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PROJEKT/710: Bethel - Tür an Tür mit Nachbarn ohne Behinderung (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - März 2015

Unterstützt leben im "Verler Dreieck" in Bielefeld
Tür an Tür mit Nachbarn ohne Behinderungen

Von Petra Wilkening


Ein weißes Segelflugzeug schwebt am Himmel. Thorsten Schlink beobachtet von seinem Wohnzimmerfenster im 5. Stock aus, wie es zur Landung auf dem Flugplatz Bielefeld ansetzt. Für den Flugzeug-Fan ist seine Wohnung im "Verler Dreieck" im Bielefelder Stadtteil Sennestadt ideal. Der 39-Jährige benötigt stationäre Unterstützung, er muss rund um die Uhr einen Ansprechpartner erreichen können. Dass er trotzdem nicht in einem Wohnheim leben muss, ermöglicht der Betheler Dienst "Unterstütztes Wohnen Sennestadt".

Das Betheler "UWS"-Team betreut auch Kristina Schubert. Die 51-Jährige kam vor anderthalb Jahren aus Heidelberg nach Bielefeld. Sie hoffte auf Bethel und eine bessere Behandlung ihrer Epilepsie - inzwischen ist sie dank der Therapie weitgehend anfallsfrei. Kristina Schubert wohnt in einer anderen Straße im Siedlungsgebiet "Verler Dreieck". Sie ist selbst Mieterin ihrer Wohnung. Vom Betheler Team, das Thorsten Schlink stationär betreut, nimmt sie ambulante Leistungen in Anspruch. Ihre Bezugsmitarbeiterin schaut täglich nach ihr und hilft ihr, den Alltag zu organisieren.

Im Jahr 2006 ging das Unterstützte Wohnen im "Verler Dreieck" an den Start. "Wir wollten nicht ein gemeinde-nahes Wohnen für Menschen mit stationärem Hilfebedarf, sondern ein gemeinde-integriertes Wohnen", erläutert Bereichsleiterin Christiane Angermann. "Die Wohngruppen und Apartmenthäuser, die es damals für Menschen mit Behinderungen innerhalb einer Gemeinde gab, waren deutlich als eine besondere Wohnform erkennbar. Unsere Vision war ein Tür-an-Tür-Wohnen von Nachbarn mit und ohne Behinderungen, ohne jeglichen Heimcharakter, jedoch mit der gleichen Versorgungsstruktur und Sicherheit", so die Diakonin.

Verwirklicht wurde das Projekt mit der Freien Scholle, einer Bielefelder Baugenossenschaft. In deren Siedlungsgebiet "Verler Dreieck" zwischen Verler Straße und Donauallee mietete Bethel in verschiedenen Häusern Wohnungen an und richtete dort 20 stationäre Plätze für Menschen mit Behinderungen ein. Thorsten Schlink teilt sich seine Wohnung mit einem Mitbewohner, es gibt aber auch Einzelwohnungen.

Stationär und ambulant

Die klassische Trennung von stationärer und ambulanter Hilfe erwies sich schnell als überholt. In eine der Wohnungen zog ein Pärchen mit unterschiedlichem Hilfebedarf. Seitdem erbringt das Team stationäre und ambulante Leistungen aus einer Hand. "Dabei achten wir darauf, dass Menschen, die in einer Wohnung leben, unterschiedliche Bezugsmitarbeiter haben", erläutert Diakonin Angermann. "So kommt es nicht zu einer Mischung der Leistungen."

Inzwischen werden 80 Menschen im gesamten Stadtteil Sennestadt betreut, davon 36 mit einem stationären Hilfebedarf. Zum Team gehören 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Stellenanteilen.

"In einem Wohnheim geht man kurz eine Etage tiefer ins Büro, wenn man etwas vergessen hat, und die Kollegen sind für Absprachen vor Ort da. Betreut man Menschen stationär in Wohnungen, ist die Logistik deutlich aufwändiger", berichtet Ina Jacobi-Scherbening, die seit vier Jahren zum Team gehört. "Und man muss sich bei uns mit dem ambulanten und dem stationären Dokumentationssystem, den verschiedenen Instrumenten für die jeweilige Hilfeplanung und den Abrechnungsmodalitäten auskennen." Die Kernarbeitszeit ist nachmittags, wenn die Klientinnen und Klienten von ihrer Arbeit nach Hause zurückgekehrt sind. Für die stationäre Betreuung sind Mitarbeitende rund um die Uhr erreichbar.

Die 24-Stunden-Bereitschaft trägt wesentlich dazu bei, dass die Nachbarn dem Betheler Konzept offen begegnen. "Natürlich gab es am Anfang Bedenken und Vorurteile", erinnert sich Christiane Angermann. "Wir haben sie sehr ernst genommen und tun ganz viel dafür, den Kontakt zu den Nachbarn zu pflegen." Dazu gehört auch immer wieder die Ermutigung, sich bei Ärger im Teambüro zu melden. "Wir können nur intervenieren, wenn wir Bescheid wissen", stellt die Diakonin klar. Wenn stationäre Klienten in der eigenen Wohnung und im sozialen Umfeld gar nicht zurechtkommen, wird die Wohnform unter Umständen beendet. "Weil wir den Bogen nicht überspannen dürfen", betont Christiane Angermann. "Das ist in all den Jahren aber nur einmal vorgekommen." Gibt es Ärger, der mehr ist als der übliche "Nachbarschaftsknatsch", geht sie auch einmal mit einem Blumenstrauß zu den Nachbarn.

Nehmen und geben

"Nicht nur nehmen, sondern auch geben" ist die Devise des Betheler Teams. Darum eröffnete das Unterstützte Wohnen Sennestadt 2010 eine Kontakt- und Begegnungsstätte für die Nachbarschaft. Für Kristina Schubert ist das Begegnungszentrum der Mittelpunkt in ihrem Leben. Dienstags ist sie dort zum Frühstücken, mittwochs zum Mittagessen, abends zum Spielen, und wenn sie donnerstags nicht zur Therapie müsste, wäre sie auch zum Basteln dort. Aber auch Nachbarn, die keine Behinderung haben, nutzen die Angebote im Begegnungszentrum. Heute am Mittwoch haben sich einige zum gut besuchten Mittagstisch getroffen. Das Betheler Bildungszentrum Schopf hat gekocht.

An einem anderen Tisch sitzen Werner Stiller, Larissa Weinhold und Christel Richter. Der stationäre Klient, die Betheljahr-Teilnehmende und die ehrenamtliche Helferin haben sichtlich Spaß miteinander. "Larissa und ich haben uns ein bisschen verliebt", verrät Christel Richter lachend und legt der Absolventin des Betheljahrs den Arm um die Schulter. Die beiden haben bei einer besonderen Aktion im Stadtteil, dem Pavillon der Begegnung im Dezember, eng zusammengearbeitet und sich gut verstanden. Und mit Werner Stiller verbindet Christel Richter die Stadt Berlin. Ihr Mann kam aus Spandau, und Werner Stiller wechselte 1963 von Tempelhof nach Bethel. Christel Richter ist eine von inzwischen 15 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die das Begegnungszentrum unterstützen. Sie interessiert sich für die Menschen und hat immer ein offenes Ohr für sie. Und eines steht für sie fest: "Wir sind zum Helfen auf der Welt!" Über solch engagierte Ehrenamtliche freut sich das "UWS"-Team.

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Quelle:
DER RING, März 2015, S. 12 - 13
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der Gesamtmitarbeitervertretung
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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Internet: www.bethel.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2015

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