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BUNDESTAG/6418: Heute im Bundestag Nr. 170 - 20.03.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 170
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 20. März 2017, Redaktionsschluss: 14.58 Uhr

1. Haftung beim automatisierten Fahren
2. Expertenstreit zur Pkw-Maut
3. Mehr Schutz für Polizisten und Retter


1. Haftung beim automatisierten Fahren

Verkehr und digitale Infrastruktur/Anhörung

Berlin: (hib/fla) Die von der Bundesregierung beabsichtigte Anpassung der Straßenverkehrsordnung an die Möglichkeiten des automatisierten Fahrens hat prinzipiell die Zustimmung von Experten gefunden. Allerdings warteten die Sachverständigen bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur mit einer Reihe von kritischen Anmerkungen zum Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (18/11300) auf.

Jürgen Bönninger (FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH) kritisierte, wie die Verantwortlichkeit zwischen Fahrer und System geregelt werden soll. Es würden "völlig einseitig" nur die Pflichten des Fahrzeugführers angesprochen - "ohne auf der anderen Seite klarzustellen, welche Tätigkeiten der Fahrzeugführer während der Nutzung der hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktion ausüben darf". Bönninger: "Damit handelt es sich zunächst nur um eine Enthaftungsnorm für Fahrzeughersteller." Bleibe es beim Text des Gesetzentwurfs, sei ein "Kontrolldilemma zu befürchten, da die Regelungen faktisch eine Kontrolle des Fahrvorgangs vorschreiben, obwohl die Fahrassistenzsysteme (bis Teilautomatisierung) technisch bereits eine Nebentätigkeit erlauben". Bei Haftungsfragen könne nicht gelten: "Das Auto lenkt, der Fahrer haftet." Sondern: "Wenn das System fährt, haftet der Hersteller" - jedenfalls bei sachgerechtem Einsatz.

Peter Büttgen vermisste namens der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit die nötige Präzision im Gesetzentwurf. Es fehlten konkrete Regelungen zum Umfang der Daten, zur Erhebung und Verarbeitung, zur Zweckbestimmung, zur Löschung und zur technischen Ausgestaltung der Speichermedien. Neben dem Datenschutz sollte auch die Datensicherheit größere Beachtung finden. Zur Speicherung der Daten nach einem Unfall reichten vier Punkte: Ist der Fahrer gefahren? Ist der Automat gefahren? Gab es eine Übernahmeaufforderung vom System an den Fahrer? Lag eine Funktionsstörung vor?

Joachim Damasky (Verband der Automobilindustrie/VDA) sah in der Haftungsfrage einen Dreh- und Angelpunkt des Gesetzentwurfs. Eine Änderung der gegenwärtigen Regelungen sei nicht erforderlich. Die Hersteller müssten die Kunden über Verwendung und Leistungsgrenzen der Systeme informieren. Wobei dies nicht auf die Betriebsanleitung beschränkt bleibe, sondern auch im Fahrzeug geschehe. Den Fahrern werde signalisiert, wenn das Assistenzsystem aktiv ist. Auch Warnhinweise würden klar dargestellt. Zweitnutzer der Fahrzeuge erhielten die Möglichkeit, sich im Internet über die Systeme zu informieren.

Eric Hilgendorf (Universität Würzburg) merkte an, dass die Hersteller verpflichtet werden müssten, die Informationen über die Assistenzsysteme nicht im Kleingedruckten zu versteckten. Den Nutzern müsse deutlich gemacht werden, was eine "bestimmungsgemäße Verwendung" bedeute - für ihn ein "Kernbegriff" des Gesetzentwurfs. "Was ist bestimmungsgemäß?", fragte er angesichts der Werbeversprechen von Herstellern und den erheblichen rein technischen Möglichkeiten.

