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RHEINLAND-PFALZ/2881: Konsequenzen aus der NSA-Abhöraffäre (StZ)


StaatsZeitung, Nr. 42/2013 - Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz
Der Landtag - Nachrichten und Berichte, 18. November 2013

Konsequenzen aus der NSA-Abhöraffäre



In einer von der SPD-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde wurden die Konsequenzen der NSA-Abhöraffäre für Rheinland-Pfalz diskutiert. Die SPD-Fraktion äußerte sich besorgt über den Umfang des Abhörskandals und forderte eine europäische Datenschutzrichtlinie. Auch solle über Asyl für Edward Snowden nachgedacht werden.

Es sei erst wenige Wochen her, da habe die noch amtierende Bundesregierung die NSA-Datenaffäre für erledigt erklärt, so Hendrik Hering (SPD). Man habe sich auch sehr verächtlich über Herrn Snowden geäußert, er hätte sich an Kongress-Abgeordneten wenden sollen, statt den Weg der Öffentlichkeit zu suchen, so der Vorwurf. Dabei sei zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ausspioniert wurden. "Daraus kann man nur schließen, dass es der amtierenden Bundesregierung im Grunde genommen egal gewesen ist, was mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland passiert. Man ist erst wach geworden, als bekannt geworden ist, dass auch das Handy der Kanzlerin ausspioniert worden ist", kritisierte Hering. Die SPD-Fraktion hingegen setze sich für den Schutz aller Bürgerinnen und Bürger ein, ob es normale Bürger oder wichtige Politiker seien, betonte Hering. Es bestehe ein hohes Interesse daran, nähere Informationen von Herrn Snowden zu erfahren. Es gebe mehrere Möglichkeiten, ihm Rechtssicherheit zu gewährleisten, um diese Informationen zu beschaffen. Dies könne man auch in Bekenntnis zu einer deutsch-amerikanischen Freundschaft sagen. "Zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe gehört es auch, Dinge anzusprechen, wenn sie nicht in Ordnung sind", war Hering überzeugt. In der Erkenntnis, dass offensichtlich andere Kulturen und Grundeinstellungen bezüglich des Datenschutzes in Deutschland und den USA bestehen, sei es wichtig, darauf zu drängen, dass europäische Standards für alle Daten gelten, die in Europa gehandelt werden.

Unter Freunden müsse man deutlich sagen dürfen, wann der andere über das Ziel hinausgeschossen hat, war auch Julia Klöckner (CDU) überzeugt. "Unter Freunden muss man das nicht nur sagen dürfen, man soll es auch sagen. Die USA haben in der Tat über das Ziel hinausgeschossen", so Klöckner. In Rheinland-Pfalz bestehe aber eine besondere Freundschaft mit den Amerikanern. Wie Klöckner zu bedenken gab, sei man in Rheinland-Pfalz auf die Partnerschaft mit den USA angewiesen. So gebe es eine intensive Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften, Hochschul- und Forschungskooperationen, 70 Schulpartnerschaften. "Nicht Russland, sondern die Vereinigten Staaten sind unsere Verbündete. Das will ich noch einmal deutlich machen", wandte Klöckner ein. Die Koalition habe "mit großem moralischen Pathos" Asyl für Herrn Snowden gefordert, ohne zu wissen, ob das am Ende auch faktisch durchsetzbar sei oder er nicht doch ausgeliefert werden müsse. So erinnerte Klöckner daran, dass es ein Auslieferungsabkommen gebe. "Wir haben ein Auslieferungsabkommen mit den USA, die USA mit uns. Russland hat kein Auslieferungsabkommen mit den USA, auch nicht China, auch nicht Nordkorea. Das hat seinen Grund", so Klöckner. Der Vorschlag sei daher nur für "die schnelle Schlagzeile" gewesen, kritisierte Klöckner. Herr Snowden verdiene Respekt, aber es solle nicht in eine Heldenverehrung übergehen. Klöckner zufolge gebe es drei grundlegende Herausforderungen. So sei eine Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten notwendig, dass nicht nur die Geheimdienste verpflichtet werden, sondern auch die Regierungschefs sich verpflichten, die Überwachungen zurückzuführen und zu begrenzen. Denn innerhalb der NATO bestehe eine "Wertegemeinschaft". Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger müssten geschützt werden, die Ausspähung minimiert werden, letztlich müsse auch die Wirtschaftsspionage zurückgefahren werden. "Deshalb bin ich dafür, dass wir das SWIFT-Abkommen zurückstellen", so Klöckner. Die Grünen fordern eine Einschränkung der Arbeit unserer Geheimdienste, doch Klöckner gab zu bedenken, dass auch Deutschland "Nutznießer" der Informationen ausländischer Geheimdienste sei. "Wir profitieren von deren Arbeit. Wenn nun aber Vertrauen zerstört wird, müssten wir unsere eigenen Dienste aufrüsten, um ein Maß an Sicherheit beizubehalten, wie wir es heute haben", forderte Klöckner. Sie sei der festen Überzeugung, dass die Geheimdienste wichtige aufklärerische Arbeit leisten. Auch die Aufklärung des versuchten Koblenzer Kofferbombenattentats 2006 sei ein Ergebnis der erfolgreichen Arbeit der Geheimdienste gewesen, so Klöckner.

In der Bundesrepublik Deutschland bestehe offensichtlich ein massives Problem mit dem Grundrecht auf Datenschutz, kritisierte Daniel Köbler (Bündnis 90/Die Grünen). "Tempora", "PRISM", "XKeyscore", "Muscular", seien "ein Angriff auf die Bürgerinnen und Bürger, auf die Unternehmen, auf unsere Grundrechte und letztlich auch auf den Kern unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung", warnte Köbler. Für die amtierende CDU-Bundesvorsitzende und geschäftsführende Bundeskanzlerin sei die NSA-Affäre offensichtlich abgehakt gewesen, bis sie persönlich abgehört wurde. Die Tatsache, dass die Daten der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen in diesem Land nicht geschützt seien, sei auf "ein Grundversagen der Bundesregierung" zurückzuführen. Das, was die NSA in Deutschland tut, sei verfassungswidrig und bedürfe der umfassenden Aufklärung. Wenn Herr Snowden Bedenken äußere, in Moskau verhört zu werden, weil er dann eventuell nicht umfänglich die Informationen geben könne, dann müsse die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag die Möglichkeit erhalten, Edward Snowden auch in der Bundesrepublik Deutschland zu verhören. Da gebe es Möglichkeiten nach Recht und Gesetz. "Ich will, dass es endlich zu Klarheit in diesen Fragen kommt, und zwar im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger, unserer Unternehmen und der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Auch im Sinne der deutsch-amerikanischen Freundschaft", forderte Köbler.

