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ORNITHOLOGIE/289: Rohrammer - Singwarten und Marmoreier (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2013

Vögel an Gewässern
Singwarten und Marmoreier: Rohrammer

Von Anita Schäffer



Obwohl die Rohrammer in Deutschland fast flächendeckend vorkommt, wird sie häufig wenig wahrgenommen. Als Charakterart von Schilfflächen bemerkt man vor allem Rohrammermännchen, wenn sie zur Brutzeit ihren Gesang von Warten aus vortragen - hat man den Sänger gerade entdeckt, taucht er schon wieder ins Schilf ab. Die Vögel genauer zu beobachten, ist schon fast eine Herausforderung, die sich aber dennoch lohnt, in Angriff genommen zu werden.

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Die Rohrammer ist vielerorts auch als "Rohrspatz" bekannt, wahrscheinlich aber eher aufgrund ihrer Gefiederfärbung, die denen von Haussperlingen ähnelt, als wegen ihres Geschwätzes. Deutlichste Merkmale dieser braun gestreiften Ammer sind der schwarze Kopf und Latz beim Männchen im Prachtkleid, die in starkem Kontrast zu weißem Kragen und "Bart" stehen. Männchen im Schlichtkleid und Jungvögel ähneln den Weibchen, als deren deutlichste Merkmale ein schwarz-weißer Bartstreif und heller Überaugenstreif gelten. Beim Männchen ist im Schlichtkleid der Latz nur angedeutet. Unterseits sind die Rohrammern hell, leicht grau gefärbt, mit brauner Längsstrichelung entlang der Flanken. Diese tritt jedoch erst nach Abnutzung der im Herbst gemauserten Federn zum Vorschein, sodass Rohrammern im Winter manchmal Bestimmungsrätsel aufgeben können. Die Vögel lassen sich aber an ihrem oft ruckartigen Flug erkennen, wenn sie auf Nahrungssuche umherstreifen oder eine Singwarte anfliegen. Im Flug ist auch die Einkerbung des Schwanzes sichtbar. Wenn die Männchen von den oberen Zweigen eines Busches, der Spitze eines Rohrkolbens oder schräg am Schilfhalm sitzend ihren Gesang vortragen, wird der Schwanz häufig gespreizt, um die kontrastierenden weißen Ränder zu zeigen. Der Gesang besteht aus unterschiedlichen Strophen mit tschilpenden und stotternden Elementen, ähnlich "zait tit tai zis-siss-tai zier zississ". Es gibt unterschiedliche Strophentypen, die sich auch zwischen den Individuen unterscheiden, insgesamt ist der Rohrammergesang aber immer etwas langsam und monoton. Häufig ist der Ruf zu vernehmen, der gedehnt wie "zieh", gedämpft "psä" und aggressiv "tschrrp" klingt. Oft wippen die Vögel mit dem Schwanz, bevor sie bei Gefahr in die umgebende Vegetation abtauchen.

© H.-J. Fünfstück, Helgoland 29.9.2010

Der Name "Rohrammer" läßt auf den bevorzugten Lebensraum dieser Vogelart schließen.
Webseite des Fotografen: www.5erls-naturfotos.de
© H.-J. Fünfstück, Helgoland 29.9.2010

Der Name "Rohrammer" ebenso wie die englische Bezeichnung "reed bunting" lassen auf den bevorzugten Lebensraum dieser Vogelart schließen. Tatsächlich brüten Rohrammern in landseitigen Schilf- und Verlandungszonen mit gut entwickelter Krautschicht, in Niedermoorflächen, Streuwiesen, Seggen- und Pfeifengrasgesellschaften, selbst Brachen entlang von Gräben eignen sich als Neststandort. Immer häufiger werden Bruten auch weit entfernt von Gewässern in Raps- und Getreidefeldern beobachtet. Eine wichtige Struktur im Lebensraum zur Brutzeit sind geeignete Singwarten wie Einzelbüsche oder hohe Altschilfhalme.

Die Hauptnahrung der Rohrammer sind Sämereien hauptsächlich von Gräsern, z. B. Schilf, sowie kleine Wirbellose wie Insekten, Schnecken und Würmer, vor allem zur Brutzeit. Während der Jungenaufzucht besteht ein großer Prozentsatz der Nahrung aus Hautflüglern. Die tagaktiven Vögel bewegen sich hüpfend und kletternd durch die Vegetation, wo sie Insekten von Halmen und Blättern picken oder an Samenständen fressen. Wie alle Ammern nehmen sie Sämereien auch vom Boden auf.

Rekordhalter im Fremdgehen

In Deutschland sind Rohrammern fast flächendeckend verbreitete Brut- und Sommervögel. Südlich der Donau und im Westen verbleiben die Vögel ganzjährig im Brutgebiet, weiter nördlich brütende Rohrammern sind Teilzieher und überwintern in Mittel-, West- und Südeuropa. Gebietsweise werden im Winter Durchzügler und Gäste aus Nord- und Osteuropa beobachtet.

