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FORSCHUNG/437: Experiment mit "spukhafter Fernwirkung" (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 04.06.2007

Experiment mit "spukhafter Fernwirkung"

Quantenphysiker übermitteln verschlüsselte Botschaften über Rekord-Distanz


Mit Hilfe der Quantenkryptographie soll eine abhörsichere Kommunikation ermöglicht werden. Ein großer Schritt auf dem Weg dorthin gelang nun einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Harald Weinfurter, Professor für Quantenoptik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und Max-Planck-Institut für Quantenoptik, und Professor Anton Zeilinger, Universität Wien. In einem Experiment konnten sie aufzeigen, dass die so genannte quantenmechanische Verschränkung, die von Albert Einstein als "spukhafte Fernwirkung" bezeichnet wurde, selbst über eine Distanz von 144 km nachweisbar bleibt - zehn mal weiter als je zuvor gemessen. Das Ergebnis hat nicht nur Bedeutung für die Grundlagenphysik sondern auch für die praktische Anwendung: Die Quantenverschränkungen können zur Erzeugung eines geheimen Schlüssels und damit zur abhörsicheren Nachrichtenübertragung verwendet werden, wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature Physics berichten.

Lichtteilchen sind bei diesem Experiment die Träger von Informationen. Licht hat zugleich Wellen- und Teilcheneigenschaften. Die Teilchen werden auch Photonen oder Lichtquanten genannt. Die quantenmechanische Eigenschaft der Verschränkung von Photonen verursacht übereinstimmende Messergebnisse an Teilchenpaaren - egal wie weit die Teilchen voneinander entfernt sind. In der experimentellen Studie für die Europäische Raumfahrtagentur ESA fragten die Forscher danach, was passiert wenn eines von zwei verschränkten Lichtteilchen weit entfernt vom anderen gemessen wird. Die Situation scheint zunächst sehr dem Spiel mit zwei herkömmlichen Würfeln ähnlich zu sein. Nach einem Wurf zeigt jeder der beiden eine zufällige Augenzahl - das gleiche würden wir auch bei verschränkten Würfeln beobachten. Während aber bei herkömmlichen Würfeln die beiden Zahlen unabhängig voneinander sind, zeigen "verschränkte Würfel" immer die gleiche Augenzahl, egal wie weit sie voneinander getrennt sind. Genau dieser Umstand wird in der Quantenkryptographie ausgenutzt, um einen kryptographischen Schlüssel zu erstellen.

Im Experiment wurden die verschränkten Photonen am Roque de los Muchachos Observatorium (2.400 m) auf der Kanarischen Insel La Palma erzeugt. Eines der Photonen wurde über ein Teleskop auf seine 144 km lange Reise durch die Luft zur Nachbarinsel Teneriffa geschickt, wo das OGS, ein für die Satellitenkommunikation gebautes Teleskop der ESA, als Empfänger diente. Das Schwester-Photon wurde lokal in La Palma gemessen, wobei die Messergebnisse der Polarisation (entspricht der Augenzahl der Würfel) der beiden Photonen miteinander verglichen wurden. Mit großer Wahrscheinlichkeit ergab die Messung in La Palma dasselbe Ergebnis wie die Messung am Photon in Teneriffa. Mittels dieser Eigenschaft konnte ein geheimer Schlüssel ausgetauscht werden, den nur die rechtmäßigen Sender und Empfänger kennen und daher zur abhörsicheren Nachrichtenübertragung verwenden können.

Wenngleich der quantenmechanische Effekt der Verschränkung schon lange bekannt und in vielen Experimenten untersucht worden ist, ist es eine gewaltige technische Herausforderung, dies über sehr große Distanzen zu realisieren. Auf dem Weg durch die Atmosphäre wechselwirken die Lichtteilchen mit Atomen und Molekülen, obendrein lenkt Luftunruhe den Lichtstrahl ab, ähnlich dem Flirren über heißem Asphalt. Im Experiment konnte jedoch eine hohe Verschränkungsqualität der Partnerteilchen nachgewiesen werden. Alternativ können auch schwache Laserpulse zur Quantenkryptographie verwendet werden, bisher aber nur über kurze Distanzen. Im Rahmen des ESA-Projekts (General Study Programme) wurde gezeigt, dass, unter Ausnutzung einer neuartigen Kodierung, mit vergleichbarer Ausbeute Schlüssel auch über diese große Entfernung erzeugt werden können (siehe Physical Review Letters 98, 010504).

Will man mit Satelliten kommunizieren ist die Entfernung zwar größer, aber die störende Luftschicht deutlich dünner. Die Experimente zeigen daher eindeutig, dass sichere Nachrichtenübertragung von und zu Satelliten auf Basis der Quantenkommunikation schon mit heutiger Technologie möglich ist. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA plant bereits weitere Schritte hin zur globalen Verteilung von Quantenzuständen entweder mittels Satelliten, oder mit einem Quantenkommunikationsmodul installiert am europäischen Weltraumlabor Columbus der Internationalen Raumstation ISS. Damit wird es möglich sein, die bisherige Entfernungsbegrenzung der Quantenkryptographie zu überwinden und Quantenkommunikation auf globalem Niveau zu verwirklichen.

Veröffentlichung:
"Entanglement-based quantum communication over 144 km" R. Ursin, F. Tiefenbacher, T. Schmitt-Manderbach, H. Weier, T. Scheidl, M. Lindenthal, B. Blauensteiner, T. Jennewein, J. Perdigues, P. Trojek, B. Ömer, M. Fürst, M. Meyenburg, J. Rarity, Z. Sodnik, C. Barbieri, H. Weinfurter und A. Zeilinger. Published online:
http://dx.doi.org/10.1038/nphys629

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Harald Weinfurter
Tel.: 089 / 2180-2044
E-Mail: harald.weinfurter@physik.uni-muenchen.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution114


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 04.06.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2007