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BUNDESTAG/3798: Heute im Bundestag Nr. 198 - 15.04.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 198
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 15. April 2013 Redaktionsschluss: 16:20 Uhr

1. Stromnetzbetreiber loben Ausbaugesetz
2. Kontroverse um SPD-Entwurf zu Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht
3. Versicherungen wollen nicht von Bundesbank beaufsichtigt werden
4. Anhörung zum Europäischen Semester
5. Lebensqualität soll Ziel des Wirtschaftens werden



1. Stromnetzbetreiber loben Ausbaugesetz

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie/Öffentliche Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Die Übertragungsnetzbetreiber haben den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Zweiten Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze (17/12638) begrüßt. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie am Montag hieß es zum Beispiel vom Netzbetreiber 50hertz, schon jetzt sei eine positive Dynamik beim Netzausbau zu beobachten: "Aufgrund des gestiegenen politischen Rückhalts wurden bei einer Vielzahl von Genehmigungsverfahren und Bautätigkeiten viele wichtige Fortschritte erzielt." Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion erklärte, die gesetzliche Fortschreibung der Notwendigkeit von Leitungsverbindungen für die Bewältigung des Transportbedarfs in den elektrischen Höchstspannungsnetzen sei eine wesentliche Voraussetzung, um den Netzausbau in den kommenden Jahren zeitgerecht umsetzen zu können.

In dem Gesetzentwurf wird für insgesamt 36 Planungen für den Bau von Höchstspannungsleitungen die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf festgestellt. Eine Rechtswegverkürzung soll zur Beschleunigung der Verfahren beitragen. Für die Realisierung der in den Bundesbedarfsplan aufgenommenen Vorhaben werden Kosten in Höhe von schätzungsweise zehn Milliarden Euro entstehen. Dabei sind Mehrkosten für Erdkabel noch nicht berücksichtigt.

Außerdem geht es um einen vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes (17/11369). Damit soll der Vorrang der Erdverkabelung beim Ausbau der Stromnetze deutlicher als bisher im Energiewirtschaftsrecht zum Ausdruck kommen. Gegenstand der Anhörung waren zudem zwei Oppositionsanträge. So will die SPD-Fraktion den Netzausbau bürgerfreundlich und zukunftssicher gestalten (17/12681), und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will den Ausbau der Übertragungsnetze durch eine Deutsche Netzgesellschaft und finanzielle Bürgerbeteiligung (17/12518) voranbringen. Ob eine Bürgerbeteiligung gegen den Willen der Netzunternehmen rechtlich möglich sei, bezweifelte aber Gernot Schiller (Kanzlei Redeker Sellner Dahs).

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) begrüßte die Vorlage des Gesetzentwurfs als "wichtigen Schritt zur Beschleunigung des notwendigen Netzausbaus auf der Höchstspannungsebene, der für ein Gelingen der Energiewende entscheidend ist". Allerdings lehnte der BDEW die vom Bundesrat geforderte Freigabe der Möglichkeit zur Teil-Erdverkabelung ausdrücklich ab. Bevor über eine Ausweitung der Erdverkabelung im Bereich der Leitungen im Bereich von 380-Kilovolt (kV) entschieden werde, sollten zunächst die Erfahrungen mit den vier Pilotstrecken abgewartet werden. "Neben deutlich höheren Kosten birgt die Teil-Erdverkabelung Risiken, die die Versorgungssicherheit beeinträchtigen könnten", warnte der BDEW.

Die Bundesnetzagentur stellte fest: "Die Erdverkabelung muss zunächst durch Pilotvorhaben erprobt werden." Belastbare Erkenntnisse und Erfahrungen mit einer Erdverkabelung auf der Höchstspannungsebene lägen noch nicht vor. Professor Albert Moser (RWTH Aachen University) stellte in seiner Stellungnahme zu den 380 (220) kV-Übertragungsnetzen fest, aus technischer und wirtschaftlicher Sicht seien Freileitungen beim Übertragungsnetzausbau grundsätzlich zu bevorzugen. Erdkabel würden aber von der Bevölkerung in Siedlungsräumen eher akzeptiert. Angesichts der hohen Bedeutung eines zuverlässigen und sicheren Übertragungsnetzes sollten die Erdkabel erst erprobt werden. Eine gegenteilige Auffassung vertrat die Deutsche Umwelthilfe, die die vier Pilotprojekte für nicht ausreichend ansah und forderte: "Diese Möglichkeit zur Teilverkabelung halten wir vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion um neue Höchstspannungsleitungen nicht für ausreichend."

