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ASIEN/786: Burma - Abschied von 50 Jahren Diktatur, Wandel durch Kunst der Diplomatie (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2012

Burma: Abschied von 50 Jahren Diktatur - Wandel durch Kunst der Diplomatie

von Marwaan Macan-Markar


Bangkok, 25. Januar (IPS) - In Burma geht eine 50-jährige Militärdiktatur zu Ende, ohne dass ein einziger Schuss gefallen ist. Staatspräsident Thein Sein übt sich in der Kunst des Kompromisses - und darf sich der Unterstützung von Aung San Suu Kyi gewiss sein - der Ikone der burmesischen Pro-Demokratie-Bewegung.

Die 66-jährige Friedensnobelpreisträgerin saß unter Thein Seins Amtsvorgängern 15 der vergangenen 22 Jahre aus politischen Gründen im Gefängnis oder stand unter Hausarrest. Am 18. Januar ließ sie sich als Kandidatin für die Parlamentsnachwahl am 1. April aufstellen. Die Vorsitzende der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) hat seit dem Ende der Militärdiktatur offenbar nichts mehr zu befürchten. Die Generäle hatten nach dem Erdrutschsieg der NLD 1990 verhindert, dass Suu Kyi Präsidentin wurde.

Auch die oppositionelle Studentengruppe der Generation 88 ist an einer Zusammenarbeit mit der seit Frühling 2011 amtierenden politischen Führung interessiert. Kurz nach der Freilassung inhaftierter Mitglieder kündigte sie an, man werde "im größtmöglichen Umfang gemeinsam mit der von dem Präsidenten geführten Regierung, dem Parlament, dem Militär, den politischen Parteien und den ethnischen Minderheiten dazu beitragen, Demokratie, Frieden und Entwicklung voranzubringen".


Reformkurs der Regierung mittragen

Bei einer Pressekonferenz in der früheren Hauptstadt Rangun erklärten die Vertreter der einflussreichen Gruppe: "Es gibt diejenigen, die Reformen durchführen wollen, und andere, die dagegen sind. Wir versprechen, dass die Studenten der Generation 88 auf der Seite der Reformer stehen", sagte der prominente Studentenführer Min Ko Naing, der unter den Militärs für seine politischen Überzeugungen zu 65 Jahren Haft verurteilt worden war.

Westliche Politiker, die scharfe Kritiker der von Thein Sein abgelösten Junta waren, überschütten den unprätentiösen neuen Staatschef mit Lob. "Ich bin davon überzeugt, dass Thein Sein ein echter Reformer ist. Auch Aung San Suu Kyi denkt so, was noch wichtiger ist", erklärte der Fraktionschef der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell, der gegenüber Burma stets eine kompromisslose Haltung eingenommen hatte. Erst kürzlich besuchte er das Land, das die Militärs in Myanmar umbenannt hatten.

In einigen Staaten Südostasiens werden inzwischen Vergleiche zwischen Thein Sein und Michael Gorbatschow gezogen, der mit seinen Reformen den Zusammenbruch der Sowjetunion herbeiführte.

Bevor der heute 66-jährige Thein Sein an die Spitze einer quasi zivilen Regierung trat, diente er 40 Jahre beim Militär, ohne dort besonders aufzufallen. "In der Armee war er nicht für seine Kampferfahrung bekannt", sagte der burmesische Sicherheitsexperte Win Min. "Er stand in dem Ruf, gehorsam, bescheiden, weniger korrupt als andere und ein guter Manager zu sein."

Viele Beobachter hätten allerdings angenommen, dass Thein Sein nach seinem Amtsantritt als Marionette des ehemaligen Juntachefs Than Shwe fungieren würde, meinte Win Min. "Die Initiativen, die er in den vergangenen Monaten angestoßen hat, kamen für mich völlig überraschend."

In seiner Rede vor dem ersten frei gewählten Parlament seit 50 Jahren stellte der Präsident die Weichen für seine Reformvorhaben. Er lockerte die strengen Zensurgesetze, unterstützte Vorstöße zur Legalisierung von Gewerkschaften und machte sich mit zahlreichen Mitstreitern daran, neue Strategien für Wirtschaft und Entwicklung zu entwerfen.


Frühe Anzeichen für Reformen

Vor allem seine Bereitschaft zu einem Dialog mit Aung San Suu Kyi, ihrer pro-demokratischen Bewegung und den Führern der ethnischen Rebellengruppen gilt als wichtiger Schritt nach vorn. Wie die Internet-Plattform 'Wikileaks' enthüllte, gab es schon während der Militärherrschaft erste Hinweise, dass Thein Sein einen Reformkurs einschlagen würde.

Diplomaten an der US-Botschaft in Rangun hatten 2008 an die Regierung in Washington geschrieben, dass Thein Sein, damals Premierminister in der von Than Shwe angeführten Junta, "klug" und "pragmatisch" sei. Das Urteil stammte von dem führenden Bürgerrechtler Nay Win Maung, der in diesem Monat verstorben ist.

Den USA zufolge konnte Thein Sein den damaligen Juntachef dazu bewegen, nach dem verheerenden Wirbelsturm 'Nargis' im Mai 2008 mit rund 150.000 Toten internationale Helfer ins Land zu lassen. Mit diesem Vorstoß verschaffte sich Thein Sein in der Bevölkerung einen starken Rückhalt.

Auch wenn das Militär, das seit 1962 die Macht im Staat innehatte, seinen eisernen Griff noch nicht vollständig gelockert hat, so herrscht allgemein Zuversicht. "Dies ist ein Augenblick des Wandels, eine Morgendämmerung für unser Land", sagte der regimekritische Komiker Maung Thura alias Zarganar, nachdem er aus dem Gefängnis freikam. "Wir sollten zusammenarbeiten und nach vorn schauen." (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2012