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FORSCHUNG/164: Klimawandel im Nordwesten - Wie reagieren die Pflanzen? (Einblicke - Uni Oldenburg)


Einblicke - Forschungsmagazin der Universität Oldenburg
Nr. 48/Herbst 2008

Klimawandel im Nordwesten: Wie reagieren die Pflanzen?

Von Detlev Metzing und Albrecht Gerlach


Der Klimawandel wird die Phytodiversität weltweit beeinflussen. Am Beispiel der Küstenflora Norddeutschlands werden die Bedeutung pflanzlicher Vielfalt für den Menschen als auch Effekte des Klimawandels auf Pflanzen besprochen. "Climate envelope"-Modelle sind geeignet, um kommende Veränderungen der Verbreitungsmuster vorherzusagen.


Das Klima auf unserem Planeten ist eine wesentliche Rahmenbedingung für die Entwicklung und Existenz lebender Organismen. Sieht man sich die globalen Verteilungsmuster der Makroökosysteme (Biome) an, wird auch die Bedeutung des Klimas für die Zusammensetzung und Struktur der Lebensgemeinschaften deutlich. Lage und Ausdehnung der Biome wie Tropischer Regenwald, Grasland, Taiga oder Wüste werden hauptsächlich durch Temperatur- und Niederschlagsmuster bestimmt.

Das Klima ist aber keine statische Größe. Auch die in den Medien und der Politik intensiv geführte Diskussion um den anthropogenen Klimawandel, deren wissenschaftliche Grundlage in den Berichten des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zusammengefasst wird, zeigt dies deutlich. Im 20. Jahrhundert erhöhte sich die mittlere globale Temperatur um 0,6 °C. Die Szenarien der Klimaforscher geben einen weiteren Temperaturanstieg von 1,8-3,4 °C zum Ende dieses Jahrhunderts (im Vergleich zum Zeitraum 1980-1999) als wahrscheinlich an.

Änderungen des Klimas hat es im Laufe der Erdgeschichte immer wieder gegeben (und es wird sie auch weiterhin geben), auch in ähnlicher Größenordnung und Geschwindigkeit. Neu ist, dass wir Menschen heute in großer Zahl den Erdball bevölkern, durch unser Wirken das Klima beeinflussen, gleichzeitig die Folgen dieses anthropogenen Klimawandels erkennen und Vorsorge treffen müssen.

Die direkten und indirekten Folgen des Treibhauseffektes betreffen die Regionen der Erde in unterschiedlicher Qualität und Quantität. Küstenregionen mit ihrer geomorphologischen und biologischen Diversität sowie der intensiven Nutzung und Besiedlung gelten als besonders sensibel. Bisherige Studien fokussieren dabei vorwiegend auf den Anstieg des Meeresspiegels, veränderte Überflutungsereignisse und Änderungen von Sedimentation und Erosion.

Die indirekten Folgen betreffen aber auch die Auswirkungen auf die Verbreitung und Existenz von Pflanzenarten, mithin also auf einen bedeutenden Teil der Biodiversität. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen sowohl den engen Zusammenhang zwischen Verbreitungsarealen und Klima als auch die in verschiedenen Gebieten der Welt bereits nachweisbare Reaktion von Pflanzen auf die Erwärmung der letzten Jahrzehnte. Der Klimawandel führt aber nicht nur zum Abschmelzen der Eismassen an den Polkappen oder der Gletscher in den Alpen. Er macht sich auch vor unserer Haustür in Nordwestdeutschland bemerkbar, wie nicht nur die immer neuen Temperaturrekorde in den vergangenen Jahren belegen.


Das Beispiel norddeutsche Küste

Der Küstenraum Nordwestdeutschlands wurde durch die postglaziale Transgression des Meeres (Meeresspiegelanstieg) und die damit verbundenen Küstenformungsprozesse gebildet. Wo die geomorphologischen Voraussetzungen, wie flache Küstenabschnitte mit ausreichender Sediment- bzw. Sandzufuhr, gegeben waren, konnten Küstendünen und Salzmarschen entstehen. Pflanzen tragen ganz wesentlich zur Fixierung und Stabilisierung der Substrate bei; sie sind somit ein wesentlicher Faktor für Küstengenese und -schutz.