Mit grundsätzlicher Kritik meldete sich Professor Lorenz Jarass (Hochschule Rhein-Main Wiesbaden). Er bezeichnete Gesetzentwurf und Netzausbauplanungen als "einseitig von den Interessen der Stromerzeuger geprägt". Der geplante weit überdimensionierte Netzausbau bedrohe die gesellschaftliche Akzeptanz des weiteren Ausbaus erneuerbarer Energien und damit die Energiewende insgesamt. Als Grund für den überdimensionierten Ausbau der Netze nannte er die Interessen der Kohlekraftwerksbetreiber, Strom auch bei Starkwind ins Ausland exportieren zu können. Die Verbraucherzentrale Bundesverband zweifelte den Umfang der geplanten Netzausbaumaßnahmen an gab in ihrer Stellungnahme den Hinweis auf Alternativen bei der Erreichung der Ausbauziele für die erneuerbaren Energien, die möglicherweise "einen geringeren, zumindest aber einen zeitlich gestreckten Netzausbau möglich machen".

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2. Kontroverse um SPD-Entwurf zu Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht

Innenausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/STO) Ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion "zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht" (17/9187) stößt bei Experten auf ein gegensätzliches Echo. Dies wurde am Montag auf einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses zu der Vorlage deutlich. Während dabei etwa Thomas Berthold vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge betonte, der Gesetzentwurf sei "in seinem Grundanliegen zu begrüßen", sah Hans-Eckhard Sommer vom bayerischen Innenministerium für die Vorlage "keinen Bedarf aus Sicht der ausländerrechtlichen Praxis".

In dem Gesetzentwurf verweist die Fraktion darauf, dass die Bundesregierung im Juli 2010 die Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen habe. Um die deutsche Rechtslage an die Maßstäbe dieser Konvention anzupassen, bedürften mehrere Regelungen des Asylverfahrensgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes und des Achten Sozialgesetzbuchs der Änderung.

Der Vorlage zufolge soll im Aufenthalts- und im Asylverfahrensgesetz klargestellt werden, "dass bei der Rechtsanwendung das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist". Auch soll danach die "aufenthalts- und asylrechtliche Verfahrensfähigkeit" von bisher 16 auf 18 Jahre angehoben und allen unbegleiteten Minderjährigen im Asylverfahren ein gesetzlicher Vertreter zur Seite gestellt werden.

Für 16- und 17-Jährige soll laut Entwurf die Pflicht entfallen, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. "Stattdessen werden sie regelmäßig durch das Jugendamt in Obhut genommen", heißt es in der Vorlage weiter. Danach soll außerdem klargestellt werden, "dass unbegleitete Minderjährige nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, sondern in Obhut zu nehmen sind".

Ferner sieht die Vorlage unter anderem vor, dass das sogenannte Flughafenverfahren keine Anwendung auf unbegleitete Minderjährige findet. Stattdessen seien sie "durch das Jugendamt in Obhut zu nehmen, um so die Durchführung eines Clearingverfahrens zu gewährleisten". Zur Gewährleistung eines solchen Verfahrens will die Fraktion auch die Zurückweisung an der Grenze für unbegleitete Minderjährige ausschließen.

Berthold sagte, entscheidend sei, dass das Kindeswohl in allen Verfahrensschritten beachtet werde. Die Praxis zeige jedoch, dass dies "bislang einfach nicht der Fall ist". Es müsse um ein "Primat des Kindeswohls" gehen. Wichtig sei etwa, dass die Verfahrensfähigkeit auf 18 Jahre angehoben werde.

