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FINANZEN/1364: Rede Sigmar Gabriel zum Thema Vermögensabgabe am 27.9.2012 im Deutschen Bundestag


SPD-Pressemitteilung 319/12 vom 27. September 2012

Rede Sigmar Gabriel zum Thema Vermögensabgabe am 27. September 2012 im Deutschen Bundestag



Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege von Stetten, wenn Sie sagen, dass die Progression in der Einkommensteuer ausreicht, dann müssen Sie hinzufügen, dass die Einkommensteuer einen immer kleineren Anteil an der Lastenverteilung in Deutschland hat und die ganz normalen Menschen inzwischen einen Riesenanteil über andere Steuerarten bezahlen und die Spitzenverdiener relativ wenig zur Lastenverteilung beitragen müssen.

Die Vermögenskonzentration in den westlichen Industriegesellschaften führt selbst bei wachsendem Lebensstandard und steigender sozialer Absicherung der Arbeitnehmer zu einer Disparität, die der persönlichen Freiheit jede Grundlage entzieht. Gehört das Unternehmen irgendwelchen Erben, die im sonnigen Süden leben, so erhöht sich auch deren Vermögen täglich, ohne dass diese einen Handschlag tun, wenn das Unternehmen von fähigen Angestellten gut geleitet wird. Auch das unternehmerische Risiko ist in der Praxis geringer als das Risiko eines Arbeitnehmers. Der Unternehmer haftet bei Kapitalgesellschaften nur mit seiner Einlage, der Arbeitnehmer aber häufig mit seiner ganzen Existenz, vor allem wenn er älter ist. Der Staat könnte eine gemeinwirtschaftliche Entwicklung fördern, ohne einen einzige Enteignungsakt zu vollziehen. Entscheidender Hebel ist das Steuerrecht.

Ich wundere mich, warum die FDP dabei nicht applaudiert. Das stammt nämlich von Ihrem FDP-Generalsekretär, natürlich nicht von Ihrem jetzigen; der käme auf eine solche Idee nicht. Es gibt ein Buch, das Sie angesichts Ihrer derzeitigen Verfassung einmal lesen sollten. Der ehemalige Generalsekretär der FDP, Karl-Hermann Flach, hat das in seinem Buch mit der Überschrift "Noch eine Chance für die Liberalen" geschrieben. Wenn Sie das machen würden, hätten Sie eine.

Es gab Zeiten, in denen in Deutschland über Parteigrenzen hinaus klar war bei der CDU/CSU, bei der FDP, bei uns , dass die wachsende Disparität von Einkommen und die ungleiche Verteilung der Lasten gefährlich ist für die Demokratie. Klar ist übrigens auch, dass es nicht um technische Details einer vernünftigen Vermögensteuer oder - abgabe geht. Wir sind eher für eine Steuer, die Grünen sind eher für eine Abgabe. Die Grünen machen einen exzellenten Vorschlag, durch den sie dafür sorgen wollen, dass es nicht zur Substanzsteuer wird.

Das ist ein guter Vorschlag.

Insgesamt geht es darum, einmal darüber zu reden, wozu das eigentlich dient. Deswegen will ich mich ausdrücklich dafür bedanken, dass es zumindest ein Mitglied der Bundesregierung gibt, das den Mut hatte, dafür zu sorgen, dass wir heute eine Grundlage dafür haben, über eine Vermögensabgabe oder steuer zu diskutieren. Grundlage ist der Armuts- und Reichtumsbericht, den die Sozialministerin, Frau von der Leyen, vorgelegt hat.

