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AUSSEN/1463: Beschluss des SPD-Präsidiums - Die Gewaltspirale in Syrien durchbrechen


SPD-Pressemitteilung vom 15. Februar 2016

Beschluss des SPD-Präsidiums: Die Gewaltspirale in Syrien durchbrechen


In einer gemeinsamen Sitzung des SPD-Präsidiums und des Präsidiums der SPD Rheinland-Pfalz heute in Mainz wurde folgender Beschluss gefasst:

Lange Zeit erschienen die Folgen ungerechter Globalisierung, Staatsversagens und regionaler Kriege weit entfernt. Die gegenwärtigen Krisen und Herausforderungen zeigen jedoch auf das Deutlichste: Deutschland und Europa sind direkt von den Folgen von Krieg, Terror, gewaltsamen Auseinandersetzungen und Katastrophen in anderen Teilen der Welt betroffen. 60 Millionen Menschen, davon fast 40 Millionen Binnenflüchtlinge, sind derzeit weltweit auf der Flucht und suchen Schutz - nicht nur vor Krieg und Terror, sondern auch vor Verfolgung, Hunger und Seuchen.

In Syrien vollzieht sich mit über 250.000 Toten, über 1 Million Verletzten und fast 11 Millionen Flüchtlingen die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit. Die bedrückenden Nachrichten aus dem zerbombten Aleppo und der dadurch verursachten neuen Flüchtlingswelle aus dieser zwischen dem Regime und der Opposition umkämpften Stadt sowie die dramatische Lage für die Flüchtlinge im syrisch-türkischen Grenzgebiet machen deutlich: Wir haben die politische Pflicht, alles zu versuchen, um Auswege aus der Gewalteskalation zu finden und das Morden in Syrien zu stoppen.

Für eine umfassende politische Lösung

Dabei muss allen Beteiligten, auch Russland, klar sein: Der Bürgerkrieg in Syrien kann nicht militärisch gelöst werden. Nach fast fünf Jahren des Kämpfens und Blutvergießens ist dies unbestreitbar. Die Komplexität des mittlerweile zum regionalen und religiösen Stellvertreterkrieg angewachsen Konfliktes in Syrien fordert stattdessen intensive und umfassende diplomatische Anstrengungen.

Mit aller Kraft setzen wir uns daher auch weiterhin dafür ein, dass wir eine politische Lösung für Syrien erreichen. Der Weg dorthin bleibt steinig - das haben zuletzt die Verhandlungen in München am Rande der Sicherheitskonferenz erneut deutlich gezeigt. Es gibt jedoch keine Alternative zu diesem Weg der Verhandlungen und der Diplomatie.

In München ist neue Hoffnung entstanden, dass mit einem konkreten Fahrplan eine echte Perspektive für eine politische Lösung eröffnet wird. Das gibt Hoffnung für die notleidenden Menschen in Syrien und für eine Deeskalation im Mittleren Osten. Durch die Vereinbarung, humanitäre Zugänge zu den belagerten Städten und Dörfern zu eröffnen, sollen die Menschen aus der Luft oder von LKW-Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden können.

Zweitens soll innerhalb einer Woche das Einstellen der Kampfhandlungen erzielt werden. Damit diese Vereinbarung umgesetzt wird, müssen Russland und der Iran das Assad-Regime dazu bringen, die Waffen ruhen zu lassen. Auch die kämpfenden Verbände und Milizen der Opposition müssen die Waffenruhe einhalten. Wenn die Vereinbarungen zur humanitären Hilfe und zur Einstellung der Kampfhandlungen tatsächlich in Syrien durchgesetzt werden, ist auch der Weg frei für die Fortsetzung der Friedensgespräche in Genf. Dann kann endlich über eine politische Zukunft Syriens und die Einrichtung einer Übergangsregierung verhandelt werden. Dabei unterstützen wir nachdrücklich die Bemühungen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier.

Für eine politische Lösung müssen auch alle regionalen Mächte mit eingebunden sein. Gerade einer weiteren Eskalation zwischen Iran und Saudi-Arabien muss dabei entgegengewirkt werden. Eine politische Lösung muss eine Zukunft für Syrien ohne Assad anstreben.

Menschen in Not unterstützen

Die bei weitem größte Anzahl der syrischen Flüchtlinge lebt in den angrenzenden Ländern, in denen die Lebensbedingungen insgesamt verbessert werden müssen. Vordringlich ist, dass ausreichend Nahrung, medizinische Versorgung vorhanden und Schulbildung für Kinder und Berufsaufnahme für die Erwachsenen möglich sind. Dies ist entscheidend, damit sich die Menschen nicht erst auf einen lebensgefährlichen Fluchtweg machen müssen. Darüber hinaus wissen wir: Je näher Flüchtlinge an ihrer Heimat bleiben können, desto leichter fallen ihnen eines Tages Rückkehr und Neubeginn.

