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AFRIKA/825: Neuer UN-Anlauf für Lösung des Konflikts in der Westsahara (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2010

Westsahara: Die Hoffnung stirbt zuletzt - Neuer UN-Anlauf für Lösung des Konflikts

Von Ramesh Jaura


Berlin, 9. Juli (IPS) - Nachdem die Westsahara jahrelang aus dem internationalen Blickfeld verschwunden war, unternehmen die Vereinten Nationen derzeit einen neuen Anlauf zur Lösung des Konflikts zwischen der Besatzungsmacht Marokko und der sahrauischen Befreiungsbewegung POLISARIO. So sondiert der UN-Sondergesandte Christopher Ross derzeit die Voraussetzungen für eine fünfte Verhandlungsrunde, die den Menschen der Westsahara die Selbstbestimmung bringen soll.

Das neuerliche internationale Interesse verdankt die Westsahara nicht zuletzt Berichten, wonach die 266.000 Quadratkilometer große Wüstenei zu den Weltregionen mit den meisten Minen im Boden gehört. UN-Angaben zufolge sind mehr als 200 Abschnitte der Westsahara mit Sprengsätzen verseucht.

Die Vereinten Nationalen listen die Westsahara seit den 1960er Jahren als nicht selbstverwaltetes Territorium. Damals stand das Gebiet unter der Kolonialherrschaft Spaniens. Nach dem Abzug der Spanier 1975 verleibte sich Marokko völkerrechtswidrig zwei Drittel des Gebietes ein. Der Rest steht unter Kontrolle der POLISARIO, die 1976 die unabhängige Sahrauisch-Arabisch-Demokratische Republik (SADR). Sitz ist Tindouf in Algerien.


Gefahr durch Minen und andere Sprengkörper

Die UN haben wiederholt auf die Gefahren hingewiesen, die von den im Boden liegenden Sprengsätzen für mehr als 10.000 Sahrauis ausgehen und eine Rückkehr der geschätzten 120.000 sahrauischen Flüchtlinge und Vertriebenen verhindern.

Auch wenn eine abschließende Untersuchung über die Zahl der Landminen ('Landmine Impact Survey') noch nicht vorliegt, hat eine Studie des UN-Fonds für Minenräumung (United Nations Mine Action Service - UNMAS) und der Aktionsgruppe gegen bewaffnete Gewalt ('Action On Armed Violence' - AOAV) aus dem Jahre 2008 bestätigt, dass die Westsahara zu den am stärksten verminten Territorien der Welt gehört.

Die Königliche Marokkanische Armee und die POLISARIO hatten 1999 vereinbart, die Minen und Sprengsätze in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu beseitigen. Auf der Westseite des 2.000 Kilometer langen Erdwalls, der die Westsahara in marokkanisches und POLISARIO-Gebiet teilt, führt die marokkanische Armee derzeit Minensäuberungsarbeiten durch. Auf der Ostseite beseitigt AOAV die Sprengsätze in Kampfgebieten.

Diese Aktivitäten werden auch nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats vom 30. April fortgesetzt, das Mandat der UN-Friedensmission MINURSO um ein Jahr zu verlängern. Die MINURSO ist mit der Organisation des Referendums für die Selbstbestimmung in der Westsahara beauftragt.


Druck auf Konfliktparteien

In einer einstimmig angenommen Resolution hat der 15 Mitglieder zählende Sicherheitsrat Marokko und POLISARIO aufgerufen, "einen fortgesetzten politischen Willen zu zeigen und in einer dem Dialog zuträglichen Atmosphäre dafür zu sorgen, das die Verhandlung in eine intensive und substanzielle Phase eintreten kann".

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon begrüßte zwar die jüngste Verhandlungsbereitschaft der Konfliktparteien, beklagte jedoch in einem Bericht, dass zwei informelle Treffen unter den Auspizien seines Sondergesandten Ross im August 2009 und Februar 2010 zu keinerlei Ergebnis führten und mehr getan werden müsse, um in die fünfte Gesprächsrunde zu gehen. Eine ähnlich enttäuschende Erfahrung hatte schon der ehemalige US-Außenminister James Baker gemacht, den der ehemalige UN-Chef Kofi Annan ins Rennen geschickt hatte. Er warf 2004 das Handtuch.

Seit der Ernennung im Januar 2009 ist Christopher Ross zu Gesprächen in Länder unterwegs, die aufgrund ihrer Bemühungen um eine Beilegung des Westsahara-Konflikts auch die 'Freundesgruppe' genannt wird. Zu seiner jüngsten Reise brach er am 21. Juni auf. Nach Gesprächen in London, Paris und Madrid wird er in den kommenden Wochen und Monaten in Washington and Moskau erwartet.


Ruf nach vertrauensbildenden Maßnahmen

UN Sprecher Farhan Haq erklärte gegenüber Journalisten am 2. Juli in New York, dass die Gespräche des Sondergesandten durchaus Erfolge vorweisen könnten. So lasse sich ein neues Interesse erkennen, sich für eine Lösung des Problems einzusetzen. Alle Gesprächspartner seien sich einig gewesen, dass bei den Konfliktparteien Bedarf an vertrauensbildenden Maßnahmen bestehe. Dazu gehört auch der Vorschlag des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), den auseinandergerissenen sahrauischen Familien zusammenführende Besuche zu ermöglichen.

Während einflussreiche Länder den Konfliktparteien neutral gegenüberstanden und beide Seiten aufriefen, sich friedlich auf eine Lösung zu einigen, nutzten Marokko und POLISARIO die Zeit, um sich in Afrika, Asien und Lateinamerika nach Verbündeten umzusehen. Die POLISARIO konnte sich im Verlauf der Jahre die Anerkennung von 81 Staaten und die Mitgliedschaft in der Afrikanischen Union sichern. Marokko wiederum gewann die Rückendeckung etlicher Regierungen Afrikas und der Arabischen Liga.


Handfeste Wirtschaftsinteressen

Diese politischen Entscheidungen dürften durchaus wirtschaftlich begründet sein. Die Westsahara ist eine phosphat- und fischreiche Region. Darüber hinaus werden vor seiner Küste reiche Öl und Gaslager vermutet. Für diese Annahme sprechen auch die kürzlich im Nachbarland Mauretanien entdeckten Offshore-Felder.

Für die Landwirtschaft ist die Westsahara aufgrund der geringen Niederschläge weniger geeignet. Die Wirtschaft konzentriert sich auf Viehzucht, Fischerei und die Ausbeutung der Phosphatvorkommen. Die Nahrungsmittel für die städtische Bevölkerung werden weitgehend importiert, Handel und Wirtschaft von der marokkanischen Regierung kontrolliert.

Diese wiederum ermutigt die eigene Bevölkerung, in die Westsahara umzuziehen. Die Bereitschaft wird mit umfangreichen Beihilfen belohnt. Die Subventionen und Preiskontrollen auf Güter des täglichen Bedarfs haben in den von Marokko besetzten Gebieten eine staatlich-dominierte Wirtschaft geschaffen, mit der Regierung als größter Arbeitgeber.

Dass der rechtliche Status der Westsahara nicht geklärt ist, hat die beiden Konfliktparteien nicht davon abgehalten, mit Öl- und Gaskonzernen Explorationsabkommen zu schließen. So wurden französische und US-amerikanische Unternehmen - insbesondere Total and Kerr-McGee - von Marokko mit der Suche nach Lagerstätten beauftragt.


Rechtliche Lage ungeklärt

Vor diesem Hintergrund ließ der UN-Untergeneralsekretär und Leiter des UN-Büros für rechtliche Angelegenheiten, Hans Corell, ein Rechtsgutachten erstellen, das zu dem Schluss kam, dass die bereits existierenden Explorationsverträge nicht illegal sind, weitere Bohrungen und Förderarbeiten, sollten sie den Interessen und Wünschen der Menschen der Westsahara zuwiderlaufen, durchaus gegen internationale Rechtsprinzipien verstoßen könnten.

Trotz dieses Rechtsgutachtens gab Total dem Druck internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nach und zog sich aus der Westsahara zurück. Im Mai folgte Kerr-McGee dem Beispiel, nachdem zahlreiche Aktionäre wie der Nationale Norwegische Ölfonds auf Druck von NGOs seine Anteile an der Firma verkaufte.

Die Erfahrungen der beiden Konzerne hat die Europäische Union nicht davon abgehalten, mit Marokko ein Abkommen über die Ausbeutung der Fischreserven vor der Küste der Westsahara abzuschließen. In einem zunächst vertraulichen Rechtsgutachten, das im vergangenen Februar veröffentlicht wurde, kommt der Rechtsdienst des Europäischen Parlaments zu dem Schluss, dass die Fischereiaktivitäten europäischer Flotten in den Gewässern der Westsahara gegen internationales Recht verstoßen.

Die 'Western Sahara Resource Watch' (WSRW) hat alle ausländische Unternehmen aufgefordert, der Westsahara solange fernzubleiben, bis eine Lösung des Konflikts mit Marokko gefunden sei. Der EU warf die Organisation vor, einen Frieden in der Westsahara Eigeninteressen zu opfern. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.wsrw.org/index.php?dl=en
http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minurso/
http://www.europa-eu-un.org/articles/en/article_5123_en.htm
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2010-07-06%2002:14:43&key2=1

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2010