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ASIEN/769: Pakistan - Kasten- und Religionszugehörigkeit entscheidet über Fluthilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. September 2011

Pakistan: Kasten- und Religionszugehörigkeit entscheidet über Fluthilfe

Von Zofeen Ebrahim

Hindus in Flutgebieten warten vergeblich auf Hilfe - Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Hindus in Flutgebieten warten vergeblich auf Hilfe
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Badin, Pakistan, 21. September (IPS) - Moora Sanafdhano und seine Angehörigen besitzen nur noch das, was sie am Leib tragen. Die neunköpfige Familie bahnt sich mühsam ihren Weg durch das Wasser, das ihr Dorf in der Provinz Sindh im Südosten Pakistans überschwemmt hat.

Sanafdhano und seine Nachbarn erhalten in dieser Notlage kaum Unterstützung. Die meisten Bewohner des Dorfes Allah Ditto Leghari, etwa 200 Kilometer von der Provinzhauptstadt Karachi entfernt, entstammen niedrigen Kasten wie den Kohli, Meghwar, Jogi und Bheel, die im muslimisch dominierten Pakistan kaum Hilfe zu erwarten haben.

Behelfsmäßige Lager für Flutopfer, die in Schulen eingerichtet wurden, mussten diese Menschen bereits wieder verlassen. Für sie bestimmte Hilfsgüter werden gestohlen. Kürzlich plünderten etwa 20 Personen zwei Laster mit Hilfsgütern für 200 Hindu-Familien, wohl wissend, dass es diese sozial ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen nicht wagen würden, sich zu wehren.

2,5 Millionen der insgesamt etwa drei Millionen Hindus in Pakistan haben einen ähnlich niedrigen sozialen Status. Die Angehörigen der höheren Kasten haben sich nach der Teilung der damaligen britischen Kolonie 1947 nach Indien abgesetzt.


Von muslimischen Grundbesitzern ausgebeutet

Die armen Bauern in Sindh werden von reichen Großgrundbesitzern gnadenlos ausgebeutet. Ihre Arbeit als Teilpächter ist so schlecht bezahlt, dass sie rasch in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Er schulde dem Besitzer des Landes bereits umgerechnet 570 US-Dollar, sagte Sanafdhano. Nach der Flutkatastrophe wisse er sich nun nicht mehr zu helfen.

"Ich habe auf etwa zwei Hektar Reis angebaut, und die Pflanzen sind nun komplett vernichtet", klagte der 68-Jährige. Nach Schätzungen des Verbands der Reismühlenbetreiber in Sindh-Balutschistan wurde ein Viertel der Reisernte in Sindh durch die Fluten geschädigt.

Wie die pakistanische Katastrophenschutzbehörde berichtete, haben die auf eine starke Dürre folgenden, ungewöhnlich heftigen Monsun-Regenfälle im August und September sieben der 23 Provinzbezirke schwer in Mitleidenschaft gezogen. In elf Bezirken liegt das öffentliche Leben völlig lahm.

Nach offiziellen Angaben kamen bislang mehr als 340 Menschen im Hochwasser ums Leben. 1,2 Millionen Häuser und fast 700.000 Hektar Agrarfläche wurden zerstört. Am schlimmsten betroffen ist Sanafdhanos Bezirk Badin mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern. Etwa 1,6 Millionen sind direkt von den Folgen der Unwetter betroffen. Ein Fünftel der Opfer gehört den unteren Hindu-Kasten an.

Etwa 6.000 Dörfer in Badin sind in den Fluten versunken. Wie die Sprecherin der Nationalversammlung, Fehmida Mirza, mitteilte, gibt es keine höher gelegenen Orte, in denen Notlager aufgeschlagen werden könnten.

Vertreter der öffentlichen Verwaltung weisen indes Vorwürfe zurück, Hindus würden bei Hilfsmaßnahmen benachteiligt. "Katastrophen unterscheiden nicht zwischen Kasten und Religionen", sagte ein Behördensprecher in Badin.


"Hunde werden besser behandelt"

Doch an Sanafdhano und seinen Nachbarn geht die Fluthilfe weitgehend vorbei. "Hunde werden besser behandelt als wir", beschwerte sich der Lehrer Jewat Ram, der beobachtet hat, dass von der Flut vertriebene Muslime mehrere Kohli-Familien nicht in das Notlager in seiner Schule hineinlassen wollten. Ein hinduistischer Regierungsbeamter räumte ein, dass die Hindus aus den unteren Kasten vermutlich die am stärksten benachteiligte Minderheit in Pakistan sind.

Bislang haben die Behörden in Badin 278 Lager in Schulen und öffentlichen Verwaltungsgebäuden errichtet. Rund 81.000 hilfesuchende Menschen fanden dort Obdach. Die diskriminierten Hindus campieren dagegen in provisorischen Zelten am Straßenrand. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011