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ORNITHOLOGIE/285: Seltene Vögel in Deutschland - Mauerläufer in den Alpen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2013

Seltene Vögel in Deutschland: Mauerläufer in den Alpen

Von Hans-Joachim Fünfstück



Die meisten Vogelbeobachter werden sich in der Regel an ihre erste Begegnung mit einem Mauerläufer erinnern, auch wenn diese unter Umständen Jahre zurück liegt. Denn wer ihn beobachten will, muss sich meist etwas höher hinaufbegeben - mit niederen Gefilden hat diese Vogelart im Normalfall wenig im Sinn. Und wer den "Fliegenden Almrausch", wie der bayerische Maler und Vogelkenner Franz Murr den Mauerläufer bezeichnete, schon einmal beobachtet hat, ist sicher begeistert.

© H.-J. Fünfstück, Wettersteingebirge, 9.7.2010

Beim Singen ist der Schnabel des Mauerläufers weit geöffnet.
Webseite des Fotografen: www.5erls-naturfotos.de
© H.-J. Fünfstück, Wettersteingebirge, 9.7.2010

Der Mauerläufer besiedelt in zwei Unterarten die alpine und hochalpine Stufe der Gebirge der gesamten Alten Welt. Sein Lebensraum sind senkrechte, reich gegliederte Felswände bis in die Gipfelregionen. Bei einem Besuch von Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, kann es schon vorkommen, dass man nicht nur von Alpendohlen umschwärmt wird, sondern auch dem Mauerläufer begegnet. Vielen Bergsteigern, vor allem aber sehr vielen Kletterern, ist er eher vertraut als den meisten Vogelkundlern. Wie der Kleiber, der als einzige Art kopfüber am Baumstamm klettern kann, ist auch der Mauerläufer ein Kletterkünstler. Mit seinen extrem langen und spitzen Krallen ist es ihm nicht nur möglich, in senkrechten Wänden zu klettern, auch Überhänge stellen für ihn dank dieser speziellen Ausstattung kein Problem dar. Mühelos kann sich der Mauerläufer in der Horizontalen ohne einen Stützschwanz, wie ihn Spechte und Baumläufer haben, waagerecht kopfüber bewegen. Diese Position, also mit dem Rücken nach unten, ist in der Vogelwelt nahezu einzigartig. Nur wenigen, sehr guten Extremkletterern ist es möglich, dies so nachzuahmen.

Leichte Bestimmung im Sommer und Winter

Durch die graue Grundfarbe des Gefieders ist der etwa Kohlmeisen große Mauerläufer trotz seiner charakteristischen roten Flügelzeichnung und ständigem Flügelzucken erstaunlich gut getarnt. Am leichtesten ist der Vogel im Fliegen zu sehen, wenn er mit den überdimensionierten, runden Flügeln wie ein großer Schmetterling von einer Felswand zur anderen wechselt. Geschickt nutzt er Thermik und andere Luftströmungen, um sich energiesparend in große Höhe tragen zu lassen. Der Gesang des Mauerläufers wird von beiden Geschlechtern dargebracht. Eine Strophe besteht aus einer aufsteigenden Reihe glasklarer Pfeiftöne, die mit einem fast eine Sekunde dauernden tiefen Pfiff endet. Meist sind es vier bis fünf Pfeiftöne pro Strophe. Die Pfeifstrophe dient vor allem dem Anlocken des Weibchens und dem Zeigen der Bruthöhle. Unter Umständen klingt der Gesang auch etwas tiefer, denn das Männchen singt für Weibchen (oder Beobachter) unsichtbar in der Bruthöhle weiter. Als weiteres Kommunikationssignal ist das regelmäßige Flügelzucken für den Mauerläufer charakteristisch (s. unten).

Vor allem in der zweiten Hälfte der Jungenentwicklung wird auch in der Nähe der Brutnische gesungen, egal ob der Vogel den Schnabel voll Futter hat oder nicht - das Sprichwort "mit vollem Munde spricht man nicht" ist Mauerläufern völlig unbekannt. Auch das Weibchen singt und setzt den Gesang oft zur Verteidigung des Winterreviers ein. Im Laufe des Oktobers, also gleichzeitig mit dem Beginn der Abwanderung in die Winterquartiere, beginnen die diesjährigen Jungvögel ihren Gesang zu verbessern. Dieser besteht am Anfang aus ganz unregelmäßig aneinandergereihten Tönen, die sich aber im Laufe der Zeit zu der beschriebenen Strophe entwickeln. Über einen speziellen Erregungslaut verfügt der Mauerläufer nicht. Bei Störungen am Nest singen beide Partner, allerdings deutlich schneller.