Hendrik Cremer von Deutschen Institut für Menschenrechte verwies darauf, dass unbegleitete Minderjährige "besonders empfänglich für die negativen Auswirkungen des Lebens in Flüchtlingszentren" seien. Cremer hob hervor, dass Artikel 20 der Kinderrechtskonvention "an einer konkreten Notsituation" ansetze: "Das Kind ist alleine und deshalb besonders schutzbedürftig". Daraus resultiere ein "Anspruch auf Betreuung und Unterkunft zum Wohl des Kindes", also "in einer geeigneten Kinderbetreuungseinrichtung". Darunter fielen Asylbewerberunterkünfte "sicherlich nicht".

Professor Kay Hailbronner von der Universität Konstanz unterstrich, Ausgangspunkt sei natürlich, dass das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt werden müsse. Warum dann aber die Verfahrensfähigkeit auf 18 Jahre angehoben werden müsse, sei ihm nicht ohne weiteres ersichtlich. Hailbronner wandte sich zudem gegen einen Ausschluss des Flughafenverfahrens. Es sei nicht zu "bestreiten, dass die spezifischen Bedürfnisse für Kinder" es erfordern, "dass man effektiv seinen Asylantrag stellen kann". Warum dies aber von vornherein beim Flughafenverfahren ausgeschlossen sein solle, leuchte ihm nicht ein.

Sommer sagte, er sehe durch die Aufhebung der Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention "keinen rechtlichen Änderungsbedarf". So sei es eine Selbstverständlichkeit, dass das Kindeswohl zu beachten ist. Dies brauche man nicht extra in das Gesetz schreiben. Auch lasse sich aus der Kinderrechtskonvention nicht die Notwendigkeit ableiten, die Verfahrensfähigkeit auf 18 Jahre anzuheben. Eine "deutliche Überinterpretation" der Konvention sei es ferner, auf die Möglichkeit zu verzichten, Kinder und Jugendliche an der Grenze zurückzuweisen.

Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz argumentierte, das Flughafenverfahren bleibe eine Option, solange man die strengen Auflagen des EU-Gesetzgebers beachte. Aus politischen Gründen könne man das Flughafenverfahren einschränken oder abschaffen, "rechtlich zwingend" sei dies jedoch nicht.

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3. Versicherungen wollen nicht von Bundesbank beaufsichtigt werden

Finanzausschuss/Öffentliches Fachgespräch

Berlin: (hib/HLE) Der deutschen Versicherungswirtschaft gefallen die von der Bundesregierung geplanten zusätzlichen Aufsichtsrechte der Deutschen Bundesbank nicht. Die Unterschiede zwischen Banken und Versicherungen, die zu einem Konglomerat gehören, müssten auch in einem einheitlichen Regelwerk gewahrt bleiben, verlangte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft in einem öffentlichen Fachgespräch des Finanzausschusses am Montag. "Vor diesem Hintergrund sind insbesondere die vorgesehenen Eingriffsbefugnisse der Deutschen Bundesbank gegenüber den der zusätzlichen Beaufsichtigung unterliegenden Versicherungsunternehmen abzulehnen", erklärte die Versicherungswirtschaft in ihrer Stellungnahme. Gegenstand des Fachgesprächs war der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/89/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Richtlinien 98/97/EG, 2002/87/EG, 2006/48EG und 2009/138/EG hinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigung der Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats (17/12602). Nach Branchenangaben sind sechs Unternehmen von dem Gesetzentwurf betroffen.

Mit dem Gesetzentwurf sollen die bisher im Kreditwesengesetz und im Versicherungsaufsichtsgesetz enthaltenen Regelungen zur Beaufsichtigung von Finanzunternehmen eines Finanzkonglomerats zusammengeführt und Regelungslücken geschlossen werden. Ziel ist die verschärfte Beaufsichtigung von Gruppen von Unternehmen aus verschiedenen Finanzmarktsektoren zum Beispiel aus dem Bankensektor und dem Versicherungssektor.

