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BUNDESTAG/8168: Heute im Bundestag Nr. 303 - 20.03.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 303
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 20. März 2019, Redaktionsschluss: 18.16 Uhr

1. Sexualisierte Gewalt im Sport
2. Lob für Zuwachs bei humanitärer Hilfe


1. Sexualisierte Gewalt im Sport

Sport/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Eine "Risikosportart", bei der sich Fälle sexualisierter Gewalt im Sport - insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen - häufen, gibt es nach Expertenangaben nicht. Sowohl Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) als auch der Deutschen Sportjugend (DSJ) machten ebenso wie der von der Bundesregierung berufene Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, während der Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch deutlich, das sich die Problematik durch alle Sportarten ziehe.

Rörig sagte vor den Abgeordneten, er könne bedauerlicherweise nicht über große Fortschritte im Kampf gegen sexuelle Gewalt im Breiten- und Spitzensport berichten. Die Ergebnisse der "Safe Sport Studie" seien beunruhigend. Danach hat jeder dritte deutsche Spitzenathlet als Kind oder Jugendlicher schon eine Form der sexualisierten Gewalt selbst erfahren. Noch sei dem organisierten Sport in Deutschland ein großer Missbrauchsskandal erspart geblieben, wie es ihn etwa im englischen Nachwuchsfußball oder im Turnbereich der USA gegeben habe, sagte Rörig. Davon auszugehen, dass die hierzulande bekannt gewordenen Fälle jedoch nur Einzelfälle seien, wäre aber falsch, sagte er.

Über die Kooperation mit dem DOSB und der DSJ versuche er mehr Dynamik zu erreichen, um Schutzkonzepte im Sport zur Anwendung zu bringen, sagte der Missbrauchsbeauftragte. Das sei leider bisher noch nicht umfänglich gelungen. "Nur" 50 Prozent der Sportvereine hätten Schutzkonzepte zur Anwendung gebracht, sagte Rörig. Auch sei die Leistungs- und Spitzensportförderung leider noch nicht an feste Regeln zur Prävention geknüpft worden. Rörig bedauerte es, mit den Spitzensportverbänden noch nicht richtig in das Gespräche gekommen zu sein.

Viele Vereine seien in Sachen Prävention noch nicht so weit, wie sich der DOSB das wünsche, räumte Petra Tzschoppe, für Frauen und Gleichstellung zuständige DOSB-Vizepräsidentin, ein. Es gehe darum, eine Kultur des Hinsehens zu etablieren, die zugleich auch eine Kultur des Respektes und der Wertschätzung sein müsse. Prinzipien wie Toleranz und Chancengleichheit seien wichtig, weil sie verhindern könnten, Machtpositionen auszunutzen, sagte Tzschoppe.

"Schon" 50 Prozent der Vereine widmeten sich der Problematik, machte der DSJ-Vorsitzende Jan Holze deutlich. Einer Problematik, die noch vor wenigen Jahren nicht erkannt worden sei. Es sei gelungen, das Thema aus der Tabuzone zu holen, sagte Holze. Gleichwohl gebe es weiteres Potenzial.

Elena Lamby, Referentin für die Prävention sexualisierter Gewalt im Sport bei der DSJ, sagte, der Sport sei gezwungen, sich beim Umgang mit der Problematik selbst zu helfen, weil es keine Hilfe von anderen Stellen gebe. Die Jugendämter, so Lamby, hätten zu viel auf dem Tisch, Fachberatungsstellen seien nicht flächendeckend ausgebaut.

Diskutiert wurde während der Sitzung auch über das von Übungsleitern vorzulegende erweiterte Führungszeugnis. Sportjugend-Chef Holze beklagte einen immensen bürokratischen Aufwand für die oft ehrenamtlich geführten Vereine. Außerdem könne ein erweitertes Führungszeugnis, in dem auch Sachen aufgeführt seien, die mit der eigentlichen Problematik nicht zu tun hätten, zu einer Stigmatisierung der Trainer führen. Er plädierte daher für einen Negativ-Attest, mit dem die zuständige Stelle der Justiz dem Verein gegenüber mitteile, dass im Bereich Kinder- und Jugendschutz nichts gegen die Trainer vorliege.

Stephan Mayer (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, für Heimat und Bau (BMI), entgegnete, mit einer solchen Forderung renne man beim BMI offene Türen ein. Innerhalb der Bundesregierung aber gebe es zu der Frage unterschiedliche Auffassungen. Auch der Missbrauchsbeauftragte Rörig sah gute Argumente für eine Änderung der aktuellen Regelung.

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2. Lob für Zuwachs bei humanitärer Hilfe

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/AHE) Experten begrüßen die deutlichen deutschen Zuwächse in der humanitären Hilfe in den vergangenen Jahren. In einer öffentlichen Anhörung zum "Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland in den Jahren 2014 bis 2017" (19/5720) sahen einige Sachverständige am Mittwoch im Menschenrechtsausschuss aber auch Verbesserungsbedarf - weniger bei der Rolle Deutschlands als Geber als in seiner Rolle als gestaltender Akteur im humanitären System.

Dem Bericht der Bundesregierung zufolge hat sich Deutschland im Jahre 2017 zum weltweit zweitgrößten bilateralen Geber humanitärer Hilfe entwickelt. Demnach seien die Mittel für humanitäre Hilfe von 416 Millionen Euro im Jahre 2014 auf 1,76 Milliarden Euro im Jahr 2017 gestiegen. Regionale Schwerpunkte der deutschen humanitären Hilfe seien der Nahe Osten und Afrika, wobei die Syrien-Krise sowie die Hungerkrisen in Afrika besonders im Fokus stehen würden. Besondere Aufmerksamkeit würde der humanitären Hilfe in Flucht- und Vertreibungssituationen geschenkt. Daneben blieben humanitäre Katastrophenvorsorge sowie humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen wichtige Schwerpunkte des deutschen Engagements.

