Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → TECHNIK


INFORMATIONSTECHNOLOGIE/1061: Display aus dem Drucker (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2015

Display aus dem Drucker

von Gordon Bolduan


Seine Forschung wirkt bunt und hip. Die Prototypen sind aus Holz, Papier und Kunststoff. Geschnitten, gedruckt oder gepresst. Was man auf den ersten Blick nicht vermutet: Jürgen Steimle und sein Team am Max-Planck-Institut für Informatik und an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken beschäftigen sich mit einer komplett vernetzten Welt, in der man etwa Computer über die Haut steuert.


An der Bürowand klebt ein wissenschaftliches Poster - es informiert über Miniatur-Bildschirme auf Fingernägeln; daneben ein Lochwandsystem mit Schraubenziehern, Zangen und sogar Hämmern. Von der Decke hängt ein Kamerasystem aus Alu-Steckschienen und sechs Infrarotkameras, und über den raugrauen Teppichboden schlängeln sich diverse Stromkabel zwischen Stapeln aus transparenten Kunststoffboxen hindurch.

Einer der Tische ist mit einem Meer aus Schreibblöcken bedeckt, dazwischen eine schwarze Tastatur und ein flacher Bildschirm. Und mittendrin steht der Prototyp einer Apparatur aus Balsaholz, Rücken an Rücken mit einem Gebilde aus Plexiglas, Mikrocontrollern, Schaltplatinen und bunten Kunststoffdrähten.

Gegensätze wie diese vereint Jürgen Steimle nicht nur in seinem Labor, sondern auch in seiner Forschung. Den "Lab Space", wie es auf dem Türschild heißt, hat er seinen Studenten und Doktoranden im Exzellenzcluster Multimodal Computing and Interaction an der Universität des Saarlandes eingerichtet. Hier leitet er die Nachwuchsgruppe Embodied Interaction, was auf Deutsch so viel bedeutet wie Verkörperte Interaktion. Er forscht auch am nur wenige Schritte entfernten Max-Planck-Institut für Informatik.


Kommunikation in einer vernetzten Welt

Jürgen Steimle und seine Studenten sind davon überzeugt, dass in wenigen Jahren in jedem Gegenstand ein Computer stecken wird. Aus diesem Grund beschäftigen sie sich mit den Prinzipien, die es erlauben, in einer solch komplett vernetzten Welt mit dieser unsichtbaren Elektronik zu arbeiten und zu kommunizieren.

Untauglich designte mobile Endgeräte sorgen im Alltag nicht nur für Ärger, sondern auch für Gelächter. In sozialen Netzwerken wie Facebook erfreuen sich etwa Beiträge großer Beliebtheit, die zeigen, wie klobig ein Smartphone oder die Apple Watch aussehen würden, wenn Ingenieure sie im vergangenen Jahrzehnt mit der damals vorhandenen Technik gebaut hätten.

Die Spötter lassen jedoch außer Acht, dass selbst die neuesten Möglichkeiten für den einzelnen Anwender selten das Optimum darstellen. "Wenn ich jetzt über Berührungen meine Smartwatch bedienen will, dann steht mir nur ein kleines Display zur Verfügung, wobei ich den größten Teil noch mit meinen Fingern überdecke", erklärt Jürgen Steimle das, was seine Kollegen das big thumb problem nennen.

Der 35 Jahre alte Informatiker will solche Probleme, die entstehen, wenn man nur auf das technisch Machbare schaut, schon im Ansatz vermeiden: "Die Form darf nicht den Restriktionen der Technik von heute folgen! Nur so können wir Interaktionsformen entwickeln, die sich passgenau in die Objekte und Gegenstände integrieren lassen, mit denen wir auf solch vielfältige Weise in unserer echten Welt arbeiten", erklärt Steimle. Seine Werkzeuge sind unter anderem Studien am Anwender. Sein Ziel: Interaktionsformen der Zukunft zu entwickeln.


Grundlagenforschung auf zwei Ebenen

"Gedruckte Elektronik ist für uns momentan die Schlüsseltechnologie. Sie erlaubt es, elektronische Bauteile mit ganz neuen Eigenschaften zu realisieren, die hauchdünn, verformbar oder gar dehnbar sind. Mit herkömmlichen Computern haben sie gar nichts mehr zu tun", sagt Steimle. Damit betreibt er gleich auf zwei Ebenen Grundlagenforschung: Er entwirft auf der Basis systematischer Befragung völlig neue Interaktionsformen; und er setzt diese mit Technologien um, die selber noch erforscht werden.

Ein riesiges Regal teilt den "Lab Space" in zwei Hälften, wobei die rechte den Werkbänken und der Elektrotechnikausrüstung vorbehalten ist. Steimles Gruppe - drei Doktoranden und zwei Masterstudenten - haben sich in der linken Hälfte versammelt. Sie sitzen an zwei zusammengeschobenen Tischen vor einer Wand, die mit gelben, runden, handbeschriebenen Moderationskarten behängt ist; auf einem der Tische ein Moderationskoffer mit bunten Filzstiften und zurechtgeschnittenen Stücken aus Tonpapier.

Steimle sitzt mit dem Rücken zum Fenster, das einen Ausblick bietet auf den Saarbrücker Informatikcampus samt dem Max-Planck-Institut für Softwaresysteme, dem Intel Visual Computing Institute und dem Zentrum für Bioinformatik.

Fragen in der Gruppe mit Kreativitätstechniken und den entsprechenden Werkzeugen zu lösen hat sich der Forscher während seiner Zeit am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology angewöhnt. Dort war er 2012 und 2013 als Visiting Assistant Professor angestellt. Begonnen hat Steimles Weg im Jahr 2009 mit seiner Doktorarbeit, welche die Gesellschaft für Informatik als beste im deutschsprachigen Raum auszeichnete.

Seit 2013 arbeitet Steimle als unabhängiger Nachwuchsgruppenleiter am Saarbrücker Exzellenzcluster. Mit diesem Konstrukt gibt der Exzellenzcluster derzeit 15 Forschern die Möglichkeit, ihre eigene Gruppe auf- oder auszubauen und ihre eigene Agenda zu definieren. Um dabei wissenschaftliche Freiheit zu haben, erhält jedes Team ein Budget. Zusätzlich dürfen alle Nachwuchsgruppenleiter ihre eigenen Doktoranden betreuen.

Daniel Gröger ist das neueste Mitglied in Steimles Team. Seit Oktober des vergangenen Jahres arbeitet der Doktorand an einem Ansatz, der dreidimensionales Drucken auf eine vollkommen neue Art realisiert. So neu, dass Steimle seinen Studenten noch einschärft, darüber Stillschweigen zu bewahren und es nicht über Facebook und Twitter in die Welt der Technologie-Blogger hinauszuposaunen.


Ein elastischer Sensor für die Haut

Mit kurzen, präzisen Sätzen in englischer Sprache erklärt Jürgen Steimle, was er von dem folgenden Brainstorming erwartet. Er sucht nach Anwendungen für die Komponenten, die schon jetzt in drei Dimensionen druckbar sind. Diese soll die Gruppe nun gemeinsam erarbeiten. Alle greifen zu den bunten, rechteckigen Moderationskarten. Minutenlang ist nur das Kratzen der breiten Filzstifte zu hören.

Bei dem jüngsten Projekt iSkin, mit dem Steimles Doktorand Martin Weigel gerade weltweit für Furore sorgt, war das Vorgehen anders. "Da sind wir bewusst nicht von der Technologie ausgegangen, sondern von der Haut als natürlichem Medium", sagt Steimle. Haut bietet eine größere Oberfläche als jede Smartwatch. Gezielt hatten sie dazu 22 Personen - im Durchschnitt 25 Jahre alt - gefragt, wie sie Aktionen auf der Haut ausführen würden, wenn diese als Eingabesensor für mobile Endgeräte dienen könnte.

"Interessanterweise kam dabei auch eine weitere Dimension zutage, nämlich die der expressiven Interaktion. Bei den Gesten haben sich die Anwender nicht auf das Berühren beschränkt, sondern die Haut auch fest gedrückt, gezogen oder gar gedreht", so Steimle. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, entwickelten die Forscher den Prototyp eines Sensors.

"Er ist der erste Sensor, der für die Interaktion mit Computergeräten auf der Haut getragen werden kann und elastisch ist", sagt Steimle. Die Elastizität sei dabei eine große Herausforderung gewesen, da man dafür Leiter benötigt, die nicht brechen, wenn sie gedehnt werden. Die Saarbrücker Informatiker arbeiteten dafür mit Materialwissenschaftlern der US-amerikanischen Carnegie Mellon University zusammen. Diese hatten ein Verfahren ersonnen, das verschiedene Arten von Silikon kombiniert, um einen solchen Sensor zu realisieren.