Daher begrüßen wir, dass es auf der Syrien-Konferenz in London gelungen ist, die internationale humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in Syrien und für die syrischen Flüchtlinge vor allem in der Türkei, im Libanon und in Jordanien deutlich zu erhöhen. Deutschland zählt seit Beginn der Syrienkrise zu den größten Geberländern weltweit und hat in London seine Hilfe erneut deutlich aufgestockt und wird nunmehr 2,3 Milliarden Euro bis 2018 zahlen. Neben finanziellen Zusagen konnten in London mit den wichtigsten Aufnahmeländern der Region - der Türkei, Libanon und Jordanien - Fortschritte in den Bereichen Beschäftigungsmöglichkeiten und Zugang zu Bildung für syrische Flüchtlinge vereinbart werden. So sollen bis zum Jahr 2018 bis zu 1,1 Mio. neue Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden, vor allem für syrische Flüchtlinge.

Insgesamt hat die Londoner Geberkonferenz das klare Signal gesendet, dass die internationale Gemeinschaft an der Seite der Not leidenden Menschen in Syrien und der Nachbarregion steht. Jetzt kommt es darauf an, dass alle Staaten sich an ihre Zusagen halten und die Gelder zügig bei den Menschen vor Ort ankommen.

Kampf gegen den internationalen Terrorismus

Die menschenverachtenden Terroranschläge im vergangenen Jahr in Paris haben gezeigt, welche Gefahren von religiösem Fanatismus und Terrorismus auch für unsere freiheitlichen europäischen Gesellschaften ausgehen. Angesichts der umfassenden Bedrohung durch den sogenannten "Islamischen Staat" in der Region aber auch darüber hinaus haben Deutschland und andere Länder der internationalen Allianz gegen den IS ihre Unterstützung zugesagt. Damit wird der Aufforderung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nachgekommen, der die weltweiten Anschläge des IS einstimmig verurteilt und die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen hat, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden". Der IS sei eine "beispiellose Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit."

Angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen und des Mordens an Jesiden, Kurden, Christen und anderen Minderheiten haben wir uns entschieden, neben einem Ausbau unserer zivilen Hilfe auch die irakischen Sicherheitskräfte und vor allem die kurdischen Peschmergas im Kampf gegen den IS zu unterstützen. Dabei geht es um militärische Ausrüstung, Ausbildung und auch die Lieferung von Militärgerät. Hierfür haben wir uns in diesem Einzelfall entschieden, um so einen Beitrag zur Stabilisierung der Region zu leisten. Solange der Islamische Staat weiter die Menschen im Irak bedroht, muss die humanitäre und militärische Hilfe fortgesetzt werden, wobei der Umfang unserer zivilen Hilfe stets größer sein wird als die militärische Unterstützung.

Klar ist, dass der Terrorismus am Ende nicht allein militärisch besiegt werden kann. Die Überwindung des islamistischen Terrorismus wie auch die Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien können nur mit einem umfassenden Ansatz gelingen, der vor allem auch politische und diplomatische Mittel einschließt und auf der Grundlage des Völkerrechts basiert. Der in Wien begonnene Prozess für eine politische Lösung des syrischen Bürgerkriegs hat daher weiter oberste Priorität.

Europa als Gemeinschaft gefordert

Deutschland und Europa müssen alles dafür tun, dass Auswege aus Krieg, Gewalt und der bedrückenden Not vieler Menschen in Syrien und der gesamten Region gefunden werden. Auch bei der Suche nach einer Lösung für Syrien gilt, was die Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm deutlich gemacht haben: Nur mit Ausdauer und Nachdrücklichkeit kann auch bei solch schwierigen und komplexen Verhandlungen eine friedliche Lösung gefunden werden. Gemeinsame Anstrengungen der europäischen Partner sind zugleich aber auch dringend notwendig, um die Folgen der Flüchtlingsbewegungen bei uns in Europa zu bewältigen. Die bisher vereinbarten Maßnahmen reichen bei Weitem noch nicht aus. Europa ist jetzt als Gemeinschaft gefordert. Besonders wichtig ist, dass

- die gemeinsamen Anstrengungen zur Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge verstärkt werden;

- die Außengrenzen der EU effektiv gesichert werden, und mit der Türkei Rückübernahmeregelungen geschlossen werden;

- wir stärker zusammenarbeiten, um die Grenzsicherung und Flüchtlingsaufnahme in Griechenland zu verbessern. Europa kann nicht nur fordern, sondern muss auch helfen. Gerade beim Grenzschutz ist zusätzliche materielle, personelle und finanzielle Unterstützung erforderlich.

- feste Kontingente von Flüchtlingen aus der Türkei, Jordanien und dem Libanon in die EU und nach Deutschland kommen können. Damit wollen wir den Schleppern und Menschenhändlern das lebensgefährliche Handwerk legen und Flüchtlingen einen sicheren Zugang nach Europa verschaffen.

Gelingt es, ein solches Paket auch mit Hilfe der EU umzusetzen, dann können wir auch die offenen Grenzen in Europa sichern. Die wirtschaftlichen Folgen wären für alle wären schwerwiegend, wenn Schengen scheitert. Das muss allen gemeinsam in Europa bewusst sein. Die nächsten Wochen sind entscheidende Wochen für die Zukunftsfähigkeit des europäischen Einigungsprojektes. Europa muss in seinem Handeln nach außen wie nach innen Handlungsfähigkeit, Zusammenhalt und Solidarität unter Beweis stellen.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 42/16 vom 15. Februar 2016
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
Bürgerbüro, Willy-Brandt-Haus
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Tel.: 030/25 991-300, Fax: 030/25 991-507
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2016

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