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BUNDESTAG/4492: Heute im Bundestag Nr. 357 - 02.07.2014


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 357
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 02. Juli 2014, Redaktionsschluss: 18.25 Uhr

1. Freigabe der Pille danach strittig
2. Disput um Flüchtlingspolitik
3. Multi-Stakeholder-Prozess stärken
4. Koalition will schnelles Internet



1. Freigabe der Pille danach strittig

Ausschuss für Gesundheit

Berlin: (hib/PK) Die mögliche Rezeptfreigabe der sogenannten "Pille danach" mit dem Wirkstoff Levonorgestrel (LNG) ist unter Gesundheitsexperten weiter umstritten. Bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch äußerten Ärztevertreter konkrete medizinische Bedenken. Sozialverbände plädieren hingegen dafür, die Pille aus der Rezeptpflicht zu entlassen, um Frauen und vor allem Mädchen einen schnellen und eigenständigen Weg zur Notfallverhütung zu eröffnen.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfiehlt, LNG rezeptfrei anzubieten, da das Hormonmittel ausreichend getestet sei und keine unerwünschten Nebenwirkungen entfalte. In zwei Anträgen fordern die Fraktionen Die Linke (18/1617) und Bündnis 90/Die Grünen (18/492), von der Rezeptflicht abzusehen. Das Bundesgesundheitsministerium und die Unionsfraktion wollen an der Rezeptpflicht für die "Pille danach" jedoch festhalten.

Nach Ansicht des Berufsverbandes der Frauenärzte (bvf) ist die Abgabe der Pille nicht unproblematisch, weil zum Beispiel ab einem Körpergewicht von 75 Kilogramm die Wirkung infrage gestellt sei. Von dieser Einschränkung seien rund ein Drittel der Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren betroffen. Wäre die Pille freigegeben, würden sich Frauen und Mädchen auf deren Wirksamkeit verlassen, was ungewollte Schwangerschaften und Abtreibungen zur Folge hätte. Überdies gebe es ausreichend Ärzte und Bereitschaftsärzte, um die nötige Beratung auch zeitnah sicherzustellen. In vielen Fällen sei die Verordnung der Pille beispielsweise gar nicht nötig.

Bedenken kamen auch vom Forschungsinstitut für Frauengesundheit der Universität Tübingen. In Deutschland sei mit der jetzigen Regelung die Zahl der ungewollten Schwangerschaften unter Minderjährigen und die Abbruchrate bei Mädchen unter 18 Jahren deutlich zurückgegangen. Entscheidend sei eine umfassende Aufklärung und der Schutz der Mädchen und nicht die rezeptfreie "Pille danach". Derzeit bekämen die Mädchen die Pille auf Rezept in den Apotheken kostenlos, würde sie freigegeben, müssten 18 Euro bezahlt werden. Dies wäre eine Benachteiligung der jungen Mädchen, die oft so viel Geld nicht hätten. Überdies könne ein Apotheker allein nicht beurteilen, aus welchem Grund ein Mädchen in die Verhütungsnotlage gekommen sei.

Von guten Erfahrungen mit LNG berichtete ein Vertreter der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Es habe vor der Freigabe der Pille auch in Österreich kontroverse Debatten gegeben, nun sei jedoch eine "Erfolgsgeschichte" daraus geworden, da sich alle Befürchtungen nicht bewahrheitet hätten. So könne von einem sorglosen Umgang mit dem Hormonmittel nicht die Rede sein, auch Nebenwirkungen habe das Präparat nicht. Umfragen hätten zudem ergeben, dass in vielen Fällen Frauen aus festen Beziehungen die Pille nachfragten. Über die Beratungsqualität in Apotheken gebe es keine Beschwerden.

Eine Frauenärztin von der Berliner Charité wies darauf hin, dass LNG seit 30 Jahren verwendet werde und gut erforscht sei. Das noch wirksamere Alternativpräparat Ulipristalazetat gehöre zu einer anderen Substanzklasse und sei mit LNG nicht vergleichbar. Schwerwiegende Nebenwirkungen seien bei LNG nicht bekannt.

