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ASTRO/228: Kosmologie im Labor mit lasergekühlten Ionen (idw)


Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) - 07.08.2013

Kosmologie im Labor mit lasergekühlten Ionen (aktuell in Nat. Commun.)

Blick auf den Beginn unseres Universums: QUEST-Forscher an der PTB erzeugen und untersuchen Symmetriebrüche in Ionen-Coulomb-Kristallen.



Wissenschaftler wüssten zu gerne, welche Kräfte unser Universum vor etwa 14 Milliarden Jahren schufen. Wie entstanden aus einem ursprünglich symmetrischen Universum, in dem kurz nach dem Urknall überall dieselben Bedingungen herrschten, durch einen Bruch der Symmetrie überhaupt Materie und damit Sterne und Galaxien? Nun ist der Urknall selbst ein nicht zu wiederholendes Experiment. Doch das Prinzip der Symmetrie und ihrer Störung lässt sich durchaus unter kontrollierten Laborbedingungen untersuchen: Wissenschaftler des Exzellenzclusters QUEST* in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) nutzten dafür lasergekühlte Ionen in sogenannten Ionen-Coulomb-Kristallen. Sie konnten erstmals zeigen, wie sich Symmetriebrüche kontrolliert erzeugen lassen und dabei das Auftreten von Defekten beobachten. Die experimentelle Realisierung dieser sogenannten topologischen Defekte in einem wohlkontrollierten System eröffnet nun neue Wege zur Untersuchung von Quanten-Phasenübergängen und Einsicht in die Nicht-Gleichgewichtsdynamik von komplexen Systemen. Die Ergebnisse werden heute in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

In einer internationalen Kooperation mit Kollegen aus dem amerikanischen Los Alamos National Lab, der Universität Ulm und der Hebrew University in Israel gelang es den Forschern der PTB erstmals, topologische Defekte in einem atom-optischen Experiment im Labor zu demonstrieren. Topologische Defekte sind Abweichungen in der räumlichen Struktur, die durch den Bruch der Symmetrie entstehen, wenn Teile eines Systems nicht miteinander kommunizieren können. Sie bilden sich während eines Phasenübergangs und zeigen sich als nicht zusammenpassende Bereiche (Abb. 1). Die Wissenschaftler nutzten bei ihrer Arbeit die Symmetrie-Eigenschaften in Ionen-Coulomb-Kristallen, die mit denen des frühen Universums vergleichbar sind.

Abb.: © PTB

Beispiel einer Symmetriebrechung - Die Abbildung zeigt mit einer EMCCD-Kamera (Elektronenvervielfachte-CCD-Kamera) aufgenommene Ytterbium-Ionen in einem Ionen-Coulomb-Kristall. Die ionisierten Atome fluoreszieren im Laserlicht, der Abstand zwischen den Ionen beträgt ca. 10-20 µm. (a) Radiale Symmetrie: Bei starkem radialen Falleneinschluss reihen sich die ionisierten Atome wie in einer Perlenkette auf. Das von den positiv geladenen Teilchen gefühlte radiale Potential ist links unten dargestellt. (b) Spiegelsymmetrie: Wird die Stärke des radialen Einschlusses verändert, entsteht die Freiheit einander auszuweichen, und der Kristall nimmt eine neue, energetisch günstigere Struktur an. Dabei stehen nun zwei energetisch gleichwertige Konfigurationen zur Wahl. Bereiche, die nicht kommunizieren, "entscheiden sich" unabhängig für eine neue Ausrichtung. Dort wo zwei Bereiche zusammenstoßen, die unterschiedliche Ausrichtungen gewählt haben, entstehen topologische Defekte.
Abb.: © PTB

Die experimentelle Herausforderung für die Forscher um Tanja Mehlstäubler lag darin, die sichere Kontrolle über ein komplexes Vielteilchensystem zu erlangen und durch eine gezielte Veränderung der äußeren Bedingungen die Symmetriebrechung herbeiführen zu können. Dies gelang mithilfe von Ytterbium-Ionen, die in sogenannten Paul-Fallen im Ultrahochvakuum gefangen und mit Hilfe von Laserlicht auf Temperaturen von wenigen Millikelvin gekühlt wurden. Die gefangenen, positiv geladenen Teilchen stoßen sich in der Falle ab und nehmen bei diesen ultra-tiefen Temperaturen eine kristalline Struktur an (Abb. 2 a-c). Präzise Ionenfallen, welche für metrologische Anwendungen entwickelt wurden, erlauben hierbei eine hohe Kontrolle der ultra-kalten Teilchen und der Umgebungsparameter.

