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ORNITHOLOGIE/112: Hessens Vogelwelt ändert sich! (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2009

Hessens Vogelwelt ändert sich!

Von Stefan Stübing


Auch wenn der eine oder andere infolge der arktischen Minustemperaturen Anfang Januar 2009 zu zweifeln beginnt: Der Klimawandel ist in vollem Gange. Seine Folgen für die Vogelwelt lassen sich im Beobachtungsmaterial vieler langjähriger Datenreihen erkennen. Beispielhaft zeigt diese Auswertung aus Hessen, das nur 6,5 % der Bundesfläche aufweist, wie vielfältig die Auswirkungen sind. Manche davon lassen sich nur durch jahrelange Datensammlungen erkennen, viele andere begegnen dem aufmerksamen Beobachter schon vor der eigenen Haustür. Und ohne Frage werden die Auswirkungen des Klimawandels nicht nur auf Vögel oder andere Tiergruppen beschränkt bleiben.


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Hessen bietet sich neben seiner geringen Größe und zentralen Lage in Deutschland auch deshalb als Beispiel an, weil die Bereiche entlang des Rheintals zu den wärmsten Gegenden Deutschlands zählen, während in den Mittelgebirgslagen ungleich tiefere Temperaturen herrschen. Auswirkungen des Klimawandels lassen sich daher besonders gut beobachten. Zudem sammelt die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e. V. (HGON) hier mit ihren 23 Arbeitskreisen seit mehr als 40 Jahren kontinuierlich Vogelbeobachtungen, sodass eine langjährige Vergleichsbasis gegeben ist.


Mediterrane Neubürger

Besonders auffällig ist das Auftreten von Brutvogelarten, die zuvor nicht oder nur ganz selten beobachtet werden konnten. So lagen von der Zwergohreule bis vor Kurzem lediglich drei hessische Meldungen aus den Jahren 1891, 1915 und 1968 vor. Mit dem allgemein verstärkten Auftreten dieser Art in den letzten Jahren gelang 2006 zunächst der Nachweis eines über mehr als vier Wochen rufenden Vogels am Taunusrand. 2007 konnte in der Wetterau sogar der erste Brutnachweis bestätigt werden. Im selben Jahr wurden elf weitere Zwergohreulenreviere in Süddeutschland gemeldet. Auch 2008 wurde in der Wetterau ein anhaltend rufendes Männchen beobachtet.

Der erstmals 1992 und 1993 in Hessen nachgewiesene Orpheusspötter wird mittlerweile im Rheingau als Fortsetzung der großen Brutvorkommen in Rheinland-Pfalz regelmäßig mit fünf bis zehn, maximal sogar 20 Revieren nachgewiesen. 2006 brüteten allein auf einer nur sechs Hektar großen Industriebrache bei Wiesbaden fünf Paare erfolgreich. Auch das Wiederauftreten der in den 1990er Jahren ausgestorbenen Zwergdommel mit Bruthinweisen an inzwischen fünf Orten oder die Ansiedlung des Wiedehopfs an ebenfalls fünf Stellen abseits des einzigen langjährigen Brutplatzes lässt sich in diesem Zusammenhang interpretieren. Die Ansiedlung der Mittelmeermöwe, die seit der ersten Brut 1993 inzwischen in vier Gebieten mit mehr als zehn Paaren brütet, wurde hingegen vermutlich nicht durch zunehmende Temperaturen, sondern eher durch die gewaltige Bestandszunahme im westlichen Mittelmeergebiet als Folge verbesserter Nahrungsbedingungen ausgelöst.

Gleichzeitig stehen aber manche Arten trockener, offener Lebensräume wie Haubenlerche oder Steinschmätzer wie überall in Deutschland vor dem Aus. Ehemals in Hessen weit verbreitet, sind die Bestände aufgrund von Lebensraumverschlechterungen mittlerweile auf jeweils weniger als 50 Reviere zusammengebrochen. Der Brachpieper ist als Brutvogel sogar schon ausgestorben. Vom Bienenfresser, mit einem bundesweiten Bestand von inzwischen mehr als 600 Paaren zu einem Symbol des Klimawandels geworden, fehlen in Hessen übrigens trotz zahlreicher Vorkommen in den benachbarten Bundesländern nach wie vor dauerhafte Ansiedlungen.


Deutliche Bestandszunahmen kälteempfindlicher Arten

Bei vielen Vogelarten kommt es in Kältewintern zu deutlichen Bestandsverlusten. Umgekehrt kann eine anhaltende Folge milder Winter zu Bestandszunahmen und Arealausweitungen führen, wie sie z. B. für den Grünspecht dokumentiert sind. Die Winter 1946/47, 1962/63, 1978/79 sowie 1986/87 waren für den auf Ameisennahrung angewiesenen Erdspecht besonders verlustreich. Seit Ende der 1980er Jahre ist jedoch eine anhaltende Zunahme festzustellen, in deren Folge sich der hessische Bestand von 200 Revieren 1987 auf mehr als 4000 Reviere 2004 erholte. Ähnlich deutlich nahm der Eisvogel von nur etwa zehn Paaren direkt nach dem Kältewinter 1962/63 auf bis 600 Paare am Beginn des neuen Jahrtausends zu. Bei der deutlichen Zunahme des Zwergtauchers von landesweit 100 Paaren 1978 auf aktuell 200 bis 250 ist ebenfalls ein Zusammenhang mit einer höheren Überlebensrate in den milden Wintern der letzten Jahre wahrscheinlich. Dies gilt auch für das Teichhuhn, von dem z. B. in der von Freizeittourismus unbeeinflussten Schwalmaue um Schwalmstadt ein Bestandsanstieg von vier Paaren nach dem Kältewinter 1987 auf 65 Paare 2004 belegt ist. Allerdings kommen diesen Arten, dem Eisvogel und weiteren Wasservögeln auch die oft deutlichen Lebensraumverbesserungen infolge von Natur- und Umweltschutzmaßnahmen zugute.


Mehr Kurzstreckenzieher überwintern

Während im wärmebegünstigten Südhessen, vor allem im Rheintal, einzelne überwinternde Heckenbraunellen, Bachstelzen, Wiesenpieper, Hohltauben, Sommergoldhähnchen und Rohrammern oder kleine Trupps seit Jahrzehnten nicht ungewöhnlich sind, werden diese Arten in Nordhessen erst seit wenigen Jahren an geeigneten Stellen vermehrt beobachtet. Eindrucksvoll dokumentiert diese Entwicklung die mit dem Winter 1996/97 begonnene und seither allwinterlich durchgeführte synchrone Erfassung der Wintervögel entlang des 135 km langen hessischen Abschnitts der Eder. Waren dort z. B. Bachstelzen in den ersten vier Wintern bis 1999/2000 nur sehr selten mit maximal zwei Individuen vertreten, wurden sie seither alljährlich mit bis zu 23 Vögeln im außergewöhnlich milden Winter 2006/07 gezählt. Die Singdrossel, in nur drei der insgesamt zwölf Zählwinter mit Einzelvögeln festgestellt, wurde 2006/07 mit sechs Individuen beobachtet. Bei Zilpzalp, Heckenbraunelle, Stieglitz, Wiesenpieper und Gebirgsstelze stammen die Höchstwerte der zwölfjährigen Zählreihe ebenfalls aus 2006/07.

Doch auch im wärmeren Südhessen verändern sich die Winterbestände dieser Arten, z. B. wurde dort mit etwa 100 Tieren am 8. Januar 2003 der bei Weitem größte Wintertrupp der Rohrammer beobachtet. Bachstelzen und Hohltauben treten hier mittlerweile in größeren Gruppen auf. Auch Grauammern überwintern seit dem Winter 2002/03 nach fast 40 Jahren wieder in Südhessen, doch muss offen bleiben, ob deren Vorkommen zuvor eventuell übersehen wurden.

