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AFRIKA/920: Und Zuma moderiert - Kommentar zum ANC-Parteitag in Durban (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

Und Zuma moderiert
Kommentar zum ANC-Parteitag in Durban

Von Hein Möllers


Machtkämpfe, Nepotismus und Missmanagement haben den ANC in Verruf gebracht. "Wir bewegen uns schnurstracks auf einen Raubtierstaat zu, in dem eine mächtige und korrupte Elite politischer Hyänen die Geschäfte kontrolliert", tobte Gewerkschaftschef und ANC-Mitglied Zwelinzima Vavi am Vorabend des National General Council (NGC), dem kleinen Parteitag des ANC, der vom 20. bis 24. September 2010 in Durban stattfand.

Zweieinhalb Jahre nach dem Parteitag von Polokwane im Dezember 2007, der den Führungswechsel im ANC brachte, und damit in der Mitte der Periode bis zum nächstem Parteitag, auf dem erneute Führungswahlen anstehen, wollte der ANC Bilanz ziehen, wie die Regierung die Beschlüsse der Partei umgesetzt hat und welche Regierungsentscheidungen im Rest der Legislaturperiode vordringlich umgesetzt werden sollten.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Die bald hundert Jahre alte Partei bzw. Bewegung, wie sie sicher lieber bezeichnet, ist sichtbar zerrissen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik wird ausgerechnet von den Machtgruppen hinterfragt, die Jacob Zuma beim Parteitag in Polokwane in seine beiden Ämter als Parteivorsitzenden und Staatspräsidenten gehievt hatten: vom Gewerkschaftsverband Cosatu, der Kommunistischen Partei SACP, die beide mit dem ANC eine Dreierallianz in der Regierung bilden, und von der immer lauter und radikaler auftretenden ANC-Jugendliga unter ihrem Vorsitzenden Julia Malema, selbst ein Ziehsohn Zumas.

Sie alle fordern einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik und verlangen eine Umverteilung zugunsten der armen Bevölkerungsgruppen, Verstaatlichung des Bergbaus und die Umverteilung von Land mit stärkeren Zugriffsmöglichkeiten des Staates. Die Jugendliga drängt zudem auf eine grundsätzliche politische Kursänderung, die auf einen Abbau der Demokratie und auf mehr staatliche Eingriffe des Staates ins öffentliche Leben hinausläuft.

Auf all das hat der Parteivorsitzende und Staatspräsident Jacob Zuma keine Antwort. Er will und kann wohl auch nicht steuern und einen Kurs vorgeben. Doch die Lage ist so ernst, dass es mit Moderieren zwischen den widerstreitenden Strömungen nicht reicht.

Das Bildungssystem ist genauso katastrophal geworden wie die Gesundheitsversorgung. Leidtragende sind vor allem diejenigen, die auf den ANC große Hoffnungen gesetzt haben. Hingegen bereichern sich immer mehr hohe ANC-Funktionäre bis hin zu Ministern.

In seiner Eröffnungsrede zeigte sich Zuma unerwartet kämpferisch. Beobachter bezeichneten seine Rede als die wichtigste und beste seiner Amtszeit. Erstmals nahm der als profil- und visionslos geltende Regierungschef die Zügel in die Hand und stutzte seinen jugendlichen Herausforderer zurecht. "Junioren müssen ihre Senioren respektieren." Was in der Jugendliga vor sich gehe, sei "unakzeptabel" und verlange klares Handeln. Er appellierte an die Parteidisziplin, wobei er sich offensichtlich an Cosatu wandte.

Doch seine breite Zustimmung von Polokwane vor zwei Jahren zerbröckelte stetig, ohne dass Zuma sich zum Handeln veranlasst sah. Seine Rede zeigte deshalb nur begrenzt und kurzzeitig Wirkung. Schon im weiteren Verlauf des Parteitages zeigten sich die kritischen Lager erneut kämpferisch.

Spätestens bei der Verstaatlichungsdebatte waren die alten Fronten wieder klar. Dabei soll es hinter verschlossenen Türen zu rowdyhaften Szenen gekommen sein, berichten Delegierte. Anders Denkende seien regelrecht niedergebrüllt worden. Die Klügsten unter den Comrades hätten nicht mehr gewagt, den Mund zu öffnen.

Und Zuma fiel in die Position zurück, die man von ihm kennt. Auf Umverteilungsfragen und Verstaatlichung fand er keine eigene Antwort. Er sehe sich "als erster Zuhörer" seiner Partei. Die Kluft im Regierungslager wie im ANC und die Sprachlosigkeit zwischen Bevölkerung und Parteikadern werden solche Debatten weiter aufleben lassen.

Im Rechenschaftsbericht für den Parteitag hatte der Generalsekretär des ANC, Gwede Mantashe, die Situation in seiner Partei schonungslos beschrieben und "Gier", "Disziplinlosigkeit" und "interne Streitereien" gegeißelt. In weiten Teilen des Landes liege die Parteiarbeit brach, untaugliche Kandidaten würden in Führungspositionen gewählt, nur, "um die Interessen einzelner zu bedienen". So setzte kurz vor dem Parteitag die ANC-Führung der Provinz Gauteng den Parteirat von Johannesburg, der wirtschaftlich bedeutendsten Stadt Afrikas, ab. Der Rat sei "in den völligen Wahnsinn" geschlittert, hieß es in der Begründung.

Aufgeregt hat das auf dem Parteitag niemanden. Und Zuma moderiert. Immer noch.


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Kommentar von Hein Möllers zum zum ANC-Kongress in Durban.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 3
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2010