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AFRIKA/1021: Soweto im Jahr 1976 und der Tahrir-Platz in Kairo - ein Vergleich (afrika süd)



afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2011

Walk to Work

Von Mahmood Mamdani

In einem Vortrag auf der Distrikttagung des Rotary-Clubs in Munyongo, Uganda, zieht der Autor einen Vergleich zwischen den Aufständen von Soweto im Jahr 1976 und den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem Symbol für den Volksaufstand in Ägypten.


Auch wer nicht aus Uganda kommt, hat vielleicht das neue Schlagwort zu den politischen Protesten in diesem Land gehört: Walk to Work. Die Opposition macht sich auf den Weg und die Regierung ist dazu verdammt, sie auf ihrem Marsch zu stoppen, wobei beide ein ganz bestimmtes Ereignis vor Augen haben.

Das Vorbild des Tahrir-Platzes in Kairo beflügelt die Hoffnungen der Opposition und nährt die Befürchtungen der Regierung. Für viele Oppositionelle ist Ägypten das Symbol für das verheißene Land, das buchstäblich vor der Tür liegt. Für die Regierenden ist Ägypten Synonym für eine fundamentale Infragestellung ihrer Macht, der um jeden Preis begegnet werden muss.

Die Entwicklungen haben einen Punkt erreicht, wo eine Regierung selbst auf einen Hauch von Protest mit voller Wucht reagiert. Dabei hat die Regierung erst unlängst bei Wahlen eine überwältigende Mehrheit erzielt. Trotzdem zeigt sie nicht die geringste Flexibilität, sie hat nicht einmal eine Exit-Strategie.

Für Zivilisten, ob Unterstützer oder Skeptiker, ist ein Unterschied zwischen dem Militär, das auf den Straßen zur Sicherung der bürgerlichen Ordnung eingesetzt wird, und der Polizei nicht mehr erkennbar. Die Machthaber behandeln selbst den geringsten Protest wie eine bewaffnete Rebellion.

Während die Regierung sie während der Wahlen ausgezeichnet hat, zusehends verliert, beginnt die Opposition Einheit und Vision zu zeigen, die ihr im Wahlkampf gefehlt haben. Wenn man sich daran erinnert, dass Oppositionelle, von denen viele auch im letzten Parlament saßen, sich mitschuldig gemacht haben an jeder Wende zum Schlechteren, wenn es ums Regieren ging, dann mag man sich schon über diesen Wandel die Augen reiben.

Wie kann es sein, dass manche Oppositionelle, die gestern noch das Parlament als Schlüssel zu Vetternwirtschaft und Lizenz zum Plündern gesehen haben, auf einmal Entschlossenheit und moralische Courage entdecken, obwohl keine Wahlen in Sicht und die Zeiten hart sind? Allein schon das bestimmt die widersprüchliche Wahrnehmung zwischen Skepsis und Optimismus in Fragen der Politik.

Mir geht es weder darum, die Opposition zu preisen, noch darum, die Regierung zu dämonisieren. Ich will über Zusammenhalt und Einheit, die das Erinnern reden, das manche Oppositionelle umtreibt und das der Regierung schlaflose Nächte bereitet. Es ist die Erinnerung an den Tahrir-Platz. Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man sagt, die große ägyptische Revolution nahm ihren Anfang in Tunis. Wie werden wir uns daran in zehn Jahren erinnern, als ein lokales Ereignis, ein kontinentales oder gar globales? Wie können wir heute seine Bedeutung erfassen?

Historiker werden mir zustimmen, dass ein Ereignis sich nicht aus einem singulären Fakt entwickelt. Der wird weitgehend vom Blickwinkel des Beobachters bestimmt. Für viele in Europa sind die Ereignisse in Tunis und Kairo ein Beweis dafür, dass die farbigen Revolutionen, die ihren Ausgang in Osteuropa mit dem Fall der Sowjetunion genommen haben, sich nun über die Region hinaus ausbreiten.

In Ostafrika riefen Diskussion über den Tahrir-Platz aufgeregte Diskussionen hervor, vor allem in den Medien. Viele fragten, ob die ägyptische Revolution nicht auch südlich der Sahara Schule machen werde. Und sagten, ohne groß nachzudenken: Nein! Warum nicht? Die Großkopferten in den Medien verwiesen darauf, dass die Gesellschaften südlich der Sahara derart ethnisch gespalten und von Tribalismen zerrissen seien, dass bei keiner der nötige Grad an Einigkeit, um die politische Macht herauszufordern, zu erwarten sei.