Herr von Stetten, es geht doch nicht darum, eine ideologische Debatte über Sozialneid oder darüber, Reiche zu verfolgen, zu führen, sondern es geht um den Zusammenhalt und das Leben in Deutschland und um die Frage, wer eigentlich welche Lasten trägt. Im Bericht steht, dass inzwischen mitten in Deutschland 1,5 Millionen Menschen Schlange stehen, um sich an den Tafeln altes Brot abzuholen, um etwas zu essen zu haben. Im Bericht steht, dass es nicht nur um Altersarmut geht, sondern auch um 2,4 Millionen armutsgefährdete Kinder. In Deutschland geht es also nicht nur um Altersarmut, sondern auch um Jugendarmut, Familienarmut, die Armut der Alleinerziehenden und die Armut der Menschen, die fleißig arbeiten und trotzdem keinen anständigen Lohn erhalten.

Wir wollen in einer wohlhabenden Gesellschaft leben, aber wir wollen auch endlich, dass diejenigen, die diesen Wohlstand erarbeiten, fair und gerecht daran teilhaben und die Lasten wieder fairer verteilt werden.

Ich kann ja verstehen, dass es Sie aufregt, dass es eine CDU-Politikerin ist, die das aufgeschrieben hat. Aber das ändert doch nichts daran, dass sie sich mit der Wirklichkeit beschäftigt. Sie können die Wirklichkeit nicht einfach ignorieren, auch dann nicht, wenn sie Ihnen nicht gefällt.

Bei der ganzen Debatte geht es darum, Deutschland wieder in ein soziales Gleichgewicht zu bringen. Es geht nicht um Reichenverfolgung oder irgendwelche Ideologien, sondern es geht darum, dass wir etwas, das wir schon einmal hatten, wiederherstellen.

Der Armutsbericht deckt schonungslos auf: Jenseits einer kleinen Oberschicht mit rasant steigenden Einkommen und Vermögen hat die große Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der Steigerung des Wohlstands keinen Anteil. Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern es gefährdet auch die Grundlage, auf der Deutschland einmal stark und wirtschaftlich erfolgreich geworden ist. Die Geschichte unserer Eltern und Großeltern ist nicht die Geschichte der sozialen Auseinanderentwicklung. Sie wussten, dass das Land und sie selber nur eine Chance haben, wenn man sich im Land gemeinsam entwickelt und nicht auseinander. Wir wollen darüber reden, wie wir das wiederherstellen. Wir haben das in Deutschland schon einmal geschafft. Darum geht es.

50 Prozent der neuen Beschäftigungsverhältnisse sind befristet. 5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten für 8 Euro die Stunde und weniger. 12 Millionen Menschen in Deutschland leben an oder unter der Armutsgrenze. Das Armutsrisiko liegt bei 15 Prozent. Das sind keine Erfindungen der SPD, der Grünen oder der Linkspartei, sondern das sind die Daten und Fakten aus dem Bericht Ihrer eigenen Regierung.

Ich finde, das ist eine spannende Debatte. Erst kommt Herr Rösler, Ihr Vizekanzler, und sagt: Der ganze Bericht ist Unsinn, wir werden ihn jetzt einmal ressortabstimmen und dann verändern. Frau Merkel sagte - ich zitiere -:

... jetzt wird dieser Bericht ... abgestimmt in der Bundesregierung. Da ist noch nicht mal die erste Runde gelaufen. Und dann werden wir das im November im Kabinett beraten. Und ich bin ganz optimistisch, dass wir dann auch einen gemeinsamen Standpunkt finden.

Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Die Wirklichkeit lässt sich nicht ressortabstimmen, und sie lässt sich auch nicht fälschen.

Es geht auch nicht darum, dass CDU, CSU und FDP zu einem gemeinsamen Standpunkt kommen, sondern es geht darum, dass Sie einmal merken, was in Deutschland los ist, und dass wir gemeinsam hier im Haus versuchen müssen, das zu verändern.