Der Bundesverband pro familia erinnerte an den Zeitfaktor. Nur ein schneller Zugang zu dem Präparat, auch am Wochenende und auf dem Land, sichere den Erfolg. Apotheker seien für die Beratung ausreichend qualifiziert.

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2. Disput um Flüchtlingspolitik

Innenausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/STO) In der Debatte um die europäische und deutsche Flüchtlingspolitik ist der Ruf nach mehr legalen Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge bei Experten umstritten. Dies wurde am Mittwochnachmittag bei einer Anhörung des Innenausschusses zu einem Antrag der Fraktion Die Linke (18/288) "für eine offene, solidarische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union" deutlich.

Darin plädiert die Fraktion dafür, sichere Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen, "indem Visa zur Durchführung eines Asylverfahrens erteilt werden". Auch bedürfe es eines gemeinsamen Programms zur Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Personen, die vom UNHCR in anderen Ländern als Flüchtlinge bereits anerkannt wurden, dort jedoch nicht bleiben können. Zudem sei es vor dem Hintergrund von Millionen syrischer Flüchtlinge auf EU-Ebene erforderlich, unverzüglich eine gemeinsame Aufnahmeaktion zur Entlastung der überforderten Nachbarstaaten Syriens zu starten und Evakuierungen aus Syrien vorzunehmen.

Ferner fordert die Fraktion in der Vorlage, die EU-Grenzschutzagentur Frontex aufzulösen. Die Rettung von in Seenot geratenen Menschen dürfe nicht durch Straf- und Sanktionsandrohungen verhindert werden; gerettete Schutzsuchende müssten einen sicheren Zugang zu einem fairen Asylverfahren in der EU erhalten. Auch soll nach dem Willen der Fraktion unter anderem die sogenannte Dublin-Verordnung geändert werden, "so dass Asylsuchende die Wahl haben, in welchem der Mitgliedsstaaten sie ihr Asylverfahren durchführen wollen, etwa wegen familiärer Bindungen oder besonderer Sprachkenntnisse".

Steffen Angenendt vom Deutschen Institut für internationale Politik und Sicherheit betonte, zur Verhinderung weiterer Tragödien an den Außengrenzen wäre es naheliegend, die legalen Möglichkeiten für schutzsuchende Flüchtlinge zum Familiennachzug zu erweitern und weitere Programme zur Arbeitsmigration einzurichten. Letztlich fehlten Angebote für legale Migration.

Günter Burkhardt vom Förderverein Pro Asyl plädierte ebenfalls dafür, Flüchtlingen legale Wege in die EU zu eröffnen. Ferner formulierte er als "zentrale Forderung", "die Push-back-Praxis an den Außengrenze zu stoppen".

Der Direktor des Italienischen Flüchtlingsrates, Christopher Hein, verwies darauf, dass in den vergangenen 15 Jahren Schätzungen zufolge mehr als 20.000 Menschen "auf dem Weg nach Europa" ums Leben gekommen seien. Es gebe keine Antwort auf die Frage, wie ein Schutzbedürftiger "physisch nach Europa herein" kommt. Die Situatiuon sei gekennzeichnet von illegaler Wanderung, da es keine Möglichkeit der legalen Wanderung gebe.

Der Konstanzer Professor Kay Hailbronner sagte demgegenüber, eine Erweiterung der Zugangswege sei kontraproduktiv, "weil sie letztlich zu einem Verlust der Steuerung führt". Grenzüberwachung und Einwanderungskontrolle seien unverzichtbar.

Klaus Rösler von der EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstrich, dasss Grenzschutz nicht alleine der Migrationskontrolle diene, sondern in erster Linie der Förderung regulärer Reisebewegungen und der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Vor allem sei Grenzschutz nicht das einzige und "kein umfassend geeignetes Mittel zur Migrationssteuerung". Für Frontex gehörten "effektiver Grenzschutz und Förderung des Grundrechtsschutz zusammen".