Der lange, etwas abwärts gebogene Schnabel dient dazu, tief in Ritzen sitzende Insekten zu erbeuten. Nur im Sommer ist es möglich, die Geschlechter zu unterscheiden, denn dann ist die Kehle des Männchens tiefschwarz, während sie beim Weibchen hell bis schwarz gefleckt ist. Wie bei flüggen Jungvögeln ist bei beiden Geschlechtern im Winter die Kehle hell gefärbt, sodass es dann nicht möglich ist, Informationen über die Geschlechter oder das Alter der Vögel zu erhalten.

Vogelbeobachter vernehmen die Stimme relativ selten, was aber eher an der geringen Siedlungsdichte und der schweren Erreichbarkeit der Mauerläufer-Lebensräume liegt.

Brutplätze in steilen Wänden

Das Brutvorkommen des Mauerläufers ist in Deutschland ausschließlich auf die bayerischen Alpen beschränkt. Die Dichte ist gering und die genauen Brutplätze sind schwer vollständig zu bestimmen, denn leicht ist der Mauerläufer an den teilweise riesigen Wandfluchten nicht zu finden. Auch wenn im vorletzten und letzten Jahrhundert mehrmals zur Brutzeit zwei Vögel an Felsen in der Fränkischen Schweiz oder an den Felsen der Donau festgestellt wurden, gelang hier kein Brutnachweis. Bisher gefundene Brutplätze liegen in Deutschland zwischen 600 und 2450 Meter ü.NN In den Brutwänden müssen Höhlen und Spalten vorhanden sein, die sich für die Anlage des Nestes eignen. Bemerkenswert beim Nestbau der Mauerläufer ist die Tatsache, dass er - anders als andere Singvögel - keine geordnete Reihenfolge des Nistmaterials hat. Zwischen grobe Anteile, die aus Moos und trockenem Gras bestehen, werden Haare, Wolle und Federn eingebaut. Dadurch entsteht ein sehr gut verfilztes Nest. Moos spielt aber die Hauptrolle beim Nestbau, weshalb das Nest an das einer Meise erinnert. Die Wandexposition spielt offensichtlich keine Rolle, doch sind die Nester so gut wie nie der Sonne ausgesetzt. In der Nähe der Nistplätze befinden sich meist kleine Wasserstellen, Grasbänder und Polster, die eventuell das Futterangebot erhöhen, das hauptsächlich aus verschiedenen Insekten und Spinnen besteht. Gerne nutzt der Mauerläufer zur Nahrungssuche Geröll- und Schuttflächen. Gebäude werden nur selten als Brutplatz genutzt und die einzigen bekannten Ausnahmen sind die Lorettokapelle bei Oberstdorf und Schloss Neuschwanstein. Hier ist es nahezu alljährlich möglich, den Mauerläufer ohne große Anstrengungen und aus nächster Nähe zu beobachten. Seinen Nistplätzen ist der Mauerläufer oft sehr treu und manche Brutwände sind mit kleinen Unterbrechungen über fünfzig Jahre besetzt. Er ist also nicht nur brutplatztreu, Nistplätze werden unter Umständen generationenübergreifend genutzt. Oft finden sich dieselben Partner im nächsten Jahr wieder am Brutplatz ein. Häufig wird auch dieselbe Nisthöhle über Jahre genutzt und viele Nistplätze verfügen über mehrere Ein- und Abflugmöglichkeiten. Je nach Witterung wird das Gelege, das normalerweise aus vier, manchmal auch drei oder fünf, weißen Eiern besteht, meist im Mai und Juni gezeitigt.

Gemäß einer Auswertung der Daten aus dem Werdenfelser Land um Garmisch-Partenkirchen verlassen offensichtlich die letzten Jungvögel in der ersten Augustdekade das Nest. Aus einer über Jahre hinweg besetzten Bruthöhle bei circa 1700 Meter ü.NN im Wettersteingebirge flogen die Jungvögel exakt am 9. und 14. Juli aus. Brutdauer und Zeit der Jungenaufzucht betragen fast sieben Wochen. Diese Zeitspanne ist mit keiner von anderen Vogelarten dieser Körpergröße in Europa vergleichbar und sicher eine Anpassung an den extremen Lebensraum, in dem sich alles mehr in den Spätfrühling und den kurzen Sommer verschiebt. Nach dem Ausfliegen werden die Jungvögel meist nur noch eine Woche betreut. Möglicherweise bleiben die Vögel danach mehrere Wochen zusammen, dies ist jedoch bis heute eines der Geheimnisse des Mauerläufers.

