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FORSCHUNG/433: Wenn die Luft knapp wird - Pflanzliche Stressreaktion auf Sauerstoffmangel aufgeklärt (idw)


Institut für Pflanzenbiochemie - 23.03.2017

Wenn die Luft knapp wird - Pflanzliche Stressreaktion auf Sauerstoffmangel aufgeklärt


Pflanzen brauchen wie alle Lebewesen Sauerstoff zum Überleben. Bei Staunässe und Überflutungen kommt es zu einer bedrohlichen Mangelsituation (Hypoxie), auf die die Pflanze mit dem Anschalten eines speziellen Überlebensprogramms reagiert. Während bei Tieren und Bakterien die molekularen Grundlagen dieses Stressprogramms schon lange bekannt sind, war das Wissen um die pflanzliche Reaktion auf Hypoxie bisher noch von Unklarheiten geprägt. Diese hypothetischen Lücken wurden jetzt von Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle und der Universität Oxford experimentell geschlossen. Dabei konnte vor allem die Frage geklärt werden, wie der Sauerstoffsensor funktioniert, mit dem die Pflanze den Sauerstoffmangel wahrnimmt, um die entsprechenden Stressreaktionen einzuleiten. Die Ergebnisse wurden jetzt in Nature Communications publiziert.

Obgleich Pflanzen durch die Photosynthese Sauerstoff produzieren, sind sie nachts und in besonderen Entwicklungsphasen auf eine externe Sauerstoffzufuhr angewiesen, um die nötige Energie aus ihrer Zellatmung zu gewinnen. Ist diese Sauerstoffversorgung gestört, fährt die Pflanze ihren Stoffwechsel herunter, indem sie andere Stoffwechselwege aktiviert. Durch diese anaeroben Stoffwechselreaktionen, bei denen die Nährstoffe ohne Sauerstoff abgebaut werden, erhält der pflanzliche Organismus etwas weniger Energie als mit Sauerstoff, aber immer noch genug, um die Mangelsituation eine Zeit lang überleben zu können. Das Umschalten auf den anaeroben Stoffwechsel ist mit der Aktivierung der entsprechenden Stoffwechselgene verbunden.


Foto: © Luft & Liebe Ballonfahrten / Björn Dankze

Überflutungen rücken mehr und mehr in den Fokus der Herausforderungen, denn Kultur- und Wildpflanzen erleiden durch den Sauerstoffmangel großen Schaden. Hochwasser 2013 in Halle / Saale
Foto: © Luft & Liebe Ballonfahrten / Björn Dankze

Die Protagonisten dieser Stressreaktion gehören daher zu einer kleinen Proteinfamilie, die als Transkriptionsfaktoren in den Zellkern wandern und dort die genannten Stoffwechselgene der anaeroben Zellatmung anschalten. Interessanterweise wären diese Transkriptionsfaktoren (die Ethylene Response Factors, ERFs) immer einsatzbereit - unter normalen Sauerstoffbedingungen (Normoxie) müssen die ERFs von den Pflanzenzellen aktiv daran gehindert werden, eine Hypoxie-Stressreaktion auszulösen. Nun konnte auf molekularer Ebene gezeigt werden, dass die Hemmung der ERFs bei Normoxie durch zwei Enzyme erfolgt. Diese forcieren einen schnellen Abbau der Transkriptionsfaktoren in der zellinternen Proteinentsorgungsmaschinerie (Proteasom). Die Einzelheiten dieses Szenarios waren bisher nicht bewiesen und wurden jetzt von Dr. Nico Dissmeyer (IPB Halle) und Dr. Emily Flashman (Universität Oxford) experimentell belegt.

Demnach fügt das erste Enzym zwei Sauerstoffatome an die erste Aminosäure der ERF-Proteine, die an dieser Stelle - am sogenannten Amino-Ende - ein Cystein tragen. Dissmeyer, Flashman und Kollegen wiesen nach, dass diese Oxidation erstens von einer pflanzlichen Cysteinoxidase (PCO) katalysiert wird und zweitens in einem einzigen Schritt erfolgt. Die PCOs sind damit die ersten pflanzlichen Cysteindioxigenasen, die bisher gefunden wurden. Die Oxidation von Cystein zu Cysteinsulfinsäure markiert die ERF-Proteine für den Angriff des zweitens Enzyms, das von den Hallenser Pflanzenexperten als Arginyltransferase identifiziert wurde. Die Arginyltransferase erkennt Cysteinsulfinsäure als ihr Substrat und fügt ihr am Amino-Ende eine zusätzliche Aminosäure, ein Arginin, hinzu. Arginin am Amino-Ende eines Proteins beeinflusst wiederrum dessen Lebensdauer, indem es das Protein zum Abbau markiert. Die arginylierten ERF-Transkriptionsfaktoren können nun durch das Proteasom erkannt und abgebaut werden. Unter normalen Sauerstoffbedingungen werden ERFs bereits abgebaut, bevor sie den Zellkern erreichen und dort entsprechende Stressreaktionsgene aktivieren können.

Bei Überflutung der Pflanze ist nicht genügend Sauerstoff für den ersten Schritt vorhanden: Die ERF-Transkriptionsfaktoren können nicht oxidiert und demnach nicht abgebaut werden. Sie bleiben stabil und aktivieren im Zellkern die Hypoxie-Gene. Sowohl die ERF-Transkriptionsfaktoren als auch die Pflanzlichen Cysteindioxigenasen gelten damit als wichtige Sauerstoffsensoren in diesem Regelkreis.

Der Fakt, dass die pflanzliche Stressreaktion auf Hypoxie unter normalen Sauerstoffbedingungen aktiv unterdrückt werden muss, könnte seine Ursache in der Evolution haben. Vor 460 Millionen Jahren, als Pflanzen sich schrittweise vom Wasser ans Land begaben, war der Zustand der Überflutung und des damit verbundenen Sauerstoffmangels vermutlich der Normalzustand, der eine schnelle Stressreaktion des pflanzlichen Organismus? erforderte, um sein Überleben zu sichern. Heute, wo im Zeichen des Klimawandels Überflutungen wieder in den Fokus der Herausforderungen rücken, sind die Erkenntnisse über diese pflanzlichen Überlebensstrategien von großer Wichtigkeit. Durch eine Stabilisierung der ERF-Transkriptionsfaktoren oder eine gezielte Inaktivierung der PCOs könnte der Mensch neue Kulturpflanzen erschaffen, die sich effizienter und länger gegen Überflutung behaupten.


Originalpublikation:
Mark D. White, Maria Klecker, Richard J. Hopkinson, Daan Weits, Carolin Mueller, Christin Naumann, Rebecca O'Neill, James Wickens, Jiayu Yang, Jonathan C. Brooks-Bartlett, Elspeth F. Garman, Tom N. Grossmann, Nico Dissmeyer & Emily Flashman, Plant Cysteine Oxidases are Dioxygenases that Directly Enable Arginyl 1 Transferase-Catalyzed Arginylation of N-End Rule Targets. Nature communications, DOI: 10.1038/NCOMMS14690

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution243

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Institut für Pflanzenbiochemie, Dipl.Biol. Sylvia Pieplow, 23.03.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2017

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