Die Männchen kehren etwa im Februar/März bis zu einem Monat vor den Weibchen ins Brutgebiet zurück und besetzen ein Revier, das sie mit Gesang markieren.

Die Balz besteht in der Regel aus Verfolgungsjagden und tätlichen Übergriffen. Dennoch finden sich Paare für eine Brutsaison zusammen. Der Nestbau ist Sache des Weibchens. Meist gut getarnt am Boden unter überhängender Vegetation errichtet es eine napfförmige Konstruktion aus Gras, Seggen, Binsen, Moos und ähnlichem Pflanzenmaterial. Die entstandene Mulde wird mit feinerem Gras, Haaren und Schilfrispen gepolstert. Hierein legt das Weibchen ab Ende April vier bis fünf blassbraune Eier mit dunkelbrauner Marmorierung, die es alleine bebrütet. Nach 12 bis 14 Tagen schlüpfen die Jungen und werden von beiden Eltern mit Fliegen, kleinen Libellen und Mücken versorgt. Die Jungen bleiben knapp zwei Wochen im Nest und sind etwa mit 16 Tagen flugfähig. Um Fressfeinde vom Nest und den Jungen abzulenken, verleiten Rohrammern, indem sie mit hängendem Flügel leichte Beute vortäuschen und Feinde vom Nest weglocken.

Zwei Bruten sind bei Rohrammern die Regel. Dabei kommt es vor, dass ein Männchen zwei Weibchen im selben oder sogar verschiedenen Revieren hat. Nach Angaben des British Trust for Ornithology (BTO) sind mehr als die Hälfte aller Rohrammerjungen nicht die Nachkommen des Revier innehabenden Männchens - dies ist eine der höchsten bekannten Raten an Fremdnachwuchs unter Vögeln.

Bis drei Wochen nach dem Flüggewerden bleiben die Familien zusammen, bevor sie sich zerstreuen. Außerhalb der Brutzeit sind Rohrammern häufig in Trupps unterwegs, im Winterhalbjahr gehen sie gelegentlich auch mit anderen Finkenvögeln und Ammerarten vergesellschaftet auf gemeinschaftliche Nahrungssuche.

Unter den ziehenden Rohrammern scheinen Männchen und Altvögel näher zum Sommerlebensraum zu verbleiben, während Weibchen und Einjährige weiter nach Süden wandern. Vom Bodensee sind gemeinschaftliche Schlafplätze im Schilf bekannt.

Bestand und Gefährdungen

Die Rohrammer ist in zahlreichen Unterarten von Westeuropa nach Kamtschatka, Sachalin und Nordjapan im Osten verbreitet, nur in Teilen des Mittelmeerraumes fehlt die Art. Der Bestand für Europa wird auf 4,8 bis 8,8 Millionen Brutpaare geschätzt, wovon über 75% in Fennoskandien, Großbritannien, Russland und Rumänien brüten. In Deutschland leben etwa 300000 bis 380000 Brutpaare. Nach den Daten des DDA-Monitoringprogrammes hat der Rohrammerbestand in den 1990er Jahren zunächst zugenommen, wobei diese Entwicklung primär von der Zunahme in Ostdeutschland getragen wurde und möglicherweise mit dem in diesem Zeitraum sehr hohen Anteil an Ackerbrachen (EU-Stilllegungen) und dem großflächigen Brachfallen (teils nach Wiedervernässung) von Niedermoorgrünland verbunden war. Seit 1999 hat der Bestand wieder deutlich (um etwa ein Viertel bis 2010) abgenommen. Insgesamt sowie in Nordwest- und Ostdeutschland wies die Bestandsentwicklung im Zeitraum 1991 bis 2009 keinen signifikanten Trend auf. Lokal können jedoch deutliche Verluste auftreten, die hauptsächlich durch Lebensraumzerstörung begründet sind. In Hessen zählt die Rohrammer zu den gefährdeten Arten, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg führen die Rohrammer auf der Vorwarnliste. Andererseits gibt es auch lokale Bestandsanstiege aufgrund der Neuenstehung von Verlandungsbereichen und Teichanlagen sowie gezielter Schutzmaßnahmen in stark beeinträchtigten Feuchtgebieten und durch die Neubesiedelung von Raps- und Getreidefeldern - gemäß des neuen Monitoring häufiger Brutvögel (ab 2004) ist mittlerweile fast die Hälfte der Rohrammerreviere im Agrarland zu finden. Hauptursache für Bestandsschwankungen sind ungünstige klimatische Bedingungen zur Brutzeit und während des Winters, möglicherweise auch in den Überwinterungsgebieten.