Silikon ist zudem hautfreundlich und lässt sich daher problemlos mit einem medizinischen Kleber auf der Haut befestigen. Drückt man dann auf die vordefinierte Stelle auf dem Sticker, kann man beispielsweise einen Anruf entgegennehmen oder die Lautstärke seines Kopfhörers regulieren.


Auch das ästhetische Empfinden im Blick

Mit dieser Funktionalität waren die Saarbrücker Wissenschaftler jedoch noch lange nicht zufrieden. "Unser Ziel war es, einen Sensor zu schaffen, der auch wirklich den Menschen mit seinem ästhetischen Empfinden berücksichtigt. Er musste daher gut aussehen und ein visuelles Statement sein, mit dem sich der jeweilige Träger identifizieren kann", so Steimle.

Deshalb entwarfen die Forscher auch Vorgehensweisen, die es Designern ermöglichen, Linien, Formen und Silhouetten nach dem jeweiligen Geschmack in iSkin-Sensoren zu verwandeln. Das Ergebnis: Die semitransparenten Steuerschnittstellen sehen auf der Haut aus wie kunstvolle Tattoos und gleichen herkömmlichen Bedienelementen gar nicht mehr.

In der Runde beginnen die Leute in Steimles Team nun, einer nach dem anderen ihre Ideen vorzustellen, indem sie die jeweilige Karte mit der Zeichnung hochhalten und diese in wenigen Worten erklären. Danach wandern die Karten auf einen Stapel in der Mitte, jeder nimmt sich nun einen Teil davon, um sie zu ergänzen und anschließend an seinen rechten Nachbarn weiterzugeben. In den nächsten 15 Minuten machen die Karten die Runde. Steimle schmunzelt bei vielen und greift bei einigen sogar nach einer neuen Karte, um weitere Gedanken mit dickem Filzstift in kleinen Buchstaben zu notieren.

Dieses kontinuierliche Weiterdenken zeigt sich auch in seinen Projekten. Eine andere große Frage, der sich Steimles Gruppe widmet, lautet: Wie kann man es Laien ermöglichen, Technik auf einfache Weise selbst an ihre Bedürfnisse anzupassen? Eine Antwort haben sein Doktorand Simon Olberding und Steimle bereits mit dem Prototyp ihres Projekts PrintScreen geliefert. Dieser ist zu Demonstrationszwecken auf einem separaten Tisch aufgebaut.

Eine Postkarte zeigt beispielsweise ein historisches Automobil. Drückt man auf einen Knopf, so leuchten Hinterachse und Lenkradstange in derselben Farbe auf. Möglich machen dies zwei Segmente auf einem flexiblen Display, die genau der Form der Autoteile entsprechen. Steimles Gruppe hat das Display auf einem handelsüblichen Tintenstrahldrucker ausgedruckt. Der druckbare Bildschirm ist elektrolumineszent: Legt man eine elektrische Spannung an, gibt er Licht ab.

Bisher war es nur möglich, Displays in Massen zu produzieren, nicht aber für einen einzelnen Nutzer. Die Saarbrücker Forscher haben dies geändert. Der von ihnen entwickelte Prozess sieht wie folgt aus: Der Anwender entwirft mit einem Programm wie Microsoft Word oder Powerpoint eine digitale Vorlage für das gewünschte Display. Mit zwei von den Forschern ersonnenen Methoden kann er diese nun drucken. Das geschieht im Tintenstrahl- oder Siebdruckverfahren, wobei die Tinte leitfähige Materialien enthält.

Die Verfahren haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, lassen sich aber jeweils von einer Person in nur wenigen Minuten oder in bis zu vier Stunden erledigen. Ergebnis: relativ hochaufgelöste, nur 0,1 Millimeter dünne Displays. Eine DIN-A4-Seite voll zu bedrucken schlägt mit rund 20 Euro zu Buche; das Teuerste ist dabei die Spezialtinte.

