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BUNDESTAG/6398: Heute im Bundestag Nr. 150 - 10.03.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 150
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 10. März 2017, Redaktionsschluss: 10.59 Uhr

1. Bundesanwalt: Wir haben die Täter
2. Linke: Numerus Clausus sozial ungerecht
3. Stärkung der gesetzlichen Rente
4. Längere Bezugsdauer von ALG I
5. Klare Nutzungsrechte für digitale Güter
6. 60 Prozent der Minijobber sind Frauen


1. Bundesanwalt: Wir haben die Täter

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/FZA) Für Bundesanwalt Herbert Diemer waren die bisherigen Ermittlungen zu der Verbrechensserie der rechten Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ein Erfolg. "Es ist ein ganz gewaltiges Stück, was wir da geleistet haben", lobte Diemer am Donnerstag, 9. März 2017, als Zeuge vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU) die Arbeit seiner Behörde, des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (GBA), und des Bundeskriminalamtes (BKA) in dem Fall.

Diemer übernahm im November 2011, kurz nachdem der NSU aufgeflogen war, als zuständiger Referatsleiter in der Abteilung Terrorismus beim Generalbundesanwalt die Ermittlungen in dem Fall. Seit Prozessbeginn im Mai 2013 vertritt er federführend die Anklage im Gerichtsverfahren gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer am Oberlandesgericht München. Der Prozess steht kurz vor Abschluss der Beweisaufnahme.

Zschäpe wird der Mittäterschaft an insgesamt zehn Morden, 15 Raubüberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen beschuldigt, die der NSU zwischen 1998 und 2011 begangen haben soll. Als Haupttäter gelten laut Anklageschrift Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die alle 27 der im Münchner NSU-Prozess verhandelten Taten alleine ausgeführt und sich im November 2011 kurz vor einer möglichen Ergreifung durch die Polizei selbst getötet haben sollen.

Diemer ließ keinen Zweifel daran, dass er die Schuld der drei bekannten NSU-Terroristen als erwiesen ansieht. "Wir sind uns sicher, dass wir die richtigen Täter haben", sagte er. Er und seine Kollegen könnten mittlerweile "mit strafprozessualen Mitteln" beweisen, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos bei den Verbrechen vor Ort waren. Zschäpe habe zugleich "den Laden aufrecht gehalten", so Diemer. Sie habe das jahrelange Leben im Untergrund mitorganisiert, die bürgerliche Scheinexistenz des Trios aufrechterhalten und zugleich die rassistische Ideologie des NSU voll mitgetragen.

Auf die Frage, ob es womöglich noch weitere bisher unbekannte Mittäter oder Helfer gab, antwortete Diemer: "Wir haben bis heute nichts ausgeschlossen, haben aber keine weiteren Hinweise, die auf weitere Täter schließen lassen." Wie die Ausschussmitglieder mit ihren Fragen nach und nach herausarbeiteten, ist die Kenntnislage über das Unterstützerumfeld und einen Großteil der Aktivitäten des NSU-Trios nach wie vor dünn.

Auf die Nachfragen etwa, warum die NSU-Mordserie nach 2007 plötzlich abbrach und wo sich Böhnhardt und Mundlos danach die meiste Zeit aufhielten, räumte Diemer ein: "Da haben wir nichts." In der letzten gemeinsamen Wohnung des Trios hat laut Zeugenaussagen hauptsächlich Zschäpe gewohnt. Eine weitere konspirative Wohnung wurde zugleich nie gefunden, bestätigte Diemer. Ungeklärt bleibt auch, wie der NSU seine Tatorte und Mordopfer auswählte oder was genau vor und nach der Enttarnung des Trios am 4. November 2011 geschah.

CDU-Obmann Armin Schuster kritisierte, aus den Ermittlungsakten heraus sei ein Bestreben, das Unterstützerumfeld aufzuklären, nicht zu erkennen. Er äußerte aber auch Verständnis dafür, dass Fragen wie diese nur eine Nebenrolle im laufenden Münchner Strafprozess spielen. Obmann Uli Grötsch (SPD) wollte wissen, wie überhaupt entschieden werde, ob ein Hinweis auf eine Person im Umfeld des NSU relevant für den Strafprozess sei oder nicht. "Das machen wir, in dem wir den Hinweisen nachgehen", antwortete Diemer. Den Vorwurf, einige Hinweise seien nur lapidar oder gar nicht geprüft worden, wies Diemer entschieden zurück. Er könne allerdings auch nicht bei jedem Hinweis auf eine Person gleich ein Ermittlungsverfahren einleiten, dafür sei zumindest ein begründeter Anfangsverdacht nötig. Den sah er bei den meisten der noch offenen Spuren, die die Ausschussmitglieder ihm in der mehrstündigen Befragung vorhielten, nicht.

