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ARBEIT/1122: "Care"-Berufe aufwerten, Arbeitsbedingungen verbessern und Personal gewinnen


Pressedienst von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28. August 2017

Beschluss des Bundesvorstandes

"Care"-Berufe aufwerten, Arbeitsbedingungen verbessern und Personal gewinnen


Am Anfang des Lebens ist alles neu und abenteuerlich: Der erste Schritt, das erste Wort, die erste Freundschaft. Wir alle wünschen uns, dass unsere Kinder diese Erfahrungen in einem verlässlichen und fürsorglichen Umfeld machen können.

Dieselbe Fürsorge wünschen wir uns, wenn wir später im Leben auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Dann ist es für uns ebenso wichtig, gute Betreuung zu finden, egal ob in einem Heim oder zu Hause. Es geht um nichts Geringeres als unser körperliches und seelisches Wohlbefinden - jeden Tag.

In diesen wichtigen Phasen stehen sie uns zur Seite - die Menschen, die in den "Care"-Berufen arbeiten. Ihre Profession ist die "Sorgearbeit" für andere Menschen: Hebammen für Neugeborene, Erzieherinnen und Erzieher für Kinder, Krankenschwestern für Kranke und für Ältere. Rund eine Million Beschäftigte versorgen jeden Tag pflegebedürftige Menschen in den Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten in Deutschland. Allein in den Kindertageseinrichtungen kümmern sich täglich rund 400.000 Erzieherinnen und Erzieher um unsere Kinder.

Ihre Verantwortung ist groß, ihr Gehalt dafür zu gering. In den Care-Berufen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, passt die Bezahlung nicht zu der Bedeutung der Arbeit. Zwölf Euro brutto pro Stunde für eine Altenpflegerin, 18 Euro für einen Techniker, und das bei gleicher Ausbildungsdauer - das ist nicht fair. Hier schlägt sich die Vorstellung nieder, dass Pflege wie Kinderbetreuung in früheren Zeiten von den Frauen in den Familien mitgemacht wurde - aus Liebe und unbezahlt. Auch wenn inzwischen die Bedeutung von fundierter Ausbildung anerkannt ist, wirken diese Bilder in der Bezahlung von Frauenberufen weiter fort.

Nicht nur die Bezahlung ist ein Problem. Viele Pflegekräfte in Deutschland kämpfen jeden Tag verzweifelt gegen Zeitdruck und schlechte Arbeitsbedingungen, um die ihnen anvertrauten Menschen so gut es geht zu versorgen. Eine Erzieherin muss gleichzeitig Windeln wechseln, trösten, vorlesen und zwischen Tür und Angel für Eltern ein offenes Ohr haben. Wie in der Pflege fehlen schlichtweg Kolleginnen und Kollegen, um mit anzupacken. Auf diese grundsätzlichen Probleme hat die Große Koalition vier Jahre lang keine Antwort gegeben. Etwa bei der Frage, wo das benötigte Personal in der Pflege herkommen soll.

Das kann nicht so bleiben. Wir Grüne wollen den Care-Berufen endlich den Stellenwert geben, den sie verdienen. Für uns heißt das insbesondere mehr Personal, eine bessere Bezahlung und mehr Mitsprache- und Aufstiegsmöglichkeiten. Auch weil wir in Zukunft noch deutlich mehr Menschen brauchen, die in Pflege und Erziehung arbeiten, muss diese Arbeit endlich attraktiver werden.

Kurzfristig von der Fachkraftquote in der Pflege abzuweichen, um das Personalproblem zu lösen, ist mit uns Grünen nicht zu machen. Wir brauchen eine wissenschaftliche Grundlage, um festzulegen, welche Qualifikation es für welche Tätigkeit braucht. Für uns Grüne muss immer sichergestellt sein, dass pflegebedürftige Menschen qualifiziert betreut werden und es hier kein Sparen gibt zulasten der Pflegequalität, der Pflegebedürftigen oder der Mitarbeiter.

