Universität Augsburg - 27.04.2015
Quanteneigenschaften spezieller metallischer Magnete enträtselt
Forscherteam aus Augsburg und Hiroshima berichtet in Science Advances über die erstmals gelungene Charakterisierung einer sogenannten Quantenspinflüssigkeit.
Augsburg/PhG/KPP - Kühlt man Materialien zu immer tieferen Temperaturen,
so nimmt die Bewegung ihrer atomaren Bestandteile ab. Daher liegen bei
tiefen Temperaturen alle Elemente und Verbindungen im festen
Aggregatszustand vor. Eine bereits bekannte Ausnahme bildet das Edelgas
Helium: Selbst am absoluten Nullpunkt also bei minus 273.15°C - bleibt
dieses Element unter Normaldruck im flüssigen Zustand. Ursache für dieses
Phänomen ist die Heisenbergsche Nullpunktsenergie, eine Folge der
Quantenmechanik. Daher wird Helium als "Quanten-Flüssigkeit" bezeichnet.
In "Science Advances" berichten jetzt Physiker der Universität Augsburg
gemeinsam mit Kollegen von der japanischen Hiroshima University über die
Synthese und Untersuchung von Kristallen aus einer speziellen Verbindung
von Cer, Rhodium und Zinn, CeRhSn. Die als Spins bezeichneten
magnetischen Momente in diesem Material gehen bei Abkühlen selbst bis zu
wenigen Tausendsteln Grad über dem absoluten Nullpunkt nicht in einen
geordneten Zustand über. Stattdessen zeigen sie
Quanten-Spinflüssigkeitsverhalten mit neuartigen Eigenschaften in gewisser
Analogie zu flüssigem Helium.
Prof. Dr. Philipp Gegenwart vor der Tieftemperatur-Messapparatur, mit
der er und seine Kollegen die Quanteneigenschaften von CeRhSn
enträtseln konnten.
Foto: © Klaus Satzinger-Viel
Die kleinsten Bestandteile in Magneten werden Spins genannt. Üblicherweise
sind diese Spins bei tiefen Temperaturen stabil und regelmäßig
ausgerichtet. Verursacht werden diese Stabilität und die regelmäßige
Ausrichtung durch die paarweisen Wechselwirkungen zwischen jeweils
benachbarten Spins. In CeRhSn-Kristallen, über deren Untersuchung die
Augsburger Physiker und ihre Kollegen jetzt in "Science Advances"
berichten, sind die Spins ungewöhnlich angeordnet. Sie sitzen auf den
Ecken miteinander verbundener Dreiecke. Diese spezielle Struktur macht es
unmöglich, dass sich die übliche Ordnung ausbildet, bei der alle nächsten
Nachbarspins antiparallel zueinander stehen. Man bezeichnet das als
geometrische Frustration. Sie begünstigt, dass die bei tiefen
Temperaturen immer auftretenden Quantenfluktuationen in solchen
Materialien einen besonders starken Einfluss haben und zu einem instabilen
und fluktuierenden magnetischen Verhalten führen. "Dieser Zustand wird
Quanten-Spinflüssigkeit genannt, ist aber experimentell noch so gut wie
unerforscht", erläutert Prof. Dr. Philipp Gegenwart, Leiter des Augsburger
Lehrstuhls für Experimentalphysik VI.
Bisherige Untersuchungen zu den ungelösten Fragen im Zusammenhang mit Quanten-Spinflüssigkeiten hätten sich auf elektrisch isolierende Magneten beschränkt, so der Augsburger Wissenschaftler. "Wir haben einen neuen Weg eingeschlagen und erstmals in einem metallischen Magneten Hinweise auf Quanten-Spinflüssigkeitsverhalten beobachten können. Hierzu haben wir die Verbindung CeRhSn gezielt gewählt, um sowohl geometrische Frustration als auch eine zusätzliche Schwächung der magnetischen Ordnung durch die Wechselwirkung der magnetischen Momente mit Leitungselektronen zu erreichen."
Zu diesem Zweck wurden von den japanischen Projektpartnern hochwertige CeRhSn-Kristalle hergestellt, die in Augsburg dann mit speziell entwickelten, hochempfindlichen Messmethoden untersucht wurden. Zu diesen Methoden zählt u. a. die Detektion von kleinsten Längenänderungen bei Temperaturen bis zu wenigen Tausendsteln Grad über dem absoluten Nullpunkt.
"Unsere Messungen an CeRhSn-Kristallen beweisen, dass die Spins in Quanten-Spinflüssigkeiten nicht erstarren, sondern vielmehr bis zu den tiefsten Temperaturen ihren flüssigkeitsartigen Zustand beibehalten, weil sie sich aufgrund ihrer geometrischen Frustration quanten-kritisch verhalten", so Philipp Gegenwart.
Auf das Anwendungspotential der Forschung angesprochen, erläutert Prof. Gegenwart, dass es eine wichtige Aufgabe moderner Materialforschung sei, neue Substanzen und deren Verhalten zu charakterisieren. "Ohne Grundlagenforschung", sagt er, "gibt es keine langfristige technologische Entwicklung. Wir konnten anhand von CeRhSn jetzt erstmals exemplarisch eine metallische Quantenspinflüssigkeit charakterisieren und so ein vielversprechendes neues Forschungsfeld eröffnen."
Publikation:
Y. Tokiwa, C. Stingl, M. S. Kim, T. Takabatake, P. Gegenwart,
Characteristic signatures of quantum criticality driven by geometrical
frustration.
Sci. Adv. 1, e1500001 (2015).
Weitere Informationen unter:
http://advances.sciencemag.org/content/1/3/e1500001
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution58
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Augsburg, Klaus P. Prem, 27.04.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2015
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