Bei diesem Thema kam auch die durch zahlreiche Skandale geprägte Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex erneut zur Sprache. Obfrau Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) fragte Diemer, ob er jemals in Erwägung gezogen habe, dass V-Personen des Verfassungsschutzes in Taten des NSU involviert seien. Hierzu lägen ihm keine Erkenntnisse vor, entgegnete Diemer. Zugleich betonte er, wenn dies zutreffen würde, wäre das ein sehr schwerwiegender Strafbestand, der sich womöglich strafmildernd auf das Urteil gegen die Angeklagte Zschäpe auswirken könnte.

Obfrau Petra Pau (Die Linke) monierte, sie habe nach wie vor den Eindruck, dass in Bezug auf mehrere V-Männer im Umfeld des NSU lediglich mit angezogener Handbremse ermittelt worden sei. Diemer sah das freilich anders. Für den Verfassungsschutz zu arbeiten sei keine Freikarte Straftaten zu begehen, sagte er. Der Umstand, dass es sich bei einer verdächtigen Person womöglich um einen V-Mann handle, sei grundsätzlich kein Gegenstand für eine prozessuale Entscheidung. Zugleich versicherte Diemer dem Ausschuss: Zu keinem Zeitpunkt habe der Geheimdienst versucht, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen.

Die Abgeordneten konfrontierten Diemer ebenfalls mit der immer länger werdenden Reihe an Skandalen um vernichtete Beweise im NSU-Komplex. Eine Frage war beispielsweise, warum der Generalbundesanwalt die Aussage eines ehemaligen Verfassungsschützers, der nur wenige Tage nach der Enttarnung des NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mehrere womöglich sensible V-Mann-Akten schreddern ließ, nicht an die zuständige Staatsanwaltschaft Köln weiterleitete.

Wie erst spät herauskam, hat der Verfassungsschützer in einer Befragung, bei der auch ein Bundesanwalt anwesend war, zugegeben, die Akten vorsätzlich vernichtet zu haben, um möglichen Schaden vom BfV abzuwenden. Ob die Akten einen Bezug zum NSU hatten, konnte bisher nicht vollständig geklärt werden. Diemer sagte hierzu nur: Aus der Aussage des Verfassungsschützers habe sich kein neuer Ermittlungsansatz für den Generalbundesanwalt ergeben. Die Staatsanwaltschaft Köln hat allerdings nach Bekanntwerden der Aussage doch noch ein Ermittlungsverfahren gegen den mittlerweile versetzten BfV-Mitarbeiter eingeleitet.

Mit der Befragung Diemers hat der 3. Untersuchungsausschuss seine öffentliche Beweisaufnahme beendet. In den kommenden acht bis zehn Wochen wolle der Ausschuss nun seinen umfangreichen Abschlussbericht fertig stellen, kündigte Binninger abschließend an. Eine Veröffentlichung des Berichts ist nach derzeitigem Zeitplan für Anfang Juni geplant.

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2. Linke: Numerus Clausus sozial ungerecht

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Antrag

Berlin: (hib/ROL) Die Linke will bei der Wahl der Studienfächer mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen. Die Fraktion bemängelt, dass in vielen Studienfächern die Nachfrage das Angebot übersteige. Um den Zugang zu stark nachgefragten Studiengängen zu regulieren, werde auf das Instrument des Numerus Clausus (NC) zurückgegriffen. Dieser sei in seiner Wirkung sozial ungerecht, bemängelt die Linke in ihrem Antrag (18/11418).

Deutlich werde das am Studienfach Medizin. In keinem anderen Studienfach sei der NC flächendeckend so hoch und in keinem anderen Studienfach seien Studenten mit hoher Bildungsherkunft so stark überrepräsentiert. Das starke Interesse am Medizinstudium sei nicht zuletzt mit dem zu erwartenden hohen Einkommen der Absolventen zu erklären. Die prinzipielle Gleichberechtigung aller hochschulreifen Studienbewerber werde durch den selektiven Zugang in einer Weise unterlaufen, welche die Aufstiegschancen von Bewerbern aus unterprivilegierten Schichten stark schmälere. Zudem verursache das jährliche "Zulassungschaos" infolge der unzureichenden Kapazitäten für die Bewerber wie auch für die Hochschulen enorme Belastungen.

Die Linke fordert in ihrem Antrag unter anderem die Einführung eines Bundeshochschulzulassungsgesetzes. Es sollen ausreichend Studienplätze zu Verfügung gestellt werden, um Zugangs- und Zulassungsbeschränkungen überflüssig zu machen. Ferner soll jedem berechtigten Studienbewerber gesetzlich garantiert werden, innerhalb von zwei Jahren nach der Bewerbung ein Studienplatz im Fach der Wahl zu erhalten. Bei der Vergabe der Studienplätze sollen insbesondere auf Bezug des Hochschulstandorts soziale Härten vermieden werden. Für den Fall, dass aufgrund von fehlenden Kapazitäten nicht alle Studienbewerber bei der Studienplatzvergabe in einem Studiengang berücksichtigt werden können, sollen Bewerber, die sich bereits in vorangegangenen Semestern für den gleichen Studienplatz beworben haben prioritär behandelt werden. Die übrigen Kapazitäten würden per Losverfahren unter den Erstbewerbern verteilt. Zensuren sollen bei der Vergabe keine Rolle mehr spielen.

