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ASIEN/657: Afghanistan - Verpasste Wahl, Flüchtlinge in Pakistan konnten nicht abstimmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2010

Afghanistan: Verpasste Wahl - Flüchtlinge in Pakistan konnten nicht abstimmen

Von Ashfaq Yusufzai


Peschawar, Pakistan, 23. September (IPS) - Fast zwei Millionen Afghanen hatten keine Möglichkeit, bei der Parlamentswahl im September ihre Stimme abzugeben. Auch von der Wahl des Staatspräsidenten im Vorjahr waren sie ausgeschlossen. Die Rede ist von den vielen Flüchtlingen, die erst vor den sowjetischen Besatzern und später vor den radikal-islamischen Taliban nach Pakistan und in den Irak geflohen sind. Sie fühlen sich von ihrer Regierung im Stich gelassen.

In dem zentralasiatischen Land mit mehr als 28 Millionen Einwohnern bewarben sich im letzten Monat 2.500 Kandidaten um 249 Parlamentssitze. Laut der afghanischen Wahlkommission kamen am 18. September rund 40 Prozent der Wähler zur Stimmabgabe. Die Auszählung ist im Gang, doch das Endergebnis wird erst Ende Oktober erwartet.

Aus Sicherheitsgründen musste die Wahlkommission 1.000 von etwa 20.000 Wahllokalen schließen. Drei Kandidaten wurden von den Taliban ermordet. Medienberichten zufolge starben am Wahltag mindestens 17 Menschen, insgesamt wurden mehr als 440 Anschläge registriert.

Den meisten Flüchtlingen ist bewusst, dass sie ihr Stimmrecht vor allem deshalb nicht ausüben konnten, weil es der Regierung an den nötigen Finanzmitteln fehlt. Abfinden wollen sie sich damit aber nicht. "Die internationale Gemeinschaft hätte sicherstellen können, dass auch wir im Ausland an der Wahl teilnehmen konnten", sagte Gul Daraz, der seit 30 Jahren in der nordwestpakistanischen Stadt Peschawar lebt.

Nach Angaben der Vereinten Nationen halten sich in Pakistan noch etwa 1,3 Millionen registrierte Flüchtlinge auf, die ein Bleiberecht bis Dezember 2012 haben. Die meisten von ihnen sind in der Provinz Khyber Pakhtunkwha angesiedelt.


"Von der Regierung ignoriert"

Nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 hatten zunächst rund fünf Millionen Menschen in dem Nachbarland Zuflucht gesucht. Seit 2002 kehrten mehr als 3,5 Millionen Afghanen im Rahmen eines UN-Repatriierungsprogramms in ihre Heimat zurück. Diejenigen, die in Pakistan geblieben sind, sehen sich nun um ihr Wahlrecht geprellt. "Wir haben uns an dem Urnengang 2004 beteiligt, aber dieses Mal hat uns die afghanische Regierung ignoriert", kritisierte der Obsthändler Gul Nawab. "Wir haben kein Stimmrecht mehr. Das ist das Ende unserer Identität."

Zur Abstimmung über die Grenze zu fahren, ist für die meisten Flüchtlinge unmöglich. "Ich bin eine politisch interessierte Person", meinte eine Afghanin, die für das Konsulat ihres Landes in Pakistan arbeitet. "Mich irritiert, dass wir Flüchtlinge nicht wählen konnten. Nur die wenigsten von uns sind in der Lage, zur Stimmabgabe nach Kabul zu kommen."

Der Verkäufer Maroof Hashmi hat die Mühen auf sich genommen und sich nicht durch die massiven Sicherheitsrisiken abschrecken lassen. Am schlimmsten seien die Raketenanschläge der Taliban gewesen, sagte er. Sie hätten die Wähler in Dschalalabad in Angst und Schrecken versetzt.


Karsai Desinteresse an den Flüchtlingen vorgeworfen

Haji Dost Mohammed, der in dem Flüchtlingslager Azakhel nahe Nowshera lebt, wollte sich über die verpasste Wahl beim afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karsai persönlich beschweren. Karsai habe Mitte September die pakistanische Hauptstadt Islamabad besucht, sich jedoch geweigert, die Flüchtlinge zu treffen, sagte er verbittert.

"Ich hätte gern eine der Parlamentskandidatinnen unterstützt", bekannte die Lehrerin Robina Anwar im Gespräch mit IPS. "Sie sind die einzige Hoffnung für die Frauen in Afghanistan." Allein schon die Tatsache, dass sich 406 Afghaninnen um ein Mandat beworben hätten, sei sehr ermutigend. Die Wahlkommission hatte festgelegt, mindestens 68 Parlamentssitze den Frauen zu reservieren.

Anwar, die in Peschawar unterrichtet, machte auch die USA dafür verantwortlich, dass sie und andere Afghanen keiner dieser Frauen ihre Stimme geben konnten. Die USA hätten, davon ist sie fest überzeugt, eine Stimmabgabe der Flüchtlinge bei den Wahlen im September möglich machen können. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010