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BUNDESTAG/5262: Heute im Bundestag Nr. 462 - 22.09.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 462
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 22. September 2015, Redaktionsschluss: 09.32 Uhr

1. Ermittler sind für Vorratsdatenspeicherung
2. Hürden beim deutsch-russischen Austausch
3. Aktivitäten des Clubs von Venedig
4. Palliativ- und Hospizversorgung
5. Gegenerzählungen zu Terror-Botschaften
6. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte


1. Ermittler sind für Vorratsdatenspeicherung

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist aus Sicht von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu begrüßen. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Montag deutlich. Die gegenteilige Ansicht vertraten Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltsverein und der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, die sich gegen das in gleichlautenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung (18/5171) sowie der Fraktionen von CDU/CSU und SPD (18/5088) geplante Vorhaben aussprachen, künftig wieder Telekommunikationsverkehrsdaten sämtlicher Bürger verdachtsunabhängig zu speichern. Laut den Entwürfen sollen Telekommunikationsunternehmen, Internetprovider und andere Zugangsanbieter verpflichtet werden, sogenannte Verkehrsdaten zehn Wochen lang zu speichern. Standortdaten, die bei der Nutzung von Mobildiensten anfallen, sollen vier Wochen lang gespeichert werden. 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die damals geltende Regelung der Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig erklärt.

Die Möglichkeit der Verkehrsdatenabfrage sei ein "aus der ermittlungstaktischen Arbeit der Strafverfolgungsbehörden nicht wegzudenkendes Ermittlungsinstrument", sagte Nikolaus Berger, Richter am Bundesgerichtshof (BGH). Lediglich auf die geschäftsmäßige Speicherung der Verkehrsdaten durch die betreffenden Telekommunikationsunternehmen zu vertrauen, biete keine ausreichende Grundlage für eine rechtsstaatliche Aufklärung schwerer Straftaten, da Ergebnisse von Strafverfahren nicht zufallsbedingt von der Speicherpraxis der verschiedenen Unternehmen abhängen dürften. Skeptisch zeigte sich Berger bezüglich der in den Gesetzentwürfen enthaltenen Speicherfristen, die sich als zu kurz erweisen dürften.

Dem stimmte Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, zu. Die kurzen Speicherfristen seien "weder verfassungsrechtlich geboten noch ermittlungstechnisch ausreichend", sagte er und sprach sich für eine Sechs-Monats-Frist aus. Die Speicherfristen dürften nicht politisch motiviert festgelegt werden sondern müssten sich nach den Bedürfnissen der Praxis richten, forderte Frank. Gleichzeitig nannte er es "nicht nachvollziehbar", dass der E-Mail-Verkehr sowie die Daten über aufgerufene Internetseiten bei der Speicherung ausgeklammert werden sollen.

Im Bereich der Internetkriminalität sei die Datenspeicherung unverzichtbar, betonte Oberstaatsanwalt Rainer Franosch als Vertreter des Hessischen Justizministeriums. Die Gesetzentwürfe trügen dem zwar grundsätzlich Rechnung, sagt er. Die kurzen Speicherfristen und der zu sehr eingeschränkte Straftatenkatalog seien jedoch praxisuntauglich. Die Polizei unterstütze die Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, sagte Frank Thiede vom Bundeskriminalamt (BKA). Es gehe dabei nicht darum, "die Daten fünf Jahre zu speichern", machte er deutlich und sprach sich für eine Speicherfrist von sechs Monaten aus. Die Gesetzentwürfe, so der BKA-Vertreter, stellten einen Fortschritt dar "gegenüber dem Stillstand nach 2010, den wir ertragen mussten".

Eine klare Ablehnung der Pläne von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen gab es durch Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltsverein. Die Entwürfe seien weit davon entfernt, die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundene Überwachung von 80 Millionen Bürgern rechtfertigen zu können, sagte Sandkuhl. Es gebe keine valide Untersuchung, wonach dieser schwerwiegende Rechtseingriff erforderlich sei. Zudem würden vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemachte Vorgaben - etwa zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern - nicht ausreichend beachtet, kritisiert die Anwaltsvertreterin.

Strittig unter den Experten war auch, ob die Regelung verfassungsrechts- und europarechtskonform ist. Aus Sicht von Meinhard Starostik verstößt die geplante Regelung sowohl gegen die EU-Grundrechte als auch gegen die Deutsche Verfassung. Schon in seinem Urteil von 2010 habe das Bundesverfassungsgericht die mit der Speicherung von Verkehrsdaten verbundene Gefahr der Persönlichkeitsprofilerstellung gesehen. Seitdem, so Starostik, habe es eine Zunahme der Datenabfassung gegeben. Mit Blick auf die europäische Ebene verwies der Anwalt auf die Vorgaben des EuGH, der eine EU-Richtlinie unter anderem deshalb gestoppt hatte, weil Berufsgeheimnisträger nicht von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen waren.

Professor Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg machte deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht 2010 zwar die damalige Regelung für verfassungswidrig erklärt habe, "nicht aber grundsätzlich die Speicherung von Daten". Zwar gebe es bei dem Gesetzentwurf Klarstellungsbedarf. Die Regelung wahre aber den vom Gericht gesetzten Rahmen und bleibe teils sogar hinter den Vorgaben zurück. Ähnlich stelle es sich auf europäischer Eben dar, so Wollenschläger weiter. Das EuGH-Urteil zur entsprechenden Richtlinie sei kein grundsätzliches Nein zur Verkehrsdatenspeicherung, sagte er.

