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INNEN/4761: Anschlag durch Amri hätte verhindert werden können


Presseerklärung - DIE LINKE. im Bundestag vom 30. März 2017

Anschlag durch Amri hätte verhindert werden können


Zur gestrigen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste erklärt Dr. André Hahn, Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE stellvertretender Vorsitzender des Gremiums:

"Dem vom Ständigen Bevollmächtigten vorgelegten Bericht zu Anis Amri, dem Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin, sowie der daraus resultierenden Bewertung der Koalitionsfraktionen habe ich aus zwei zentralen Gründen nicht zustimmen können.

Erstens: Der Bericht ist an ganz entscheidenden Stellen unvollständig und daher nur bedingt bzw. gar nicht geeignet, die Vorgänge um den Anschlag, durch den zwölf Menschen ums Leben kamen und dutzende zum Teil schwer verletzt wurden, umfassend aufzuklären. Das liegt insbesondere daran, dass dem Parlamentarischen Kontrollgremium von den Behörden in Nordrhein-Westfalen so gut wie keine Unterlagen übergeben wurden, weder vom Landeskriminalamt, noch von der Justiz und auch nicht vom Landesamt für Verfassungsschutz. Von daher war es objektiv unmöglich, ein wirklich umfassendes Bild der Geschehnisse sowie vom Tun oder Unterlassen staatlicher Behörden im Fall Amri zu erlangen.

Zweitens: Der Bericht suggeriert, dass die zuständigen Behörden fast alles richtig gemacht hätten. Das war ganz offenkundig nicht der Fall. Es gab schwere Pannen, Versäumnisse und Fehlentscheidungen, die im Bericht nur unzureichend oder gar nicht zur Sprache kommen. Das betrifft insbesondere die völlig falsche Einschätzung der tatsächlichen Gefahr, die von Anis Amri ausging, und das, obwohl es in NRW dokumentierte Einschätzungen gab, nach denen Amri 'brandgefährlich' sei und man davon ausgehen müsse, dass er seine Anschlagsplanungen in Deutschland ausdauernd und langfristig verfolgen wird. Selbst als aus Kommunikationsüberwachungen hervorging, dass er hoffe, seine Brüder bald 'im Paradies' wiederzusehen, und er offenkundig einen Selbstmordanschlag plante, gab es keine adäquaten Gegenmaßnahmen und insbesondere keine durchaus möglichen strafrechtlichen Konsequenzen.

Doch selbst neben der möglichen Verfolgung der Vorbereitung von Anschlägen und offenkundig beabsichtigten Gefährdungen von Leib und Leben durch die Vorbereitung zur gezielten Tötung von Menschen hätte es eine Vielzahl strafrechtlicher Möglichkeiten gegeben, Amri aus dem Verkehr zu ziehen. Schließlich gab es bei sieben Staatsanwaltschaften und beim Generalbundesanwalt mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren gegen den späteren Attentäter. Die Frage, warum offenbar niemand auf die Idee kam, ein Sammelverfahren durchzuführen, das Amri für seine diversen Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit für Jahre hinter Gitter gebracht hätte, ist bis heute nicht beantwortet.

Und da fragt man sich natürlich auch wie es sein kann, dass im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum etliche Male über Amri und dessen Gefährlichkeit gesprochen wurde, ohne dass irgendwelche konkreten Maßnahmen vereinbart oder gar tatsächlich eingeleitet wurden.

Schließlich ist völlig ungeklärt und eben auch alles andere als nachvollziehbar, wie es möglich war, dass Amri ab September 2016 fast vollständig vom Radar aller zuständigen Behörden verschwinden konnte und offenbar auch niemand ernsthafte Bemühungen unternommen hat, um ihn aufzufinden und festzunehmen, um ihn anzuklagen oder später wenigstens nach Tunesien zurückzuführen. Dafür hätte es etliche Anknüpfungspunkte gegeben, um die sich - zumindest nach Aktenlage - keiner wirklich gekümmert hat.

Für mich ergibt sich daraus folgendes Fazit: Natürlich gibt es keine absolute Sicherheit, und es ist leider auch kaum möglich, jeden kurzfristig oder gar spontan geplanten Anschlag vorherzusehen, aber dass es für staatliche Behörden hier in Deutschland ausreichend Gelegenheiten gab zu verhindern, dass Anis Amri eine derartig grausame Tat begeht, daran habe ich inzwischen keinerlei Zweifel mehr.

Nach wie vor sind viele Fragen ungeklärt, vor allem zum polizeilichen Tun oder Unterlassen, mit denen sich der Innenausschuss dringend weiter befassen muss."

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Quelle:
Presseerklärungen - DIE LINKE. im Bundestag
vom 30. März 2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2017

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