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BUNDESTAG/9015: Heute im Bundestag Nr. 1162 - 21.10.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 1162
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 21. Oktober 2019, Redaktionsschluss: 17.08 Uhr

1. Einbürgerung von Nachfahren NS-Verfolgter
2. Mehrwertsteuerabsenkung für Tampons
3. Strategie gegen multiresistente Keime
4. Neue Studie zur Gesundheitskompetenz
5. Embryonenspende kommt in Betracht
6. Keine Medikamente zur Selbsttötung


1. Einbürgerung von Nachfahren NS-Verfolgter

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/WID) Das Anliegen von Liberalen, Linken und Grünen, den Nachfahren von Verfolgten des Naziregimes den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit unbegrenzt zu ermöglichen, findet unter Sachverständigen ein überwiegend positives Echo. In einer Anhörung des Innenausschusses war am Montag allerdings unter anderem noch umstritten, ob es dazu einer eigenen gesetzlichen Regelung bedürfe, und ob von den Antragstellern nicht doch der Nachweis einer gewissen Bindung an Deutschland zu verlangen sei.

Nach Artikel 116 Absatz 2 Grundgesetz haben frühere deutsche Staatsangehörige, die aus "politischen, rassischen oder religiösen Gründen" im Dritten Reich ausgebürgert wurden, sowie deren Nachfahren Anspruch auf Wiedererwerb der Staatsbürgerschaft. Allerdings bleiben mehrere Personengruppen von dieser Regelung noch ausgenommen. Zwei Gesetzentwürfe der Linken (19/13505) und Grünen (19/12200) sowie ein Antrag der FDP (19/14063) haben zum Ziel, diese Ausschlusstatbestände zu beseitigen.

Als Vertreter eines in mehreren Ländern organisierten Betroffenenverbandes würdigte der an der Universität Cambridge tätige Germanist Nicholas Robin Courtman einen Erlass des Innenministeriums vom 30. September, der für viele Menschen eine "deutliche Verbesserung der Einbürgerungsmöglichkeiten" gebracht habe. Allerdings handele es sich hier noch nicht um einen "befriedigende abschließende Regelung", betonte Courtman, der sich als Enkel einer von den Nazis vertriebenen deutschen Jüdin vorstellte. Auch der Erlass berücksichtige nicht alle betroffenen Personengruppen. Überdies erfordere das "symbolische Gewicht" des Themas eine gesetzliche Regelung.

Dem widersprach der Konstanzer Völkerrechtler Kay Hailbronner, der eine Verwaltungsvorschrift für ausreichend erklärte, um noch bestehende Regelungsdefizite zu beseitigen. Der Begriff des "Wiedergutmachungsinteresses" im Gesetzentwurf der Linken sei eine "Quelle der Rechtsunsicherheit", warnte Hailbronner. Insbesondere wandte er sich gegen die Forderung, auch jenen Menschen einen Einbürgerungsanspruch zuzubilligen, deren Vorfahren in Deutschland vor 1933 die Staatsbürgerschaft hätten erwerben können, denen dies aber nach 1933 aus politischen oder "rassischen" Gründen verwehrt geblieben sei. Es sei unmöglich, "rechtsstaatlich handhabbare Kriterien für solche Fälle zu entwickeln", sagte Hailbronner.

Sein Hallenser Kollege Winfried Kluth sprach sich dagegen aus, auf den Nachweis einer "Verbundenheit" mit Deutschland durch die Antragsteller zu verzichten. Er sah auch keinen Grund, in Fällen mit Wiedergutmachungscharakter von dem im Zuge der Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts 2000 eingeführten "Generationenschnitt" abzusehen, der Regelung also, dass die Kinder von im Ausland geborenen und dort lebenden deutschen Bürgern die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern nicht mehr automatisch erben.