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2. Hürden beim deutsch-russischen Austausch

Auswärtiges/Antwort

Berlin: (hib/AHE) Die Bundesregierung bestätigt die Einführung des Visainformationssystem (VIS) ab Mitte September 2015 an den Visastellen der Schengen-Mitgliedstaaten in Russland. Fortan werden ein Lichtbild sowie die Fingerabdrücke als biometrische Daten des Antragstellers erhoben, heißt es in einer Antwort (18/5975) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/5837). Die Einrichtung des VIS erfolge auf der Grundlage der EU-Verordnung 767/2008 vom Juli 2008, die das Europäische Parlament und der Rat erlassen hätten. Die Bundesregierung habe der Einrichtung des VIS zugestimmt.

Das Auswärtige Amt biete den im deutsch-russischen Jugendaustausch tätigen Organisationen Beratung zur Identifizierung von organisatorischen Lösungen an, um die mit der Fingerabdruckabgabe verbundene Belastung für die Reisenden im Rahmen von Jugendaustauschprogrammen so gering wie möglich zu halten, heißt es in der Antwort weiter. An der Botschaft Moskau stehe eine Ansprechpartnerin für alle (Visa-)Fragen im Zusammenhang mit dem deutsch-russischen Jugendaustausch zur Verfügung. Die deutschen Auslandsvertretungen in Russland würden alle rechtlich möglichen Visaerleichterungen zur Unterstützung des Kinder- und Jugendaustauschs und anderer Formen des zivilgesellschaftlichen Austauschs ausschöpfen. "Soweit möglich, werden Visa für diesen Personenkreis gebührenfrei erteilt." Kinder unter zwölf Jahren seien zudem von der Pflicht zur Abgabe von Fingerabdrücken befreit.

"Änderungen des Visakodex können nur von der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden und müssen im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament eine ausreichende Mehrheit finden. Eine Erweiterung der Ausnahmetatbestände zur Fingerabdruckpflicht im Rahmen der laufenden Revision des Visakodex wird von der Europäischen Kommission nicht in Betracht gezogen", schreibt die Bundesregierung.

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3. Aktivitäten des Clubs von Venedig

Auswärtiges/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/AHE) Die "Europäischen Kommunikationsstrategien im Club von Venedig" sind Gegenstand einer Kleinen Anfrage (18/5983) der Fraktion Die Linke. Die Abgeordneten erkundigen sich unter anderem nach der Mitgliedschaft der Bundesregierung in diesem "informellen Netzwerk" beziehungsweise nach der Teilnahme von Angehörigen von Ministerien oder sonstigen Einrichtungen der Bundesregierung an Treffen des Clubs. Zudem soll die Bundesregierung Auskunft geben über Zielsetzungen sowie Inhalte von Konferenzen und Workshops des Netzwerks.

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4. Palliativ- und Hospizversorgung

Gesundheit/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/PK) Mit der stationären Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland befasst sich die Fraktion Die Linke in einer Kleinen Anfrage (18/6007). Die eklatante Unterversorgung in diesem Bereich sei inzwischen unstrittig. So fehlten in Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen Palliativfachkräfte und Palliativkonzepte.

Durch die Einführung der Fallpauschalen (DRG) sowie die Kürzung der Pauschale für die palliativmedizinische Komplexbehandlung 2013 sei der Kostendruck auf die Kliniken nochmals erhöht worden, heißt es in der Anfrage weiter. Durch Arbeitsverdichtung und Personalmangel könne ferner eine "Begleitkultur" in stationären Pflegeeinrichtungen nicht wachsen. Von einem "Sterben zweiter Klasse" in Pflegeheimen und von skandalöser Ungleichbehandlung in der Vergütung der Sterbebegleitung für Pflegeheimbewohner im Vergleich zu stationären Hospizen sprächen Fachverbände.

Die Abgeordneten verlangen nun von der Bundesregierung eine konkrete Bestandsaufnahme.

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5. Gegenerzählungen zu Terror-Botschaften

Inneres/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/STO) Die Fraktion Die Linke will wissen, was der Bundesregierung über Pläne der EU zur Einrichtung einer "Arbeitsgruppe zur Schaffung von Gegen-Botschaften" bekannt ist, um den "von Terrororganisationen verwendeten radikalen Botschaften zu entgegnen". In einer Kleinen Anfrage (18/6004) erkundigt sich die Fraktion zudem danach, welche Botschaften oder "Gegenerzählungen" die Bundesregierung gegenüber der Terrororganisation "Islamischer Staat" oder ihren Sympathisanten für besonders wichtig hält. Auch fragt sie unter anderem, auf welche Weise die "Gegenerzählungen" aus Sicht der Bundesregierung veröffentlicht werden könnten.

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6. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte

Inneres/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/STO) Um Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte geht es in einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke (18/5997). Darin erkundigen sich die Abgeordneten danach, in wie vielen Fällen dieser Angriffe die Bundesregierung seit Jahresbeginn von einer konkreten Bedrohung für Leib und Leben von Asylbewerbern ausgeht. Auch wollen sie unter anderem wissen, welche Überlegungen es seitens der Bundesregierung zum besseren Schutz der Flüchtlinge und ihrer Einrichtungen gibt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 462 - 22. September 2015 - 09.32 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2015

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