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BUNDESTAG/6098: Heute im Bundestag Nr. 612 - 20.10.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 612
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 20. Oktober 2016, Redaktionsschluss: 10.48 Uhr

1. Mütter- und Kindergesundheit im Fokus
2. Plädoyer für den Erhalt des Filmerbes
3. Gefahr für Steuerabkommen


1. Mütter- und Kindergesundheit im Fokus

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Anhörung

Berlin: (hib/EB) Experten haben verstärktes Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung von Mütter- und Kindersterblichkeit gefordert, um die "Ziele für nachhaltige Entwicklung" (SDG) der Vereinten Nationen zu erreichen. In einem Fachgespräch des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 19. Oktober 2016 sagte Marwin Meier von der Organisation "World Vision e.V.", dass die Bundesregierung Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur internationalen Gesundheitsfinanzierung nur zu rund einem Drittel erfülle. Meier forderte die Bundesregierung auf, mindestens 400 Millionen Euro pro Jahr in den "Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria" einzuzahlen. Rund 45 Prozent dieser Mittel haben einen unmittelbaren Effekt auf die Reduzierung von Mütter- und Kindersterblichkeit, sagte er.

"Jede zwei Minuten stirbt eine Frau während der Schwangerschaft oder Geburt, 99 Prozent von ihnen in Entwicklungsländern, sagte Naveen Rao von der Initiative "Merck for Mothers". Gesundheitsversorgung sei nicht rechtzeitig zugänglich oder werde zu spät in Anspruch genommen. Fachpersonal und medizinische Geräte seien zu weit entfernt oder nicht bezahlbar, benannte Rao die Hauptgründe für Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern. Unternehmen könnten bei der Bekämpfung der Müttersterblichkeit nicht nur finanziell unterstützen, sondern auch Expertise einbringen, sagte Rao und plädierte für mehr Kooperation von öffentlichem und privatem Sektor.

Rund 290 Millionen Kinder weltweit würden bei der Geburt nicht registriert und tauchten daher in keinem Bildungs- oder Gesundheitsplan auf, ergänzte Yosi Echeverry Burckhardt von Unicef Deutschland. Auch das Recht auf Bildung könnten viele Kinder nicht verwirklichen. Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung sei jedoch essentiell für Kinderschutz und Kinderrechte. Bildungskampagnen müssten religiöse und traditionelle Führungsfiguren einbeziehen, um Wirkung zu erzielen, sagte Burckhardt.

Gisela Schneider, Direktorin des "Deutschen Instituts für Ärztliche Mission e.V." (Difäm), bezeichnete es als grundlegend, Armut zu bekämpfen, Bildung, Gendergerechtigkeit sowie den Zugang zu Familienplanung zu fördern. "Die SDG können wir nur erreichen, wenn wir Gesundheitssysteme als Ganze stärken", sagte sie. Dazu brauche es neben Finanzen, Infrastruktur und Medikamenten vor allem ausgebildetes Personal. Deutschland solle die Ausbildung von medizinischem Fachpersonal in Entwicklungsländern finanziell unterstützen, forderte Schneider.

Detlef Virchow von "Plan International Deutschland e.V." wies auf lückenhafte Geburtsregister und Gesundheitsdaten hin. Mehr als 100 Länder besäßen keine Systeme zur zivilen Registrierung und Bevölkerungsstatistik. Nach Geschlechtern differenzierte Daten seien aber notwendig, um Gründe für Ungleichheiten zu identifizieren . Zudem betonte er, dass viele Mädchen und Frauen ihre sexuellen und reproduktiven Rechte aufgrund von tief verwurzelten Geschlechterungerechtigkeiten nicht wahrnehmen könnten. Im Hinblick auf das UN High Level Political Forum 2017 in New York forderte er Nachbesserungen der SDG in den Bereichen Gesundheit und Geschlechtergerechtigkeit.

Einig waren sich die Experten, dass anstelle von Einzelprojekten multisektorale Ansätze wichtig sind, bei denen die verschiedene Politikfelder verzahnt werden.

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2. Plädoyer für den Erhalt des Filmerbes

Kultur und Medien/Anhörung

Berlin: (hib/DOK) Filmwissenschaftler, Produzenten und Archivare fordern eine Aufstockung der finanziellen Mittel zur Digitalisierung und Rettung des deutschen Filmerbes. "Lasst uns mit dem Anfangen anfangen", fasste Rainer Rother, Direktor der Stiftung Kinemathek, die Appelle der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses über den Antrag der Fraktion die Linke "Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten" (18/8888) zusammen.