Mauerläufer in tieferen Lagen

Viele Erkenntnisse über den Mauerläufer stammen aus den langjährigen Untersuchungen von Hans Löhrl, der den Mauerläufer als einer der ersten auch züchtete. Nach der Brutzeit unternehmen Mauerläufer oftmals eine vertikale Wanderung, die die Vögel in der Schweiz bis in Höhen von etwa 4500 Meter ü.NN geführt hat. Erst im Oktober scheint es Mauerläufer wieder in tiefere Regionen zu ziehen. Ein Teil der Mauerläufer bezieht jetzt das Winterquartier in Lagen unter 1000 Meter mit günstigerem Nahrungsangebot zur kalten Jahreszeit. Da die Winterterritorien dem Mauerläufer ausreichend Nahrung bieten müssen, werden Artgenossen vor allem bei der Besiedlung im Spätherbst hartnäckig bekämpft. Durch das gleiche Aussehen der Geschlechter ist das Weibchen, das dem dominanteren Männchen die Verteidigung des Brutreviers überlässt, gewissermaßen dem Männchen gegenüber enthemmt und es macht ebenfalls mit Gesang Revieransprüche deutlich. Unter Umständen besteht das Winterrevier aus mehreren kleineren Steinbrüchen oder Gebäudewänden, die nur schwer verteidigt werden können. Allerdings sind solche Plätze immer sehr weit von Brutplätzen entfernt, sodass durch geringe Mauerläuferdichte der Konkurrenzdruck reduziert und keine Verteidigung notwendig ist. Bei längeren Wärmeeinbrüchen werden diese Winterreviere aber offenbar auch wieder geräumt. Ein Teil fliegt in weiter entfernte Gebiete, diese können auch Hunderte von Kilometern entfernt liegen. Zur Überwinterung werden oft dieselben Plätze aufgesucht und vermutlich sind es auch häufig dieselben Vögel, die sich an denselben Plätzen einfinden. Bei Beobachtungen von Mauerläufern weitab von Gebirgen, beispielsweise auf den Britischen Inseln oder in Skandinavien, handelt es sich höchstwahrscheinlich oft um verdriftete Individuen. Im März/April werden die Winterquartiere wieder verlassen und die Mauerläufer ziehen zurück in ihre Brutgebiete. Nachzügler wurden in der Schweiz bis in den Mai oder sogar während der Brutzeit notiert.

Lediglich außerhalb der Brutzeit besteht die seltene Chance, Mauerläufer in Steinbrüchen oder an hohen Gebäuden wie Kirchen und Burgen zu beobachten. Ist ein solcher Vogel entdeckt, dauert es meist nicht lange, bis es sich herumgesprochen hat, dass es eine Möglichkeit gibt, Mauerläufer ohne Seil und Haken zu beobachten.

Auf der Nahrungssuche sind Mauerläufer immer wieder an besetzten Steinadlernestern zu beobachten. Möglicherweise erbeuten Mauerläufer in den Steinadlernestern Fliegen und andere Insekten, die durch das im Nest liegende Futter angelockt wurden.

Bestand und Schutz

Aufgrund seines auf die bayerischen Alpen beschränkten Brutgebietes ist der Mauerläufer in Deutschland ein extrem seltener Brutvogel. Der Brutbestand hat sich vermutlich, wie in der Schweiz auch, in den letzten 150 Jahren nicht verändert. Nach der Kartierung für ADEBAR (Atlas Deutscher Brutvogelarten) wird der Bestand aktuell auf 80 bis 120 Brutpaare geschätzt. Dies ist nur ein sehr geringer Anteil des europäischen Bestandes, der ohne Russland geschätzte 13 bis 23 Paare beträgt. Die größten Bestände werden wohl in Spanien mit 9000 bis 12 und in Italien mit 2000 bis 6000 Paaren erreicht. In den Hochlagen des Allgäus, den Chiemgauer und Berchtesgadener Alpen dünnen die Nachweise deutlich aus und erreichen nicht die Dichte wie im mittleren bayerischen Alpenabschnitt. Diese Lücken könnten durch gezielte Nachsuche wahrscheinlich behoben und geschlossen werden. Genaue Angaben zur Siedlungsdichte fehlen, da die Brutplätze zum Teil zu Beginn der Brutzeit noch nicht erreicht werden können; zudem kann die Unübersichtlichkeit des Geländes erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Die höchsten Schätzungen liegen bei 8 bis 20 Brutpaaren auf zwei Flächen von ungefähr 30 im Wettersteingebirge. Langzeituntersuchungen fehlen in Bayern ebenso wie in anderen Ländern vollkommen.

Kletterern gegenüber, die ihm in seinem Lebensraum begegnen, ist der Mauerläufer meist tolerant. Dennoch kann rücksichtsloses Freestyle-Klettern durch Ausputzen von Felswänden lokal zu einer Beeinträchtigung des Lebensraumes und unter Umständen auch zur Aufgabe von Brutplätzen führen.


Literatur zum Thema:

Bezzel E 1993: Der Mauerläufer Tichodroma muraria im Werdenfelser Land, Oberbayern. Limicola 7: 35-48.

Bezzel E, Geiersberger I, Lossow G von, Pfeifer R 2005: Brutvögel in Bayern. Ulmer Verlag, Stuttgart.

Löhrl H 1976: Der Mauerläufer.
Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt.

Maumary L, Vallotton L, Knaus P 2007:
Die Vögel der Schweiz. Sempach.

Rödl T, Rudolph B-U, Geiersberger I, Weixler K, Görgen A 2012:
Atlas der Brutvögel Bayerns. Verlag E. Ulmer, Stuttgart.


Flügelzucken ohne Ende

Mit den Flügeln zuckt der Mauerläufer in einer Regelmäßigkeit, wie man es nur von Laubsängern kennt. Dadurch blitzen die weißen Flecken in den äußeren Handschwingen auf und das Rot im Gefieder wird sehr auffällig. Durch den relativ langsamen Ablauf der Zuckbewegung sind diese Signale lange zu sehen und vor allem durch die Rhythmik für Artgenossen auffallend leicht zu entdecken. Das sehr geringe Lautrepertoire unterstreicht die Bedeutung dieses Flügelzuckens als Kommunikationsmittel im reich gegliederten Lebensraum, obwohl die Pfeiftöne von Ruf und Gesang weit zu hören sind, in der Brutzeit nahezu täglich.


Steckbrief Mauerläufer

Merkmale: Grau, mit langem, dünnem, abwärts gebogenem Schnabel. Männchen im Brutkleid mit schwarzer Kehle. Auffallende Flügelzeichnung mit karminroten Federpartien, die beim Flügelzucken sehr heraussticht, Schwanz wie beim Kleiber relativ kurz. Zehen auffällig lang und stark gekrümmt. Körperlänge 16,5 Spannweite 27 bis 32 Juvenile von Adulten im Schlichtkleid nicht zu unterscheiden.

Lebensraum: Steile, meist reich gegliederte Wände und Felsen in der alpinen und subalpinen Stufe der Berge. Selten an Häusern oder anderen Gebäuden.

Verbreitung: Besiedelt alle Gebirge der Alten Welt von der Iberischen Halbinsel bis nach Westchina und die Mongolei. Verlässt im Spätherbst das Brutgebiet und unternimmt bis zu mehrere Hundert Kilometer lange Wanderungen.

Nahrung: Insekten und Spinnen bis zur Größe einer Feldgrille. Meist wird die Nahrung mit dem langen Schnabel aus Löchern, Ritzen oder Spalten geholt; erbeutet aber auch Schmetterlinge im Flug. Größere Beute wird mehrmals gegen eine Unterlage geschlagen und je nach Größe ganz verschluckt oder zerteilt.

Verhalten: Streng territorial. Einzelgänger mit ausgesprochener Treue zum Brutplatz und Winterquartier. Männchen und Weibchen haben auch zur Brutzeit getrennte Nahrungsreviere.

Brut: Nest in Felsspalten oder -höhlen, die sehr guten Schutz vor Nesträubern bieten. Nistmaterial hauptsächlich Moos, jedoch werden auch Flechten, Gräser, Federn und Haare in das Nest verwoben. Die drei bis fünf Eier werden 18 bis 20 Tage vom Weibchen bebrütet und beide Partner füttern anschließend die Jungen 28 bis 30 Tage im Nest. Bereits eine Woche nach dem Ausfliegen der Jungen trennt sich die Familie.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2013
60. Jahrgang, Mai 2013, S. 196-199
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags und des Autors
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2013