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AFRIKA/987: Madagaskar - Meuternde Militärs und ein belangloses Referendum (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2011

Meuternde Militärs und ein belangloses Referendum
Keine Lösung der Krise in Madagaskar in Sicht

Von Hein Möllers


Ein Referendum, das international nicht anerkannt wird, ein Putschversuch von Militärs am Vorabend der Abstimmung - das kennzeichnet die verfahrende Lage in Madagaskar. Die schwere politische Störung, die im Januar 2009 begann, ist allen Vermittlungsversuchen zum Trotz nicht vorbei. Keines der großen Probleme des Landes wurde bisher angegangen.


Am Samstag, dem 19. November 2010, waren in der madagassischen Hauptstadt Antananarivo Gewehrschüsse und Detonationen zu hören. Nahe am Flugplatz 15 Kilometer vor den Toren der Stadt stürmten etwa 400 Soldaten eine Kaserne. Dort hatten sich seit drei Tagen etwa 20 (die Zahlen schwanken) aufständische Offiziere mit ihren Mannschaften verbarrikadiert. Sie erklärten die Regierung für abgesetzt und alle Regierungsstellen für suspendiert. Ein Militärrat habe die Macht übernommen.

Hinter dem Putschversuch stand General Noel Rakotonandrasana. Der General war wenige Monaten zuvor zum Minister der Streitkräfte ernannt worden. Er wurde jedoch bald seines Postens enthoben, weil er im Verdacht stand, gegen das Regime zu konspirieren.

Der Schusswechsel am 19. November währte nur kurz, und der Verteidigungsrat konnte melden: "Die Operation ist vorbei. Sie haben sich freiwillig ergeben. Es gab keinen Blutzoll." Premierminister Camille Vitsal erklärte: "Wir waren gezwungen zu handeln, da es um die Sicherheit des Staates ging. Doch es war auch klar, dass es sich bei den abtrünnigen Offizieren um patriotische Kameraden handelte. Deshalb haben wir eine bewaffnete Konfrontation zu vermeiden gesucht. Die gewählte Strategie hat uns recht gegeben."


Putschversuch kennzeichnet instabile Lage

Die zurückhaltende Formulierung gegenüber den meuternden Truppen zeigt, wie unsicher sich die Regierung des Militärs ist. Sie möchte es sich mit zum Putsch geneigten Truppenteilen, die möglicherweise mit anderen Machtaspiranten sympathisieren oder gar bereits konspirieren, nicht verderben. Der De-facto-Staatspräsident Andre Rajoelina war selbst durch die Militärs an die Macht gekommen. Zu Jahresbeginn 2009 war es zu Massenprotesten gegen den amtierenden Machthaber Marc Ravalomanana gekommen, die in Plünderungen und Brandschatzungen übergegangen waren. Etwa hundert Menschen waren bei Gewalttätigkeiten und Auseinandersetzungen mit der Präsidentengarde umgekommen. Als im März 2009 eine Kaserne zu meutern begann und sich auf die Seite von Rajoelina schlug, gab Ravalomanana auf und übertrug die Macht am 17. März den Militärs, die sie sofort an Rajoelina weiterleiteten.

Der kalte Putsch wurde vom Verfassungsgericht abgesegnet. Die beiden Kammern des Parlaments wurden aufgelöst, eine Übergangsregierung, die Haute Autorité de la Transition (HAT) - bis heute international nicht anerkannt - übte die Staatsgeschäfte aus. Die HAT war bereits während der Unruhen von Rajoelina als Gegenregierung gegründet worden. Ihre Aufgabe sollte sein, das Land aus der Krise zu führen und eine Neugründung der Republik vorzubereiten. Eine neue Verfassung sollte erarbeitet und nach einem Referendum verabschiedet werde. Anschließend sollten nach und nach Wahlen auf allen Ebenen durchgeführt werden.


Referendum für Vierte Republik

Das Referendum fand am 17. November 2010 statt und war auch der Auslöser für den gescheiterten Putsch, der am Vorabend der Abstimmung begann. Eine Mehrheit von 74 Prozent der Bevölkerung stimmte für die neue Verfassung. Die Wahlbeteiligung wurde mit 53 Prozent angegeben. Beobachter registrierten Verstöße gegen eine faire Abstimmung und Fälschungen. Die Wahlregister wiesen auffällig große Lücken auf. Oppositionsgruppierungen hatten zum Boykott aufgerufen.

Von einem erfolgreichen Referendum hatte sich Rajoelina nicht zuletzt eine gewisse internationale Anerkennung erhofft und damit auch einen Vorteil bei angestrebten Neuwahlen im Jahr 2011. Als Vorgabe hatte er bereits Anfang Oktober Mitglieder für die beiden Kammern des Parlaments ernannt, nach einem Schlüssel, den offensichtlich nur er kennt. Seine Gefolgsleute haben jedenfalls eine Zweidrittelmehrheit, während der Partei von Ravalomanana, die bei den letzten als fair deklarierten Wahlen die absolute Mehrheit verbuchen konnte, nicht einmal ein Drittel der Sitze zugeordnet bekam. Doch weder die Afrikanische Union (AU) noch die regionale Entwicklungsgemeinschaft SADC, der Madagaskar angehört, haben dem Parlamentsrevirement noch dem Referendum zugestimmt oder das Ergebnis der Abstimmung anerkannt. Die SADC hatte bereits im Vorfeld das Referendum als "Alleingang" Rajoelinas gegen alle internationalen Vermittlungsbemühungen verurteilt. Ablehnend zeigen sich auch die EU und die USA. Die beiden wichtigen Geldgeber haben alle Hilfen außer der humanitären eingestellt. Die USA haben zudem die Agoa-Vereinbarung, die einen begünstigten Zugang madagassischer Importe auf den US-amerikanischen Markt erlaubt, ausgesetzt.

Davis Zounmenou vom Institut für Sicherheitsstudien in Pretoria äußerte sich dazu am Vorabend. "Niemand wird das Referendum anerkennen, und mag das 'Ja' noch so überwältigend ausfallen." Die Machtfrage werde so nicht entschieden. Der versuchte Putsch signalisiere, dass die Lage weiter "hoch gefährlich" bleibe. Die Armee sei "hochgradig fragmentiert und gespalten, die Moral der Truppen gering".

Es ist eine maßgeschneiderte Verfassung, die Rajoelina da zur Abstimmung stellte. Sie reduziert das Mindestalter eines Präsidentschaftskandidaten auf 35 Jahre, nach der alten Verfassung waren 40 Jahre vorgeschrieben. Das ermöglicht dem 36-Jährigen eine Kandidatur. Zugleich schreibt die Verfassung vor, dass ein Kandidat die letzten sechs Monate vor der Anmeldung zur Kandidatur in Madagaskar seinen Lebensmittelpunkt hatte. Für seine potenziell aussichtsreichsten Rivalen, die Expräsidenten Marc Ravalomanana und Didier Ratsiraka, bedeutet das, auch bei unmittelbarer Rückkehr können sie aufgrund ihres Exils nicht kandidieren. Wenn - wie Rajoelina plant - die Wahlen im Mai stattfinden sollen, haben beide Anwärter, die ihr Interesse an einer Kandidatur angemeldet haben, die Frist verpasst.


Vergebliche Vermittlungen

Mit dem Referendum ist die politische Lage in Madagaskar verfahrener denn zuvor. Rajoelina konnte zwar mehr als hundert Unterschriften von kleineren Gruppierungen, deren Namen oft nur den wenigen Mitgliedern bekannt sind, für seinen Übergangsprozess vorzeigen und eine breite Akzeptanz vortäuschen, doch die schwergewichtigen Oppositionsparteien der ehemaligen Staatspräsidenten Marc Ravalomanana, Didier Ratsirika und Albert Zafy fehlten, ebenso der überwiegende Teil zivilgesellschaftlicher Gruppen. "Die Unterstützung durch viele opportunistische Parteien schafft einen falschen Eindruck, als strebten die Machthaber einen inklusiven Übergangsprozess an. Das Regime verfolgt jedoch seinen einseitigen Plan", schreibt die International Crisis Group (ICG) in einer Analyse Madagascar: Crisis Heating Up? am 18. November 2010.

