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INFORMATIONSTECHNOLOGIE/902: Verband prognostiziert Innovationsschub zum Echtzeit-Internet ab 2020 (idw)


VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. - 10.03.2014

VDE prognostiziert Innovationsschub zum Echtzeit-Internet ab 2020

• Positionspapier sieht neue Chancen für die Gesellschaft und Wirtschaft, mit besonderem Einfluss auf Industrie 4.0, Mobilität und Smart Grid
• Völlig neue Chip- und Netzwerktechnologien für deutlich geringere Reaktionszeiten erforderlich
• Verband fordert strategische Stärkung des IKT- und Elektronik-Standorts



Ein strategisch besonders wichtiger Innovationsbereich der Informations- und Kommunikationstechnik ist die Ausweitung des breitbandigen, mobilen Internets und des Internets der Dinge auf bewegte Objekte und Echtzeitanwendungen. In diesem Fall wird die als Taktiles Internet bezeichnete drahtlose Kommunikationsinfrastruktur insbesondere Trends wie Industrie 4.0, vernetzte Mobilität, das Smart Grid in der Elektrizitätsversorgung, Bildung oder innovative medizintechnische Anwendungen prägen. Voraussetzung sind deutlich geringere Reaktionszeiten von Ende-zu-Ende, d.h. von einer Eingabe an einem Sensor/Eingabegerät bis zur Reaktion am Aktor an einem anderen Ort (z. B. ein Bildschirm oder Roboterarm). Deutschland kann diese Entwicklung mitbestimmen und damit seine führenden Positionen im Automobil- und Maschinenbau, in der Fabrikautomation oder der Medizintechnik sichern, als auch neue Innovationsfelder erschließen. Dazu muss die Weiterentwicklung von IKT und Mikroelektronik in ähnlicher Weise unterstützt werden, wie es an anderen Standorten selbstverständlich ist. Das sind wichtige Bewertungen im neuen Positionspapier "Taktiles Internet" von Experten der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE (VDE|ITG).

In der letzten Dekade war die Nachfrage nach immer mehr Bandbreite der dominierende Treiber beim Ausbau von Kommunikationsnetzen. Heute sind 50 Mbps oder 100 Mbps über VDSL oder Kabelnetze keine Seltenheit. Kommunikationsdienstleister betreiben Netze mit Linkbandbreiten von 100 Gbps. Dieser enorme Bandbreitenschub ermöglichte zunehmend anspruchsvollere Anwendungen, die immer mehr Netzressourcen und Rechenleistung beanspruchen. Zukünftige Anwendungen wie ferngesteuerte Operationsroboter, Sensor-Aktor-Systeme in Fabriken oder im intelligenten Stromnetz sowie die IKT-basierte Verkehrssteuerung erfordern künftig jedoch neben der Bandbreite vernetzte und örtlich verteilte Systeme mit weitaus niedrigeren Reaktionszeiten von Ende-zu-Ende, deutlich unter 10 Millisekunden. Das Taktile Internet, das die VDE|ITG-Experten ab 2020 erwarten, benötigt demnach Netze, die Reaktionszeiten im Bereich einer Millisekunde ermöglichen, von denen wir heute noch weit entfernt sind. In Westeuropa betragen typische nationale Antwortzeiten im Festnetz aktuell 10 ms bis 60 ms. LTE-Mobilfunknetze erreichen heute mit 25 ms bis 40 ms fast die Antwortzeiten eines Festnetzes.