Bodo von Borries (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen, VENRO) begrüßte den Mittelaufwuchs als "angemessene Reaktion auf den humanitären Bedarf". Er bekräftigte eine Forderung des Humanitären Weltgipfels: Hilfe solle unter dem Stichwort Lokalisierung flexibler und dezentraler gestaltet sein. Das bedeute zum Beispiel, Akteure vor Ort einzubeziehen, die im humanitären System bisher "wenig sichtbar" gewesen seien, lokale Selbsthilfe etwa oder die Diaspora eines von einem Konflikt oder einer Naturkatastrophe betroffenen Landes.

Cornelia Füllkrug-Weitzel (Diakonie Katastrophenhilfe) begrüßte das deutsche Engagement. Nun gehe es darum zu zeigen, "dass Deutschland nicht nur ein starker Geber ist und bleibt, sondern auch ein starker Akteur". Dafür sei unter anderem mehr Kohärenz beim Handeln der Bundesregierung wünschenswert: So seien "Rüstungsexporte in Krisen- und Konfliktgebiete Teil des Problems und nicht der Lösung". Füllkrug-Weitzel ging auch auf den sogenannten Development-Peace Nexus ein - also die Frage, wie Außen- und Entwicklungspolitik mehr dazu beitragen können, humanitäre Bedarfe erst gar nicht entstehen zu lassen. Für die humanitäre Hilfe bleibe trotz dieses Ansatzes "keine Alternative zur ausschließlichen Bedarfsorientierung".

Heiko Knoch vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) benannte die Herausforderungen: Nach UN-Schätzungen dürften in diesem Jahr 132 Millionen Menschen infolge von Kriegen, Konflikten, Natur- und Klimakatastrophen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein, der Bedarf belaufe sich auf mehr als 22 Milliarden US-Dollar. Knoch warb für Anstrengungen "weg von der reaktiven hin zur proaktiven" Hilfe. Investitionen in schützende Infrastruktur, Wetterbeobachtung, Frühwarnsysteme oder App-Entwicklungen zur Erkennung von Mangelernährung bei Kindern könnten dazu beitragen, Hilfsbedarf erst gar nicht in großem Umfang entstehen zu lassen. Knoch warb zudem für den Ausbau bei mehrjährigen Mittelzusagen sowie mehr zweckungebundene Mittel im Sinne von mehr Planbarkeit beziehungsweise Flexibilität bei den Hilfsorganisationen.

Corinna Kreidler (Independent Consultant Humanitarian Assistance) unterstrich, dass Deutschland in der "Liga der großen Geldgeber" angekommen sei. Der Bericht der Bundesregierung nehme allerdings kaum in den Blick, wie und auf Basis welcher Kriterien die Mittelvergabe erfolge. Nach dem Vorbild anderer Geber müsse mehr Transparenz bei der Auswahl der Partner herrschen. Kreidler warb für mehr Wettbewerb "unter allen Partnern" sowie für das Prinzip der Subsidiarität bei der humanitären Hilfe. "Entscheidungen sollten deutlich näher an Krisenherde herangetragen werden."

Wolfgang Prangl (Oxfam Deutschland) machte darauf aufmerksam, dass der Syrien-Konflikt für die Bundesregierung bei der humanitären Hilfe "höchstes Gewicht" habe. Es müsse aber der Grundsatz gelten, sich ausschließlich am objektiven globalen humanitären Bedarf leiten zu lassen. Als "ambivalent" wertete der Experte exemplarisch zudem die Jemenpolitik: Jahr für Jahr habe die Bundesregierung die humanitäre Hilfe für das Land angehoben, aber andererseits und im Widerspruch zum selbst gesteckten Ziel einer restriktiveren Rüstungsexportpraxis Waffenlieferungen an Akteure des Jemen-Konfliktes gewährt.

Auch Ralf Südhoff (Centre for Humanitarian Action) machte eine überproportionalen Anteil deutschen humanitären Hilfe für Syrien aus. Das bedeute aber nicht, dass dieser Konflikt aus humanitärer Sicht "überfinanziert" sei, im Gegenteil: Nur rund 50 Prozent des humanitären Bedarfs seien in Syrien gedeckt. Südhoff betonte, dass die Bundesregierung bisher auf konzeptioneller und strategischer Ebene noch nicht mit dem Aufwuchs bei der humanitären Hilfe mitgezogen habe: Im Auswärtigen Amt seien nur 66 Stellen im Bereich humanitäre Hilfe besetzt, in den Auslandsvertretungen vor Ort fehle Expertise.

Alfred de Zayas (Geneva School of Diplomacy and International Relation) bezeichnete es unter anderem mit Blick auf die Beispiele westlicher Interventionen im Irak und in Libyen für unerlässlich, dass die Weltgemeinschaft das in der UN-Charta verankerte Allgemeine Gewaltverbot einhalte und die Souveränität von Staaten geachtet werde. De Zayas lenkte den Blick zudem auf Ursachen für die Entstehung humanitärer Krisen, die oft ignoriert würden: Dazu zählten etwa Auflagen von IWF und Weltbank im Sinne von Austerität und auch die Zerstörung der Lebensgrundlage von Menschen bei Umweltzerstörungen durch transnationale Konzerne.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 303 - 20. März 2019 - 18.16 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2019

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