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ASIEN/822: Der XVIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas - Teil 1 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 48 vom 30. November 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Größtes Problem: Soziale Ungerechtigkeit
Der XVIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (Teil 1)

Von Helmut Peters



Der Parteitag, der vom 8. bis 14. November wie üblich in Beijing stattfand, stand wie sein Vorgänger im Zeichen des "Sozialismus chinesischer Prägung" und des allseitigen Aufbaus der "Gesellschaft des Kleinen Wohlstandes". Zugleich setzte er eine Reihe neuer wesentlicher Akzente. Dazu gehören die überaus betonte Hinwendung zur sozialen Frage, der Übergang zu einer intensiv erweiterten und ökologisch verträglichen Produktion und Reproduktion in Verbindung mit einer stärkeren Ausprägung der Marktwirtschaft, die politische Reform mit Einbeziehung gesellschaftlicher Organisationen in die Leitung der Gesellschaft, die Entwicklung der sozialistischen Kultur und eine weitgehende Neuformierung der Führungsmannschaft der Partei.

Die über 82 Millionen Parteimitglieder waren auf dem Parteitag von über 2200 gewählten Delegierten vertreten. Hinzu kamen weitere etwa 100 speziell geladene Delegierte (u. a. der vormalige Generalsekretär Jiang Zemin und andere Vertreter früherer Führungsgenerationen), die gleiche Rechte wie gewählte Delegierte zugesprochen bekamen. 69,5 Prozent der gewählten Delegierten waren Führungskader aus allen Bereichen der Gesellschaft. Lediglich 7,4 Prozent (51 mehr als 2007) waren Arbeiter. (Der Anteil der Arbeiterklasse an den 780 Millionen Erwerbstätigen des Landes dürfte schätzungsweise zwischen 50-55 % liegen)

Die Frauen stellten 23 Prozent aller Delegierten. 93,5 Prozent (!) der Gewählten hatten zumindest einen Fachhochschule besucht. Die Delegierten wurden vor Beginn des Parteitages eine Woche lang mit der Linie des Kongresses kollektiv vertraut gemacht.

Der Parteitag beriet und bestätigte den Bericht des XVII. ZK, den Bericht der Zentralen Disziplinkontrollkommission, den Entwurf des korrigierten Parteistatuts und wählte das Zentralkomitee und die Zentrale Disziplinkommission der XVIII. Wahlperiode.

Noch auffälliger als bei vorangegangenen Parteitagen waren die systematische und breite Herausstellung der Erfolge in Verwirklichung des Sozialismus chinesischer Prägung vor und während des Kongresses und die landesweiten, vor allem um und in Beijing konzentrierten Maßnahmen zur Absicherung des Parteitages und der öffentlichen Ordnung.


Soziale Problematik

Die zehnjährige Amtszeit Hu Jintaos war die bisher erfolgreichste Phase in der Reform- und Öffnungspolitik der KP Chinas. In diesem Zeitraum erreichte China eine jährliche Wachstumsrate des BIP von über 10 Prozent und konnte sich damit vor Japan auf den zweiten Platz in der Weltwirtschaft vorschieben. Mit der Modernisierung des Landes haben nicht nur ganze Landstriche ihr Aussehen verändert, sondern hat sich auch das allgemeine Lebensniveau verbessert. Im Bericht an den Parteitag werden diese und andere progressive Veränderungen zu Recht hervorgehoben und als Erfolge des "Sozialismus chinesischer Prägung" herausgestellt. Das hatte jedoch auch seinen Preis; denn damit waren Entwicklungen verbunden, die sich zu den Problemen und Widersprüchen auswuchsen, die jedoch in den bisher zugänglichen Parteitagsmaterialien minimalisiert oder gar nicht genannt werden. Dazu gehört in erster Linie die soziale Frage, die in Abhängigkeit vom bisherigen ökonomischen Entwicklungsmodell aufkam und sich verschärfte.

Dieses Modell, das seinem Charakter nach eine spezielle Art extensiver Produktion und Reproduktion mit verhängnisvollen Auswirkungen auf die Umwelt ist, beruhte mit seiner außenwirtschaftlichen Ausrichtung auf niederen Selbstkosten durch billige Arbeit. Das ermöglichte zusammen mit der Unterbewertung des Renminbi international relativ hohe Gewinne, obwohl die chinesische Wirtschaft weitgehend in die untere Ebene der globalen Produktions- und Profitketten eingegliedert wurde. Die Verteilung des Nationaleinkommens wurde auf die Maximalisierung dieses Effekts ausgerichtet. Das bedingte, dass das Wachstumstempo der Einkommen der Bevölkerung deutlich hinter dem Wachstumstempo des Nationaleinkommens zurückblieb, während der Anteil der Zentralregierung mit weit über 20 Prozent und der der Unternehmen mit an die 20 Prozent weit über dem Wachstum des Nationaleinkommens lagen. Hinzu kam, dass die damit einhergehende wachsende soziale Ungerechtigkeit die soziale Polarisierung weit über die internationale Warnlinie von 0,4 hinaustrieb.

Zwischenfälle massenhaften Charakters zwischen Teilen der Bevölkerung und örtlichen Machtorganen, die sich vor diesem Hintergrund zu entfalten begannen, veranlassten die Regierung zunächst noch zu verhaltenen Korrekturen. Ungeachtet dessen verblieb die Konsumtionsrate während der 11. Fünfjahresvorhaben (2006-2010) auf dem niedrigsten Stand von rd. 35 Prozent, während die Akkumulationsrate auf 46,8 Prozent (2008) gestiegen war; das Wachstum der Volkswirtschaft war zu dieser Zeit zu über 50 Prozent vom Export abhängig. (Li Yizhong, Den Wandel und den Anstieg der Industrie unseres Landes direkt vor der Nase. In: Renmin Wang v. 9.3.12. Zum Vergleich: Die Konsumtionsrate der USA liegt bei etwa 65 %.)

Die Erkenntnis in der KP Chinas, das Modell der extensiven Wirtschaftsweise aufgeben und zu einer intensiveren und ökologisch verträglichen Produktion und Reproduktion übergehen zu müssen, hatte also zwei Ursachen - eine ökonomisch-ökologische und eine soziale. Der Parteitag folgte dieser Erkenntnis. Er bestätigte sowohl die Orientierung auf einen "Wandel der Entwicklungsweise der Wirtschaft" als auf einen damit verbundenen neuen Kurs der Sozial- und Verteilungspolitik. (Bereits im Mai 2009 hatte das Politbüro des ZK der Partei den beschleunigten Ausbau des Systems der Sozialversicherung beschlossen) Mit dem 12. Fünfjahrplanvorhaben (2011-2015) wurde zum ersten Mal beschlossen, ein System grundlegender öffentlicher Dienstleistungen zu schaffen. Es umfasst neun Bereiche: Bildung, Beschäftigung, Sozialversicherung, Gesundheitswesen, Bevölkerungsplanung, Kultur, Infrastruktur, Wohnungsgarantie und Umweltschutz. Der Parteitag beschloss zugleich, das Einkommen der Bevölkerung an das Wachstum des Nationaleinkommens und die Löhne an die Entwicklung der Arbeitsproduktivität zu binden und neben dem BIP auch das Einkommen der Bevölkerung bis 2020 zu verdoppeln.

Ohne die Überwindung der sozialen Zurückgebliebenheit wird die angestrebte neue Produktionsweise nicht funktionieren. Die Lösung dieses Prob. lems ist auch deshalb schwierig, weil sich hier vielfältige Interessen entgegenstehen. Ein prägnantes Beispiel ist der seit acht Jahren anhaltende Streit von 16 Ministerien und zentralen Kommissionen um das nationale Projekt zur Reform der Einkommensverteilung.


Modernisierung der Wirtschaft

Angesichts der inneren und äußeren Veränderungen der Wirtschaftslage forderte der Parteitag, die "Vervollkommnung des Systems der sozialistischen Marktwirtschaft und den Wandel des Entwicklungsmodells zu beschleunigen". Auf diesem Wege sollen Qualität und Effektivität deutlich erhöht, alle Marktsubjekte in ihrer Entwicklung gleiche Bedingungen haben und gestärkt werden, ein neues System für den Aufbau der modernen Industrie geschaffen, neue Vorzüge für die Entwicklung der geöffneten Wirtschaft entwickelt und die Voraussetzungen für ein langfristiges Wachstum der Wirtschaft gesichert werden. Industrialisierung neuen Typs, Verbreitung der IT-Technik, Urbanisierung und Modernisierung der Landwirtschaft sollen miteinander verbunden und synchron voranschreiten.