Volker Lüdemann (Hochschule Osnabrück) bemängelte, der Gesetzentwurf schaffe "keine hinreichende Sicherheit für Autofahrer". Bei aller Bereitschaft zur Konkretisierung bleibe die "Grundproblematik", dass der Fahrer die Systeme ständig überwachen müsse, um die Steuerung nach Aufforderung oder im Notfall "unverzüglich" übernehmen zu können. Es werde immer darüber gestritten werden können, ob die "erforderliche Grundaufmerksamkeit" vorgelegen habe oder der Fahrzeugführer "durch fahrfremde Tätigkeiten unzulässig abgelenkt" gewesen sei. Konkretisierung werde es voraussichtlich erst nach Jahren durch Gerichtsurteile geben. Lüdemann: "Bis dahin kann sich der Autofahrer dem Fahrlässigkeitsvorwurf im Grunde nur dadurch entziehen, dass er komplett selber fährt." Was bedeute: "Das strategische Ziel des Gesetzentwurfs, Deutschland zum weltweiten Leitmarkt für das automatisierten Fahren zu machen, ist damit gefährdet."

Der Allgemeine Automobil-Club Deutschland (ADAC) unterstütze das Gesetzesvorhaben, da vom automatisierten Fahren "eine positive Wirkung auf die Verkehrssicherheit und die Leistungsfähigkeit des Straßenverkehrs zu erwarten" sei, so Markus Schäpe. Wichtig sei, dass der Gebrauch nur im Rahmen der "bestimmungsgemäßen Verwendung" erlaubt sei. Doch wer festlege, was genau darunter zu verstehen sei, bleibe offen. Der ADAC erwarte sehr restriktive Vorgaben der Hersteller, die der Nutzer "so nicht erwartet", zumal wohl gleichzeitig technisch eine "sehr weitreichende Nutzung der Automatisierungsfunktionen" ermöglicht werde.

Laut Schäpe "legen die Erfahrungen mit dem Tesla-Autopilot nahe, dass viele Fahrzeugführer mit der Diskrepanz zwischen hohem technischen Potenzial und einem eng gefassten bestimmungsgemäßen Gebrauch überfordert sind". Die Hersteller müssten dafür sorgen, dass die Technik nur bestimmungsgemäß eingesetzt werden könne: "Fahrten mit dem Autobahnassistenten in geschlossenen Ortschaften wären dann technisch unmöglich."

Absicht der Bundesregierung ist es, die Grundlagen für das automatisierte Fahren zu schaffen und das Zusammenwirken zwischen dem Fahrzeug mit der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktion und dem Fahrer zu regeln. Es soll klargestellt werden, dass der Betrieb von Kraftfahrzeugen mittels hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktion "im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung" zulässig ist. Der Fahrer bleibt der Fahrer, wie überdies herausgestellt werden soll: "Während der automatisierten Phase wird der Fahrzeugführer nicht durch das hoch- oder vollautomatisierte System ersetzt."

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2. Expertenstreit zur Pkw-Maut

Verkehr und digitale Infrastruktur/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Sowohl die finanzielle Wirkung der geplanten Pkw-Maut als auch die Frage ihrer Europarechtskonformität ist unter Experten umstritten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag deutlich. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geht bei der geplanten Infrastrukturabgabe (18/11237) von Mauteinnahmen durch ausländische Pkw in Höhe von 834 Millionen Euro aus, die nach Abzug der Systemkosten von 211 Millionen Euro sowie der Kosten für die zusätzliche Steuerentlastung in Höhe von 100 Millionen Euro zu einer Nettoeinnahme von 524 Millionen Euro führen.

Laut dem Verkehrswissenschaftler Ralf Ratzenberger ist hingegen im ersten Jahr nach Einführung mit einem Minus von 71 Millionen Euro zu rechnen. Vor dem Hintergrund, dass die Zahl der schadstoffarmen und damit von der Kfz-Steuerentlastung betroffenen Fahrzeuge steigen werde, sei in den folgenden Jahren mit einer Erhöhung des Verlustbetrages zu rechnen, sagte er vor dem Ausschuss.

Die erheblichen Unterschiede bei den Einnahmeschätzungen durch ausländische PKW-Fahrer (BMVI: 834 Millionen Euro, Ratzenberger 276 Millionen Euro) erklärte Ratzenberger mit unterschiedlichen Prognosewerten in Bereichen, für die es keine empirischen Grundlagen gebe. Um dafür Zahlen zu finden, seien Plausibilitätsüberlegungen angestellt worden, sagte er. Einige dieser Annahmen des BMVI sind aus seiner Sicht jedoch unplausibel.