Das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) als "Jahrhunderaufgabe" bezeichnete Unterfangen kostet nach dem Gutachten "Ermittlung des Finanzbedarfs zum Erhalt des Filmischen Erbes" der Wirtschaftsprüfer von PWC 473,9 Millionen Euro. Um diese Kosten zu schultern, diskutieren Bundesregierung, Bundesländer und die Filmwirtschaft seit mehreren Jahren über ein Bündnis für das Filmerbe. Zehn Millionen Euro sollen jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren für die Digitalisierung ausgegeben werden. Jeder der Partner soll ein Drittel der Kosten tragen. "Anschließend wissen wir, wie wir mit dem Rest der Bestände umgehen", sagte Rother. Er machte auf das Ungleichgewicht der Ausgaben für die Filmförderung, für die die drei Partner 330 Millionen Euro jährlich aufbringen, und die Bewahrung des Filmerbes aufmerksam. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2017 sind für die Digitalisierung eine Millionen Euro eingestellt. Von den Ländern haben bislang Berlin und Brandenburg ihren Anteil nach dem Königsteiner Schlüssel bereitgestellt, sie förderten im vergangenen Jahr Digitalisierungsvorhaben mit 450.000 Euro.

Die Filmförderungsanstalt unterstützt die Digitalisierung seit 2012 mit einer Million Euro jährlich, in diesem Jahr hat sie auf zwei Millionen aufgestockt. 15.000 Euro stehen je Film für eine Sicherung im 2K-Format bereit, die Rechteinhaber müssen einen Eigenanteil von 20 Prozent erbringen. Die Auswahl der Titel erfolgt nach drei gleichwertigen Kriterien, der kommerziellen Vermarktbarkeit des Films, filmkünstlerischen Gesichtspunkten und dem technischen Zustand des Originalmaterials.

Christine Grieb, Geschäftsführerin des Verbands der filmtechnischen Betriebe, unterstrich ebenso wie Alice Brauner, Geschäftsführerin der Berliner CCC Filmkunst GmbH, die Dringlichkeit der Erhöhung der finanziellen Mittel. Die professionellen Strukturen, das heißt das personelle Know-how und die technische Infrastruktur, würden verschwinden, wenn der Startschuss für das Bündnis nicht bald erfolgt. "Die Firmen sind in einer dramatischen wirtschaftlichen Situation, da der Markt ihre Leistungen ohne staatliche Unterstützung nicht abruft. Sie werden im kommenden Jahr schließen. Die Kapazitäten können nur mit hohem Aufwand wieder aufgebaut werden," führte Grieb aus.

Der Filmschatz von 250 Titeln der Produzentenlegende Artur Brauner ist akut gefährdet, darunter die Karl-May-Verfilmung "Im Reich des Silbernen Löwen". Seine Tochter Alice Brauner plädierte für die Digitalisierung im Format 4K Ultra HD. Für die digitale Überarbeitung des Filmklassikers "Es geschah am helllichten Tag" mit Heinz Rühmann gab sie gerade 25.000 Euro aus. "Unter diesem technischen Standard ist eine kommerzielle Auswertung im Kino oder im Fernsehen kaum möglich". Brauner forderte die öffentlich-rechtlichen Sender auf, das deutsche Filmerbe in die Hauptprogramme aufzunehmen.

Die Experten forderten unisono, auch die analogen Kopien zu pflegen. "Wir wollen auch alle Materialien dauerhaft im Originalzustand erhalten", betonte Michael Hollmann, Direktor des Bundesarchivs, zu dessen Bestand 150.000 Titel in 1,2 Millionen Filmrollen gehören. Mit dem gegenwärtigen Etat des Bundesfilmarchivs könne er diese Doppelstrategie jedoch nicht umsetzen. Die Schließung der eigenen Kopierwerke in Koblenz und Berlin-Hoppegarten ist bereits angekündigt, es sind die letzten am Traditionsstandort Deutschland. Bundesfilmarchiv und die Stiftung Deutsche Kinemathek hoffen, dass die Regierungsparteien ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen, die Zuweisungen für beide Institutionen zu erhöhen.

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3. Gefahr für Steuerabkommen

Finanzen/Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Pläne der Bundesregierung zur besseren Erfassung von im Ausland steuerfrei oder gering besteuerter Einkünfte sind bei einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses bei den meisten Sachverständigen auf starke Kritik gestoßen. "Die vorgesehenen Änderungen und Ergänzungen können im anderen Vertragsstaat angelegte Investitionsanreize für ausländische Unternehmen ins Leere laufen lassen", warnte zum Beispiel Arne Schnitger von PricewaterhouseCoopers in der Anhörung. Auch andere Sachverständige zeigten sich unzufrieden mit dieser sowie mit weiteren Bestimmungen in dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen (18/9536, 18/9956).

Mit dem Gesetz soll erreicht werden, dass international tätige Konzerne nicht mehr so einfach durch Ausnutzung nationaler Steuersysteme ihre Steuerlast senken können. Multinationale Unternehmen sollen Auskünfte über ihre Verrechnungspreise für Geschäftsvorfälle mit verbundenen Unternehmen geben müssen. Außerdem ging es in der Anhörung um zwei Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/2617, 18/9043) und um einen Änderungsantrag der Fraktion zu dem Gesetzentwurf. Die Fraktion fordert mehr Transparenz und das Schließen von Steuerschlupflöchern, um Gewinnverlagerungen internationaler Konzerne zu vermeiden.