Als Kernproblem bei der Reform des Wirtschaftssystems wird die richtige Abstimmung der Beziehungen zwischen Regierung und Markt betrachtet. In anderen Veröffentlichungen heißt es, dass dem Markt die grundlegende Verteilung der Ressourcen obliegt, die Regierung von Unternehmen und Kapital zu trennen und in eine moderne Dienstleistungsinstitution mit verstärkter Kontrolle der Marktes umzugestalten ist. Im Bericht wird gefordert, das staatliche Kapital noch stärker in den wichtigen Branchen und Schlüsselbereichen, die für die staatliche Sicherheit und die Entwicklung der Volkswirtschaft entscheidend sind, zu konzentrieren. Mit der ständigen Stärkung der Kraft der staatlichen Wirtschaft, ihrer Kontrolle und ihres Einflusses ist zugleich das "Nicht-Gemeineigentum" nachhaltig zu unterstützen und anzuleiten. Der Wirtschaft aller Eigentumsformen werden das gleiche Recht bei der Nutzung der Produktionsfaktoren und die gleichen fairen Bedingungen in der Marktkonkurrenz zugesprochen.

Nicht aufgenommen in den Bericht des ZK ist Reorganisierung und allseitige Umgestaltung staatlicher Unternehmen in große Aktiengesellschaften nach westlichem Vorbild, die in diesem Jahr vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses beschlossen worden war. Diese Unternehmen sind gehalten, Kapital aus anderen Eigentumsformen aufzunehmen "gemischtes Eigentum" zu entwickeln. Gleichzeitig sollen die danach streben, in den globalen Produktions- und Profitketten mittlerer und oberer Ebene einzusteigen.

Der wissenschaftlich-technischen Innovation wird für die Entwicklung der Wirtschaft strategische Bedeutung beigemessen. Die strategische Regulierung der Wirtschaftsstruktur gilt als Hauptrichtung für den Wandel des Entwicklungsmodells. Überragender Schwerpunkt bleibt die Lösung der Probleme der Landwirtschaft, des Dorfes und der Bauern durch die Integration der Entwicklung von Stadt und Land. Dabei blieb die Frage offen, wie dies auf der Grundlage der zumeist kleinbürgerlichen Wirtschaft geschehen soll.

Die Öffnungspolitik soll angesichts der "neuen Lage" in der ökonomischen Globalisierung noch aktiver gestaltet werden. Mit der verstärkten Erweiterung der Binnennachfrage, vor allem des Konsums der Bevölkerung, wird Wert auf die Ausbalancierung von Im- und Export und damit objektiv auch auf die Wiederherstellung der globalen Balance in der Weltwirtschaft gelegt. Die Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft wird offensichtlich fortgesetzt.

Chinesische Ökonomen weisen darauf hin, dass ein qualitativer Aufschwung in der Entwicklung der Wirtschaft des Landes die Lösung einer Reihe von Problemen voraussetzt. Dazu zählen sie neben der sozialen Polarisierung, die anhaltende Vergrößerung der Unterschiede zwischen Stadt und Land auch die Zurückgebliebenheit der sozialen Entwicklung, die unzureichenden Fähigkeiten für die wissenschaftlich-technische Innovation, die Korruption und den verbreiteten regionalen Protektionismus im Land. (Vgl. Lin Yinfu, in: Renmin Wang v. 22.10.12)



Den 2. Teil lesen Sie in der nächsten UZ


KASTEN


Die neue Parteiführung: Eine Generation eigenerPrägung
 
Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros des ZK:

Xi Jingping, Generalsekretär des ZK und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission, Dr. jur., geb. 1953 in Shanxi, in der "Kulturrevolution" aufs Land geschickt; Li Keqiang, Dr. oec., als Sohn eines Bauern geb. 1955 in Anhui. In der "Kulturrevolution" aufs Land geschickt; Zhang Dejiang, Dr. oec., geb. 1946 in Liaoning, seit März 2012 Parteisekretär von Chongqing, in der "Kulturrevolution" aufs Land geschickt; Yu Zhengsheng, Dr. Ing., geb. 1945 in Zhejiang; Liu Yunshan, von Beruf Lehrer, geb. 1947 in Shanxi; Wang Qishan, geb. 1948 in Shanxi, 1994-1997 Direktor der Chinesischen Aufbaubank, in der "Kulturrevolution" aufs Land geschickt; Zhang Gaoli, Absolvent der Universität Xiamen, geb. 1946 in Fujian.

Zentralkomitee: 205 Mitglieder und 171 Kandidaten, fast 50 Prozent erstmals im ZK vertreten.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 48 vom 30. November 2012, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2012