Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns - 26.08.2015
Ausgezeichnet: Fleischfressende Modellpflanze für Evolutionsstudien zur Genomgröße
Eduard Strasburger-Preis der DBG - Weil er Pflanzen der Gattung Genlisea (Reusenfallen) so gründlich untersuchte, dass diese sich zu neuen Modellorganismen für Genomstudien mausern können, erhält Dr. Andreas Fleischmann den diesjährigen Strasburger-Preis der Deutschen Botanischen Gesellschaft (DBG).
Die fleischfressenden Pflanzen der Gattung Genlisea (Reusenfallen) eignen
sich besonders dafür zu erforschen, wie und warum es einige Organismen
schaffen, ihren gesamten Bauplan und ihre gesamte Erbinformation auf sehr
wenig "Speicherplatz" unterzubringen, während andere - oft sogar nahe
verwandte Arten - dafür ein Vielfaches mehr benötigen. Diese Frage
beschäftigt Evolutionsbiologen schon lange. Im Zuge seiner Untersuchungen
entdeckte Dr. Andreas Fleischmann auch den Rekord für das kleinste
bekannte Genom aller Blütenpflanzen: die "knollige Reusenpflanze" Genlisea
tuberosa. Fleischmann, der inzwischen an der Botanischen Staatssammlung in
München forscht, legte die dafür notwendige Grundlage, indem er nicht nur
eine umfassende Monographie zu den Reusenpflanzen verfasste, sondern auch
erste stammesgeschichtliche Ergebnisse für die Beantwortung der Frage zur
Genom-Reduktion bot.
Während seiner Dissertation untersuchte Fleischmann die bis dato kaum erforschten Reusenpflanzen, die vor allem im tropischen Afrika und in Südamerika wachsen und von den heißen, nährstoffarmen Feuchtsavannen des Tieflandes bis zu den isolierten Tafelbergen Venezuelas vorkommen. Sie fangen und verdauen mit ihren zu Reusen umgestalteten, unterirdischen Blättern Kleinstlebewesen, wie Fadenwürmer, Kleinkrebse, Milben oder winzige Insekten. Mit nach innen gerichteten Haaren versperren sie in ihre schlauchförmigen Wurzelblätter hineingekrochenen Tieren den Rückweg, sodass diese immer tiefer in die Pflanze gelangen und schließlich in einer mit Drüsen versehenen Kammer landen, wo sie verdaut werden. Die Reusenpflanzen nutzen die daraus gewonnenen Nährstoffe zur Nahrungsergänzung. Dass es sich bei den Reusen tatsächlich um echte Blätter und keine umgestalteten Wurzeln handelt, hatten Morphologen bereits vor mehr als 100 Jahren belegt: Sie fanden Spaltöffnungen, die nur in Blättern, nicht aber in Wurzeln vorkommen und dem Gasaustausch dienen. Genlisea-Arten sind dagegen völlig wurzellos. Auch in anderer Hinsicht scheinen Reusenpflanzen einzigartig zu sein, denn genetische Stammbaumanalysen von Fleischmann zeigten, dass sie die wohl einzige Pflanzengruppe sind, die aus Südamerika kommend auch Afrika besiedelte und bei der eine Entwicklungslinie von Arten anschließend ein zweites Mal den Weg über den Atlantik machte und sich erfolgreich im tropischen Amerika wieder ansiedelte.
Zwar sind diese fleischfressenden Pflanzen schon seit mehr als 200 Jahren bekannt, Fleischmann hat aber als erster deren Verwandtschaftsbeziehungen mittels phylogenetischer, auf DNA-Sequenzen basierender Stammbaumrekonstruktion analysiert. Er publizierte die Ergebnisse in einer umfassenden Monographie, die auch die Ökologie und Biologie der Arten umfasst und diese mit zahlreichen Detailaufnahmen illustriert. Während dieser Arbeit entdeckte und beschrieb er mit brasilianischen Kollegen fünf neue Arten: Neben der erwähnten Rekordhalterin Genlisea tuberosa die Arten G. metallica, deren Blüten metallisch glänzen, G. exhibitionista, deren Staubblätter und der Griffel unbedeckt sind, G. flexuosa, mit einem biegsamen Blütenstiel, sowie, G. oligophylla, die nur wenige Blätter hat.
Zudem untersuchte Fleischmann das Erbgut von der Hälfte aller bekannten Reusenpflanzen. Die Chromosomenzahl zahlreicher Arten zu ermitteln entpuppte sich jedoch als Herausforderung. Denn Genlisea hat die kleinsten momentan im Pflanzenreich bekannten Chromosomen. Sie lassen sich mit einem Lichtmikroskop kaum erfassen, weil sie mit nur zwei Mikrometern Länge an dessen Auflösungsgrenze stoßen. Fleischmann musste daher viele Monate darauf verwenden, die Chromosomen-Zählmethode zu optimieren.
Bis dato war das Genom einiger Pflanzen - etwa von Nadelbäumen oder einigen Liliengewächsen (mit ca. 20 bis 150 Milliarden Basenpaaren) - vor allem deshalb aufgefallen, weil es sehr viel größer als das des Menschen (etwa 3,27 Milliarden Basenpaare) ist. Bei Reusenpflanzen zeigte Fleischmanns vergleichende Untersuchung jedoch, dass die Summe ihrer Erbinformationen im Laufe der Evolution immer kleiner wurde. Gleichzeitig wurden die Chromosomen immer mehr und immer kleiner. Je stammesgeschichtlich jünger einzelne Reusenpflanzen also sind, umso weniger Speicherplatz benötigen sie, wobei sie die gesamten Erbinformationen auf immer kleineren und immer mehr Bausteinen speichern.