Über Steuerpolitik allein schafft man noch keine bessere Gesellschaft, aber sie soll die Instrumente schaffen, die es ermöglichen, dass die Lasten fair verteilt werden. Auch da zeigt der Armuts- und Reichtumsbericht ein Bild der Wirklichkeit: Die vermögensstärksten 10 Prozent vereinigen mehr als die Hälfte des Nettovermögens auf sich, die unteren 50 Prozent gerade einmal 1 Prozent. So geht das weiter. Das DIW - es ist ja nicht gerade eine linkssozialistische Einrichtung - hat unlängst dargestellt, dass genau deswegen die Mittelschicht schrumpft und zwischen den Polen zerrieben wird. Das ist doch nicht ideologisch.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich haben Sozialdemokraten und Grüne in ihrer Regierungspolitik beim Thema Steuerentwicklung auch Fehler gemacht; das ist doch gar keine Frage.

Frau Kramp-Karrenbauer - sie ist übrigens eine CDU-Ministerpräsidentin - hat recht, wenn sie sagt, ein Spitzensteuersatz von 42 Prozent, wie ihn Gerhard Schröder eingeführt hat, sei zu niedrig. Die Frage ist nur, warum Sie diese Fehler fortsetzen wollen. Ein Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer in Höhe von 53 Prozent ab einem Einkommen von 50000 Euro gehörte übrigens einmal zu Ihrer eigenen Steuerpolitik. Das fordern in der SPD nicht einmal mehr die Jusos, meine Damen und Herren.

Von daher: Ich glaube, es geht wirklich darum, zu merken, dass sich die Wirklichkeit verändert hat und dass wir die Lastenverteilung in Deutschland nicht mehr so unfair belassen dürfen.

Ihre Ministerin ist so mutig, im Reichtums- und Armutsbericht zu schreiben, wie man das machen muss. Ich zitiere:

Die Bundesregierung prüft, ob und wie über - Herr von Stetten, hören Sie genau zu - die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann.

Zitat Ende. Unterschrift: Frau von der Leyen.

Genau darum geht es. Wir dürfen nicht nur über den Anteil der Einkommensteuer reden, sondern wir müssen auch über den Beitrag von hohen Vermögen, Erbschaften und Kapital sprechen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde schon den Begriff "Reichensteuer" schlecht. Hier geht es auch nicht um Sozialneid.

Wenn Leute wohlhabend und reich geworden sind, steckt dahinter bei den allermeisten unglaublich viel persönliche Leistung und ganz viel Anstrengung. Aber niemand wird alleine reich. Immer gehören Arbeitnehmer dazu. Ein Land muss sozial sicher sein, über Infrastruktur verfügen, gute Bildungschancen bieten, und es muss sozialer Friede herrschen. Das alles und persönliche Leistung führen zu Wohlstand und Reichtum. Wenn das Land, das mitgeholfen hat, einige Menschen sehr reich und wohlhabend werden zu lassen, Schulden abbauen und trotzdem in Bildung investieren muss, aber auch seine Städte und Gemeinden nicht verkommen lassen darf, dann ist es doch die Aufgabe derjenigen, die auch mithilfe dieses Landes wohlhabend geworden sind, etwas mehr mitzuhelfen als die, denen es nicht so gut geht. Das hat nichts mit Sozialneid zu tun. Das ist Patriotismus für unser Land, den wir einfordern - nichts anderes, meine Damen und Herren.

Ich verstehe nicht, warum Sie es sich beim Thema Vermögensteuer so schwer machen. Das ist doch keine Erfindung von Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht. Sie ist die erste Steuer, die in der Verfassung der Bundesrepublik benannt wird. Sie ist übrigens eine reine Ländersteuer; schließlich brauchen die Länder das Geld, um Ganztagsschulen zu bauen. Darum geht es bei der Vermögensteuer.

Die CDU feiert ja gerade gerne Jubiläen. Es ist übrigens nicht nur Helmut Kohl, der ein Jubiläum hat. Ich habe einmal nachgeschaut, wann das erste Mal in Deutschland eine Vermögensteuer erhoben wurde und wer es gemacht hat. Das war vor exakt 60 Jahren. Im Jahre 1952 haben der damalige Bundespräsident Heuss, FDP, Herr Bundeskanzler Adenauer, CDU - auf ihn berufen Sie sich doch gerne -, und der Bundesfinanzminister Schäffer, CSU, das Gesetz über die Vermögensteuer-Veranlagung unterschrieben, und sofort danach ist es in Deutschland erstmalig in Kraft getreten. Es gab also Zeiten, in denen CDU, CSU und FDP nicht so ideologisch daher gequatscht haben wie ihr letzter Redner, sondern in denen sie wussten, was Verantwortung für dieses Land bedeutet. Ich hoffe, dass das bei Ihnen wieder ein bisschen zunimmt.