Das Referendum dokumentiert letztlich nur alle Vermittlungsversuche, die seit 2009 immer wieder ins Leere gelaufen sind, auch 2010. Nationale und internationale Vermittlungsversuche (UN, AU, SADC, Coopération Francaise) blieben ohne Erfolg. Eine internationale Kontaktgruppe unter Federführung der regionalen Entwicklungsgemeinschaft SADC wurde eingerichtet. Mit konkreten Verhandlungen wurde der ehemalige mosambikanische Staatspräsiden Joaquim Chissano beauftragt. Wiederholt wurde ein Durchbruch gemeldet. Doch die Vereinbarungen zwischen den vier wichtigen Parteien (Rajoelina und Ravalomanana sowie von zwei weiteren ehemaligen Präsidenten Didier Ratsiraka und Albert Zafy) wurden entweder dann doch nicht von allen unterschrieben, oder einfach von keinem der Kontrahenten umgesetzt.

Im Februar 2010 stellte die AU dem Regime ein Ultimatum, das Abkommen umzusetzen, andernfalls würden Sanktionen gegen Rajoelina und 108 weitere Kollaborateure des Putsches vom März 2009 verhängt. Rajoelinas HAT verbot im Gegenzug Oppositionellen, Madagaskar zu verlassen, und fror deren Konten ein.

"Die politische Situation in Madagaskar bleibt fragil und ungelöst trotz aller Vermittlungsbemühungen der SADC", sagte der Generalsekretär der regionalen Entwicklungsgemeinschaft Tomaz Salomão. "Abmachungen wurden immer wieder missachtet und verletzt. Wir haben einen Durchbruch schlichtweg nicht erreicht." Es fehle dem Regime wie den mächtigen Opponenten am Willen zur Verständigung. Alle Seiten setzen auf alles oder nichts.

Die ICG hält die Zeit für Vermittlungsversuch für abgelaufen: "Es ist an der Zeit, alle Vermittlungsversuche einzustellen und sich auf glaubhafte Wahlen unter strikten Bedingungen zu konzentrieren." Erst mit der Wiederherstellung einer verfassungsmäßigen Ordnung könnten notwendige Reformen auf den Weg gebracht werden. "Priorität muss jetzt die Auflösung der Krisensituation haben. Erst dann können längst überfällige Reformen in Angriff genommen werden. Aufgabe der nächsten Monate muss sein, mit internationalem Beistand glaubhafte Wahlen zu organisieren. Nur so können die verfassungsrechtliche Ordnung wiederhergestellt und die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden." Die ICG warnt: Madagaskar steht auf der Kippe und riskiert eine soziale Explosion. Die Bevölkerung verelendet zusehends und die staatlichen Strukturen zerfallen.

Rajoelina bedient sich ungeniert der Macht zum eigenen Vorteil, ganz wie sein Vorgänger Ravalomanana, gegen den er mit Hinweis auf dessen Selbstbereicherung 2009 den Aufstand schürte. Die Korruption steigt rasant. Der mit der Ankündigung des Referendums angegebene Wahlplan wurde nur wenige Tage nach der Abstimmung Makulatur. Die Lokalwahlen für den Dezember wurden nach regimefeindlichen Demonstrationen ausgesetzt. Die Parlamentswahlen für den 16. März 2011 wurden mit Hinweis auf ungünstiges Wetter verschoben, einen neuen Termin gibt es nicht. Und von den Präsidentschaftswahlen im Mai wird schon gar nicht mehr geredet.

Niemand vermag einzuschätzen, wie der Funken gegen überfällige Regime in Tunesien, Ägypten und andere arabische Potentaten überspringt auch auf Madagaskar. Und niemand vermag das Verhalten der Militärs vorauszusehen. Die Meuterei am Vorabend des Referendums war eine Episode. Doch das Militär war in der Geschichte Madagaskars noch nie berechenbar.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2011, S. 8 - 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2011