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MELDUNG/196: Forschungsergebnisse zur Geschichte physikalischer Grundbegriffe veröffentlicht (idw)


Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte - 14.02.2012

MPIWG-Direktor veröffentlicht Forschungsergebnisse zur Geschichte physikalischer Grundbegriffe


Am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte wird in einem mehrjährigen Projekt die Langzeitentwicklung mechanischen Wissens erforscht. Jürgen Renn hat gemeinsam mit Peter Damerow die Kontroverse zwischen zwei zentralen Wissenschaftler-Ingenieuren der Renaissance untersucht, die eine neue Perspektive auf die Frage erlaubt, wie die historische Entwicklung der Physik mit einem Begriffswandel einhergeht und wie physikalische Grundbegriffe wie 'Kraft', 'Gewicht' oder 'Schwerpunkt' sich zu Beginn der frühen Neuzeit gewandelt haben.

Ausgangspunkt für diese wissenshistorische Forschung waren zwei Bücher zur Gleichgewichtskontroverse, in denen sich handschriftliche Anmerkungen von Guidobaldo del Monte befinden, eines von Giovanni Battista Benedetti und eines von Jordanus de Nemore. Die Wissenschaftshistoriker Renn und Damerow haben diese Anmerkungen entschlüsselt und präsentieren sie nun in einer Open-Access Publikation.

Die Gleichgewichtskontroverse beschäftigte sich mit der Frage, ob eine einmal ausgelenkte Waage wieder in ihren Gleichgewichtszustand zurückkehrt. Diese scheinbar triviale Frage hat seit der griechischen Antike Philosophen und Wissenschaftler zum Nachdenken angeregt. Nach nahezu zwei Jahrtausenden wurde sie schließlich im 16. Jahrhundert zum zentralen Gegenstand der Werke von Wissenschaftlern wie Guidobaldo del Monte und Giovanni Battista Benedetti. Als Ergebnis einer langfristigen Wissensentwicklung kristallisierte sich schließlich eine zentrale Einsicht mechanischen Wissens heraus - das Verständnis der lagebedingten Wirkung eines Gewichts oder einer Kraft. Moderne Begriffe wie 'Drehmoment' oder 'potentielle Energie' haben ihren Ursprung in dieser Entwicklung, die bis in die Antike zurückreicht und ihren Höhepunkt in der Gleichgewichtskontroverse der Renaissance fand. Jürgen Renn und Peter Damerow argumentieren, dass diese Frage eine grundsätzliche Bedeutung für den Fortschritt der Physik besaß. Aus der Sicht einer historischen Epistemologie wissenschaftlichen Wissens spielen einfache physikalische Probleme, wie sie im Rahmen der Gleichgewichtskontroverse aufgetreten sind, eine Schlüsselrolle für diesen begrifflichen Wandel. Darüber hinaus zeigt sich, dass diese Veränderung kein linearer und isolierter Prozess war. Er war vielmehr von umfassenden Neustrukturierungen ganzer Wissenssysteme begleitet.

Diese Kontroverse wird von Peter Damerow und Jürgen Renn in einer gerade erschienenen Publikation untersucht (The Equilibrium Controversy: Guidobaldo del Monte's Critical Notes on the Mechanics of Jordanus and Benedetti and their Historical and Conceptual Background (2012). Sie erscheint in einer ausführlich kommentierten Quellenausgabe als Band 2 in der Reihe Sources der Max-Planck Research Library for the History and Development of Knowledge.

Weitere Informationen unter:
http://www.mpiwg-berlin.mpg.de
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1254


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte,
Dr. Hansjakob Ziemer, 14.02.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2012