Weil die FDP und insbesondere Herr Brüderle so gerne Ludwig Erhard, den Begründer der sozialen Marktwirtschaft, zitieren, obwohl er ja der CDU angehörte, sage ich Ihnen Folgendes: Er hat am Gesetz über die Vermögensteuer-Veranlagung mitgewirkt. Ich frage mich, was er wohl heute sagen würde, wenn er erleben müsste, wie Sie soziale Marktwirtschaft definieren, und wenn er feststellen müsste, dass Sie nicht einmal bereit und in der Lage sind, den entfesselten Finanzmärkten Fesseln anzulegen, damit die soziale Marktwirtschaft nicht immer mehr zerstört wird. Sie haben nichts mit dem Erbe Ihrer Parteien gemein.

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass es in unserem Land eine Schieflage gibt. Wir wollen Schulden abbauen, in Bildung investieren, unsere Städte und Gemeinden und unsere Heimat nicht verkommen lassen, Investitionen in Forschung, Entwicklung und Wachstum tätigen und die enormen Herausforderungen des demografischen Wandels bewältigen.

Das alles versprechen alle Parteien fast jeden Tag unseren Bürgerinnen und Bürgern. In der Summe dieser Versprechungen unterscheiden wir uns praktisch überhaupt nicht. Worauf es aber ankommt, ist, auch zu sagen, wie wir das, was wir den Bürgerinnen und Bürgern ständig versprechen, eigentlich bezahlen wollen. Die Leute haben doch die Nase voll davon, dass wir ihnen immer sagen: Keine Sorge, wir senken Schulden, wir senken Steuern, und wir geben mehr für Bildung und alles Mögliche andere aus. Die Quadratur des Kreises glaubt uns doch kein Mensch mehr.

Wir sagen Ihnen: Wir wissen, wie wir eine faire Finanzierung all dieser Aufgaben hinbekommen wollen, nämlich durch den Abbau überflüssiger Steuersubventionen - damit haben wir übrigens einmal gemeinsam angefangen; warum setzen wir das eigentlich nicht gemeinsam fort? -, durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ab einem Einkommen von 100.000 Euro pro Person und auch durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die den Ländern bis zu 10 Milliarden Euro mehr für Ganztagsschulen, für Kindergärten und für Hochschulen verschaffen würde.

- Bei der Vermögensteuer geht es um 1 Prozent, genauso, wie wir das in der Vergangenheit debattiert haben, aber eben in der Art und Weise, dass die Betriebsvermögen herausgenommen werden.

- Sie haben doch noch nicht einmal den Gesetzentwurf der Grünen gelesen; denn sonst wüssten Sie die Antwort darauf: Die Abgabe darf nicht mehr als 35 Prozent des Jahresertrages des Betriebs betragen. Das ist doch deren vernünftiger Vorschlag - verbunden mit riesigen Freibeträgen!

Wir sollten uns einmal darauf verständigen, über die Details zu reden. Ich habe gar kein Problem damit, zu sagen, dass ich manchen von Ihnen bestimmt recht geben würde. Sie wollen aber die soziale Spaltung des Landes weiter vergrößern. Sie ignorieren die Wirklichkeit, wollen den Bericht darüber fälschen und der Öffentlichkeit sagen, man müsste hier nichts tun.

Ich sage Ihnen: Wir sagen, wie wir das bezahlen wollen. Sie haben keine Antwort darauf, sondern wollen die Wirklichkeit ignorieren. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 319/12 vom 27. September 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2012