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3. Stärkung der gesetzlichen Rente

Arbeit und Soziales/Antrag

Berlin: (hib/CHE) Die Fraktion Die Linke fordert in einem Antrag (18/11402), die gesetzliche Rente zu stabilisieren. Gegenüber dem Jahr 2000 sei das Rentenniveau der gesetzlichen Rente von 53 Prozent auf 48,2 Prozent im Jahr 2017 gesunken, kritisiert Die Linke. Sie verlangt von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Rentenniveau als Sicherungsziel wieder in den Mittelpunkt rückt, um die Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rente sicherzustellen. Außerdem sollen Altersbezüge von Personen mit geringem Einkommen aufgewertet und eine einkommens- und vermögensgeprüfte "Solidarische Mindestrente" deutlich oberhalb der Grundsicherung eingeführt werden, heißt es in dem Antrag weiter.

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4. Längere Bezugsdauer von ALG I

Arbeit und Soziales/Antrag

Berlin: (hib/CHE) Die Bezugsdauer in der Arbeitslosenversicherung soll verlängert und der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden. Das fordert die Fraktion Die Linke in einem Antrag (18/11419). Darin verweist sie auf die gute finanzielle Lage der Bundesagentur für Arbeit, die solche Maßnahmen erlauben würde. Die bestehende maximale Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld I (ALG I) werde den Bedürfnissen der Arbeitslosen nicht gerecht, kritisiert Die Linke.

Sie fordert die Bundesregierung deshalb unter anderem auf, schon bei versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen von vier Monaten einen Anspruch auf ALG I für zwei Monate einzuführen. Zeiten der Qualifizierung und Weiterbildung bis zu einer Dauer von 24 Monaten sollen die Anspruchsdauer des ALG-I-Bezuges nicht mindern. Für jedes Beitragsjahr, das über die Dauer der Versicherungspflicht von 24 Monaten hinausgeht, soll ein Anspruch auf einen zusätzlichen Monat ALG-I-Bezug entstehen. Darüber hinaus verlangt Die Linke, dass Arbeitnehmer, die innerhalb einer Rahmenfrist von drei Jahren mindestens 24 Monate in einem Versicherungsverhältnis gestanden haben, 18 Monate ALG I beziehen können, wenn sie über 50 Jahre alt sind und arbeitslos werden. Eine 24-monatige Bezugsdauer soll es für über 55-Jährige und erwerbslose Menschen mit Behinderungen geben, sowie eine 36-monatige Bezugsdauer für über 60-jährige Erwerbslose. Ferner fordert die Fraktion die Abschaffung von Sanktionen im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und veränderte Zumutbarkeitskriterien für Arbeitsangebote.

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5. Klare Nutzungsrechte für digitale Güter

Recht und Verbraucherschutz/Antrag

Berlin: (hib/PST) Die Nutzungsrechte an digitalen Gütern wie E-Books und Musikdateien sollen sich nicht wesentlich von denen an materiellen Gütern wie Büchern oder CDs unterscheiden, sofern eine dauerhafte Lizenz erworben wurde. Dafür solle sich die Bundesregierung einsetzen, fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (18/11416). Derzeit gebe es durch die Ausgestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) und Digitales Rechtemanagement der Anbieter deutliche Unterschiede bei den Nutzungsmöglichkeiten, sowohl untereinander als auch gegenüber materiellen Gütern, schreiben die Antragsteller. Die Grünen fordern rechtliche Regelungen auf nationaler oder europäischer Ebene, die dafür sorgen, dass solche Güter tatsächlich langfristig und geräteunabhängig genutzt werden können. Auch sollen sie ebenso wie materielle Güter weiterverkauft, verschenkt und vererbt werden können.

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6. 60 Prozent der Minijobber sind Frauen

Arbeit und Soziales/Antwort

Berlin: (hib/CHE) Frauen arbeiten deutlich häufiger als Männer zu geringen Löhnen, in sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen und in geringfügiger Beschäftigung. Das geht aus der Antwort (18/11378) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (18/11215) der Fraktion Die Linke hervor. Demnach waren im Jahr 2015 knapp 60 Prozent der Beschäftigten, die nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen, Frauen. Einer atypischen Beschäftigung (Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit mit 20 Arbeitsstunden und weniger pro Woche) gingen im Jahr 2015 rund fünf Millionen Frauen nach. Das entsprach einem Anteil von 31 Prozent an Frauen in der Gruppe der Kernerwerbstätigen (Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren, die nicht in Bildung oder Ausbildung sind). Aus der Antwort geht weiter hervor, dass es zum Stichtag 30. Juni 2016 bundesweit 4,6 Millionen geringfügig beschäftigte Frauen gab. Das entspricht einem Anteil von 60 Prozent an allen geringfügig Beschäftigten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 150 - 10. März 2017 - 10.59 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2017

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