Es kommt noch besser: Da sich mit den Verfahren auch Materialien wie Papier, Kunststoffe, Leder, Keramik, Stein, Metall und Holz bedrucken lassen, sind allerlei zweidimensionale, aber auch dreidimensionale Formen möglich. Laut Aussage der Forscher sind selbst berührungsempfindliche Displays auf diese Weise druckbar und die Anwendungsmöglichkeiten damit vielfältig.

Displays lassen sich so in nahezu jeden Alltagsgegenstand integrieren - nicht nur in Papierobjekte, sondern zum Beispiel auch in Möbel und Einrichtungsgegenstände, Taschen oder am Körper getragene Accessoires. So könnte man etwa das Armband einer Uhr erweitern, damit es aufleuchtet, wenn eine Kurznachricht eintrifft. "Wenn wir unser Verfahren jetzt noch mit dreidimensionalem Drucken kombinieren, können wir dreidimensionale Gegenstände drucken, die Informationen anzeigen und auf Berührungen reagieren", sagt Jürgen Steimle.


Zur Entspannung eine Cello-Suite von Bach

Die Karten sind inzwischen orangefarben - Grün hat die Gruppe bereits aufgebraucht. Doch selbst der Luxus eines professionellen Moderationskoffers kann die Unzulänglichkeiten einer schlechten Handschrift nicht ausgleichen. Anstatt wearables - Computer, die man am Körper trägt - liest Steimle den englischen Ausdruck für Werwölfe und fragt ungläubig in die Runde. Gelächter erfüllt den Raum.

Nach 20 Minuten rastet auch die letzte Kappe auf der Spitze eines Filzstiftes ein. Die Studenten schieben ihre Karten in die Mitte des Tisches, jede einzelne wird nun besprochen. In der Ideensammlung finden sich Stichworte wie "personalisiertes Smartphone-Cover", "interaktiver Ring" oder "Geräte, die man am Körper trägt". Zum Schluss hält Daniel Gröger ein ganzes Bündel Karten in den Händen und lässt diese wie Banknoten über den Daumen rauschen.

Ein paar Stunden später sitzt Jürgen Steimle in seinem Büro, jedoch vor dem Schreibtisch statt hinter diesem. Ein weiterer Stuhl steht vor ihm, darauf ein gelbes Notenbuch, gegen das Rückenteil gelehnt. Steimles Augen fixieren die Noten, während seine linke Hand den Hals eines Cellos hält und die rechte den Bogen führt. Er spielt die erste Cello-Suite von Bach, ganz in die Musik vertieft. Während seiner Studienzeit in Freiburg hat Steimle sich als Cellist Geld verdient, hat als Mitglied des Akademischen Orchesters in Russland und Frankreich gespielt. Heute dient die Musik seiner Entspannung nach einem vollgepackten Arbeitstag.

Steimle kratzt, schlägt, zupft, reißt. Er reizt das Instrument sowohl zu tiefsten als auch zu höchsten Tönen, bevor er das Spiel abbricht: "Es ist ein relativ einfaches Werkzeug, doch man kann damit eine hochkomplexe Welt erschaffen. Dieser Gegensatz, das ist das Spannende für mich - auch in meiner Forschung."


Auf den Punkt gebracht

• Unsere Welt wird immer stärker vernetzt. Forscher gehen davon aus, dass bald in praktisch jedem Gegenstand ein Computer stecken wird.

• Gedruckte Elektronik gilt derzeit als Schlüsseltechnologie. Sie erlaubt es, Computergeräte mit ganz neuen Eigenschaften zu realisieren, die hauchdünn, verformbar oder gar dehnbar sind.

• Jürgen Steimle und sein Team beschäftigen sich mit den Prinzipien, wie man mit diesen eingebetteten Computern arbeiten und kommunizieren kann.

• So forschen die Wissenschaftler an einer neuen Art, personalisierte Computergeräte zu drucken. Oder sie nutzen die menschliche Haut als Eingabesensor für mobile Endgeräte.


Dieser Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen herunterzuladen unter:
http://www.mpg.de/9341703/W003_Material_Technik_054-059.pdf

*

Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2015, Seite 54-59
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München
Telefon: 089/2108-1719 /-1276, Fax: 089/2108-1405
E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: www.mpg.de/mpforschung
 
Das Heft erscheint in deutscher und englischer Sprache
(MaxPlanckResearch) jeweils mit vier Ausgaben pro Jahr.
Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang