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FORSCHUNG/182: Hilft Geoengineering? (research*eu)


research*eu Nr. 52 - Juni 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Klima
Hilft Geoengineering?

Von Yves Sciama


Für Paul Crutzen, renommierter Spezialist für Atmosphärenchemie am deutschen Max-Planck-Institut und Träger des Nobelpreises (1995), geht der Bericht 2007 des IPCC "an der Realität vorbei". Mit seinem Vorschlag die Möglichkeiten eines direkten Eingriffs auf die Erdatmosphäre zu untersuchen, spätestens wenn das Klima anfängt, aus den Fugen zu geraten, hat der Niederländer im letzten Jahr ein Tabu gebrochen.


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FRAGE: Was halten Sie von den Schlussfolgerungen des neuesten Berichts des IPCC?

PAUL CRUTZEN: Sie bringen nicht viel Neues für jemanden, der diese Problematik verfolgt. Die Zahlen unterscheiden sich eigentlich kaum von jenen, die im vorigen Bericht von 2001 veröffentlicht waren. Das bedeutet keinesfalls, dass die Klimatologie seitdem keine Fortschritte gemacht hat. Die Entwicklungswahrscheinlichkeiten sind präziser und fundierter geworden.

Der Widerspruch zwischen den Temperatur - erhebungen in der Atmosphäre und den Satellitendaten, bisher ein Besorgnis erregendes Problem, ist mit der Aufdeckung falsch interpretierter Messdaten durch die Satelliten beseitigt worden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Erklärung, dass der Temperaturanstieg die Kohlenstoffspeicher in den Ozeanen und an Land reduzieren wird. Die Bestände würden freigesetzt und zu CO2-Quellen werden. Diese Frage ist im Bericht von 2001 offen geblieben. Das Einzige, was man an den Ausführungen des IPCC-Berichts bemängeln könnte, ist, dass er sich zu vorsichtig äußert und etwas an der Realität vorbeigeht. Die Situation ist möglicherweise viel kritischer, als sie hier dargestellt ist. Beispielsweise wird der Anstieg des Meeresspiegels unterschätzt. Das wurde schon von mehreren Forschern betont.

Das Klima ist möglicherweise weniger stabil, als wir es annehmen, und die Temperaturen können schneller steigen als vorhergesehen. Ich bin Spezialist auf dem Gebiet der Erforschung der Ozonschicht und möchte Ihnen hier ein Beispiel geben. In unseren anfänglichen Auswertungen zum Ozonloch haben wir das Problem eindeutig unterschätzt, weil wir die Lage der Arktis nicht berücksichtigt hatten. Wir hatten nicht bedacht, dass das FCKW, welches in die mittleren und hohen Breitengrade der Nordhalbkugel eingeleitet wurde, katastrophale Auswirkungen hatte, die zur Veränderung des Ozons am gegenüberliegenden Pol führen würden. Kann nicht auch eine ähnliche "Überraschung" bei der Erwärmung auftauchen? Für diesen Fall muss eine Strategie bereitstehen, die eine schnelle Reaktion ermöglicht. Man kann in Erwägung ziehen, dass eine kontrollierte Emission an Schwefelaerosolen, ungefähr eine Million Tonnen pro Jahr, den Prozess signifikant verlangsamen würde.

FRAGE: Mit ihrer Behauptung, man könne das Klima durch Einleitung von Schwefelaerosolen in die Erdatmosphäre "abkühlen", haben sie eine kontroverse Debatte eröffnet. Von einer Zustimmung ist man noch weit entfernt.

PAUL CRUTZEN: Wenn sich das Klima zu sehr und zu schnell erwärmt und untragbare Konsequenzen für große Teile der Menschheit nach sich zieht, besteht dringender Handlungsbedarf. Man weiß jedoch, dass bei jedem großen Vulkanausbruch große Mengen an Schwefelaerosolen auf natürlichem Wege produziert und in die Atmosphäre katapultiert werden. Dieses Phänomen sorgt für eine spürbare Abkühlung der Atmosphäre, die sehr gut messbar ist. Der Mechanismus ist denkbar einfach: die Schwefelpartikel reflektieren die auftreffende Sonneneinstrahlung und erhöhen die sogenannte Albedo (1) der Atmosphäre.

FRAGE: Haben Sie eine Vorstellung von den Kosten dieser Strategie und der Technik, die eingesetzt werden könnte?

PAUL CRUTZEN: Bezüglich der Technik kann ich mich nur zurückhaltend äußern, weil ich kein Spezialist auf dem Gebiet der Raumfahrt bin. Die amerikanische Akademie der Wissenschaften (NAS) befasst sich bereits mit diesem Projekt. Eine denkbare Vorgehensweise bestünde im Einsatz von Raketen, die Kohlenwasserstoffe verbrennen, wenn sie in die Troposphäre eintreten und dann Schwefelsäure in die Stratosphäre abgeben. Allerdings müssten die Aerosole in die Stratosphäre eingebracht werden, da sie sonst zu schnell durch den Regen ausgewaschen würden.

FRAGE: Welche "Nebenwirkungen" hätten diese "provozierten" Emissionen?