Die Frage, wie Daten vor unberechtigten Zugriffen geschützt werden können, gewinne laut Inneminister Roger Lewentz (SPD) seit Jahren auch in Rheinland-Pfalz zunehmend an Bedeutung. Denn es sei bekannt, dass mit der rasanten Ausbreitung des Internets letztlich jedes angeschlossene Gerät, völlig gleich, ob es sich um einen PC, ein Tablet-PC, ein Smartphone oder die Spielkonsole am heimischen Fernseher handelt, Ziel eines potenziellen Angriffs werden könne. Wie real diese Gefahr sei, sehe man bereits am Beispiel des Rheinland-Pfalz-Netzes, des gemeinsamen Datennetzes der Landesregierung, der Landesverwaltung und des Landtages. Dieses sei regelmäßig Ziel von Cyberangriffen. Bei den Maßnahmen zur Gefahrenabwehr hätten aber bisher kriminelle Cyberangriffe und die Informationsbeschaffung östlicher Geheimdienste im Vordergrund gestanden. Heute bestehe jedoch "eine traurige Gewissheit, dass unsere Daten auch im Fokus der westlichen Bündnispartner stehen", bedauerte Lewentz. "Besonders nachdenklich machen muss dabei die Erkenntnis, dass diese Daten nicht nur zur Terrorabwehr gesammelt werden, sondern dass seitens der NSA gezielt Daten und Gespräche verbündeter Staatschefs und unserer Bundeskanzlerin aufgezeichnet wurden. Das sage ich in aller Freundschaft mit den Amerikanern ganz deutlich, ein solches Verhalten kann unter Partnern nicht akzeptiert werden", so Innenminister Lewentz. Für ihn sei das von Deutschland vorgeschlagene No-Spy-Abkommen "ein Schritt in die richtige Richtung", weil es nicht nur das Ausspähen von Regierungen und Behörden verhindern soll, sondern auch die Privatsphären der Bürger schützen würde. Aber eines sei deutlich geworden: "Die Sicherheit der Daten von Regierung, Wirtschaft, aber auch der Bürger ist und bleibt in einem erheblichen Umfang gefährdet", warnte Lewentz. Daher gelte es zunächst, die bestehenden Programme zur Datensicherung konsequent auszubauen und weiterzuentwickeln. In Rheinland-Pfalz bestehe bereits seit Mitte der 90-iger Jahre eine Sicherheitspartnerschaft mit der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Forschung und allen in diesem Bereich Tätigen. Die Landesregierung verfolge zur Absicherung der Daten der Bürger und der Verwaltung im Rahmen von E-Government eine ganzheitliche Informationsstrategie. Diese setze zum einen auf die Absicherung der zentralen IT-Infrastrukturen und zum anderen auf den zentralen Betrieb von geschäftskritischen Verfahren beim LDI. "Dadurch können Bürgerinnen und Bürger mit Regierung und Verwaltung kommunizieren und sie können dies sicher tun", versicherte Lewentz. Er bat jedoch die Nutzer von Mobiltelefonen und Smartphones um einen sensiblen Umgang mit diesen Kommunikationsmitteln. "Es muss uns bewusst sein, dass jede Information, die über das Mobiltelefon übermittelt wird, auf die eine oder andere Weise angezapft werden könnte", so Lewentz.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) war sich bewusst, dass das NSA-Problem nicht von Rheinland-Pfalz aus zu lösen sei. Deshalb sei es von Anfang an ein Anliegen der Landesregierung gewesen, frühzeitig "diesen Skandal" zu skandalisieren und auch die Sorge deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass es eigentlich keine privaten und öffentlichen Räume in Deutschland gebe, die nicht ausspioniert oder abgehört werden würden. Dies sei "wirklich ein ernsthaftes Problem", betonte Ministerpräsidentin Dreyer. "Ich sage, die Affäre ist nicht beendet", so Dreyer. Deshalb sei es auch richtig, dass sich dieses Parlament immer wieder damit beschäftige. Denn es gehe um die Grundrechte der Bürger und die Souveränität Deutschlands. Nur wenn ein nennenswerter Datenschutzstandard in Europa sichergestellt werde, könne man auch glaubhaft entsprechende Schutzstandards von anderen einfordern. Darüber hinaus forderte Dreyer ein internationales No-Spy-Abkommen. Auch die Förderung technischer Maßnahmen zur Datensicherung müsse in Deutschland weiter forciert werden, um einen entsprechenden Datenschutz anbieten zu können. Rheinland-Pfalz habe ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu den Amerikanern und "dabei bleibt es auch", versicherte Dreyer. "Wir müssen nicht immer wieder bei der Debatte um NSA hier in Rheinland-Pfalz unsere Freundschaft zu Amerika beteuern", wandte sich Dreyer an die CDU-Fraktion. Doch das Verhältnis zwischen Amerika und Deutschland sei derzeit in einer "Vertrauenskrise".

Pia Schellhammer (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die Leistungen der Bundesregierung im Bereich des Datenschutzes und der IT-Kompetenz als "Totalversagen". In Rheinland-Pfalz hingegen seien wichtige Prioritäten gesetzt worden, was den Datenschutz der Bürger in Rheinland-Pfalz betreffe. "Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass im RLP-Netz ihre Daten sicher transportiert werden", betonte Schellhammer. In Zukunft müsse der Landesbetrieb Daten und Informationen in seiner wichtigen Arbeit noch mehr unterstützt werden. Verschlüsselungssysteme müssten ausgebaut und eine starke EU-Datenschutzreform auf den Weg gebracht werden. "Wir wollen keine anlasslose Speicherung aus vorgeschobenen Sicherheitsgründen in Deutschland", so Schellhammer.

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Quelle:
StaatsZeitung, Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz, Nr. 42/2013, Seite 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013