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Beobachtungstipps zur Rohrammer

Auffälligstes Merkmal: oberseits braun gestreift, unterseits hell; schwarzer Kopf und weißer Kragen beim Männchen im Prachtkleid, im Schlichtkleid ähnlich Weibchen und Jungvögeln mit braun gestreiftem Kopf, schwarz-weißem "Bart" und hellem Überaugenstreif; Latz bei Männchen im Schlichtkleid nur angedeutet

Wann: ganzjährig

Wo: Schilf- und Verlandungszonen, Streuwiesen, Seggen- und Pfeifengrasgesellschaften, Brachen entlang von Gräben; seltener Raps- und Getreidefelder

Was: singende Männchen, Nahrungssuche, gemeinschaftliche Schlafplätze im Winter


Aufwendig marmorierte Eier

Die Oologie (Vogeleierkunde) beschäftigt sich als Teilgebiet der Ornithologie nur mit der Schale der Eier, nämlich mit Größe und Gewicht, Gestalt oder Form, Struktur der Kalkschale und ihrer Überzüge sowie Färbung und Zeichnung.

Als Färbung oder Grundfarbe wird die meist eintönige Farbe der gesamten Oberfläche verstanden; oft sind alle Schalen bis zur Innenfläche von derselben Grundfarbe. Die Zeichnung dagegen besteht aus einem oder mehreren dunkleren Tönen der Grundfarbe und findet sich in unterschiedlicher Ausbildung auf verschiedenen Kalkschichten, jedoch nicht auf der innersten.

Mehr als ein Drittel aller Vogelarten legen einfarbige Eier, davon sind etwa 75 % weiß. Bei gezeichneten Eiern unterscheidet man Punkte, Flecke, Flatschen (große Flecke), Strichel, Schmitzen, Haarlinien (Haarzüge), Wurmlinien, Zickzacklinien u. a., die gleichtönig, verwaschen, einzeln oder gehäuft (häufig am stumpfen Ende) auftreten können. Dabei wird zwischen Ober- und Schichtenzeichnung unterschieden: Je nach Anzahl von Kalkschichten, die sich über jede frühere Zeichnung gelagert haben, lässt sich der Farbton der Zeichnungen in drei bis vier Stufen unterscheiden. Die Oberzeichnung kann glanzlos, matt, glänzend oder auch in einer Mischung aus diesen Erscheinungsformen auftreten.

Färbungen und Zeichnungen dienen bei vielen Arten der Tarnung der Eier im Nest und dessen Umgebung. Dies trifft jedoch nicht auf alle Arten zu, sodass Wissenschaftler sich näher mit der Frage der Zeichnung beschäftigten. Sie fanden heraus, dass die Zeichnungen möglicherweise der Stabilisierung der Eierschale dienen, wenn zum Zeitpunkt der Eischalenbildung Kalziummangel auftritt. In diesem Fall wird vermehrt in die dünnwandigen Bereiche der Eierschale der auch im Blut enthaltene Farbstoff Protoporphyrin eingelagert, der elastischer als das übrige Schalenmaterial ist und Stöße in dünneren Bereichen besser abfedern kann. Des Weiteren reflektiert Protoporphyrin Infrarotlicht besser als der Schalenkalk und verhindert so an den dünneren Schalenstellen erhöhte Aufheizung und infolgedessen Verdunstung.

Die Eier der Rohrammer sind sehr außergewöhnlich, mit feinen Marmorierungen und dickeren Klecksen gezeichnet, wobei blassere Zeichnung auf unteren Schalen liegt. Neben Kalziummangel könnte es hierfür noch einen weiteren Grund geben: In den meisten Lebensräumen von Rohrammern kommen auch Kuckucke vor, die bekanntlich ihre Eier in die Nester von Wirtsvögeln legen. Dabei ist das jeweilige Ei des Kuckucks genauso gefärbt und gezeichnet wie die Eier der Wirtseltern. Rohrammern werden relativ selten von Kuckucken als Wirtsvögel gewählt, möglicherweise könnte das mit der relativ schwer nachzuahmenden Zeichnung ihrer Eier zusammenhängen.


Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Berthold P 1996:
Die Brutvögel Mitteleuropas - Bestand und Gefährdung
Aula-Verlag, Wiesbaden

Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I 2010:
Taschenlexikon der Vögel Deutschlands.
Quelle und Meyer Verlag, Wiebelsheim.

Gosler AG, Higham J, Reynolds SJ 2005:
Why are birds' eggs speckled?
Ecol. Letters 8: 1105-1113; DOI:
10.1111/j.1461-0248.2005.00816.x

www.dda-web.de
http://arteninfo.ff-rlp.de/
www.bto.org/about-birds/birdfacts/
www.ornithologe.ch/ornithologie/vogeleierkunde/
www.wissenschaft-im-dialog.de/aus-der-forschung/

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2013
60. Jahrgang, Juli 2013, S. 265-267
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2013