Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → TECHNIK


ROBOTIK/124: Roboter, die Pizza backen (highlights - Universität Bremen)


"highlights" - Heft 34 / Winter 2016
Informationsmagazin der Universität Bremen

Roboter, die Pizza backen

Wie Maschinen das Internet nutzen, um neue Fähigkeiten zu erlernen


Eine Zukunftsvision, die so fern nicht mehr ist: Roboter sollen schon bald dem Menschen zur Seite stehen und einfache Aufgaben übernehmen. Einen Tisch decken, Getränke oder die Fernbedienung reichen, Mahlzeiten zubereiten - wer Hilfe braucht, wäre dafür dankbar. Ein anderes Szenario ist das Durchführen chemischer Experimente im Labor. Ein Team von Wissenschaftlern der Universität Bremen um Professor Michael Beetz versucht mit ganz neuen Ansätzen, Roboter möglichst effizient "auszubilden".


Popcorn machen, Pfannkuchen backen, Pizza zubereiten: Selbst wenn man nicht weiß, wie es geht, findet man in Büchern oder im Internet unzählige Kochanleitungen dazu. Die Töpfe und Pfannen dabei gerade zu halten und im richtigen Moment zu kippen, sie auf dem Herd abzustellen oder einen Pfannkuchen zu wenden, ist für die meisten Menschen kein Problem. "Wenigen ist bewusst, dass es sich dabei um eine Abfolge sehr differenzierter Bewegungen handelt, die elegant ineinander übergehen", sagt der Informatik-Professor Michael Beetz. "Der Mensch profitiert dabei nicht nur von dem, was er im Verlauf seines Lebens gelernt hat, sondern auch von dem Erfahrungsschatz aus 100 Millionen Jahren Evolution, der ihm ins Unterbewusstsein 'eingepflanzt' ist."

Schön für den Menschen, aber eine große Herausforderung für Michael Beetz und seine 15-köpfige Arbeitsgruppe im "Institut für Künstliche Intelligenz" (IAI) der Universität Bremen. Der renommierte Informatiker versucht nämlich, Maschinen diese diffizilen menschlichen Fähigkeiten beizubringen. Durchaus mit Erfolg: Wenn seine Roboter bei Vorführungen Pfannkuchen wenden oder Pizza belegen, sind Zuschauer in der Regel begeistert. Dabei sind die Bewegungen der "Köche" noch sehr abrupt. Aber man bekommt eine Vorstellung davon, wie Maschinen eines Tages Menschen im Alltag helfen könnten.


Der Roboter als universeller Helfer

Beetz koordiniert seit 2012 das von der Europäischen Union finanzierte Projekt "RoboHow", an dem neben der Universität Bremen sieben weitere europäische Partner aus Forschung und Industrie mitarbeiten. Denn die Aufgabe ist nur durch eine Bündelung aller Kräfte zu erreichen: "Wir haben keine 100 Millionen Jahre Zeit, um Robotern das fehlerfreie Agieren beizubringen. Aufgrund einer rapide alternden Gesellschaft gibt es schon bald einen riesigen Bedarf an 'maschinellen Handreichungen', damit Senioren länger selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden bleiben können." Zudem sind die besagten Handgriffe auch in anderen Umgebungen und bei anderen Tätigkeiten gefragt. Etwa in der Forschung: Wenn bei der Seuchenbekämpfung Experimente mit gefährlichen Erregern im Labor durchgeführt werden, wären entsprechend "ausgebildete" Roboter ebenso eine Hilfe wie am Meeresboden, wo sie tauchende Wissenschaftler ersetzen und Langzeit-Experimente durchführen könnten.

Aber wie bringt man Robotern die richtigen Bewegungen in einem beliebigen Umfeld bei? "Menschen können auch in unbekannter Umgebung sofort eine Tasse Kaffee zubereiten, eingießen und auf dem Tisch abstellen. Elementare Bewegungsabläufe sind bei uns so tief verankert, dass wir nicht mehr darüber nachdenken müssen", erläutert Hagen Langer, der in Beetz' Arbeitsgruppe seit Jahren dabei ist. "Beim Roboter hingegen muss beispielsweise jeder einzelne Motor im Armgelenk für jeden Sekundenbruchteil der Bewegung programmiert werden - Kraft, Geschwindigkeit, Neigung und vieles mehr. Und das muss in Einklang mit den optischen Eindrücken gebracht werden, bei denen die Tasse oder der Tisch auch als solche erkannt und eingeordnet werden müssen." Langer kann Dutzende von Parametern nennen, die in einer Roboter-Software berücksichtigt werden müssen, um menschenähnliche Bewegungen zu schaffen: "Ohne präzise Anweisungen bleibt die Maschine dumm."