Jan Schneider vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration warb dafür, über eine Weiterentwicklung des Dublin-Mechanismuses nachzudenken. Derzeit gebe es "keine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten bei der Aufnahme von Asylsuchenden in Europa".

Robert K. Visser vom European Asylum Support Office hob hervor, dass die Zahl der Flüchtlinge in den letzten Jahren ständig angestiegen sei. Zugleich sah er beträchtliche Fortschritte auf dem Weg hin zu einem gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen in Asylfragen. In seiner schriftlichen Stellungnahme nannte er es als "oberstes Ziel" des Gemeinsamen Europäischen Asylsyems, durch ein einheitliches Verfahren in der EU "in gleichen Situationen zu gleichen Ergebnissen zu kommen".

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3. Multi-Stakeholder-Prozess stärken

Ausschuss Digitale Agenda (Anhörung)

Berlin: (hib/HAU) Der Multi-Stakeholder-Prozess im Bereich Internet Governance muss weiter gestärkt werden. In dieser Einschätzung herrschte unter den zu einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses Digitale Agenda geladenen Experten am Mittwochnachmittag Einigkeit. Staatliche Akteure, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft sollten auch künftig in international zusammengesetzten Foren gemeinschaftlich über die Verwaltung und Regulierung des Internets entscheiden, urteilten die Experten. Zugleich sprachen sie sich für eine stärkere Beteiligung deutscher Vertreter in den Gremien aus.

Parlament und Regierung müssten sich in stärkerem Umfang in Gremien beteiligen, die schlussendlich international verbindliche Richtlinien verabschieden würden, sagte Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Deutschen Internetwirtschaft (eco). "Die anderen Stakeholder stehen bereit", fügte er hinzu. Nur wenn Deutschland adäquat vertreten sei, könne auch Einfluss ausgeübt werden. Ähnlich bewertete dies Wolfgang Kleinwächter, Mitglied des ICANN, jener Institution, die unter anderem das zentrale Verwaltungsorgan zur Vergabe von Internetadressen darstellt. Aus seiner Sicht spielt in Deutschland die Diskussion über Internet Governance fast keine Rolle und wird nur in Expertengremien geführt. Empfehlenswert, so Kleinwächter, sei daher die Schaffung einer nationalen Internet Governance Plattform nach dem Vorbild des Multi-Stakeholder-Modells. "Ein handverlesener ministerieller Beirat reicht nicht", sagte er.

Das Multi-Stakeholder-Modell müsse erweitert werden, fand der Europarechtler Rolf H. Weber von der Universität Zürich. Wenn aber die "Nutzer" in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden sollten, stellten sich rechtlich neue Fragen. "Nicht nur in Bezug auf Transparenz sondern auch in Bezug auf die Legitimität, damit die 'Rechtsunterworfenen' auch Vertrauen erringen können." Schwierig sie dies vor allem, weil sich die Zivilgesellschaft aus ganz verschiedenen Gruppen zusammensetzen würde, die teils auch unterschiedliche Interessen hätten.

Mit Blick auf den NSA-Überwachungsskandal machte Dirk Krischenowski von der deutschen Abteilung der Internet Society deutlich, dass dies nicht mit mangelnder Internet Governance zu tun habe. "Es betrifft die Infrastruktur und damit Bereiche, auf die die Staaten eine weitgehende Kontrolle haben", sagte er. Angesichts dessen sei auch das angedachte Schengen-Routing verfehlt. Wolle man mehr Datensicherheit, müsse man für eine End-to-End-Verschlüsselung sorgen, forderte er. Eco-Chef Rotert hält die Umsetzung eines Schengen-Routings, bei dem ausschließlich europäische Datenleitungen genutzt werden sollen, zwar technisch für möglich. "Die Frage ist, wer das bezahlen soll", sagte er. Und auch ICANN-Mitglied Kleinwächter vertrat die Ansicht, dass das Netz nicht daran schuld sei, dass spioniert werde. "Wenn man gegen Überwachung vorgehen will, ist das Netz der falsche Ansatz", betonte er.