Mit mehr Personal Pflege- und Erziehungsarbeit entlasten

Jahrelang sind in den Krankenhäusern Pflegestellen abgebaut worden, während die Zahl der Patientinnen und Patienten und übrigens auch die der Ärzte gestiegen ist. Da wird es für das Pflegepersonal zunehmend schwierig, im hektischen Arbeitsalltag Fehler zu vermeiden, alle Hygienevorschriften einzuhalten und sich Zeit für die hilfebedürftigen Menschen zu nehmen. Nicht nur die Arbeitsbelastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist deshalb enorm. Es häufen sich Meldungen, dass ganze Krankenhausabteilungen geschlossen werden mussten, weil schlichtweg das Personal fehlt. Manche pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen finden aus demselben Grund keinen Pflegedienst oder keine Einrichtung, die sie aufnehmen könnten.

Es gibt auch Kindertagesstätten, die ihr Angebot wegen fehlendem Personal einschränken müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Eltern, die verzweifelt und vergeblich nach einem Platz für ihr Kind suchen. Immer häufiger bestimmt die heimische Postleitzahl nicht nur über die Zahlungsbedingungen beim Online-Kauf, sondern viel zu oft auch über die Qualität der staatlichen Betreuungsangebote. Das hat erneut die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung über die Qualität in Kitas gezeigt. Die Bildungsforscher nennen das "wachsende regionale Disparitäten". Wir nennen das Ungerechtigkeit.

Wir brauchen dringend mehr Personal, um alle Familien bei der Pflege und Erziehung ihrer Angehörigen zu unterstützen, um unsere Kinder optimal zu fördern und um pflegebedürftige Menschen gut zu versorgen - ob im Heim oder zu Hause. Wir Grüne fordern deswegen eine Personalausstattung, die genügend Mitarbeiter vorsieht und es den Beschäftigten erlaubt, ihren wichtigen Aufgaben auch gerecht zu werden.

- Sofortprogramm für mehr Pflegestellen in Krankenhäusern: Mit einem Investitionsprogramm wollen wir schnellstmöglich für mehr Pflegestellen in Krankenhäusern sorgen. Um den akuten Bedarf zu decken, soll das Programm als Sofortmaßnahme mit über einer Milliarde Euro pro Jahr mindestens 25.000 Stellen schaffen.

- Ausreichend Personal in Pflegeeinrichtungen: Voraussetzung für eine andere Personalausstattung ist ein Instrument, das den tatsächlichen Personalbedarf in stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten ermittelt. Auf Bundesebene muss daher zügig ein Personalbemessungsinstrument erarbeitet und verbindlich eingeführt werden.

- Ein guter Betreuungsschlüssel in allen Kitas: Eine Erzieherin oder ein Erzieher sollen künftig höchstens drei Kinder unter drei Jahren bzw. höchstens zehn ältere Kinder betreuen. Damit bleibt ausreichend Zeit für die Kinder, für Vor- und Nachbereitung und Elterngespräche. Das werden wir gesetzlich bundesweit sicherstellen. Denn es darf nicht vom Wohnort abhängen, wie gut Kinder in einer Kita betreut werden. Wer beruflich mobil ist oder mobil sein muss, braucht zudem die Gewissheit, dass die Kita-Qualität beim Umzug nicht plötzlich schlechter wird.

Bessere Bezahlung und mehr Mitsprache

Wir müssen den Maßstab zurechtrücken: Pflege- und Erziehungsarbeit ist verantwortungsvolle Arbeit, die uns mehr wert sein muss. Eine bessere Bezahlung von Care-Arbeit trägt auch dazu bei, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen schließen. Die Arbeitsbedingungen müssen attraktiver werden, sonst werden wir nicht das Personal gewinnen und halten können, das wir in den Care-Berufen so dringend brauchen. Hier Fortschritte zu machen, ist eine der wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahre.

- Ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag Soziales: Um die Arbeitsbedingungen in kommunalen und privaten Einrichtungen sowie bei kirchlichen und weltlichen Wohlfahrtsverbänden flächendeckend zu verbessern, braucht es einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag für soziale Berufe. Wir setzen uns dafür ein, dass es schnellstmöglich zu einer Einigung von Gewerkschaften und Arbeitgebern auf Bundesebene kommt.

- Mehr Geld für Personal durch die Bürgerversicherung: Die Leistungen der Pflegeversicherung sind seit ihrer Einführung nur unregelmäßig und willkürlich angepasst worden. Dadurch haben sie an Wert verloren. Wir wollen eine Bürgerversicherung für die Pflege, deren Leistungen regelmäßig an die Lohn- und Inflationsentwicklung angepasst werden. Das schafft mehr Möglichkeiten für eine angemessene Bezahlung.

- Investitionsoffensive für Qualität in Kitas: Für den Ausbau und eine bessere Qualität der Kindertagesbetreuung soll der Bund drei Milliarden Euro pro Jahr investieren. Damit werden auch die Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher besser. Dazu gehört eine faire Bezahlung für Erzieherinnen und Erzieher und mehr Investitionen - auch des Bundes - in deren Aus- und Weiterbildung.

- Bessere Mitgestaltung der Arbeitszeiten: Auslaugender Schichtdienst und unflexible Arbeitszeiten tragen maßgeblich zur Belastung der Beschäftigten bei. Nun noch die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden auszuweiten, wie die FDP vorschlägt, lehnen wir ab. Denn das geht an der Lebensrealität gerade von Krankenschwestern oder Pflegern völlig vorbei.

- Mehr Mitsprache - Eine Lobby für die Pflege: Im Gesundheitssystem werden zahlreiche Entscheidungen, die den Alltag in den Kliniken prägen, in Gremien getroffen, in denen nur Ärztinnen und Ärzte und die Kassen sitzen. Pflegekräfte brauchen bessere Mitspracherechte im Pflege- und Gesundheitssystem. Die Gründung von Pflegekammern kann dazu eine Möglichkeit sein.

Ausbildung attraktiver machen, Fachkräfte gewinnen

Ausschlaggebend für die Berufswahl junger Menschen sind die Ausbildungsbedingungen und die beruflichen Perspektiven, die sich auch zukünftig für sie eröffnen. Attraktive und zukunftsorientierte Ausbildungen sind deswegen das A und O, um die Fachkräfte von morgen zu gewinnen. Die Care-Berufe sind eine Zukunftsbranche und können heute und in den kommenden Jahren vielen Menschen Beschäftigung ermöglichen. Schon jetzt ist es die Branche, die mit am schnellsten wächst in Deutschland und viel mehr Menschen beschäftigt als die Automobil-Industrie. Wir wollen die richtigen Weichen stellen und mehr Menschen dafür gewinnen.

- Schluss mit dem Schulgeld in allen sozialen Berufen: Die Ausbildung in sozialen Berufen muss kostenfrei sein. Junge Menschen, die einen sozialen Beruf erlernen, sollen nicht auch noch "Lehrgeld" zahlen müssen.

- Reform der Ausbildung - Pflegeberufe aufwerten und Qualität erhalten: Wir werden die Reform der Pflegeberufe so umsetzen, dass die Fachkenntnisse der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege in den Lehrplänen erhalten bleiben. Die Ausbildungskapazitäten sollen wachsen anstatt verloren zu gehen. Alle Gesundheitsfachberufe müssen stärker eigenverantwortlich und selbstständig arbeiten können.

- Berufsaufstieg im sozialen Bereich erleichtern: Um den Zugang zu einer Ausbildung zu erleichtern, soll sie vermehrt auch in Teilzeit angeboten werden. So können sich bisher un- und angelernte Beschäftigte leichter berufsbegleitend qualifizieren. Um eine Weiterbildung zu fördern, stellen wir mit unserer BildungsZeit Plus mehr Zeit und einen Zuschuss dafür zur Verfügung. Um mehr Menschen einen akademischen Weg möglich zu machen, wollen wir mehr Studienangebote an Fachhochschulen schaffen.

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Quelle:
Pressedienst vom 28. August 2017
Bündnis 90/Die Grünen Bundesvorstand
Sigrid Wolff, Pressesprecherin
Platz vor dem Neuen Tor 1, 10115 Berlin
E-Mail: presse@gruene.de
Tel: 030/28 442-131, -134, Fax: 030/28 442-234
Internet: www.gruene.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2017

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