Für mich macht diese Antwort wenig Sinn. Sie ist eine Karikatur. Nie in der Geschichte erfolgreicher Kämpfe hat es eine solche Einheit im Vorgriff auf eine Bewegung gegeben. Aus dem ganz einfachen Grund, dass es eine der Errungenschaften einer erfolgreichen Bewegung ist, Einheit herzustellen. Einheit wird durch den Kampf erzielt.

Aus diesem Grund will ich die demokratische Revolution in Ägypten in den Kontext einer längeren Geschichte setzen, einer Geschichte des demokratischen Kampfes auf diesem Kontinent. Beginnen will ich mit einem Ereignis, das sich vor mehr als drei Jahrzehnten in Südafrika vollzog. Ich denke an die Aufstände von Soweto im Juni 1976, die auf die Bildung unabhängiger Gewerkschaften in Durban 1973 folgten. Beide Ereignisse standen am Beginn einer neuen Ära im Kampf gegen Apartheid in Südafrika. Soweto war ein Aufstand der Jugendlichen. Zu einer Zeit, als die Erwachsenen einen wirklichen Wandel nur vom bewaffneten Kampf erwarteten. Soweto bahnte den Weg für ein alternatives Konzept von Kampf und Widerstand.

Dieses neue Konzept ersetzte den Begriff des bewaffneten Kampfes mit dem des Volkskampfes. Es machte Schluss mit der Vorstellung vom Kampf, wie ihn manche professionellen Kämpfer, Guerilleros hegten, einem Kampf, dem das normale Volk Beifall zollte, durch eine Bewegung, in der das normale Volk der eigentliche Träger ist. Das Potenzial des Volkskampfes liegt in der schieren Zahl, angeleitet durch neue Ideen und neue Kampf methoden.

Die Bedeutung von Soweto ist zweifach. Zunächst einmal - wie bereits gesagt - setzte es an die Stelle des Glaubens an Waffen die Entdeckung einer viel wirkungsvolleren Macht: Menschen, organisiert im Angesicht der Unterdrückung. Und zum anderen: Soweto erzwang eine neue Einheit - eine breitere Einheit. Die Apartheid hat die südafrikanische Gesellschaft in viele Rassen (Weiße, Inder, Farbige) und Stämme (Zulu, Xhosa, Pedi, Venda usw.) aufgeteilt und jede Gruppe unter eine andere Gesetzgebung gestellt, so dass diese, selbst wenn sie sich organisierten, um betreffende Gesetze zu reformieren oder abzuschaffen, sich separat organisieren mussten. In diesem Kontext betrat eine neue Person die Bühne, Steve Biko, ein visionärer Führer an der Spitze einer neuen Bewegung, der Black Consciousness Movement.

Bikos Botschaft untergrub die Fundamente der Apartheid. Schwarz ist keine Farbe, sagte Biko, schwarz ist eine Erfahrung. Wer unterdrückt ist, ist schwarz. Das war eine revolutionäre Botschaft. Warum? Der ANC spricht spätestens seit der Freiheitscharta seit Mitte der 1950er Jahre vom Nicht-Rassismus. Doch dieser Nicht-Rassismus erreichte nur die politische Elite. Führende individuelle Weiße, Inder und Farbige traten dem ANC als Einzelpersonen bei. Das normale Volk jedoch blieb Gefangener einer politischen Perspektive rassischer oder tribaler Grenzen. Biko schmiedete eine Vision mit dem Potenzial, diese Grenzen zu brechen.

Ungefähr zur selben Zeit tauchte ein anderes Ereignis auf. Auch dieses kündigte eine erfrischende Öffnung an. Das war die Intifada in Palästina. Was als erste Intifada bezeichnet wird, hatte das Potenzial von Soweto. Wie die Kinder von Soweto hatten auch die palästinensischen Kinder den Kugeln nichts anderes als Steine entgegenzusetzen. Angesichts sich bekämpfender Befreiungsbewegungen, von denen jede die alleinige Vertretung der Unterdrückten für sich reklamierte, rief die Jugend der Intifada zu einer umfassenderen Einheit auf.

Auch wenn die ägyptische Revolution über drei Jahrzehnte nach Soweto stattfand, so weckt sie doch kraftvoll die Erinnerung an Soweto. Und das aus zwei Gründen.