"Es muss zweifelsfrei klar sein, dass es zur Räson der Bundesrepublik Deutschland gehört, den Versuch zu unternehmen, nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen", sagte dagegen als Sprecher des Deutschen Anwaltsvereins und Heidelberger Jurist Berthold Münch. Nach seiner Ansicht sollen Antragsteller ihre Bindung an Deutschland nicht gesondert nachweisen müssen, das sie diese durch ihr Einbürgerungsbegehren schon deutlich gemacht hätten. Münch forderte eine gesetzliche Regelung: "Das Parlament begibt sich einer wesentlichen Steuerungsfunktion, wenn es in dieser sensiblen Frage nicht selbst entscheidet."

Der Berliner Professor für Öffentliches Recht, Tarik Tabbara, warnte vor der "Widerständigkeit" von Behörden, einen "scheinbaren Ermessensspielraum" zugunsten der Betroffenen auszuschöpfen. Wenn in einem Erlass von "Ermessensspielraum" die Rede sei, sei dies daher immer ein "schlechte Nachricht". Der Kölner Privatdozent Ulrich Vosgerau nannte die Gesetzentwürfe eine "juristische Revolution", die gerade deswegen "konservativ" angegangen werden sollen. Unzulässig sei, deutsche Staatsangehörigen mit jenen gleichzusetzen, die - hätte es die Nazis nicht gegeben -, die Staatsangehörigkeit vielleicht hätten erwerben können.

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2. Mehrwertsteuerabsenkung für Tampons

Petitionen/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Die Bundesregierung steht einer Absenkung der Mehrwertsteuer für Periodenprodukte wie Tampons und Binden von 19 auf sieben Prozent offen gegenüber. Das machte die Parlamentarische Staatssekretärin in Bundesfinanzministerium (BMF), Sarah Ryglewski (SPD), am Montag während einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses deutlich. Sollte sich der Finanzausschuss des Bundestages dafür aussprechen, könne die Regelung noch in das Jahressteuergesetz aufgenommen werden, sagte sie. Die Chancen dazu stehen gut - während der Sitzung sprachen sich Vertreter aller Fraktionen für die Absenkung aus, wie es auch in der während der Sitzung beratenen Petition gefordert wurde.

Die Petentin Jule Schulte sagte vor den Abgeordneten, mit der jetzigen Regelung würden Menstruierende aller gesellschaftlichen Schichten und finanzieller Hintergründe "systematisch diskriminiert". Die Periode sei unausweichlich. Frauen menstruierten etwa 40 Jahre ihres Lebens einmal im Monat für etwa drei bis fünf Tage - "ob sie wollen oder nicht". Das sei kein Luxus und sollte nicht als solcher besteuert werden. Der Einschätzung, eine Senkung der Mehrwertsteuer führe nicht unbedingt zu einer tatsächlichen Preissenkung für die Produkte, trat sie entgegen. Vertreter von Herstellern und Handel hätten ihr gegenüber versichert, die Steuereinsparung weiterzugeben.

Mit etwa 35 Millionen Euro bezifferte die Finanz-Staatssekretärin die zu erwartenden Steuermindereinnahmen im Falle einer Absenkung. Ryglewski erläuterte auf Anfrage der Abgeordneten zudem, wieso das BMF noch vor wenigen Monaten eine andere Position in dieser Frage eingenommen hat. Das Mehrwertsteuersystem in Deutschland sei sehr unübersichtlich, sagte die SPD-Politikerin. "Es gibt keine wirkliche Systematik." Das BMF sei anfangs zögerlich gewesen, auch weil eine solche Ausnahme zum Wunsch nach weiteren Ausnahmen führen könne, sagte sie. Die breite Mehrheit aller Fraktion für eine Absenkung habe jedoch zu einem Umdenken im Ministerium geführt.

Das BMF stehe auch einer grundsätzlichen Reform des Mehrwertsteuersystems offen gegenüber, betonte die Staatssekretärin. Wenn es gute Vorschläge aus den Fraktionen gibt, werde man sich diese anhören und prüfen. Es werde aber wohl schwierig werden, Einigung darüber zu erlangen, "was wo einzuordnen ist". Bisher habe sich niemand so recht an eine solche Reform herangetraut "weil die systematischen Probleme nun einmal da sind", sagte Ryglewski.