Dirk Brengelmann, Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amtes für Cyber-Außenpolitik, machte deutlich, dass die Bundesregierung mit deutlich größerem Interessen an der Debatte teilnehme, als es früher der Fall gewesen sei. Dies geschehe in Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem für den Internetausbau zuständigen Wirtschaftsministerium. Auf die Diskussion über ein Völkerrecht des Netzes eingehend sagte Brengelmann, man rechne hier nicht mit einem "Big Bang". Vielmehr sie das ein längerer Prozess. Im Übrigen gelte das Völkerrecht auch im Cyberspace. Wolfgang Kleinwächter äußerte sich skeptisch zu der Idee eines Völkerrecht des Netzes. Es bestehe zu einem das Risiko, dass das bestehende Völkerrecht verwässert werde. Zum anderen könne so das Mulit-Stakeholder-Modell unterlaufen werden.

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4. Koalition will schnelles Internet

Verkehr und digitale Infrastruktur/Antrag

Berlin: (hib/MIK) "Schnelles Internet für alle" fordern die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD in einem Antrag (18/1973), der am Donnerstag erstmals im Bundestag beraten wird.

Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Bundesregierung den Breitbandausbau in Deutschland im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel "konsequent" vorantreiben, um bis 2018 eine flächendeckende Versorgung mit mindestens 50 Mbit/s zu erreichen. Darüber hinaus soll sie eine dynamische Entwicklung verfügbarer Bandbreiten ermöglichen, die den zunehmenden Bedarf berücksichtigt und eine digitale Spaltung zwischen Ballungszentren und ländlichen Räumen vermeidet. In diesem Sinne soll die Breitbandstrategie des Bundes umfassend weiterentwickelt werden, um den Ausbau einer hochleistungsfähigen Glasfaserinfrastruktur sowie eines modernen Mobilfunknetzes in Kombination mit anderen Technologien zu unterstützen.

Weiter soll die Regierung für eine informations- und investitionsfreundliche Regulierung der Telekommunikationsmärkte sorgen, bei der Impulse für zusätzliche Investitionen gesetzt und Planungssicherheit geschaffen und eine starke deutsche und europäische Telekommunikations- und IT-Industrie sichergestellt wird.

Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung auf, bis zum Ende des dritten Quartals 2014 im Einvernehmen mit den Ländern einen nationalen Konsens zum Breitbandausbau anzustreben, insbesondere zur abgestimmten Ausgestaltung von Förderprogrammen und zur weiteren Frequenzplanung sowie mit den Ländern einen nationalen Konsens für eine zukunftsgerichtete terrestrische Fernsehversorgung mit dem Standard DVB-T2 und die Nutzung freiwerdender Frequenzen für die zusätzliche Versorgung mit leistungsfähigen mobilen Breitbandzugängen zu erarbeiten.

Die Regierung soll zudem bei ihrer weiteren Finanzplanung berücksichtigen, dass Fördermittel die Erreichung der Ausbauziele bis 2018 unterstützen. Sie soll außerdem schnell einen Gesetzentwurf vorlegen, in dem die Haftungsregelungen von WLAN-Betreibern klargestellt werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. Schließlich fordern die Abgeordneten unter anderem weiter, die Kommunen bei ihren Bemühungen zum Breitbandausbau zu unterstützen.

Damit Deutschland auch in Zukunft ein modernes Land bleibt, braucht es eine moderne Funk- und Festnetzbasierte Breitbandinfrastruktur, schreiben die Abgeordneten zur Begründung. Denn ebenso wie die Versorgungssicherheit bei Strom und Gas oder bei der Verkehrsinfrastruktur sei der Zugang zu einer breitbandigen Netzinfrastruktur für Verbraucher und Wirtschaft mittlerweile zu einem Schlüsselfaktor geworden. Es handele sich beim Zugang zur digitalen Welt um grundlegende Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben und der Innovationsgerechtigkeit, schreiben die Fraktionen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 357 - 2. Juli 2014 - 18.25 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2014