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ASIEN/840: Pakistan - Freie und faire Wahlen, nicht für die Ahmadi (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Mai 2013

Pakistan
Freie und faire Wahlen - Nicht für die Ahmadi

Von Zofeen Ebrahim


Bild: © Adil Siddiqi/IPS

Mitglieder der Ahmadi-Minderheit in Pakistan werden nach eigenen Angaben von den Wahlgesetzen benachteiligt
Bild: © Adil Siddiqi/IPS

Karachi, 7. Mai (IPS) - Am 11. Mai wird in Pakistan gewählt, doch die Minderheit der Ahmadi-Muslime wird nicht zu den Urnen schreiten. Denn in diesem Fall würden sie sich durch die Stimmabgabe offiziell als 'falsche' Muslime einstufen.

Seitdem die Landesverfassung die Ahmadis als Nicht-Muslime eingestuft hat, gehören sie zu den am schlimmsten verfolgten Minderheiten im südasiatischen Land. Die Abwesenheit der Gläubigen, die Mirza Ghulam Ahmad aus dem 19. Jahrhundert als ihren Messias betrachten, wird sich an den Wahllokalen deutlich bemerkbar machen.

Die Ahmadis sind aufgerufen, sich unter einer Sonderkategorie für die Wahlen registrieren zu lassen. Der Aufforderung Folge zu leisten hieße aber gegen ihre eigene Identität als Muslime zu verstoßen, berichtet Amjad M. Khan, Vorsitzender der 'Ahmadiyya Muslim Lawyers Association' mit Sitz in den USA in einer E-Mail an IPS.

"Wenn wir wählen gehen wollten, müssten wir der Ahmadi-Gemeinschaft abschwören und unserem geistigen Führer Mirza Ghulam Ahmad als falschen Propheten bezeichnen", berichtet der Mediziner Hasan. Zu einem solchen Schritt sei er nicht bereit. Schließlich sei der Glaube wichtiger als die Beteiligung an den Wahlen.

Den wenigsten Ahmadi dürfte eine solche Entscheidung schwerfallen. Doch zivilgesellschaftliche Gruppen und etliche Politiker betrachten den Boykott als einen Rückschlag für die Demokratie des 170 Millionen Einwohner zählenden Landes, in dem die Hoffnung auf freie und faire Wahlen groß ist.

"Wenn 200.000 erwachsene Ahmadi nicht wählen können, weil sie durch Gesetze daran gehindert werden, bedeutet dies, dass technisch gesehen von freien und fairen Wahlen nicht die Rede sein kann", betont Adnan Rehmat, Leiter der einflussreichen Medienentwicklungsorganisation 'Intermedia'. "Irgendetwas ist faul in diesem Staat."

"Die Diskriminierung der Ahmadi ist selbst in unserer eigenen wechselhaften Geschichte beispiellos", meinte der pakistanische Schriftsteller und Journalist Mohammad Hanif gegenüber IPS. Die Ahmadi zwingen zu wollen, ihre religiöse Identität an den Wahlurnen zu verleugnen, sei noch schlimmer als Menschen die Teilnahme an den Wahlen zu verbieten.


Jahrzehnte der Diskriminierung

Seit der Gründung Pakistans bis zur Militärdiktatur von Muhammad Zia-ul-Haq 1985 hatte Pakistan ein gemeinsames Wahlsystem, das allen Bürgern gleiche Rechte einräumte, den Kandidaten ihrer Wahl unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit ihre Stimme zu geben.

In dem Versuch, Pakistan zu islamisieren, ordnete Zia-ul-Haq ein getrenntes Wahlsystem für die von ihm als 'Nicht-Muslime' bezeichneten Wähler an. Die auf diese Weise ausgegrenzten Personengruppen durften nur für fünf Prozent der Parlamentssitze ihre Stimme abgeben. Das System hat die Gemeinschaft der Ahmadi um ihre politische Repräsentanz gebracht. Auch konnten Mitglieder der Minderheit nicht in einflussreiche Regierungsposten aufrücken oder eine Stelle in einer staatlichen Institution wie der Polizei finden.

In dem Versuch im Jahr 2002, islamistische Hardliner ruhig zu stellen, hatte der ehemalige Staatschef Pervez Musharraf den Exekutivbefehl Nummer 15 herausgegeben. Der Befehl zwang die Ahmadi dazu, sich auf einer 'Zusatz-Wählerliste' registrieren zu lassen, was Khan zufolge mit dem islamischen Recht überhaupt nicht vereinbar ist.

Seitdem haben alle nachfolgenden Regierungen gegenüber der 'Wähler-Apartheid' beide Augen zugedrückt, die auch gegen Artikel 25 des Internationalen Pakts über bürgerliche und zivile Rechte verstößt, den Pakistan 2008 unterzeichnet hatte.

Auch wenn viele Pakistaner die Diskriminierung als eine rein politische Angelegenheit betrachten, ist sie für die Ahmadi eine Frage von Leben und Tod. Rechtliche Schlupflöcher erlauben es religiösen Extremisten immer wieder, die Minderheit zu terrorisieren. Die umstrittenen Anti-Blasphemiegesetze tun ein Übriges, um die Diskriminierung der Ahmadi zu verschlimmern.

Im letzten Monat hatte die Bewegung der Ahmadi, die 'Jamaat-i-Ahmadiyya', einen Bericht herausgegeben, aus dem hervorgeht, dass seit dem Ausbruch religiöser Gewalt im Jahre 1984 226 Ahmadi getötet worden sind, 19 von ihnen im letzten Jahr. Vor fast drei Jahren, am 28. Mai 2010, waren ganze 94 Mitglieder der Minderheit in Moscheen während des Freitagsgebets in der ostpakistanischen Stadt Lahore Massakern zum Opfer gefallen, ohne dass ein einziger Täter vor Gericht gestellt worden wäre.


Oppositionspartei will Ahmadi helfen

Für dieses Jahr hat die Oppositionspartei 'Pakistan Tehreek-e-Insaf' (PTI) unter Führung des ehemaligen Kricket-Stars Imran Khan eine Lanze für die verfolgte Minderheit gebrochen. So erklärte der Sprecher Zohair Ashir gegenüber IPS, dass seine Partei alle pakistanischen Bürger als gleich betrachten werde. "Es ist eine Schande, dass die vorherigen Regierungen die vielen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten innerhalb des Systems nicht korrigiert haben", sagte er. Sollte es der PTI gelingen, an die Macht zu kommen, werde man die Diskriminierung zügig beenden.

Allerdings nannte der PTI-Sprecher keine konkreten Maßnahmen, um den Ahmadi die Partizipation am politischen Leben zu erleichtern, und erklärte, dass die Erholung der Wirtschaft, die Energiekrise und die Bekämpfung des Terrorismus Priorität haben würden.

Die wenigsten im Lande sind der Meinung, dass sich die bevorstehenden Wahlen positiv auf die Ahmadi auswirken werden. Dazu erklärte der 37-Jährige Ahmadi Aamir Mehmood aus Chenab Nagar, einer Stadt in der Provinz Punjab, in der 95 Prozent der 70.000 Einwohner Ahmadi sind, dass er sich keinen Politiker vorstellen könne, der den nötigen Mut besitze, eine kritische Debatte anzustoßen und die diskriminierenden Gesetze abzuschaffen.

"Wenn die Ahmadi den Exekutivbefehl rückgängig machen wollen, sollten sie zu den rechtlichen Mitteln greifen", empfiehlt Qasim Farooqi, Sprecher der verbotenen Religionsgruppe 'Ahle Sunnat Wal Jamaat' (ASWJ). Ein Boykott werde das Land nur weiter schwächen.

Die Spannungen setzen die Ahmadi erheblich unter Druck, denn früher oder später sind sie es, die die Feindlichkeit von Islamisten zu spüren bekommen. Im vergangenen Monat wurden sieben Ahmadi wegen des Vorwurfs festgenommen, das heilige Buch des Korans entehrt und sich selbst als Muslime bezeichnet zu haben. Ihnen wurde ferner vorgeworfen, in einer Lokalzeitung "blasphemische" Literatur gedruckt und verbreitet zu haben. Doch Gemeindeführer erklärten dazu, dass das Blatt zu den ältesten in Pakistan gehöre und nur innerhalb der Ahmadi-Gemeinschaft verbreitet würde. (Ende/IPS/kb/ 2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/05/free-and-fair-elections-except-for-ahmadis/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2013