Markus Henn (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung) begrüßte die Einführung der besseren Dokumentation und Berichterstattung zu Verrechnungspreisen und die neuen länderbezogenen Berichte. Auch Thomas Eigenthaler (Deutsche Steuer-Gewerkschaft) bewertete die "Country-by-Country-Reports" und weitere Maßnahmen wie Informationsaustausch und Verrechnungspreise positiv. Sie dienten dazu, Steuerflucht über die Grenze wirksam zu bekämpfen, zwischen den Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen zu sichern sowie einen "ruinösen und milliardenschweren Steuerwettbewerb zwischen den Staaten zu verhindern". Ähnlich äußerte sich Marcus Spahn vom nordrhein-westfälischen Finanzministerium. Gegen eine Veröffentlichungspflicht von Länderreporten der Konzerne wandten sich hingegen die Spitzenverbände der Wirtschaft in einer gemeinsamen Stellungnahme. Auch Reimar Pinkernell (Flick Gocke Schaumburg) sagte, im System der Verrechnungspreise würden Daten erhoben, die weder geeignet noch erforderlich seien und nicht der Anwendung der Steuergesetze dienen würden. Dieser massive Eingriff in das Steuergeheimnis sei nicht gerechtfertigt worden.

Schnitger von PricewaterhouseCoopers erklärte zur Besteuerung von Auslandseinkünften, in Zukunft werde beispielsweise eine von einem deutschen Unternehmen steuerfrei im Ausland in Anspruch genommene Investitionszulage in Deutschland versteuert werden müssen. Die Steuerfreiheit der Investitionszulage und die wirtschaftspolitische Maßnahmen des anderen Vertragsstaates würden damit ins Leere laufen. Der Bundesverband der deutschen Industrie beklagte, das deutsche Außensteuergesetz werde "zum Maßstab aller Dinge" gemacht, was zu Problemen mit anderen Ländern führen werde. "Der Rückfall des Besteuerungsrechts konterkariert auch steuerliche Lenkungsnormen des anderen Vertragsstaates, mit denen er zum Beispiel ökologisch sinnvolle Investitionen fördern will", stellte auch Pinkernell fest.

Grundsätzlicher argumentierte des Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in seiner Stellungnahme zum Themenkomplex der Verrechnungspreise: "Schon die Einführung einer solchen Vorschrift sei geeignet, "nachhaltig das Vertrauen auf eine verlässliche Abkommenspolitik Deutschlands im wichtigen Bereich der Verrechnungspreise zu untergraben. Die vorgeschlagene Regelung widerspricht ferner dem anerkannten Rechtsgrundsatz "pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten)", warnte das IDW, das Kündigungen von Doppelbesteuerungsabkommen durch andere Vertragsstaaten befürchtet. Wie die Spitzenverbände der Wirtschaft rechnet auch die Bundessteuerberaterkammer durch diese und andere Vorschriften mit steigende Steuern für im Ausland tätige deutsche Unternehmen.

Professor Guido Förster (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) warnte davor, die deutsche Gewerbesteuerpflicht auf niedrig besteuerte ausländische Einkünfte auszudehnen. Dies sei ein Verstoß gegen das für das Gewerbesteuergesetz geltende Territorialitätsprinzip. Professor Wolfram Scheffler (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) nahm grundsätzlich zu dem Themenkomplex Stellung: Das deutsche Unternehmenssteuerrecht funktioniere gut bei geschlossenen Grenzen, aber bei offenen Grenzen stoße das System "auf eine Welt, die anders tickt". Reparaturversuche könnten zu Verletzungen internationaler Verträge führen, warnte auch Scheffler.

Dagegen unterstützte Professor Lorenz Jarass (Hochschule RheinMain, University of Applied Sciences) die von anderen Sachverständigen kritisierten Regelungen, mit denen zum Teil auf Entscheidungen des Bundesfinanzhofes (BFH) reagiert wird: "Wenn nämlich, wie in diesem Fall die BFH-Rechtsprechung zu Regelungen führt, die dem vom Gesetzgeber gewollten Ergebnis widersprechen, so ist der Gesetzgeber gehalten, die Gesetze entsprechend anzupassen." Torsten Falk (Hessisches Ministerium der Finanzen) und sein nordrhein-westfälische Kollege Spahn sahen dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf , da es viele Fälle gebe, in denen versucht werde, Betriebsausgaben doppelt geltend zu machen.

Als völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar bezeichnete Werner Thumbs (Boehringer Ingelheim) die in dem Gesetzentwurf dargestellten Kosten für die Unternehmen, die laut Bundesregierung 536.000 Euro betragen sollen. Schätzungen von betroffenen Unternehmen hätten einen einmaligen Umstellungsaufwand von 25 Millionen Euro und laufende jährliche Kosten von zehn bis 25 Millionen Euro ergeben.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 612 - 20. Oktober 2016 - 10.48 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2016

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