Professor Wolfgang H. Schulz von der Zeppelin Universität Friedrichshafen bewertete dies anders. Die Prognose des BMVI sei konservativ gerechnet und enthalte einen Abschlag von 25 Prozent, sagte er. Die Personenverkehrsmatrix, die den Berechnungen Ratzenbergers zugrunde liege, sei zwar für die Bestimmung der Verkehrsleistung mit Blick auf den Verkehrswegeplan geeignet. Das BMVI habe sich aber vor dem Hintergrund, dass es um grenznahe Verkehre geht, entschieden, auf Werte aus der Statistik zurückzugreifen

Ob die Maut europarechtskonform ist, war während der Anhörung ebenfalls umstritten. Professor Franz Mayer von der Universität Bielefeld hält die Abgabe "nach wie vor für europarechtswidrig". Daran würden auch die nun in Rede stehenden Korrekturen nichts ändern. Nach wie vor würden nur Inländer entlastet und daher Ausländer diskriminiert, sagte Mayer. Zugleich übte er Kritik an der EU-Kommission, die keine nachprüfbare Begründung für die Aussetzung der Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland vorgelegt habe. "Die EU-Kommission kann nicht europarechtswidrige Zustände für europarechtskonform erklären", betonte er. Eine endgültige Entscheidung werde schlussendlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) fällen müssen. "Der EuGH wird das Gesetz für europarechtswidrig erklären", gab sich Mayer überzeugt.

Professor Christian Hillgruber von der Universität Bonn widersprach. Es liege keine mittelbare Diskriminierung von Ausländern vor, weshalb die Pkw-Maut auch nicht europarechtswidrig sei, sagte er. Hillgruber verwies auf die Eurovignetten-Richtlinie, laut der ein angemessener Ausgleich zur Mauterhebung - auch über die Kfz-Steuer - möglich sei. Gehe man dennoch von einer mittelbaren Diskriminierung aus, hieße das, "die Richtlinie selber ist nicht europarechtskonform". Hillgruber räumte ein, dass ein Verfahren vor dem EuGH nicht auszuschließen sei. "Ich würde dem aber mit großer Gelassenheit entgegensehen", sagte er.

Thomas Kiel als Vertreter des Deutschen Städtetages stellte sich hinter die Forderung des Bundesrates, bestimmte Autobahnabschnitte in grenznahen Regionen von der Mautpflicht freizustellen. Es sei nicht ausreichend, die Bundesfernstraßen von der Maut für Ausländer auszuklammern, weil in einigen Regionen der grenznahe Verkehr über die Autobahn erfolge. Die Städte und Kommunen in Grenznähe hätten die Sorge, dass die Maut als Eintrittspreis gewertet werde und Einzelhandel sowie Tourismus in den Regionen mit Nachteilen rechnen müssten, sagte der Kommunalvertreter.

Von "schöngerechneten Zahlen" sprach Dieter Dewes von der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft. Der im Gesetzentwurf dargestellte Erfüllungsaufwand sei nicht realistisch dargestellt und entspräche nicht den Erfahrungswerten der Zollverwaltung. Die Neufestsetzung der Kfz-Steuer, für deren Verwaltung der Zoll zuständig sei, werde zu einem hohen Aufwand führen, der mit dem jetzigen Personalbestand nicht zu bewältigen sei, sagte Dewes.

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3. Mehr Schutz für Polizisten und Retter

Recht und Verbraucherschutz/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/PST) Durch schärfere Strafen sollen Polizisten sowie Rettungskräfte wie Sanitäter und Feuerwehrleute besser vor tätlichen Angriffen geschützt werden. Das sieht ein Gesetzentwurf (18/11547) der Bundesregierung vor, der jetzt im Bundestag eingebracht wurde. Kern ist die Einfügung eines neuen Straftatbestands im Strafgesetzbuch mit verschärftem Strafrahmen gegenüber der bestehenden Regelung. Ein wortgleicher Gesetzentwurf (18/11161) ist zur Verfahrensbeschleunigung bereits von den Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD eingebracht und am 17. Februar in erster Lesung beraten worden. Der Regierungsentwurf war unterdessen zunächst an den Bundesrat gegangen, der ihn am 10. März beraten und keine Einwendungen erhoben hat.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 170 - 20. März 2017 - 14.58 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

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