Es sind zwei Biotoptypen, die die Küsten charakterisieren: die Salzmarschen mit ihren salzhaltigen Böden sowie die Dünen und Strände mit sandigen Substraten. In der sonst stark anthropogen beeinflussten Kulturlandschaft der Bundesrepublik haben diese vielfach noch durch eine weitgehend natürliche Dynamik gekennzeichneten naturnahen Biotoptypen einen besonders hohen Stellenwert auch für den Naturschutz. Überflutungen mit Salzwasser im Gezeitenrhythmus und die Sedimentation von Schlick sind die prägenden ökologischen Faktoren in den Salzmarschen, während es in den Dünen vorwiegend Wind und Sand sind. Die Anpassung an diese Faktoren ist die charakteristische Eigenschaft von Küstenpflanzen. Viele Pflanzenarten kommen daher nur bzw. vorwiegend im Küstenbereich vor, ein großer Teil der Arten ist als selten oder gefährdet einzustufen.

Die landschaftsprägende Flora und Vegetation trägt erheblich zum Tourismus- und Erholungswert der Küstenlandschaften bei. Salzmarschen bieten mit ihrer hohen Biomasseproduktion auch ein landwirtschaftlich nutzbares Potenzial, auch wenn diese Nutzung nach der Etablierung des Nationalparks Wattenmeer an Bedeutung verloren hat.

Natur- und Küstenschutz, Tourismus und Landwirtschaft sind Nutzungsformen, die von der Präsenz bestimmter Pflanzen bzw. der Stabilität der Ökosystemstrukturen und -funktionen abhängen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Pflanzen auf klimatische Veränderungen reagieren werden.


Pflanzenverbreitung und Klima

Die Toleranz gegenüber ökologischen (abiogenen, d.h. aus der unbelebten Natur stammenden, und biogenen) Faktoren sowie die Konkurrenzbeziehungen bestimmen die Verteilung von Arten im Raum, wobei dies in einer Anordnung entlang ökologischer Gradienten (Gefälle von Umweltfaktoren) geschieht. Die Verbreitungsmuster der Pflanzenarten im kontinentalen Maßstab sind wesentlich durch das Klima bestimmt, mit Temperatur und Niederschlag als wichtigsten limitierenden Parametern.

Kommt es zu einer räumlichen Verschiebung der ökologischen Gradienten, bestehen verschiedene Optionen, wie Arten oder Populationen reagieren können.

1. Anpassung: Die genetische Anpassung erfordert lange Zeiträume (hohe Anzahl von Generationen), um wirksam zu werden. Der prognostizierte Klimawandel zeichnet sich aber gerade durch schnelle Änderungen aus. Paläoökologische Untersuchungen zeigen, dass die Arten bei Veränderung der Klimabedingungen eher mit Arealverschiebungen als mit genetischen Anpassungen reagierten.

2. Ausweichen: Der räumlichen Verschiebung von Umweltgradienten können Arten potenziell durch Verlagerung der Areale folgen. Die Verlagerung des Areals muss dabei so schnell wie die Verschiebung des Umweltgradienten erfolgen, um den Gleichgewichtszustand zu erhalten, andernfalls kommt es zur einer Reduzierung oder Auslöschung des Areals.

3. Aussterben: Kann eine Art nicht ausweichen oder sich anpassen, kommt es zu einem Verlust bzw. Aussterben in dem betroffenen Gebiet.


Potenzielle Arealverlagerungen

Um zu erfahren, wie bestimmte Pflanzenarten auf den Klimawandel reagieren, bieten sich drei Methodenkomplexe an: 1. Monitoring, 2. Experiment und 3. Modellierung.

1. Monitoring, d.h. Abwarten, Beobachten und Dokumentieren ist kein geeigneter Ansatz, da die zu erwartenden Prozesse relativ langsam ablaufen und sich über viele Jahre hinziehen. Gleichwohl können Monitoringprojekte sinnvoll ergänzend zu anderen Ansätzen eingesetzt werden, wie wir später sehen werden.

2. Im Experiment können die äußerst komplexen Beziehungen von pflanzlichem Wachstum und klimatischen Parametern untersucht und kausale Zusammenhänge bestimmt werden. Um aber den Einfluss der Temperatur auf die Gesamtheit der Phasen im Lebenszyklus einer Art (unter Einfluss möglicher Konkurrenzbeziehungen zu anderen Arten) umfassend experimentell zu untersuchen, wären sehr aufwändige Versuchsreihen erforderlich, die aufgrund beschränkter Ressourcen nur für einzelne Arten und bestimmte physiologische Prozesse durchführbar sind.