Der Roboter soll selber lernen

Weil das Programmieren aber ungemein aufwändig ist, verfolgen die Wissenschaftler im RoboHow-Projekt einen anderen Ansatz: Der Roboter soll sich das nötige Wissen selbst beibringen und von den Erfahrungen der Menschen, aber auch von "erfolgreichen" Tätigkeiten anderer Roboter lernen. Dazu lehren ihn die Forscher das Lesen und Zuschauen. "Im Internet gibt es unzählige geschriebene Anleitungen oder Videos, wie man Dinge tut. Ein Beispiel dafür sind die Erklärvideos des Projektes 'WikiHow' oder Anleitungen auf YouTube", so Michael Beetz. Ein Ziel der Arbeit an der Bremer Uni und den anderen Forschungseinrichtungen ist deshalb, dass die Software in den Maschinen durch diesen "Anschauungsunterricht" oder das "Übersetzen" von schriftlichen Anleitungen sein "Allgemeinwissen" von selbst erweitert: "Für uns heißt das, eine RoboterSoftware zu entwickeln, die Geschriebenes und Gesehenes in die eigene Steuerung 'übersetzt'".

Zusätzlich füttern die Bremer Forscher die Roboter mit Daten, die Menschen bei Tätigkeiten in einer virtuellen Welt generieren. Wenn man den Forschern dabei zusieht, glaubt man einer Pantomime beizuwohnen: Mit einer Datenbrille vor den Augen und Joysticks in den Händen bewegen sie sich in einem sonst leeren Raum. Tatsächlich agieren sie in diesem Moment jedoch in einer virtuellen Küche, nehmen Lebensmittel aus dem Kühlschrank und decken einen Tisch. Jede Bewegung wird durch mehrere Kameras beobachtet. "Die gesamte Tätigkeit wird mit allen wichtigen Parametern aufgezeichnet und in eine Sprache übersetzt, die der Roboter versteht. Er lernt so von den Menschen, die es ihm vormachen", erläutert Hagen Langer.


openEASE - die Wissens-Datenbank

Nicht nur in Bremen, sondern weltweit wird intensiv daran gearbeitet, möglichst effiziente Roboter als Helfer für alltägliche Aufgaben zu bauen und "anzulernen". Michael Beetz ist überzeugt: "So, wie einst die Waschmaschine uns das Leben erleichterte, werden bald auch Roboter für jeden erschwinglich werden. Geräte, die staubsaugen oder den Rasen mähen, sind ja schon heute weit verbreitet." Weil die Wissenschaft jedoch viel schlechtere finanzielle Voraussetzungen hat als Großkonzerne wie Google oder Amazon, setzt Beetz auf die Kraft der Cloud. Seine Arbeitsgruppe hat die offene Wissensdatenbank "openEASE" entwickelt - eine Art "wikiHow für Roboter". Sie ermöglicht den Maschinen, Wissen zu teilen und voneinander zu lernen. "Wenn beispielsweise in den USA ein Roboter erfolgreich einen Autoreifen gewechselt hat, kann diese Aktion in openEASE veröffentlicht werden. Die Datenbank soll sowohl von den Robotern selbst als auch von Wissenschaftlern gefüllt und abgerufen werden." Wenn also ein Baustein für die Nutzung von Werkzeugen oder das Zusammenwirken mit Menschen fehlt, finden ihn der Roboter und seine menschlichen "Betreuer" vielleicht in openEASE - und sparen dadurch Zeit und Geld. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist das Projekt mit Begeisterung aufgenommen worden. Denn so viel wusste schon Albert Einstein: "Der Fortschritt lebt vom Austausch des Wissens!"


Mehr zu diesem Thema ....

.... finden Sie auf der englischsprachigen Webseite des Instituts für Künstliche Intelligenz - neben aktuellen Mitteilungen auch Videos, die die Roboter im Einsatz zeigen, und weiterführende Informationen zu den einzelnen Forschungsprojekten.
www.ai.uni-bremen.de

*

Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 34 / Winter 2016, Seite 11-15
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Kai Uwe Bohn, Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-601 50
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-
bremen.de/universitaet/presseservice/publikationen/highlights.html
 
"highlights" erscheint zweimal jährlich und ist erhältlich
bei der Universitäts-Pressestelle.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang