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ASIEN/659: Thailand - Klima der Gewalt im Süden, Lehrer kommen bewaffnet zur Schule (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. September 2010

Thailand:
Klima der Gewalt im Süden - Lehrer kommen bewaffnet zur Schule

Von Marwaan Macan-Markar


Bangkok, 29. September (IPS) - Wenn sich Lehrer in der thailändischen Provinz Narathiwat auf den Weg zum Unterricht machen, packen viele von ihnen ein Gewehr ein. Sie haben dafür einen konkreten Grund: Die 380 öffentlichen Schulen im Süden des buddhistischen Staat werden immer häufiger von muslimischen Rebellengruppen angegriffen.

"Mittlerweile führen etwa 70 Prozent aller Lehrkräfte eine Waffe mit sich", berichtet Sanguan Inrak, Vorsitzender des Lehrerverbands von Narathiwat, dem fast 7.000 Pädagogen an Grund- und weiterführenden Schulen in Narathiwat angehören. Auch in den benachbarten Provinzen Pattani und Yala, die ebenfalls nahe der Grenze zu Malaysia liegen, sind Lehrer zunehmend bewaffnet.

Das Militär hatte die Lehrer vor einigen Jahren noch zur Arbeit eskortiert. Mittlerweile werden aber nur noch die Straßen überwacht. Die Lehrkräfte an den öffentlichen Schulen fühlen sich somit alles andere als sicher. Im tiefen Süden des südostasiatischen Staates sind in den vergangenen Jahren immer mehr staatliche Bildungseinrichtungen in die Schusslinie zwischen Armee und muslimischen Malaien-Rebellen geraten. Die Guerilla kämpfen für die Abspaltung des Südens vom buddhistischen Staat Thailand.

Seit dem neuerlichen Ausbruch von Gewalt im Januar 2004 wurden bei Angriffen 137 Lehrer und 19 weitere Schulbedienstete getötet und mehr als hundert Lehrkräfte und andere Beschäftigte verletzt. Insgesamt forderte der Konflikt in der Region in den letzten sechs Jahren mehr als 4.300 Menschenleben. Weitere 11.000 Personen wurden verletzt. Die meisten Opfer waren malaiische Zivilisten.


Öffentliche Schulen Symbole für Staatsmacht

Beim Großteil der getöteten Lehrer handelte es sich um Buddhisten, wie Bede Sheppard von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) erklärt. Den muslimischen Opfern sei zum Verhängnis geworden, dass sie an staatlichen Schulen unterrichtet hätten.

HRW veröffentlichte kürzlich einen Bericht, in dem Fälle von Bomben- und Brandangriffen auf Schulen aufgeführt sind. Die Rebellen, die das Bildungssystem als Symbol des buddhistischen Thailand betrachteten, hätten staatliche Schulen in Brand gesetzt und bombardiert, Lehrer angegriffen und getötet und Angst und Schrecken unter Schülern und ihren Lehrern verbreitet, heißt es in der Studie.

Die Menschenrechtsorganisation gibt aber auch der Regierung eine Mitschuld an der Gewalt. So seien Schulgründstücke als Basis für langfristige militärische Operationen gegen die Separatisten zweckentfremdet worden. Darüber hinaus hätten thailändische Truppen muslimische Schulen angegriffen und zahlreiche Religionslehrer wegen mutmaßlicher Kontakte zur Guerilla festgenommen. In den südlichen Unruheprovinzen sind insgesamt 60.000 Soldaten und Paramilitäs stationiert.

Die Gewaltwelle geht auf die Zeit zurück, als das damalige Siam 1902 die drei Provinzen annektierte. Bis dahin waren Pattani, Yala und Narathiwat Teil des malaiisch-muslimischen Königreichs Pattani gewesen. Die Muslime sehen sich seither kulturell und wirtschaftlich ausgegrenzt. Seit den siebziger Jahren kämpfen sie für einen eigenen Staat.

Die öffentlichen Schulen sind den Rebellen ein besonderer Dorn im Auge. Sie gelten als Symbole der politischen und kulturellen Vormachtstellung der thailändischen Regierung. Viele Muslime werfen den Behörden vor, Lehrpläne zu entwerfen, die die malaiische Identität missachten. Anhänger der Separatisten schicken ihre Kinder daher auf private muslimische Schulen ('pondok'), wo die islamische Lehre und die lokalen Traditionen gepflegt werden.


Thailand einer der gefährlichsten Arbeitsorte für Lehrer

Auch in anderen Teilen der Welt sind Lehrer einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Nach Erkenntnissen der Weltbildungsorganisation UNESCO hat sich die weltweite Zahl von Angriffen auf Bildungseinrichtungen, Lehrer und Schüler allein zwischen 2007 und 2008 von 242 auf 670 Fälle nahezu verdreifacht. "In Thailand ist die Zahl der Attacken auf Schulen zwischen 2006 und 2007 auf 164 gestiegen", heißt es in dem UNESCO-Bericht 'Bildung unter Beschuss - 2010'.

Demnach gehört Thailand neben Kolumbien, dem Irak und Nepal zu den vier Ländern mit der höchsten Rate ermordeter Lehrer. 2007 wurden in dem südostasiatischen Land jeweils 28 Schüler, Lehrkräfte und andere Schulbedienstete getötet. Ein Jahr später erhöhte sich die Zahl der Opfer auf 78. (Ende/IPS/ck/2010)


Link:
http://unesdoc.unesco.org/images/0018/001868/186809e.pdf
http://www.hrw.org/en/reports/2010/09/21/targets-both-sides-0
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52974

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2010