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BUNDESTAG/4683: Heute im Bundestag Nr. 548 - 03.11.2014


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 548
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 03. November 2014, Redaktionsschluss: 17.50 Uhr

1. Disput um Leistungen für Asylbewerber
2. Endlager-Gesetz im Fokus



1. Disput um Leistungen für Asylbewerber

Ausschuss für Arbeit und Soziales (Anhörung)

Berlin: (hib/CHE) Die geplanten Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) durch einen Gesetzentwurf (18/2592) der Bundesregierung stoßen bei Experten zwar auf grundsätzliche Zustimmung. In einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag plädierte die Mehrheit der geladenen Sachverständigen aber zugleich für Korrekturen zum Beispiel bei der Gesundheitsversorgung. Thema der Anhörung waren neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der eine deutliche Anhebung der Leistungen für Asylbewerber aber zugleich ein Festhalten am Sachleistungsprinzip vorsieht, auch ein Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen (18/2736) und ein Antrag (18/2871) der Linken. Darin setzen sich die Oppositionsfraktionen für eine Abschaffung des AsylbLG ein.

Jörg Süshardt, Vertreter der Stadt Dortmund, kritisierte die bisherigen und die geplanten Regelungen zur Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge als zu umständlich. Die Kommunen "spielen gezwungenermaßen Krankenkasse", denn alle Behandlungen, die nicht akut seien, müssten beantragt werden, dies binde sehr viele Ressourcen in der Verwaltung, betonte er. Thorsten Schönherr von der AOK Bremen/Bremerhaven lobte das "Bremer Modell", das jeden Asylbewerber mit einer Gesundheitskarte ausstattet. So könnten die Leistungen direkt abgerufen und für die Asylbewerber ein "größtmögliches Maß an Normalität" ermöglicht werden, sagte Schönherr. Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin zählte eine Vielzahl von Fällen auf, in denen Asylbewerbern dringend nötige, zum Teil überlebenswichtige medizinische Behandlungen verwehrt worden seien. "Das darf nicht sein", sagte er. Bereits in seiner schriftlichen Stellungnahme hatte Classen geäußert, die vom AsylbLG vorgesehene "Minimalmedizin" fördere aufgrund unklarer Maßgaben "Behördenwillkür" und verstoße gegen das Menschenrecht auf Gesundheit. Kerstin Becker vom Deutschen Roten Kreuz betonte, die medizinische Sonderbehandlung von Asylbewerbern führe zu einer oft vermeidbaren "Chronifizierung von Krankheiten". Eine Integration der Betroffenen in das System der gesetzlichen Krankenversicherung sei "längst überfällig", sagte sie.

Die Forderung der Oppositionsfraktionen nach einer sofortigen Integration aller Asylbewerber in das System der Sozialgesetzbücher bewerteten die Experten unterschiedlich. Ursula Gräfin Praschma vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) betonte, es sei sehr sinnvoll, am bisherigen Prinzip des "Alles unter einem Dach" festzuhalten. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf erfülle die Anforderungen einer Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums und berücksichtige die besondere Situation von Asylsuchenden, indem der existenznotwendige Bedarf an Geld- und Sachleistungen gesichert werde. Das BAMF warnte in seiner Stellungnahme zugleich davor, dass die Leistungen des AsylbLG nicht dazu dienen dürften, "Anreize für Wanderungsbewegungen" zu setzen. Auch Verena Göppert vom Deutschen Städtetag warnte vor "gravierenden finanziellen Folgen", die eine sofortige Integration der Asylsuchenden in das Zweite Sozialgesetzbuch für die Kommunen bedeuten würde. Auch müsse man sich gut überlegen, ob es sinnvoll sei, bei den Betroffenen sofort mit einer arbeitsmarktpolitischen Integration zu beginnen, gab Göppert zu Bedenken. Ihrer Ansicht nach entstünden schon durch die von der Regierung geplante Verkürzung der Wartezeit von 48 auf 15 Monate für den Bezug von Leistungen nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch "erhebliche Mehrkosten vor allem im Gesundheitsbereich". Während der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag in ihrer gemeinsamen Stellungnahme betonen, das AsylbLG tauge nicht als Instrument der Zuwanderungspolitik, forderten die Vertreter von DRK, Flüchtlingsrat Berlin und der Stadt Dortmund dagegen eine sofortige Integration der Asylsuchen auch in die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des Zweiten Sozialgesetzbuches, um die Integration der Betroffenen zu beschleunigen. Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge hielt den Gesetzentwurf der Bundesregierung statt dessen für eine "sachlich angemessene" Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2012. D arin hatten die Richter das AsylbLG für unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums bezeichnet.