3. Um die für eine oder mehrere Arten limitierenden klimatischen Parameter herauszuarbeiten, bietet sich ein korrelativer Ansatz an, bei dem Klima- und Verbreitungsmuster miteinander verschnitten werden. Anhand dieser Daten kann der "climate envelope" (klimatische Nische; entspricht dem mit dem Areal korrelierten Klimaraum, in dem eine Pflanzenart unter natürlichen Bedingungen wachsen und sich reproduzieren kann) der Arten berechnet und in Ökogrammen dargestellt werden. Diese zeigen die ökologische Potenz von Pflanzenarten in Abhängigkeit von den Klimafaktoren. Die klimatischen Nischen der einzelnen Arten lassen sich mit den rezenten oder zukünftigen Klimaräumen ausgewählter geographischer Gebiete vergleichen.

Dieses Verfahren erlaubt eine erste Abschätzung der Eignung des Klimas bestimmter Gebiete als Habitat für ausgewählte Pflanzenarten unter zukünftigen Klimabedingungen. Eine präzisere räumliche Vorstellung über mögliche Arealverschiebungen erhält man durch die Modellierung der Areale anhand der klimatischen Nischen (climate envelope model). Mit multivariaten Gradientenanalysen können die Klimaparameter bestimmt werden, die die Verbreitungsmuster der Arten am besten erklären, d.h. mit diesen am besten korreliert sind. Sie dienen dann im Modell dazu, potenzielle Verbreitungsareale bzw. deren Verlagerung bei Klimaänderungen zu berechnen. Entsprechende Modellierungen für das Beispiel Norddeutschland zeigen, dass bei einer Erwärmung von 2,5 °C für etwa 17 Prozent der Küstenpflanzenarten ein partieller oder vollständiger Rückgang im Gebiet erwartet werden kann, für das Unterwesergebiet allein sind es etwa 10 Prozent.

Arealverschiebungen können auch zu einem Zuwandern von Arten führen, die im deutschen Küstengebiet heute noch nicht vertreten sind. Arten, deren nordöstliche Verbreitungsgrenzen zwischen der deutsch-niederländischen Grenze und dem nordwestlichen Frankreich verlaufen, müssen daher als mögliche Kandidaten für eine Einwanderung in den deutschen Küstenraum in Betracht gezogen werden.

Von besonderem Interesse sind Arten, die ökologisch eine Schlüsselstellung oder für den Menschen eine besondere Bedeutung haben. Als ein Beispiel sei die landschaftsprägende Krähenbeere (Empetrum nigrum) genannt, die auf den Inseln des Wattenmeeres charakteristische dichte Heiden in den älteren Dünen bildet. Modellierungen zeigen, dass die Art bereits bei einer durchschnittlichen Klimaerwärmung von 1,5 °C im Wattenmeer keine ihrer klimatischen Nische entsprechenden Lebensbedingungen mehr antrifft. Schon jetzt ist die Art hier weitgehend auf die kühleren, nach Norden exponierten Dünenhänge beschränkt. Dass die Art auf den Ostfriesischen Inseln im Grenzbereich ihrer ökologischen Amplitude wächst, wird auch an den Trockenschäden deutlich, die in heißen und trockenen Sommern an den Rändern der Empetrum-Decken in exponierten Lagen auftreten. Der zu erwartende Rückgang der Krähenbeere wird nicht nur das Bild der Dünenlandschaften erheblich verändern.

In den Weißdünen von Nord- und Ostsee fallen potenziell mit dem Strandroggen (Leymus arenarius) und dem Baltischen Strandhafer (Calammophila baltica) zwei weitere, ökologisch und für den Küstenschutz bedeutsame Arten aus. Hier ist der Küstenschutz gefordert, weitere Untersuchungen anzustellen. Modellierungen von Arealverschiebungen sind nicht unproblematisch, da sie mit verschiedenen Unsicherheiten behaftet sind. Die realisierbare Ausbreitungsgeschwindigkeit ist in den Modellen zunächst nicht berücksichtigt worden. Anders als viele Tierarten reagieren Pflanzen aufgrund der passiven Ausbreitungsmöglichkeiten und der sessilen Lebensweise eher langsam auf die großräumige Verlagerung ökologischer Gradienten. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Arealgrenzen einhergehend mit den Klimaänderungen verlagern werden, hängt von den biologischen Eigenschaften der Arten ab (Ausbreitungsvermögen, Lebenszyklus, Lebensform etc.). Arten mit potenziell hohem Ausbreitungsvermögen, die wie viele Küstenarten entlang linearer Strukturen verbreitet sind, können Klimaänderungen eher folgen als Arten stark fragmentierter Habitate. Kenntnisse über Ausbreitungs- oder Beharrungsvermögen liegen bisher aber nur für wenige Arten vor - es besteht hier noch ein immenser Forschungsbedarf.


Sind Reaktionen der Pflanzen bereits nachweisbar?

Zahlreiche Publikationen belegen die Korrelation von Reaktionen verschiedener Organismen bzw. ökologischer Systeme und rezentem Treibhauseffekt, auch für Pflanzen Nordwestdeutschlands. Die durch bestimmte Entwicklungsstufen der Pflanzen (wie Blattentfaltung, Blütezeit, Fruchtreife, Laubfall etc.) charakterisierten phänologischen Jahreszeiten haben sich verschoben: Vorfrühling und Erstfrühling des Zeitraumes 1991-2000 beginnen im Durchschnitt zwei Wochen früher als 1961-1990, Spätherbst und Winter beginnen später; die Übergangsjahreszeiten Frühjahr und Herbst dauern länger. Diese über viele Jahre statistisch belegte zeitliche Verlagerung ist eine deutliche Antwort der Pflanzenarten auf den Klimawandel.

Arealverlagerungen hingegen sind längerfristige Prozesse. Es gibt aber auch hier schon einzelne Beobachtungen, die die aus den Modellierungen abgeleiteten Prognosen bestätigen. Für den mediterran-atlantisch verbreiteten Gelben Hornmohn (Glaucium flavum) mehren sich die Anzeichen einer dauerhaften Etablierung auf den Inseln. Der Meer-Fenchel (Crithmum maritimum), ebenfalls mediterran-atlantisch verbreitet und bisher nur bis zu den Westfriesischen Inseln vorkommend, wurde 2000 auf Helgoland gefunden und hat sich seitdem dort etabliert. Für beide Arten beschreiben die Modelle eine Zunahme und Ausdehnung der nordöstlichen Arealgrenze nach Nordosten.

Es gilt als sicher, dass der Klimawandel den Artenbestand auch in unserer Region erheblich beeinflussen wird. Es gibt kaum Grund zur Annahme, dass der bereits stattfindende und vor allem in den letzten Jahrzehnten durch die Landnutzung verursachte Artenschwund durch den Klimawandel gebremst wird bzw. durch Neueinwanderungen ausgeglichen wird. Aufgrund der Trägheit, mit der viele Pflanzenarten auf den Klimawandel reagieren können, ist mit einer eher negativen Bilanz zu rechnen - die Phytodiversität wird abnehmen.


Resümee und Ausblick

Zunehmend fordert die Gesellschaft von uns Biologen, ökologische Phänomene nicht nur zu beschreiben, sondern auch Voraussagen zu zukünftigen Entwicklungen zu machen. Umso dringender ist es - ergänzend zu den Modellierungen -, Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt im real ablaufenden Experiment "Klimawandel" zu dokumentieren und zu analysieren. Diese Ergebnisse werden zur Verifizierung bzw. Optimierung der Modelle benötigt.

Während z.B. Klimaparameter oder die Luftreinheit permanent und flächendeckend beobachtet und berechnet werden, fehlen bisher Instrumente, die Veränderungen der Biodiversität auf verschiedenen Hierarchieebenen langfristig zu messen. Die Einrichtung eines Netzes standardisierter Monitoring-Flächen ist eine geeignete Maßnahme, dieses Defizit zu beseitigen. Hier bietet sich der Küstenraum aufgrund seiner Habitateigenschaften besonders an. Salzmarschen wie auch Vor- und Weißdünen stellen mit ihrer vergleichsweise geringen Artenzahl zudem ein einfaches System dar, in dem sich mögliche Effekte des Klimawandels gut erfassen lassen.


Die Autoren

Dr. Detlev Metzing ist derzeit Wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens der Universität Oldenburg. Er studierte Biologie an der Universität Bremen und war dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter. 1997 wechselte er nach Oldenburg und promovierte über den Einfluss des Klimawandels auf die Küstenflora. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Flora und Vegetation der Küste bzw. Nordwestdeutschlands, Klimawandel und Biodiversität, Taxonomie und Ökologie sukkulenter Pflanzen (spez. Kakteen).

Dr. Albrecht Gerlach ist Akademischer Direktor i. R. und war bis 2007 im Institut für Biologie und Umweltwissenschaften tätig. Von 1997 bis 2007 war er gleichzeitig Wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens der Universität Oldenburg.


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Quelle:
Einblicke Nr. 48, 24. Jahrgang, Herbst 2008, Seite 10-13
Herausgeber: Das Präsidium der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2008