerin hatte mit ihrem dreijährigen Sohn an der Protestaktion teilgenommen. "Ich bin wegen meines Sohnes hier. Er ist die Zukunft, für die wir kämpfen", sagte sie, sichtlich erzürnt über das, was sie als "Scheinregierung" bezeichnete.

Ministerpräsident Razak und die Wahlkommission wiesen die Betrugsvorwürfe zurück. Die BN, eine Koalition aus 13 Parteien, hatte sich 133 der 222 Sitze im Zweikammerparlament erkämpft, während die PR ganze 52 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Gescheitert ist sie am geltenden Mehrheitswahlsystem, dass Malaysia von der ehemaligen britischen Kolonialmacht geerbt hat und das vorsieht, dass die Partei mit den meisten Parlamentssitzen die Regierung stellt.

Die Erwartungen im Vorfeld der Wahlen waren hoch gewesen. Schon bei dem Urnengang 2008 sah es danach aus, als hätte die BN das Land nicht mehr so fest im Griff. Danals errang sie gerade einmal 140 Sitze und sah sich zum ersten Mal in der Situation, über keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr zu verfügen, die nach Ansicht von Regierungskritikern der Partei lange Zeit als Unterdrückungsinstrument diente.

Die Oppositionsparteien - die säkulare Demokratische Aktionspartei (DAP), die islamische PAS und die zentristische Volksgerechtigkeitspartei (Parti Keadilan Rakyat - PKR) unter Führung von Ibrahims Frau Wan Azizah Ismail - konnten sich vor fünf Jahren 82 Parlamentssitze erkämpfen. Dieser Erfolg hatte die drei ungleichen Parteien veranlasst, bei den Mai-Wahlen unter einem gemeinsamen Schirm der PR anzutreten.


Landbevölkerung hält es mit der Regierungspartei

Doch am Ende gelang es der Opposition lediglich, sieben weitere Parlamentssitze zu erringen. Das hat mit der Stärke der regierenden BN in den ländlichen Gebieten zu tun. Auch hatte die Partei der Landbevölkerung im Wahlkampf finanzielle Mittel und Fördermaßnahmen in Aussicht gestellt.

Auch konnte die BN in Sabah und Sarawak erheblich punkten. Beide östlichen Bundesstaaten verfügen zusammengenommen über 56 Parlamentssitze, von denen die BN 45 errang. Gut schnitt sie auch in Johor, Pahang and Kedah ab und sicherte sich Sitze in anderen kleineren Bundesstaaten. Es gelang ihr darüber hinaus, sich die 2008 in Perak und Kedah an die Opposition verlorenen Stimmen zurückzuholen.

Die marginalisierten, desillusionierten und zornigen städtischen Wähler hingegen wählten die PR. Während die sozialdemokratische pro-chinesische Partei DAP einen Teil dieser Stimmen für sich abzweigen konnte, hielten sich die mit der BN unzufriedenen Malaien an die PR. Doch reichte es offenbar nicht, die BN abzuwählen, was sich viele Städter in Malaysia angesichts steigender Verbrechensraten, Drogendelikte und Korruption so sehr gewünscht hatten.

Viele sind überzeugt, dass es bei dem Urnengang am 5. Mai zu massivem Wahlbetrug gekommen ist - ein Umstand, den sich Ibrahim, ein ehemaliger Finanzminister, zunutze macht. "Ich hätte die Benzinpreise verringert, für eine kostenlose Bildung und die Abschaffung der Mautgebühren gesorgt, hätten wir gewonnen", sagte er auf der Kundgebung in Seremban. "Wir werden die ansteigenden Lebenskosten nicht dulden", rief er in die Menge, die ihm tosenden Beifall zollte.

Wie der PAS-Vorsitzende Rosli Yaakob, der ebenfalls an der Protestveranstaltung teilgenommen hatte, gegenüber IPS erklärte, hätte die PR gewonnen, wäre es nicht zu den Unregelmäßigkeiten im großen Stil gekommen. Die PAS hatte sich im Vergleich zu den anderen Koalitionsparteien weitgehend passiv verhalten.


Auflösung der Wahlkommission gefordert

Yakoob plädiert für die Auflösung der Wahlkommission, der er eine Mitschuld an dem mutmaßlichen Wahlbetrug gibt. So wird ihr unter anderem vorgehalten, die bei den Wahlen übliche abriebfeste Tinte gegen eine andere, leicht zu entfernende ausgetauscht zu haben, um eine doppelte Stimmenabgabe zu ermöglichen. "Wir fordern eine vom König eingesetzte Untersuchungskommission", meinte Yaakob.

Doch trotz aller Proteste sind die Beweise dünn, wie der Abgeordnete Jeyakumar Deveraj erklärte, der für seinen Wahlkreis Sungai Siput im Bundesstaat Perak angetreten war. "Wir konnten im Verlauf des politischen Prozesses keinen signifikanten Wahlbetrug erkennen", versicherte Deveraj, der einzige sozialistische Parlamentarier. Dennoch seien die Massenproteste als Ausdruck eines tiefen Misstrauens der Öffentlichkeit in die Wahlkommission zu verstehen. Das hohe Maß an bürgerlichem Aktivismus im Anschluss an die Wahlen sei jedoch insgesamt gesehen positiv zu bewerten. "Das stärkt die Demokratie." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/05/wave-of-protests-against-malaysian-election-results/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2013