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2. Endlager-Gesetz im Fokus

Endlager-Kommission (Anhörung)

Berlin: (hib/SCR) Mehrere Experten haben bei einer Anhörung zur Evaluierung des Standortauswahlgesetzes (StandAG) in der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlager-Kommission) am Montagmittag Zweifel an einzelnen Aspekten der Verfahrensausgestaltung in dem Gesetz angemeldet. In der Kritik stand unter anderem das im Gesetz vorgesehene Verfahren, nach dem der Bundestag vor allem per Gesetzesbeschluss die Auswahl des Standortes entscheiden soll. Ullrich Wollenteit von der Kanzlei Günther stellte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung in Frage. Das Verfahren habe "gravierende Auswirkungen auf den Rechtsschutz", denn ein Gesetzesbeschluss könne nur per Verfassungsbeschwerde angegriffen werden. Laut Olaf Däuper von der Kanzlei Becker Büttner Held folge daraus, dass nur ein beschränkter Kreis von Personen beschwerdeberechtigt sein werde, Umweltverbände etwa hätten kein Klagerecht. Zudem sei der Prüfungsmaßstab auf die Verfassung begrenzt, während bei der Alternative - eine Verwaltungsentscheidung - auch einfache Gesetze herangezogen werden könnten. Bettina Keienburg von der Kanzlei Kümmerlein verwies zudem darauf, dass durch eine gesetzliche Standortfestlegung auch europarechtliche Probleme in Hinblick auf den Rechtsschutz bei der Umweltverträglichkeitsprüfung auftreten könnten.

Marc André Wiegand von der Universität Leipzig problematisierte die Art der Einbindung der Öffentlichkeit. Das Gesetz sehe eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Allerdings könne eine Verletzung dieser Vorschriften kaum gerügt werden, da sie nicht in rechtlich anfechtbare Verwaltungsentscheidungen, sondern in praktisch unangreifbare Gesetzentwürfe mündeten. Hans Peter Bull, emeritierter Professor von der Universität Hamburg, hingegen hob die Vorteile des gewählten Verfahrens im Kontrast etwa zu einem Planfeststellungsverfahren hervor. Der Gesetzgeber habe eine "höhere Legitimation". Zudem dürfe sich die Politik - auch unter Beteiligung der Öffentlichkeit und Wissenschaft - nicht aus der Verantwortung entfernen, sondern müsse Entscheidungskompetenzen nutzen.

In der Frage der Kostenbeteiligung der Atomkonzerne bei der Standortsuche gingen die Meinungen auseinander. Hans-Wolfgang Arndt, emeritierter Professor von der Universität Mannheim, bezweifelte die Verfassungsmäßigkeit der Regelung, nach der die Kernkraftbetreiber über ein Umlageverfahren die Standortsuche finanzieren sollen. Johannes Hellermann, Professor an der Universität Bielefeld, bejahte die grundsätzliche Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Zu klären sei allerdings, welche Kosten genau umgelegt werden können.

Auch die Frage nach der Einbeziehung von Gorleben in die Standortsuche war Thema der Expertenausführungen. Laut StandAG wird Gorleben nicht ausgeschlossen, allerdings wurde ein Erkundungsstopp ausgesprochen. Laut Ullrich Wollenteit hätte Gorleben im Gesetz aber ausgeschlossen werden müssen, um eine Vorentscheidung auf diesen Standort zu vermeiden. Herbert Posser von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer kritisierte hingegen, dass der Erkundungsstopp auf einer unzulässigen Prämisse im StandAG beruhe, nämlich die Annahme, dass ohne Erkundungsstopp trotz Neuanfang der Standortsuche eine Vorfestlegung geschehe. Der Erkundungsstopp sei folglich nicht rechtmäßig. Die Einbeziehung Gorlebens wurde auch von Helmut Röscheisen vom Deutschen Naturschutzring kritisch hervorgehoben. Grundsätzlich müsse zudem die Öffentlichkeitsbeteiligung verbessert werden. Röscheisen mahnte eine zügige Überarbeitung des Gesetzes an, um die "fundamentalen Konstruktionsfehler" auszuräumen.

Vor Beginn der eigentlichen Anhörung hatte die Ko-Vorsitzende der Kommission, Ursula Heiner-Esser, Kritik an mehreren Verbänden geübt, die öffentlich ihre Teilnahme an der Anhörung abgelehnt hatten. Hubertus Zdebel (Die Linke) verteidigte die Absage der Verbände hingegen mit Verweis auf die grundsätzliche Skepsis, mit der die Verbände die Kommission seit Anbeginn begleitet hätten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 548 - 3. November 2014 - 17.50 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2014