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3. Strategie gegen multiresistente Keime

Gesundheit/Antrag

Berlin: (hib/PK) Die Ausbreitung multiresistenter Keime muss nach Ansicht der FDP-Fraktion mit einer gezielten Antibiotikastrategie inklusive des Einsatzes von Big Data eingedämmt werden. Wie die Abgeordneten in ihrem Antrag (19/14047) schreiben, muss der Antibiotikaeinsatz sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin auf das therapeutisch notwendige Maß reduziert werden.

Die Chancen, die der Einsatz von Big Data und maschinellem Lernen zur gezielteren Verschreibung von Antibiotika biete, müssten genutzt werden, um damit zur Vermeidung der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen beizutragen. Dies könne nur gelingen, wenn Rahmenbedingungen vorhanden seien, die die Verfügbarkeit digitaler und standardisierter Daten für die Forschung, Entwicklung und praktische Anwendung gewährleisteten.

In dem Antrag werden technische und rechtliche Voraussetzungen für die Nutzung solcher Daten benannt.

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4. Neue Studie zur Gesundheitskompetenz

Gesundheit/Antwort

Berlin: (hib/PK) Nach einer Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland von 2016 fördert die Bundesregierung auch eine Folgestudie. Diese Erhebung solle 2021 abgeschlossen werden, heißt es in der Antwort (19/13196) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (19/12766) der FDP-Fraktion.

Um zu ausreichenden Erkenntnissen zu gelangen und ein systematisches Vorgehen bei der Konzipierung von Interventionen zu ermöglichen, müsse die Gesundheitskompetenz nicht nur punktuell, sondern wiederholt gemessen werden. Im Rahmen der Folgestudie würden voraussichtlich 2.000 Personen repräsentativ befragt.

Die erste Studie von 2016 hatte ergeben, dass die Gesundheitskompetenz eines großen Teils der Bevölkerung problematisch oder inadäquat ist.

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5. Embryonenspende kommt in Betracht

Gesundheit/Antwort

Berlin: (hib/PK) Eine Embryonenspende kommt nach Angaben der Bundesregierung bei überzähligen Embryonen in Betracht. Embryonen könnten überzählig werden, wenn sie für die fortpflanzungsmedizinische Behandlung von Paaren, für die sie erzeugt wurden, nicht mehr verwendet werden könnten, heißt es in der Antwort (19/13269) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (19/12888) der FDP-Fraktion.

Eine Spende überzähliger Embryonen sei gesetzlich nicht geregelt. Der Deutsche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, hätten sich mit dieser Frage befasst und Stellungnahmen abgegeben.

Diskutiert werde derzeit, ob das Auftauen und Weiterkultivieren von imprägnierten Eizellen (Vorkernstadien) zum Zweck der Spende gegen das Gesetz zum Schutz von Embryonen (GSchG) verstoße. Die etwaige Strafbarkeit der Spende sogenannter Vorkernstadien sei Gegenstand eines anhängigen Gerichtsverfahrens. Eine rechtskräftige obergerichtliche Entscheidung stehe noch aus.

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6. Keine Medikamente zur Selbsttötung

Gesundheit/Antwort

Berlin: (hib/PK) Zwischen dem 1. Februar und 31. August 2019 sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieben Anträge auf Erwerb eines tödlich wirkenden Medikaments zum Zweck des Suizids eingegangen. Das geht aus der Antwort (19/13198) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (19/12771) der FDP-Fraktion hervor.

Fünf Anträge wurde den Angaben zufolge nach Anhörung der jeweiligen Antragsteller abgelehnt. In zwei Fällen stehe eine Antwort der Antragsteller auf das Anhörungsschreiben des BfArM noch aus.

Nach Ansicht der Bundesregierung stellt die starke Lebensschutzorientierung des Grundgesetzes ein gewichtiges Argument für die Position dar, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates sein kann, die Tötung eines Menschen durch staatliche Handlungen aktiv zu unterstützen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 1162 - 21. Oktober 2019 - 17.08 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2019

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