PAUL CRUTZEN: Ein Teil der Aerosole würde in Form von Schwefelsäure wieder auf die Erde fallen, was dann zu saurem Regen führen würde. Die Säurebildung dürfte jedoch einen gewissen Prozentzsatz nicht überschreiten, und es ist wahrscheinlich, dass die Ökosysteme das verkraften werden. Schwefelemissionen menschlichen Ursprungs spielen bereits seit zwanzig Jahren eine wichtige Rolle und haben in keinem Fall so katastrophale Auswirkungen gehabt wie der Treibhauseffekt. Man muss jedoch einen weiteren Anstieg der Schwefel - emissionen in stark industrialisierten Ländern, wie China und Indien, beobachten und berücksichtigen.

Einer der möglichen negativen Nebeneffekte könnte auch die verschärft fortschreitende Zerstörung des Ozons in der Stratosphäre sein. Das muss geprüft werden. Schließlich gibt es noch eine andere mögliche und unerwünschte Konsequenz, über die man sich im Klaren sein muss: diese Aerosole könnten die Bildung von Zirruswolken begünstigen. Diese Wolken entstehen in großen Höhen und könnten den Treibhauseffekt verstärken. Aus diesem Grund müssen Forschungen unternommen werden.

FRAGE: In ihren Reaktionen bezeichnen Ökologen Ihren Vorschlag als Wissenschaft aus der "Hexenküche". Doch wie reagiert die Gemeinschaft der Wissenschaftler auf Ihren Vorschlag?

PAUL CRUTZEN: Manche sind dafür, andere dagegen. Natürlich wurde ich von einigen hart angegriffen, aber es waren weniger, als ich erwartet hatte. Letztlich hat die Debatte einen sehr nüchternen Verlauf genommen und ich glaube, dass wir einen Konsens für die Finanzierung der Forschungsarbeiten finden werden.

Die Arbeiten zur Modellbildung sind schon im Gange. Sie wurden abgeglichen mit der umfangreichen Sammlung neuester Daten, die durch Messkampagnen nach dem Ausbruch des 'Pinatubo' (Indonesien) 1991 und des 'El Chichon' (Mexiko) 1982 zusammengestellt wurden. Wenn es zu neuen Eruptionen in den kommenden Jahren kommen sollte, werden wir in der Lage sein, gründliche Untersuchungen durchzuführen.

FRAGE: Gibt es auch noch andere erwähnenswerte Lösungen des "Geoengineering", die Ihrer Meinung nach untersucht werden sollten?

PAUL CRUTZEN: Natürlich. Da wäre etwa die geologische CO2-Sequestrierung. Zu ihr liegen bereits einige Forschungsergebnisse vor. Eine Überlegung wäre die Ausstreuung von Eisen ins Meer. Auf diese Weise könnte man die Photosynthese in den Ozeanen anregen, die sehr viel Kohlenstoff speichert. Es wurde auch schon vorgeschlagen, Pumpen auf den Ozeanen zu installieren, um gelöste Salzpartikel freizusetzen, die dann die Albedo erhöhen sollen. Weiter wurde in Erwägung gezogen, "Spiegel" im All zu installieren, die Sonnenstrahlen reflektieren sollen.

Jede dieser Möglichkeiten muss wissenschaftlich untersucht werden. Außerdem bin ich glücklich, dass ich mit der Publikation meines Artikels im Jahr 2005 dazu beitragen konnte, dass die Diskussion über das Geoengineering in Gang gekommen ist.

FRAGE: Wäre es nicht besser, unsere Emissionen zu reduzieren?

PAUL CRUTZEN: Absolut! Ich sage auch nicht, dass all das getan werden muss, aber es müssen Untersuchungen angestellt werden, um die Möglichkeiten zu erforschen. Diese Arbeiten dürfen in keinem Fall dazu animieren, die Verschmutzung wie bisher fortzusetzen. Ich hoffe, dass der Einsatz von Geoengineering niemals notwendig werden wird.

Die Vergangenheit hat mich jedoch pessimistisch gemacht. Der neueste Bericht des IPCC scheint, über die Wissenschaftler hinaus, endlich in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit und der Industrie vorgedrungen zu sein. Aber man muss sehen, wie lange das anhält. Es hat schon öfter eine große Aufbruchstimmung geherrscht. Man denke an die Zeit nach dem Gipfel von Rio oder nach dem Abkommen von Kyoto und noch früher in den 70ern. Letztendlich ist dabei nie etwas herausgekommen. Ich hoffe dennoch, dass wir jetzt das wahre Ausmaß erkennen. Es sollte ausreichen, um endlich eine tief greifende Kursänderung einzuleiten.


(1) Die Albedo ist das Verhältnis zwischen der Sonnenenergie, die von einer Oberfläche reflektiert wird, und der auftreffenden Sonnenenergie. Man verwendet eine Skala von 0 (für eine schwarze Oberfläche ohne Reflexionseigenschaften) bis 1 (vollkommener Spiegel, der alle auftreffenden, sichtbaren und elektromagnetischen Strahlen ohne Absorption in alle Richtungen reflektiert).


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Paul Crutzen - "Das Einzige, was man am Bericht des IPCC bemängeln könnte, ist, dass er sich zu vorsichtig ausdrückt."

> Der gigantische Ausbruch des indonesischen Vulkans Pinatubo im Juni 1991 hat ein immenses, natürliches Labor zur Klimabeobachtung geschaffen. Hier kann man die Auswirkungen des massiven Gasausstoßes in die Atmosphäre, insbesondere den Einfluss des Schwefels auf den Treibhauseffekt, untersuchen.
U.S. Geological Survey.


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Quelle:
research*eu Nr. 52 - Juni 2007, Seite
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2007