Werden die Parameter des Falleneinschlusses schneller als die Schallgeschwindigkeit im Kristall verändert, so treten topologische Defekte auf (Abb. 2 d-e), während die Ionen eine neue Gleichgewichtsbedingung im Kristall suchen. Die Stabilität dieser Effekte konnte mit Hilfe numerischer Simulationen untersucht und optimiert werden. Damit ergibt sich ein ideales System, um flexibel und mit höchster Sensitivität die Physik symmetriebrechender Übergänge zu erforschen. Die spontane Umorientierung des Coulomb-Kristalls folgt dabei denselben Regeln, die das frühe Universum nach dem Urknall beschreiben.

Abb.: © PTB

Mit einer EMCCD-Kamera (Elektronenvervielfachte-CCD-Kamera) aufgenommene Ytterbium-Ionen in einem Ionen-Coulomb-Kristall. Die ionisierten Atome fluoreszieren im Laserlicht, der Abstand zwischen den Ionen beträgt ca. 10-20 µm. In den oberen Reihen sind verschiedene symmetrische Ionen-Anordnungen (Phasen) im zentralen Bereich des Coulomb-Kristalls zu sehen: (a) linear wie auf einer Perlenschnur (achsenrotationssymmetrisch), (b) zweidimensional im Zick-Zack (Z2-Symmetrie) und (c) als dreidimensionale Helix. Wird jedoch eine schnelle Änderung von einer Phase in die andere erzwungen, kommt es zu Unregelmäßigkeiten: (d) lokalisierter Defekt zwischen zwei in sich symmetrischen Bereichen und (e) ausgeweiteter Defekt bei der die Anordnung der Ionen langsam von der Zick-Zack-Orientierung in die spiegelbildliche übergeht.
Abb.: © PTB

Die Arbeit der Forscher steht in enger Verbindung mit der sogenannten Kibble-Zurek-Theorie von Tom Kibble und Wojciech Zurek. Sie entstand aus Kibbles Ideen über spezielle topologische Defekte im jungen Universum: Bruchteile von Sekunden nach dem Urknall fand dort ein Symmetriebruch statt, und das junge Universum musste sich "entscheiden", welchen neuen Zustand es annimmt. Dort, wo einzelne Bereiche des Universums ihre Entscheidung nicht miteinander kommunizieren konnten, könnten topologische Defekte entstanden sein, wie z. B. kosmologische Strings und Domänenwände. Die Kibble-Zurek-Theorie ermöglicht aber auch statistische Aussagen zur Entstehung von Defekten bei Phasenübergängen im Allgemeinen. Durch ihren universellen Charakter ist diese Theorie auf viele Bereiche der Physik anwendbar, wie z. B. der Betrachtung des Übergangs von Metallen zu Supraleitern oder den Übergang von ferro- zu paramagnetischen Systemen.

Die internationale Forschergruppe zeigte jetzt mit ihrer Arbeit, dass sich die Kibble-Zurek Theorie auf das relativ einfache Laborsystem mit lasergekühlten Ionen-Coulomb-Kristallen übertragen lässt und konnte die Abhängigkeit der auftretenden topologischen Defekte von der Geschwindigkeit der Änderungen demonstrieren. Verwandte Experimente, welche parallel an der Universität Mainz durchgeführt wurden, kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Das demonstrierte neue System ermöglicht in Zukunft weiterführende Experimente zu Phasenübergängen in klassischen Systemen und in der Quantenwelt, sowie Tests im Bereich der Physik nicht-linearer Effekte (z.B. Solitonen) in einem wohlkontrollierten Vergleichssystem. Damit sind die Physiker dem Verständnis von kausalen Zusammenhängen in der Natur einen Schritt näher gekommen.

Wissenschaftliche Veröffentlichung:
Pyka, K.; Keller, J.; Partner, H.L.; Nigmatullin, R.; Burgermeister, T.; Meier, D.M.; Kuhlmann, K.; Retzker A.; Plenio M.B.; Zurek W.H.; del Campo, A.; Mehlstäubler, T.E.:
"Topological defect formation and spontaneous symmetry breaking in ion Coulomb crystals"
Nat. Commun. 4:2291 doi: 10.1038/ncomms3291 (2013)
http://www.nature.com/naturecommunications

* QUEST: Center for Quantum Engineering and Space Time Research


Weitere Informationen unter:
http://www.ptb.de/de/aktuelles/archiv/presseinfos/pi2013/pitext/pi130807.html
http://www.nature.com/naturecommunications

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution395

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), Imke Frischmuth, 07.08.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2013