Zum ersten hat wie in Soweto der Tahrir-Platz mit der generationenalten Romantik der Gewalt gebrochen. Die Generation Nassers und spätere haben Gewalt als Schlüssel für einen fundamentalen Wandel in Politik und Gesellschaft begriffen. Diese Richtung war zu Anfang rein säkular. Je heftiger jedoch Nasser die Opposition unterdrückte und in der Sprache eines säkularen Nationalismus rechtfertigte, um so mehr begann die Opposition, sich in einer religiösen Sprache auszudrücken.

Die wichtigste politische Richtung, die einen chirurgischen Schnitt mit der Vergangenheit forderte, sprach nun die Sprache eines radikalen Islam. In Ägypten war der Hauptverfechter Sayyid Qutb. Ich beschäftigte mich mit dem radikalen Islam nach dem 11. September 2001 und las Qutbs wohl wichtigstes Werk Signposts (deutsche Ausgabe: Meilensteine). Es erinnert mich an die Grammatik der radikalen Politik an der Universität von Daressalam, an der ich in den 1970er Jahren lehrte.

In der Einleitung sagt Qutb, er habe das Buch für eine islamische Avantgarde geschrieben. Ich dachte, ich hätte hier eine Version von Lenins "Was tun?" auf dem Tisch. Das Hauptargument Qutbs gründet auf der Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Bei Freunden setzt man auf Überzeugung, bei Feinden auf Gewalt. Ich fühlte mich erinnert an Maos "Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk".

Und so fragte ich mich, wie muss ich Sayyid Qutb verstehen? Als Teil einer linearen Tradition, die man als politischen Islam bezeichnet? Wird die Ideengeschichte in den Schubladen der Zivilisationen verstanden, die eine der Islam, eine andere der Hinduismus, der Konfuzianismus, das Christentum, oder alternativ, die eine europäisch, die andere asiatisch und eine weitere afrikanisch?

Lag nicht Qutbs Verständnis von politischer Gewalt auf der gleichen Ebene mit der Auffassung vom bewaffneten Kampf der nationalen Befreiungsbewegungen in den 1950er und 60er Jahren? Galt da nicht auch die Annahme, dass der bewaffnete Kampf nicht nur die effektivste Form des Kampfes ist, sondern die einzig wahre Form des Kampfes?

Je mehr ich mich in Qutbs Unterscheidung von Freund und Feind vertiefte, desto klarer wurde mir, dass ich Sayyid Qutb als Repräsentant seiner Zeit begreifen musste. Wie wir alle ist auch Sayyid Qutb in vielfache Zusammenhänge eingebunden, in vielfältige Diskussionen, nicht nur mit islamischen Intellektuellen aus Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch in einen Disput mit Intellektuellen, die einer anderen politischen Konzeption folgen.

Die Hauptrichtung jener Zeit war vom Marxismus-Leninismus bestimmt, eine militante, säkulare Ideologie, die sowohl Qubts Sprache wie seine Methoden für Organisation und Kampf geprägt haben. Eine erste wichtige Leistung des Tahrir-Platzes war es, den Hinweis auf Sayyid Qutb und seine Verklärung der revolutionären Gewalt über Bord zu werfen.

Die zweite Ähnlichkeit zwischen Soweto und Tahrir ist die Frage der Einheit. Wie der Kampf gegen Apartheid in Südafrika in unkritischer Weise die Teilung nach Rassen und Stämmen, wie sie in staatlicher Praxis institutionalisiert war, reproduzierte, so war in Ägypten die Teilung in Religionen Teil der Konventionen der Politik.

Der Tahrir-Platz hat eine neue Politik auf den Weg gebracht. Es hat die Sprache der Religion auf politischem Feld überwunden, ohne jedoch einem militanten Säkularismus das Wort zu reden, der die Religion gänzlich aus dem öffentlichen Raum drängen will. Er fordert vielmehr eine breitere Toleranz der kulturellen Identitäten in der Öffentlichkeit, die sowohl für säkulare als auch religiöse Richtungen Platz hat. Der neue Kontrakt heißt: Teilnahme am öffentlichen Leben, eine umfassende politische Praxis, die dem anderen Respekt zollt.


Pambazuka News, issue 527,5. Mai 2011
Der Autor ist Direktor des "Makerere Institute of Social Research".


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39. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2011, S. 12-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2011