Reaktionsschnell durch nutzernahe Mini und Mobile Edge Clouds

Bereits jetzt wird mit Hochdruck an der nächsten Mobilfunk-Generation gearbeitet, um ab 2020 für die mobile Datenübertragung möglichst flächendeckend größere Bandbreiten und Übertragungsraten zu ermöglichen. Für viele Anwendungen der Zukunft sind die Mobilfunknetze der 5. Generation geradezu prädestiniert. Allerdings ist für die nachgelagerten Netze und nationalen Backbones weiterhin mit Antwortzeiten von 10 ms bis 40 ms zu rechnen. Es ist also unmöglich, Anwendungen mit Antwortzeiten im Millisekundenbereich von zentralen Rechenzentren aus zu steuern. Letztendlich ist die Signallaufzeit auf der Glasfaser der limitierende Faktor. Daher müssen künftige Echtzeit-Anwendungen nahe an den Nutzer herangeführt und lokal gehalten werden. In einer ersten Stufe kann einem lokalen Cluster von Mobilfunkstationen zukünftig ein lokales kleines Rechenzentrum eine sogenannte "Mini Cloud" zugeordnet werden. Diese Mini Cloud bietet damit die gesamte im Cluster benötigte Funktionalität des Mobilfunknetzes sowie die in diesem Cluster angebotenen, zukünftig auch taktilen, Services. Ein solches lokales Cluster könnte zum Beispiel die Robotik eines Industriekomplexes steuern. In einer weiteren Stufe kann zukünftig eine sogenannte "Mobile Edge Cloud" mit Services und Netzfunktionen zum Rand der Infrastruktur des Mobilfunksystems, also direkt zu den einzelnen Mobilfunkstationen gebracht werden.


Völlig neue Chiptechnologien und Netzwerkarchitekturen erforderlich

Die kommende Ausweitung des Internets auf bewegte Objekte und Echtzeitanwendungen erfordert somit Netzarchitekturen mit verteilten Serviceplattformen. Mit der Zeit wird sich hierbei eine mehrstufige Hierarchie von Cloud-Plattformen entwickeln: Mobile Edge Clouds auf Ebene der Mobilfunkstationen, Mini Clouds auf lokaler Ebene und wenige zentrale Clouds. Dies benötigt massive Rechner- und Speicherleistung sowie schnellste Reaktionszeiten von den Anwendungs- und Betriebssystemen. Dazu müssen neuartige Chiptechnologien für ultrahohe Packungsdichten entwickelt werden. Zur Verringerung von Laufzeiten müssen Netzwerkchips und CPUs zusammengeführt und neuartige Betriebssystemarchitekturen und Netzprotokolle entwickelt werden. Ohne weitere Forschung und Entwicklung auf diesen Gebieten wird es unmöglich sein, ein großflächiges, wirtschaftlich relevantes Taktiles Internet zu realisieren.


Auto-ID-Technologien und "Eingebettete Sicherheit" für mehr "Datability"

Die Kommunikationssysteme sind Teil der "Kritischen Infrastrukturen" mit höchsten Anforderungen an Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit vor äußeren Angriffen und Fehlverhalten. Um diese Anforderungen bei Funksystemen zu erfüllen, ist es erforderlich, ein neues Diversitätskonzept für Frequenz, Ort und Infrastruktur effizient zu realisieren. Weiterhin stellt die zukünftige Maschine-zu-Maschine-Kommunikation neue Anforderungen an die Authentifizierung, da sie für sicherheitsrelevante und echtzeitkritische Anwendungen eingesetzt wird. Dazu sind Paradigmenwechsel im Systementwurf für eingebettete End-to-End-Security notwendig. In menschzentrierten Arbeitsumgebungen kommt AutoID-Technologien eine Schlüsselrolle zu.


Großes Zukunftspotenzial für Fokusbranchen wie Industrie 4.0 und Mobilität

Die nächste Internetgeneration wird zahlreiche Anwendungen beeinflussen, so zum Beispiel den Automobilbau, eine Anwenderbranche mit besonderer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung für Deutschland. Leistungsfähige Fahrerassistenzsysteme helfen dem Fahrer schon heute, sicherer und entspannter ans Ziel zu kommen. Der Datenaustausch zwischen Fahrzeugen sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturkomponenten ist eine ideale Ergänzung der bordautonomen Sensorik. So kann zum Beispiel das nicht sichtbare Umfeld des Fahrzeuges im Bereich von Kreuzungen und Kurven erfasst werden. In einem weiteren Schritt wird das hochautomatisierte Fahren die Mobilität der Zukunft verändern. Eine Kerntechnologie ist dabei die zuverlässige und präzise Umfeld-Erfassung, bei der die Kommunikation als wichtiger Sensor beitragen kann. Die Herausforderung besteht in der sicheren, zuverlässigen und latenzarmen Übertragung von Informationen - und dies in einem hochdynamischen Umfeld. Die Weiterentwicklung des Internets ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, diese Herausforderung zu meistern.


Technologiehoheit im Taktilen Internet: Selbst gestalten oder gestaltet werden

Das VDE-Positionspapier zeigt: Das mobile Echtzeit-Internet, das Taktile Internet, wird ab 2020 unser Leben erheblich mitbestimmen. Die Frage ist aber, ob es Deutschland und Europa gelingt, die damit verbundenen Technologie- und Anwendungstrends maßgeblich mitzugestalten oder nur passiv zu nutzen. Damit sind weitreichende wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen verbunden. Wirtschaftlich geht es um nichts weniger als darum, die Zukunft der eigenen Industrie zu sichern und die Innovationskraft in wichtigen Industriezweigen wie der Medizintechnik, der Automatisierungs- und Produktionstechnik oder der Automobilindustrie zu stärken. Durch früh eingesetzte Forschung kann Deutschland Innovationstreiber beim Taktilen Internet sein und neue Wirtschaftszweige für sich und international erschließen. Gesellschaftlich und politisch geht es darum, die Kontrolle über sicherheitsrelevante Infrastruktur zu bewahren und die sich ergebende Richtungsweisung der Weiterentwicklung der Gesellschaft international mitzugestalten. Wichtige Zukunftsaufgaben liegen deshalb darin, die wissenschaftlich-technische Kompetenz in Deutschland zu erhalten und auszubauen, innovative Internet-Technologien und Anwendungen im eigenen Land zu entwickeln, herzustellen und einzusetzen sowie weltweite Standards mitzugestalten.

Für die Redaktion: Das VDE-Positionspapier "Taktiles Internet" wurde von Experten der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE aus Wissenschaft und Wirtschaft verfasst. Das Positionspapier ist im InfoCenter auf der Website des VDE (www.vde.com) als Download erhältlich. Für Nicht- Mitglieder kostet es 50 Euro, VDE-Mitglieder und Journalisten erhalten es kostenlos.

Weitere Informationen unter www.vde.com.

Der VDE auf der CeBIT in Halle 13, Stand B 42


Über den VDE:
Der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik ist mit 36.000 Mitgliedern (davon 1.300 Unternehmen, 8.000 Studierende, 6.000 Young Professionals) und 1.200 Mitarbeitern einer der großen technisch-wissenschaftlichen Verbände Europas. Der VDE vereint Wissenschaft, Normung und Produktprüfung unter einem Dach. VDE-Tätigkeitsfelder sind der Technikwissenstransfer, die Forschungs- und Nachwuchsförderung in den Schlüsseltechnologien Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik und ihrer Anwendungen. Die Sicherheit in der Elektrotechnik, die Erarbeitung anerkannter Regeln der Technik als nationale und internationale Normen, Prüfung und Zertifizierung von Geräten und Systemen sind weitere Schwerpunkte. Das VDE-Zeichen, das 63 Prozent der Bundesbürger kennen, gilt als Synonym für höchste Sicherheitsstandards. Die Technologiegebiete des VDE: Informationstechnik, Energietechnik, Medizintechnik, Mikroelektronik, Mikrotechnik sowie Automation.

Mehr Infos zum VDE unter: www.vde.com.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution853

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.,
Melanie Unseld, 10.03.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2014