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BUNDESTAG/6554: Heute im Bundestag Nr. 307 - 15.05.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 307
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 15. Mai 2017, Redaktionsschluss: 16.42 Uhr

1. Leichterer Start für Bürgerunternehmen
2. Korrekturbedarf bei Rentenanpassung


1. Leichterer Start für Bürgerunternehmen

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/11506), der Bürgerinitiativen die Gründung und Führung kleiner Unternehmen wie beispielsweise Dorfläden erleichtern soll, ist bei einer Anhörung des Rechtsausschusses auf geteilte Zustimmung gestoßen. Zwar begrüßten alle sieben Sachverständigen die Zielsetzung, nicht aber in jedem Fall die dafür vorgesehenen Rechtsänderungen.

Kern des Gesetzentwurfs "zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften" sind vereinfachte Prüfungsanforderungen für kleine Genossenschaften. Denn die vom geltenden Genossenschaftsrecht verlangten Prüfungen verursachten Kosten, die von kleinen bürgerschaftlichen Unternehmen oft nur schwer aufgebracht werden könnten, heißt es darin. Für ganz kleine Initiativen soll zudem der Zugang zur Rechtsform des rechtsfähigen wirtschaftlichen Vereins erleichtert werden. Vorgeschlagen werden auch Rechtsänderungen, die allen Genossenschaften zugute kommen, darunter die Möglichkeit, bestimmte Informationen im Internet statt in Schriftform zugänglich zu machen. Als Beispiele für bürgerschaftliche Unternehmen, denen die Neuregelung zugute kommen soll, nennt der Gesetzentwurf Dorfläden, Kitas, altersgerechtes Wohnen und Energievorhaben.

Johannes Blome-Drees vom Seminar für Genossenschaftswesen der Universität zu Köln hob hervor, dass die Genossenschaft wegen der hohen Anforderungen "derzeit keine geeignete Rechtsform für bürgerschaftliche Initiativen" sei. Allerdings hätte er sich eine Regelung gewünscht, die auch besonders kleinen Gründungen den Zugang zu dieser Rechtsform erleichtert, statt sie auf die Rechtsform des wirtschaftlichen Vereins zu verweisen. Auch Genossenschaften vereinten Vereins- und Unternehmenscharakter, führte Blome-Drees aus.

Dem stimmte Burghard Flieger, nach eigenen Angaben "seit über 30 Jahren im Bereich neuer Genossenschaften beratend tätig", ausdrücklich zu. Es gebe derzeit "eine neue Genossenschaftsbewegung, die zu 90 Prozent an der Rechtsform der Genossenschaft vorbeigeht". Nachteil des wirtschaftlichen Vereins sei, dass er über kein Eigenkapital verfügen könne, was Investitionen erschwere. Es gebe nirgends in Europa außer in Österreich so weitgehende Pflichten für Genossenschaften wie in Deutschland. Diesen "Sonderweg" aufzuweichen sei ein wichtiges Anliegen des Gesetzentwurfs, er gehe dabei aber nicht weit genug.

Der Vorstandssprecher des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften, Mathias Fiedler, nannte die vorgesehene Öffnung des wirtschaftlichen Vereins einen "gangbaren Kompromiss", nachdem die von seinem Verband gewünschte weitergehende Öffnung der Genossenschaftsform offenbar nicht durchsetzbar gewesen sei. Als problematisch bezeichnete Fiedler allerdings eine Regelung in einer vom Bundesjustizministerium vorgesehenen Verordnung zu dem neuen Gesetz. Danach solle Bürgerunternehmen bei Überschreiten bestimmter wirtschaftlichen Kennzahlen die Rechtsform des Vereins entzogen werden. Das sei "ohne Beispiel im Gesellschaftsrecht". Besser seien "abgestufte Anforderungen innerhalb der Rechtsform" je nach Unternehmensgröße, wie es sie auch bei anderen Rechtsformen gebe.

Eckhard Ott , Vorstandsvorsitzender des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes, begrüßte die vorgesehene Öffnung des rechtsfähigen Vereins für ganz kleine Initiativen, "damit die genossenschaftliche Rechtsform ihre segensreichen Merkmale nicht verwässert bekommt". Gleichwohl unterstützte er das "besondere Prüfungsregime" für kleinere Genossenschaften, da bei Genossenschaften "der Mitgliederschutz ohnehin in sehr hohem Maße gegeben" sei.

Der Heidelberger Rechtsprofessor Stefan J. Geibel wies auf mögliche Ungereimtheiten bei der Abgrenzung zwischen wirtschaftlichen Vereinen und sogenannten Idealvereinen hin. Auch letzteren sei in gewissem Rahmen wirtschaftliche Tätigkeit erlaubt. Zudem empfahl Geibel für wirtschaftliche Vereine eine Rechtsaufsicht, ähnlich wie es sie für Stiftungen gebe.

Der Osnabrücker Lehrstuhlinhaber Professor Lars Leuschner wies darauf hin, dass Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Musikschulen und Jugendherbergen meist in der Rechtsform des Eingetragenen Vereins betrieben würden, während Dorfläden keinen Zugang zum Vereinsregister hätten. Dies beruhe auf einer "historischen Zufälligkeit", da es Dorfläden noch nicht so lange gebe und sich die Rechtspraxis geändert habe. Dabei verfolgten beide "ideelle Zwecke, die nur durch wirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen" seien. Nun bestehe die Gefahr, dass mit dem neuen Gesetz eine große Zahl von Bürgerunternehmen zu einer Änderung der Rechtsform gezwungen sein könnten. Leuschner empfahl daher, auch vor dem Hintergrund einer in Kürze erwarteten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Vereinsrecht, den Gesetzentwurf jetzt nicht zu verabschieden und in der nächsten Legislaturperiode eine Lösung für beide Gruppen von Unternehmen zu erarbeiten.

Noch grundsätzlichere Kritik an dem Gesetzentwurf übte Manfred Zemter von der "Initiative Genossenschaft von unten". Er halte eine grundlegende Demokratisierung des Genossenschaftsrechts für erforderlich, sagte Zemter. So hätte er sich gewünscht, dass mit dem Gesetzentwurf die Generalversammlung gestärkt wird. Bis 1973 habe die Generalversammlung Weisungen an den Vorstand erteilen können, zumindest dieser Zustand müsse wiederhergestellt werden. "Gerade das Engagement der Mitglieder", stellte Zemter fest, "ist das Rückgrat der genossenschaftlichen Idee".

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2. Korrekturbedarf bei Rentenanpassung

Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Experten sehen Nachbesserungsbedarf bei dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Anpassung des Rentenwertes in Ost und West bis zum Jahr 2025 (18/11923). Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag deutlich, bei der auch über Anträge der Fraktion Die Linke (18/10862) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/10039) beraten wurde.

Der Regierungsentwurf sieht die Angleichung des bisher unterschiedlichen Rentenrechts in Ost und West in sieben Schritten vor. In einem ersten Schritt soll der aktuelle Rentenwert (Ost) zum 1. Juli 2018 auf 95,8 Prozent des Westwertes angehoben werden. Die Bezugsgröße (Ost) und die Beitragsbemessungsgrenze (Ost) sollen zum 1. Januar 2019 an die Höhe des jeweiligen Westwertes angenähert werden und diesen bis zum 1. Januar 2025 vollständig erreicht haben. In weiteren Schritten soll der Verhältniswert zwischen aktuellem Rentenwert (Ost) und dem Westwert jedes Jahr um 0,7 Prozentpunkte angehoben werden, bis der aktuelle Rentenwert (Ost) zum 1. Juli 2024 die Höhe des Westwertes erreicht hat. Ab diesem Zeitpunkt soll dann im gesamten Bundesgebiet nur noch ein einheitlicher Rentenwert gelten. Die Hochwertung der ostdeutschen Einkommen für die Rentenberechnung soll ab Januar 2025 vollständig entfallen. Bis Ende 2024 hochgewertete Verdienste bleiben erhalten.

Der Einzelsachverständige Professor Eckart Bomsdorf machte darauf aufmerksam, dass zum 1. Juli 2017 der Rentenwert Ost bereits 95,7 Prozent des Westwertes erreichen wird, was fast dem Wert entspreche, der laut dem Gesetzentwurf erst Mitte 2018 erreicht werden soll. Die gesetzliche Regelung könne daher zu einer Verschlechterung der Situation der Ostrentner führen, sagte Bomsdorf. "Das ist nicht akzeptabel, deshalb muss hier nachgebessert werden", forderte der Experte. "Hinreichend und sinnvoll" zur Lösung des Problems sei es, die für 2019 bis 2024 vorgesehene Anpassung auf die Jahre 2018 bis 2023 vorzuziehen. Bomsdorf schlug zudem eine Mindestbegünstigungsklausel vor, der entsprechend das alte Rentenrecht angewendet werden kann, wenn dies zu einem höheren Rentenwert Ost führen würde.

Sowohl beim Bundesverband der Volkssolidarität als auch bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) stießen Bomsdorfs Vorschläge auf Zustimmung. Es werde in der Tat eine Günstigerregelung benötigt, sagte AWO-Vertreter Ragnar Hoenig. Aus Sicht der AWO sei es auch vertretbar, die Angleichung des aktuellen Rentenwerts (Ost) schneller zu vollziehen als den Abbau der so genannten Hochwertung von Ostrenten. Alfred Spieler von der Volkssolidarität unterstützte ebenfalls die Forderung nach einer Günstigerregelung. Spieler betonte zugleich, es wäre wünschenswert gewesen, die Angleichung der aktuellen Rentenwerte "wie im Koalitionsvertrag vereinbart" bis zum Jahr 2020 zu vollenden. Außerdem forderte er, ernsthaft zu prüfen, für Ost und West die "Rente nach Mindestentgeltpunkten" wieder zur Geltung zu bringen.

Dieser Forderung schloss sich auch Markus Hofmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) an. Der DGB-Vertreter machte darauf aufmerksam, dass die "systemisch folgerichtige" Aussetzung der Höherbewertung ostdeutscher Löhne trotz der Anhebung des Rentenwertes negative Auswirkungen auf das Rentenniveau haben könne, da auch in den nächsten Jahren mit erheblichen Differenzen im Lohnniveau Ost und West zu rechnen sei. Grund dafür sei, dass es in vielen Bereichen Ostdeutschlands tariffreie Zonen gebe, weil sich viele Arbeitgeber "aus der Verantwortung stehlen und tarifflüchtig sind".

Bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bewertet man das anders. Eine Höherwertung der Ost-Löhne müsse bei Angleichung des Rentenwertes entfallen, weil es sonst zu einer systematischen Benachteiligung der Beitragszahler in den alten Bundesländern komme, sagte BDA-Vertreter Alexander Gunkel. Im Übrigen sei es so, dass es inzwischen keine so großen Lohnunterschiede zwischen alten und neuen Bundesländer mehr gebe wie zwischen anderen Regionen. Daher sei eine systematische Höherbewertung der Ost-Löhne auch nicht mehr gerechtfertigt.

Aus Sicht des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) sind in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund der anhaltend positiven Wirtschaftslage Tarifsteigerungen in Ost und West zu erwarten, sagte ZDH-Vertreterin Marlene Schubert. Mit einer weiteren Angleichung der Löhne zwischen Ost und West sei auch angesichts der höheren Tarifabschlüsse im Osten zu rechnen, betonte sie.

Lohnspreizungen gebe es auch in Westdeutschland, sagte Bodo Aretz vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Aretz sagte weiter, für 2017 werde im Osten mit einem durchschnittlichen Bruttojahresentgelt gerechnet, das bei 89 Prozent des Wertes im Westen liege.

Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) hält ein Vorziehen der Anpassung des Rentenwerts, wie von einigen Sachverständigen angesprochen, aus Sicht der DRV für denkbar. Entscheidend sei, so Thiede, dass am Ende des Prozesses alle Unterschiede bei der Rente zwischen Ost und West abgebaut sind. Wie viele Schritte dazu benötigt würden, sei nachrangig, urteilte er. Die DRV sei an einem Verfahren mit möglichst wenig Verwaltungsaufwand interessiert und begrüße daher die vorliegende gesetzliche Regelung.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 307 - 15. Mai 2017 - 16.42 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2017

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