Reusenpflanzen unterscheiden sich damit auch von anderen fleischfressenden Pflanzen, die relativ große Genome haben, wie etwa Arten des weltweit vorkommenden, ebenfalls wurzellosen und mit Genlisea verwandten Wasserschlauchs (Utricularia) und des Fettkrauts (Pinguicula). Die erst im Jahr 2011 von Fleischmann beschriebene Reusenpflanze Genlisea tuberosa besitzt mit 61 Millionen Basenpaaren dagegen das kleinste Genom aller Blütenpflanzen. Dieser Fleischfresser avancierte nun gemeinsam mit verwandten Reusenpflanzen zum Modellorganismus, an dem der Mechanismus verkleinerter Genome studiert werden kann - vor allem auch wegen der vielen Vergleichsdaten, die Fleischmann im Vorfeld niedergelegt hatte. Fleischmann erhält den mit 2.500 Euro dotierten, von Springer Spektrum gestifteten Strasburger-Preis, am Montag, den 31. August 2015 während der diesjährigen Botanikertagung in Freising aus den Händen des Präsidenten der DBG, Prof. Dr. Karl-Josef Dietz.
"Es wird also spannend, dieses einzigartige Genom und das der verwandten Reusenpflanzen weiter zu erforschen", sagt Professor Dietz, der Präsident der DBG, und freut sich bereits auf Fleischmanns Vortrag anlässlich der Preisverleihung mit dem Titel "Genlisea - small plants with huge appetite but a small genome" (Reusenpflanzen, kleine Pflanzen mit riesigem Appetit und winzigem Genom) am 31. August 2015 in Freising.
Fleischmann AS, Todd PM, Rivadavia F, Sousa A, Wang W, Temsch EM, Greilhuber J, Müller KF, Heubl G (2014): Evolution of genome size and chromosome number in the carnivorous plant genus Genlisea (Lentibulariaceae), with a new estimate of the minimum genome size in angiosperms. Ann Bot. 114(8): 1651-1663. doi: http://dx.doi.org/10.1093/aob/mcu189
Rivadavia F, Gonella PM, Fleischmann AS (2013): A New and Tuberous Species of Genlisea (Lentibulariaceae) from the Campos Rupestres of Brazil. Systematic Botany 38(2): 464-470. doi: http://dx.doi.org/10.1600/036364413X666679
Fleischmann AS (2012): A Monograph of the Genus Genlisea. Redfern Natural History Productions Ltd.
Hintergrund:
Seit 1994 verleiht die Deutsche Botanische Gesellschaft e.V. (DBG) den
Strasburger-Preis für hervorragende und originelle Leistungen. Das Preisgeld
wird alle zwei Jahre von Springer Spektrum (www.springer-spektrum.de)
bereitgestellt. Die Stiftung wurde aus Anlass der 100jährigen
Wiederkehr des Erscheinens der ersten Auflage des "Lehrbuchs der Botanik
für Hochschulen" von Eduard Strasburger, Fritz Noll, Heinrich Schenck und
A. F. Wilhelm Schimper aus dem Jahr 1894 eingerichtet. Die Wahl des
Preisträgers erfolgt durch eine Jury, die aus den Autoren der nächsten
Auflage des "Strasburger Lehrbuch der Botanik", dem Präsidenten der DBG
und dem Biologieplaner von Springer Spektrum besteht. Die DBG vertritt die
Pflanzenwissenschaften im deutschsprachigen Raum und fördert die
wissenschaftliche Botanik auf nationaler und internationaler Ebene. Sie
dient ausschließlich gemeinnützigen Zwecken. Die Hauptaufgaben sind die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Gedankenaustausches
ihrer Mitglieder auf Meetings und Kongressen sowie die Veröffentlichung
des Fachjournals Plant Biology. Im Internet publiziert die DBG jüngste
Trends aus der Botanik und über die Arbeitswelt der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler. Damit fördert die Gesellschaft, die zu den ältesten
botanischen Gesellschaften zählt, auch die interdisziplinäre Arbeit ihrer
etwa 850 Mitglieder.
Die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB) sind eine außeruniversitäre Forschungsinstitution, nachgeordnet dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Sie vereinen fünf naturkundliche Staatssammlungen der Fachrichtungen Zoologie, Botanik, Geologie und Paläontologie, Mineralogie, Anthropologie und Paläoanatomie, sowie acht Schaumuseen in München, Bamberg, Bayreuth, Eichstätt und Nördlingen und den Botanischen Garten München, mit insgesamt ca. 250 Mitarbeiter/innen. Neben Aufbau, Pflege und wissenschaftlicher Bearbeitung der Sammlungen, die zurzeit etwa 35 Millionen Einzelobjekte umfassen, leisten sie wertvolle Forschungsarbeit im Bereich der Bio- und Geowissenschaften. Die Schaumuseen der SNSB ziehen jährlich rund 750.000 Besucher/innen an. Quelle: SNSB/DBG
Weitere Informationen unter:
http://www.snsb.de
http://www.deutsche-botanische-gesellschaft.de/html/012Pressemitteilung-Eduard-Strasburger-Preis-2015.html
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1697
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns,
Dr. Eva-Maria Natzer, 26.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2015
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