Manche Arten versuchen erst seit wenigen Jahren den Winter in Hessen zu verbringen. Dazu zählt das Schwarzkehlchen, von dem Winterbeobachtungen bis in die 1990er Jahre große Seltenheiten waren. Mittlerweile überwintern alljährlich einige Vögel erfolgreich in Südhessen. Gleichzeitig nimmt die Brutpopulation sehr deutlich zu. Die bis Ende der 1980er Jahre anhaltende Abnahme auf zuletzt nur etwa 40 Paare, während der auch viele Brutgebiete aufgegeben wurden, wurde seither von einer Zunahme auf 200 Paare und der Besiedlung vieler neuer Areale abgelöst. Als wärmeliebende Art profitiert das Schwarzkehlchen einerseits von verringerten Zugstrecken in milden Wintern, andererseits auch von wärmeren, trockeneren Sommern.

Unter den Wasservögeln sind beispielsweise im Mittwinter-Auftreten der Schnatterente große Veränderungen festzustellen. Seit Beginn der Wasservogelzählung 1966 wurden bis 1992 nie mehr als 50 Tiere während des Zähltermins im Januar erfasst. Seither steigt der Bestand, unterbrochen von Rückgängen in und nach kalten Wintern, kontinuierlich auf 334 Tiere im milden Winter 2006/07 an. Auch hier begann die Überwinterung in Südhessen, wo bis Ende der 1980er Jahre fast alle Mittwinter-Schnatterenten beobachtet wurden. Nordhessische Wintervorkommen haben sich in nennenswerter Anzahl erst im neuen Jahrtausend gebildet.

Diese Beobachtungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Zusammenhang zwischen milden Wintern und gehäuftem Auftreten von Kurzstreckenziehern nicht immer so einfach zu erkennen ist. So sind z. B. Bachstelze und Feldlerche auch in besonders kalten Wintern zahlreich. Dies beruht offenbar auf Zuzug weiter im Norden überwinternder und bei Kälteeinbrüchen dann nach Süden ausweichender Tiere. Bei Rotmilan und Kiebitz ist sogar eine gegenteilige Entwicklung festzustellen: Die in den 1970er und 1980er Jahren noch regelmäßigen Überwinterungen kommen in den letzten Jahren kaum noch vor. Während dieses Phänomen beim Rotmilan offensichtlich auf dem Verschwinden zahlreicher Nahrungsquellen infolge der Schließung der seinerzeit verbreiteten Ortsmüllkippen beruht, können wir beim Kiebitz nur spekulieren. Es fällt zumindest auf, dass das Ausbleiben der Überwinterer mit dem allgemein dramatisch rückläufigen Brut- und Rastgeschehen der Art in Hessen einhergeht.


Winter-Waldwasserläufer

Hessen liegt am Nordrand des regulären Überwinterungsgebietes des Waldwasserläufers. Nur im nordhessischen Edertal und bei Darmstadt sind die Bedingungen so gut, dass es fast alljährlich zu Beobachtungen von Dezember bis Februar kommt. Das Edertal zwischen Fritzlar und Wabern ist trotz seiner nördlichen Lage für einige Waldwasserläufer ein geeigneter Winterlebensraum, da die Tiere auch strenge Frostperioden durch einen Wechsel von den Schlämmteichen einer Zuckerfabrik und einer Fischzucht an den Ederlauf zu überstehen vermögen.

Die langjährige Untersuchung dieser Bereiche zeigt, dass Waldwasserläufer dort seit Aufzeichnungsbeginn 1973 zunächst allwinterlich vorkamen. Der sehr kalte Winter 1981/82 führte dann aber zum Verschwinden der Vögel. Erst acht Jahre später überwinterte hier wieder ein Vogel erfolgreich, und erst seit 1998/99 sind erneut durchgehend Überwinterungen einer zunehmenden Anzahl von Waldwasserläufern zu beobachten. Diese Datenreihe zeigt neben der Sonderstellung der letzten Winter auch exemplarisch, wie sich an der nördlichen Verbreitungsgrenze Wintertraditionen entwickeln können und wie wechselhaft die Aussichten dort sind.


Nordische Wintergäste bleiben aus

Während die meisten Kurzstreckenzieher in den letzten milden Wintern auffallend häufig beobachtet wurden, geht die Zahl einiger nordischer Wintergäste deutlich zurück. Dies trifft vor allem für die Kornweihe, aber auch für Saatkrähe, Gimpel und einige Wasservögel wie Gänse- und Zwergsäger zu. Diese Arten reduzieren ihre Zugstrecke ebenfalls, sodass sie in weiter nördlich gelegenen Bereichen überwintern.


Sonderfall Pfeifente

Noch stärker als bei der Schnatterente steigen in Hessen die Bestände der Pfeifente, die sich damit nicht in das Bild rückläufiger Vorkommen vieler nordischer Wintergäste fügt. Da die Art in Mitteleuropa vor allem an den Küsten überwintert, wäre bei der nachgewiesenen Nordost-Verlagerung ihrer Winterquartiere eigentlich eher eine Bestandsabnahme zu erwarten. Dennoch wird die Zunahme der Pfeifente im Binnenland vermutlich durch die milderen Winter ausgelöst. Diese sind ein Hauptgrund für die insgesamt stark steigenden Bestände, deren Überwinterungsgebiet aufgrund der Zunahme dann auch ins Binnenland ausstrahlt. Dort sind erfolgreiche Überwinterungen jedoch anders als an der gezeitenbeeinflussten Küste vor allem auf eisfreie Winter angewiesen.


Überlebensraten steigen

Strenge Winter stellen für die Vögel, die eine Überwinterung versuchen bzw. als Standvögel in ihren Brutgebieten bleiben, einen wesentlichen Mortalitätsfaktor dar. Daher sind milde Winter oft durch höhere Überlebensraten gekennzeichnet. Dies lässt sich nur durch aufwändige Studien belegen, doch können auch hier die Ergebnisse der Wintervogelzählung entlang der Eder für einige Arten gute Hinweise geben.

Der erste der beiden Zähltermine findet alljährlich Ende Dezember, der zweite Anfang Februar statt. Der Vergleich beider Erfassungen ermöglicht bei Arten, die innerhalb des Hochwinters meist keine größeren Strecken mehr zurücklegen, Hinweise zur Überlebensrate. So konnten beim Zaunkönig in allen Jahren seit 1996/97 Rückgänge von der ersten zur zweiten Zählung ermittelt werden, lediglich im auffallend milden Winter 2006/07 wurden am Februartermin mehr Tiere als Ende Dezember erfasst. Allgemein sind in milderen Wintern mehr Zaunkönige im Gebiet, die zudem eher erfolgreich überwintern: In den drei kältesten Wintern wurden im Februar nur 39 % der Dezemberzahlen beobachtet, in den fünf mildesten Wintern waren es hingegen 82 %. Beim Rotkehlchen waren es in den kalten 40 %, in den milden Winterhalbjahren 66 %.


Unerwartet: Gartengrasmücke im Januar

Milde Witterung und gut bestückte Futterhäuschen ermöglichten im Winter 2007/08 auch einem vollkommen unerwarteten Gast einen fast dreiwöchigen Aufenthalt: In Nordhessen wurde vom 22. Dezember bis zum 9. Januar eine Gartengrasmücke beobachtet und fotografiert, wie sie sich mit Amseln, Staren und Rotkehlchen von ausgelegten Äpfeln ernährte. Dies stellt die für Mitteleuropa vermutlich späteste Beobachtung dieser Art dar, die in den tropischen Tiefland-Regenwäldern Afrikas in Äquatornähe überwintert und Europa meist schon im September verlässt.


Langstreckenzieher: "Mauersegler kommen Anfang Mai..."

Mit diesem Satz der älteren Kollegen sind viele der jüngeren Vogelkundler noch aufgewachsen. Noch 1995 galt, dass in Hessen zwar gelegentliche Ausreißer schon um den 10. April eintreffen konnten, das langjährige Mittel aber um den 26. April lag und die Masse der Segler in der ersten Maihälfte eintraf. Seit dem Jahr 2000 stammen alle Erstankünfte aus der Zeit vom 5. bis 15. April. Größere Trupps von mehreren Hundert Vögeln werden regelmäßig nun schon in den letzten Apriltagen beobachtet.

Ähnliche Verfrühungen des Heimzuges sind innerhalb der letzten 30 Jahre bei vielen Langstreckenziehern nachzuweisen. Die Auswertung der vorliegenden Erstbeobachtungen in den nord- und mittelhessischen Kreisen Waldeck-Frankenberg, Schwalm-Eder und Marburg-Biedenkopf durch Müller (2008) ergab unter Berücksichtigung des Mittelwertes der ersten drei Nachweise pro Jahr eine Verfrühung fast aller untersuchten Arten. Besonders auffallend war die Vorverlegung bei Uferschwalbe (um 27 Tage), Wachtel (24 Tage), Wespenbussard (21 Tage), Teichrohrsänger (18), Schwarzmilan (15) sowie Baumfalke, Rauch- und Mehlschwalbe (jeweils 13 Tage). Traditionell in der ersten Aprildekade eintreffende Arten wie Baumpieper, Schafstelze und Fitis erscheinen inzwischen alljährlich schon Ende März.

Diese aktuelle Untersuchung lässt bei manchen Arten aber auch einen gegenteiligen Trend erkennen. Braunkehlchen, Baumpieper, Steinschmätzer, Wachtelkönig und Heidelerche treffen demnach mittlerweile drei bis neun Tage später als vor 30 Jahren ein. Diese Arten zeigten jedoch im selben Zeitraum deutliche, z. T. gravierende Bestandsrückgänge. Möglicherweise entgehen die nun weniger häufigen Brutvögel den Vogelbeobachtern eher. Vielleicht ist durch die starke Ausdünnung der Brutvorkommen aber auch der Anreiz herabgesetzt, möglichst schnell im Brutgebiet einzutreffen, um eines der besten Reviere zu besetzen. Umgekehrt beruht die maximal festgestellte Verfrühung von etwa sieben Wochen beim Schwarzstorch vermutlich nicht allein auf den Auswirkungen des Klimawandels und der Etablierung neuer Winterquartiere in Spanien, sondern auch auf dem deutlichen Anstieg der Brutpopulation. Die zahlreicheren Vögel werden eher beobachtet, doch steigt durch die nun größere Konkurrenz möglicherweise auch der Anreiz für die einzelnen Individuen, zuerst im Brutgebiet anzukommen.


Milder Winter, frühe Bruten

Ohne detaillierte brutbiologische Untersuchungen lassen sich Veränderungen im Brutgeschehen kaum gesichert nachweisen. Allerdings fiel nach dem außergewöhnlich milden Winter 2006/07 bei einer Reihe von Arten ein sehr früher Brutbeginn auf. So wurden am 15. April in Gießen schon gut flügge Graureiher beobachtet, was auf einen Legebeginn Mitte Januar schließen lässt. Ende des Monats gelangen in Südhessen an zwei Stellen Nachweise fast selbständiger junger Schwanzmeisen. Der errechnete Legebeginn lag um den 13. März und damit einige Tage früher als die im Handbuch angegebenen Extremdaten für Mitteleuropa. Sehr frühe, gegenüber anderen Jahren um mindestens zwei bis drei Wochen zeitigere Bruten wurden 2007 zudem mit Jungvögeln von Bläßhuhn Anfang April, Teichhuhn am 16.4., Zwergtaucher am 20.4. und Reiherente am 17.5. beobachtet. Auch eine Winterbrut des Haubentauchers mit Eiablage um den 6. Februar 2002 fügt sich in diesen Zusammenhang ein, war doch der Februar 2002 einer der wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn.


Hohes Risiko: Kältewinter

Wie der aktuelle Winter Anfang Januar mit rekordverdächtigen Tiefsttemperaturen, Vereisung selbst der großen Ströme und fast im gesamten Bundesgebiet geschlossener Schneedecke zeigt, sind die zunehmenden Überwinterungstendenzen für die betroffenen Tiere nicht ohne Risiko. Neben Verlusten durch Nahrungsmangel, niedrige Temperaturen und Vereisung kommen viele Individuen der nicht ganz "winterharten" Arten geschwächt als Beute von Prädatoren um. Selbst relativ kräftige Singvögel wie Stare oder Drosseln können so untypischerweise Opfer des sonst vor allem Kleinsäuger jagenden Turmfalken werden. Die Winterverluste 2008/09 dürften bei vielen Arten sehr hoch sein, sodass in der kommenden Brutsaison vielfach deutlich niedrigere Bestände zu erwarten sind. Wie die von Rückgängen unterbrochene Zunahme von Schnatterente und Waldwasserläufer sowie viele weitere Beispiele zeigen, werden aber schon im nächsten milden Winter wieder Kurzstreckenzieher versuchen, Vorteile aus einer möglichst nah am Brutgebiet gelegenen Überwinterung zu ziehen.


Dipl.-Biol. Stefan Stübing koordiniert die vogelkundlichen Erfassungsprogramme der HGON, an denen mehr als 500 Personen teilnehmen. Sein Interesse gilt seit mehr als 20 Jahren der Bestandsentwicklung und Verbreitung sowie dem Zugverhalten heimischer und der Bestimmung seltener Vogelarten.



Literatur zum Thema

Böhning-Gaese, K. & S. Trautmann (2008):
Neue Vögel aus dem Süden. Falke 55: 310-315.

Fiedler, W. (2008): Zugstrecken ändern sich. Falke 55: 305-309.

Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz - HGON (Hrsg.)
(1993-2000): Avifauna von Hessen. Eigenverlag, Echzell.

Hüppop, K., O. Hüppop & F. Bairlein (2008):
Veränderungen von Zugzeiten. Falke 55: 294-299.

Korn, M., J. Kreuziger, A. Norgall, H.-J. Roland, S. Stübing (2000):
Ornithologischer Jahresbericht für Hessen 1 (1999).
Vogel & Umwelt 11: 117-223. (Folgebände bis 2005).

Müller, L. (2008): Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die
Frühjahrsankunft ausgewählter Zugvogelarten - Beispiele aus Hessen.
Wissenschaftliche Hausarbeit im Fach Biologie zur ersten Staatsprüfung
für das Lehramt an Gymnasien an der Philipps-Universität Marburg.


Herzlichen Dank der HGON für die jahrzehntelange Sammlung und Archivierung von Vogelbeobachtungen und den folgenden Kollegen von HGON, NABU und Staatlicher Vogelschutzwarte, ohne deren Daten diese Übersicht nicht möglich gewesen wäre: H. Arndt, H. Bachmann, G. Bauschmann, P. Becker, K.-H. Berck, W. und J. Brauneis, R. Buch, R. Burkhardt, D. Cimiotti, O. Conz, H.-G. und M. Denke, O. Diehl, R. Eckstein, K. Eichenauer, F. Emde, G. Eppler, P. und E. Erlemann, K. Fiedler, R. Fippl, B. Flehmig, H.-G. Folz, C. Gelpke, M. Gunia, G. Hardt, H. Hauck, I. Hausch, W. Hausmann, W. Heimer, R. Hennes, W. Heuser, F. Hillig, P.-L. Hoffmann, M. Hormann, D. Jürgens, G. Kalden, W. König, H. Koller, M. Korn, J. Kreuziger, W. Lübcke, W. Mayer, H.-J. Menius, U. Mothes-Wagner, L. Müller, F. Muth, A. Reifenberg, H. Reubert, J. Reufenheuser, W. Rheinwald, K. Richarz, I. Rösler, A. Rockel, H.-J. und N. Roland, T. Sacher, H. Schaub, W. Schindler, R. Schwab, U. Seum, A. und E. Schrader, M. Schroth, Heinz, N. und S. Stübing, E. Thörner, H. Tinkl, W. Veit, G. Wagner, S. Wehr, A. Werner, M. Werner, H. Wolf, A. Zedler und H. Zettl sowie die zahlreichen Mitarbeiter der Internationalen Wasservogelzählung, der Wintervogelzählung an der Eder, des Ganzjährigen Monitorings in Hessen sowie die mehr als fünfhundert Vogelbeobachter und Naturfreunde aller Verbände, die ihre Beobachtungsdaten der HGON für weitere Auswertungen wie die Avifauna von Hessen, den Ornithologischen Jahresbericht und die zahlreichen Kreisperiodika zur Verfügung stellen!

Für hessische Vogelbeobachter eine wichtige Informationsquelle:
Aktuelle Meldungen aus der Vogelwelt unter
www.hgon-birdnet.de/birdnet/index.aspx. Allein 2008 wurden hier
fast 20000 Beobachtungen eingestellt - reinschauen lohnt sich!


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2009
56. Jahrgang, Februar 2009, S. 64-70
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2009