Professor Helmut Gründl (Goethe-Universität Frankfurt) stützte die Position der Versicherungswirtschaft. Es erscheine "inkonsistent und unnötig", der Bundesbank ein Auskunfts- und Prüfungsrecht für den Versicherungsbereich übertragen zu wollen. "Diese Übertragung kann zu Kompetenzgerangel zwischen Bundesanstalt und Bundesbank führen und erscheint im Hinblick auf die bei der Bundesanstalt bereits vorhandene, bei der Bundesbank aber erst aufzubauende diesbezügliche Aufsichtsexpertise ineffizient", warnte Gründl.

Dagegen stellte die Bundesbank selbst fest, ihre Funktion in der Bankenaufsicht werde im Rahmen der Aufsicht über Finanzkonglomerate umfassend berücksichtigt. Man sei schon nach bisheriger Rechtlage in die Aufsicht einbezogen. Das Prüfungsrecht im Versicherungsbereich liege aber eindeutig bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Deren Vertreter stellte klar, dass es keine Prüfungen durch die Bundesbank geben werde. Der Fondsverband BVI begrüßte den Gesetzentwurf, durch den "weitere Rechtsklarheit" geschaffen werde.

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4. Anhörung zum Europäischen Semester

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Berlin: (hib/AS) Das Europäische Semester steht im Mittelpunkt einer Anhörung, die der Europaausschuss des Bundestages am 17. April 2013 von 15.30 bis 17.30 Uhr veranstaltet (Ort: Europasaal, Paul-Löbe-Haus, Saal 4.900). Das Europäische Semester bezeichnet den jährlichen Zyklus, mit dem die Wirtschaftspolitiken der EU-Staaten besser miteinander koordiniert werden sollen. Dabei nimmt die EU-Kommission eine Analyse der Wirtschafts- und Strukturreformprogramme der Mitgliedstaaten vor und gibt Empfehlungen für die kommenden 12 bis 18 Monate ab.

Als Sachverständige sind dazu geladen: Professor Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, Rolf Kroker, Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, Professor Walter Hanesch von der Hochschule Darmstadt sowie Professor Andreas Maurer von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Interessierte Zuschauer werden gebeten, sich im Sekretariat des EU-Ausschusses unter europaausschuss@bundestag.de anzumelden und bei der Anmeldung die Nummer ihres Personalausweises und ihr Geburtsdatum anzugeben. Zur Sitzung muss das Personaldokument mitgebracht werden.

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5. Lebensqualität soll Ziel des Wirtschaftens werden

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Berlin: (hib/KOS) Die Entwicklung eines über das rein quantitative Wachstum hinausreichenden Wohlstandsbegriffs samt einer differenzierten Messung der Lebensqualität mit einem neuen Rechenmodell, das Plädoyer für eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte und die Forderung, die ökologischen Grenzen des Planeten auch als Grenzen der Politik zu akzeptieren, gehören zu den Kernbotschaften der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Bei der Vorstellung des Abschlussberichts und der anschließenden Debatte letzter Änderungsanträge und Sondervoten am Montag zeigte sich die Vorsitzende Daniela Kolbe (SPD) "sehr zufrieden" mit dem Ergebnis des Gremiums: "Nach 28 Monaten harter Arbeit dürfen wir heute ernten." Bei dem für den späten Nachmittag erwarteten Schlussvotum über den Gesamtbericht wollten alle fünf Fraktionen einmütig zustimmen - neben der Koalitionsmehrheit aus Union und FDP auch SPD, Linke und Grüne. Aus Sicht der Opposition kommen in den rund 1.000 Seiten in diversen Sondervoten auch ihre Positionen zur Sprache.

Vor dem Hintergrund von Umweltzerstörungen, Finanzkrisen und Verteilungsungerechtigkeiten hatten die 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftler die Aufgabe, das am quantitativen Wachstum ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für Wohlfahrt weiterzuentwickeln und um ökologische und soziale Aspekte zu ergänzen. Auf diesem Wege sollte die Kommission Wege hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften aufzeigen. Einigkeit herrscht, dass die Steigerung der Wirtschaftsleistung kein Selbstzweck mehr sein soll.

