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ZOOLOGIE/973: Erbgut-Analyse zeigt Eisbären sind älter als gedacht (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 19.04.2012

Erbgut-Analyse zeigt Eisbären sind älter als gedacht:
Urahn lebte bereits vor 600.000 Jahren



Eine heute in "Science" veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern des Frankfurter Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) und weiterer internationaler Forschungseinrichtungen zeigt, dass Eisbären schon vor 600.000 Jahren entstanden sind. Das größte landlebende Raubtier der Arktis ist damit evolutionsgeschichtlich gesehen fünfmal älter als bisher angenommen. Die neuen Erkenntnisse zum Alter des Eisbären sind das Ergebnis des bisher ersten umfassenden Vergleichs von Braun- und Eisbären anhand von Erbgut aus dem Zellkern. Beide Arten haben gemeinsame Wurzeln.

Wer zur Abstammungsgeschichte des Eisbären forscht, hat es nicht leicht. Der weiße Riese lebt und stirbt auf Meereis; seine Überreste sinken auf den Meeresgrund, wo sie entweder durch Gletscher zermalmt werden oder unauffindbar sind. Statt mit Fossilien zu arbeiten, vollziehen Forscher die Geschichte der Eisbären daher primär anhand molekularbiologischer Methoden und damit Erbgut Analysen nach. Fest steht, dass Eisbären mit Braunbären eng verwandt sind und sich als eigene Art von ihnen abgespalten haben. Nur wann das war, ist umstritten.


Analyse anhand von Erbgut aus dem Zellkern

Eine 2010 veröffentlichte Studie zeigte, dass der letzte gemeinsame Urahn von Braun- und Eisbär vor 150.000 Jahren lebte. Die Forscher stützten damals ihre Ergebnisse allein auf DNA aus den Mitochondrien, den sogenannten Kraftwerken einer Zelle. Einen umfassenderen Einblick ins Erbgut von Braun- und Eisbär erlangten nun Wissenschaftler des Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) in Kooperation mit weiteren Forschern aus den USA, Schweden und Spanien. Dr. Frank Hailer, BiK-F, Leitautor der Studie: "Statt wie bei klassischen Erbgut-Studien nur kleine Stücke mitochondrialer DNA miteinander zu vergleichen, haben wir uns viele unabhängige Stücke aus der DNA des Zellkerns (des Nukleus) von Braun- und Eisbär angesehen. Dies ist methodisch neu." Die Forscher untersuchten hierzu eine Vielzahl von Individuen aus den gesamten Verbreitungsgebieten beider Arten.


These des überdurchschnittlich anpassungsfähigen Eisbären widerlegt

Die technisch anspruchsvollere Methode hat Früchte getragen, denn anhand der nukleären DNA-Analyse von Eis- und Braunbären ist nun erstmals belegt, worüber vorher nur spekuliert wurde: Der Eisbär hat sich bereits vor ca. 600.000 Jahren vom Braunbär abgespalten. Sein weißer Pelz, fellbesetzte Pranken und Vorliebe für Seehunde als Nahrung zeugen davon, wie gut er sich seitdem in der Arktis akklimatisiert hat. Eisbären wurden bisher unter den Säugetieren als Meister der Anpassung betrachtet. In relativ kurzer Zeit, so die bisherige These, haben sie sich überdurchschnittlich rasch und gründlich verändert, um im neuen Lebensraum erfolgreich zu sein. Mit der neuen Datierung ihrer Evolution ist dieser Mythos vom besonders schnell anpassungsfähigen Eisbär nun widerlegt. Tatsächlich ist der Eisbär in etwa so alt wie der ebenfalls an die Arktis hervorragend angepasste Polarfuchs.


Mütterlich vererbte DNA führte bislang auf die falsche Spur

Die Autoren der Studie haben auch eine Erklärung parat, warum frühere Studien ein jüngeres Alter für den Eisbären annahmen. Anscheinend haben sich beide Arten im Lauf der Zeit mehrmals miteinander gepaart; ein Vorgang, der heute wieder in der kanadischen Arktis zu beobachten ist. Dadurch wurden Teile der mitochondrialen Braunbär- DNA an Eisbären vererbt. Gerade dieses Stück DNA wurde aber bisher zur evolutionsbiologischen Untersuchung herangezogen. "Die von uns analysierte nukleäre DNA wird von beiden Elternteilen vererbt. Wie unsere Studie zeigt, liefert sie ein detaillierteres und genaueres Bild der Evolutionsgeschichte einer Art als mitochondriale DNA, die nur mütterlicherseits vererbt wird", erklärt Prof. Dr. Axel Janke, BiK-F, Leiter der Forschungsgruppe, die 2011 auch das Braunbären-Genom entschlüsselt hat.


Genom spiegelt vergangene Klimaschwankungen wider

Eine Erklärung, warum sich die Lebensräume von Eisbär und Braunbär überlappten, könnten beispielsweise frühere Klimaschwankungen gewesen sein. Die genetischen Daten weisen auch darauf hin, dass es für den Eisbären im Laufe der letzten 600.000 Jahre vielleicht schon ein- oder mehrmals knapp wurde. "Die geringe genetische Variabilität innerhalb der Art zeigt, dass die Bestandsgröße zeitweise stark dezimiert war. Möglicherweise fiel dies mit früheren Warmzeiten zusammen" so Hailer, und ergänzt: "Ob der Eisbär auch den derzeitigen Klimawandel überleben wird, ist ungewiss". Erstens läuft die globale Erwärmung vermutlich schneller ab als jemals zuvor in der Evolutionsgeschichte des Eisbären. Zweitens ist der Einfluss des Menschen auf den Bären heute viel größer, z.B. indem Eisbären gejagt und Schadstoffe in den Nahrungskreislauf eingebracht werden.


Die Autoren der Studie sind:

Dr. Frank Hailer (Erstautor), Verena E. Kutschera, Dr. Björn M. Hallström, Dr. Denise Klassert, Prof. Dr. Axel Janke (Leiter der Arbeitsgruppe) - Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Frankfurt am Main; Dr. Jennifer A. Leonard - Doñana Biological Station in Sevilla, Spanien; Dr. Steven R. Fain - US Fish and Wildlife Service, Ashland, Oregon, USA; Ulfur Arnason - Universität Lund, Schweden


Studie

Hailer, F. et al. (2012).
Nuclear Genomic Sequences Reveal that Polar Bears
Are an Old and Distinct Bear Lineage.
Science, DOI: 10.1126/science.1216424


LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Institutionen aus Wissenschaft, Ressourcen- und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.

Mehr unter:
www.bik-f.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution639

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Sabine Wendler, 19.04.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2012