Für die Fraktionen von Union, SPD und FDP würdigten deren Obleute Georg Nüßlein, Edelgard Bulmahn und Florian Bernschneider das neue Wohlstands- und Fortschrittsmaß "W3 Indikatoren": Im Rahmen dieses Modells sollen neben dem "materiellen Wohlstand" auch die Dimensionen "Soziales und Teilhabe" sowie "Ökologie" künftig Auskunft geben, wie es um die Lebensqualität steht. Diese drei Kriterien werden wiederum über zehn "Leitindikatoren" wie beispielsweise BIP, Einkommensverteilung, Beschäftigungsniveau, Emissionen von Treibhausgasen oder Artenvielfalt sowie über neun "Warnlampen" und eine "Hinweislampe" gemessen. Bei Letzteren geht es etwa um den Standard bei der Weiterbildung oder der Arbeitsqualität. Die Kommission will im Bundestag durchsetzen, dass sich Parlament und Regierung künftig regelmäßig mit der Entwicklung der Wohlfahrt auseinandersetzen.

Nüßlein betonte, mit Hilfe des neuen Modells würden Ökologie und Nachhaltigkeit in die Messung von Lebensqualität integriert. Bulmahn meinte, dieses Modell verschaffe den Bürgern einen besseren Einblick in den Zustand des Landes. Bernschneider sieht im "W3 Indikatoren"-Ansatz den "maßgeblichen Erfolg" der Kommission. Linken-Sprecherin Ulla Lötzer und Grünen-Obmann Hermann Ott kritisierten dieses Konzept als zu kompliziert. Mit den vielen Indikatoren gehe das Ziel verloren, eine Alternative zum BIP zu entwerfen, sagte Lötzer.

Nüßlein wertete es als Erfolg, dass die Koalition Bestrebungen aus den Reihen der Opposition hin zu einer "sozialökologischen Transformation" der Gesellschaft abgewehrt habe. Der CSU-Politiker gab sich überzeugt, dass die soziale Marktwirtschaft auch die Herausforderung der Nachhaltigkeit bewältigen werde. Bei einer Debatte der Kommission über Ordnungspolitik betonte am Nachmittag auch der von der FDP benannte Sachverständige Karl-Heinz Paqué, es gehe um eine evolutionäre "pragmatische Anpassung" des "gezähmten Kapitalismus", um Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Ökologie zu erreichen, Verteilungsprobleme zu lösen oder die Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen. Bulmahn indes unterstrich, der Klimawandel, die Finanzkrisen und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich erforderten eine "Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung", wobei der Staat eine "aktive Rolle" zu spielen habe. Es müsse gelingen, das Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und den Rohstoffkonsum zu senken.

Lötzer warf der Koalition vor, Wachstum weiterhin als Voraussetzung für die Lösung der Probleme einzustufen. Da in Zukunft geringere Wachstumsraten absehbar seien, müsse man verstärkt über "Umverteilung" reden, ansonsten drohe eine fortschreitende "Demontage des Sozialstaats". Bernschneider lehnte eine "Nullwachstumspolitik" ab, Nüßlein wandte sich ebenfalls dagegen, Wachstum zu begrenzen. Bulmahn meinte, es sei zu klären, wo es Wachstum geben solle und wo nicht, geboten sei dies bei Bildung und Gesundheit. Ott mahnte, das Sozialsystem unabhängig vom Wachstum zu machen.

Der Grünen-Obmann lobte den Konsens in der Kommission, die ökologischen Grenzen des Planeten auch für die Politik zu akzeptieren. Übereinstimmung herrsche zudem darüber, dass die weltweite Reduzierung des Rohstoffkonsums nicht allein mit mehr technischer Effizienz zu bewerkstelligen sei. Als es jedoch "zum Schwur kam" und aus diesen Einsichten konkrete Forderungen abgeleitet werden sollten, habe sich die Koalition verweigert, kritisierte Ott. Nüßlein erklärte, es habe sich gezeigt, dass der Ressourcenverbrauch vom Wachstum "relativ entkoppelbar" sei.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 198 - 15. April 2013 - 16:20 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2013