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FORSCHUNG/636: Geruchssinn - Wo, bitte, geht's denn hier zum Ei? (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 2/2009

Wo, bitte, geht's denn hier zum Ei?

Von Catarina Pietschmann


Seeigelspermien schwimmen immer der Nase nach. Die sitzt an ihrem Schwanz und zählt oder rechnet mehr, als dass sie riecht. Ein seltsamer Prozess, den Wissenschaftler um Benjamin Kaupp, Direktor am Forschungsinstitut caesar, molekular aufgeklärt haben.


Nachwuchs zu bekommen ist nicht immer leicht. Vor allem dann nicht, wenn das eigene Zuhause unter Wasser liegt und die Nachbarn - eine skurrile Mischung aus schwerfälligen Verwandten und flinken, verfressenen Flossenträgern - ständig die Privatsphäre kreuzen. Als wirbelloser Seeigel hat man es besonders schwer. Denn für jemanden, der ein Außenskelett aus Kalk mit Hunderten von pieksigen Nadeln trägt, kommt Sex im eigentlichen Sinne gar nicht infrage. Befruchtung? Ja, aber bitte nur außerhalb des Körpers!

Zwecks Fortpflanzung finden sich Seeigel einmal im Jahr am Meeresboden zusammen, oft in Gruppen von bis zu 30 Individuen. Dicht aneinandergedrängt geben sie Eizellen und Spermien ab - je nach Art in Tiefen von bis zu 40 Metern. Diese konzertierte Aktion erhöht die Erfolgsaussichten, denn die Strömung, Fische und anderes Meeresgetier, das auf der Suche nach eiweißreichen Snacks vorbeischwimmt, durchkreuzen das Vorhaben. Deshalb wird auch geklotzt und nicht gekleckert: Ein Seeigelmännchen schickt im Schnitt etwa 100 Milliarden (!) Spermien ins Rennen - zum Vergleich: Ein Mann bringt es nur auf 200 Millionen -, das Weibchen gibt 50 000 Eizellen ab.

Das eigentlich Erstaunliche ist jedoch, dass selbst wenn neben ihnen andere Seeigelarten, Schnecken, Fische oder sonstige Biotopmitbewohner ebenfalls mit extrakorporaler Nachwuchsproduktion beschäftigt sind, keine zufälligen Mischkreaturen entstehen. Keine "Seesternigel", keine "Igelschnecken", keine "Fischigel". Nicht einmal Kreuzungen zwischen den insgesamt rund 900 Seeigelarten. Nein, zielsicher finden die Seeigelspermien zu den Eizellen ihrer eigenen Art. Als wäre Magie im Spiel. Das Zauberwort dafür heißt Chemotaxis.

Es bedeutet so viel wie "Aufmarsch in Richtung einer chemischen Substanz". Und genauso es ist dann auch: Hungrige Bakterien und Amöben nutzen diese Technik; sie bewegen sich wie schnuppernde Hunde in unregelmäßigem Zickzacklauf - im Englischen random walk genannt - auf ihre Nahrungsquellen zu. Und die Spermien? Sie folgen der Spur eines Lockstoffes, den die Eizelle aussendet. In einem Muster, das einer gekrümmten Helix gleicht, schwimmen die 50 bis 60 Mikrometer langen Wesen aktiv in Richtung der höher werdenden Konzentration. Klingt eigentlich simpel: Immer der Nase nach! Doch ganz so einfach ist es nicht.

Am Bonner Forschungsinstitut caesar untersucht Benjamin Kaupp mit seinem Team, wie das im Einzelnen funktioniert. Molekulare Neurosensorik ist der Überbegriff für seine Arbeit und so heißt auch seine Abteilung. Seit über 30 Jahren erforscht der Biophysiker, wie Reize von Sinneszellen erfasst und beantwortet werden. Beim Sehprozess, beim Riechen oder eben der Chemotaxis von Spermien. Drei sehr unterschiedliche Vorgänge, die aber vieles gemein haben. Jede Sinneszelle wandelt Reize über eine Kette von biochemischen Reaktionen in elektrische Signale um. Ionenkanäle, die meist aus mehreren großen Proteinen bestehen, spielen dabei eine zentrale Rolle.


Lockstoffrezeptoren am Schwanz

In Bonn interessiert man sich vor allem für sogenannte zyklische Nukleotidgesteuerte Kanäle (CNG-Kanäle) und Schrittmacher-Kanäle (HCN-Kanäle). CNG-Kanäle sitzen beispielsweise in der Membran der hochsensiblen Stäbchenzellen in unserer Netzhaut. "Nach Einfangen eines einzelnes Lichtquants, schließen sich Hunderte von Ionenkanälen in der Zellmembran", sagt Kaupp. Er hat den molekularen Aufbau der CNG-Kanäle entschlüsselt und dabei herausgefunden, dass diese Kanäle bei Farbenblindheit eine wichtige Rolle spielen. Ähnliche Ionenkanäle wurden in den 1990er-Jahren auch in den als Zapfen bezeichneten Sehzellen und den feinen Härchen der Riechzellen gefunden.

Bei der Suche in anderen Geweben stieß Kaupps Gruppe 1997 auf merkwürdige Kanäle in den Spermien des Seeigels Strongylocentrotus purpuratus. Sie verhielten sich ganz wie jene, die bei Säugetieren Herzschlag und rhythmische Aktivität von Nervenzellen steuern. Echte Schrittmacherkanäle eben. Bloß, was haben die in Spermien zu suchen? Sind sie ein kostbares Werkzeug, das nur für besondere Zwecke eingesetzt wird? Hier womöglich für die Chemotaxis?

Grund genug also, sich die Spermien genauer anzusehen. Mit welchem Sinnesorgan erkennen sie eigentlich ihren Lockstoff? Schließlich sind sie keine intelligenten Lebewesen; sie verfügen über keine echte Nase, geschweige denn Nervenzellen, die sensorische Reize an ein Gehirn weiterleiten könnten. Und Letzteres haben sie ohnehin nicht. Ihr Kopf beherbergt nur die Erbinformation ihrer Spezies. Ihr einziger Daseinszweck besteht darin, diese in die Eizelle zu befördern. Doch an ihrem Schwanz, dem Flagellum, sitzen über eine Million Rezeptoren für den Lockstoff - die Nase sitzt also praktisch an den Füßen.

Warum wird ein so entscheidender Schritt der Fortpflanzung eigentlich am Seeigel untersucht? "Das hat historische Gründe", erklärt Kaupps Mitarbeiter Timo Strünker, "denn die Chemotaxis von Spermien wurde vor etwa 100 Jahren zufällig beim Seeigel entdeckt." Im Marine Biological Laboratory in Woods Hole an der Ostküste der USA machte Frank R. Lillie eine seltsame Beobachtung, die er im Oktober 1912 in Science publizierte: Nachdem er einige Tropfen Meerwasser, in dem sich zuvor unbefruchtete Eizellen des Seeigels Arbacia punctulata befanden, zu Spermien der gleichen Art gegeben hatte, sah er, dass "die Spermien so heftig verklumpten, dass dies mit bloßen Auge zu erkennen war".

Lillie glaubte, dies passiere, weil die Eizellen vorher irgendeine Substanz an das Wasser abgegeben hatten, die er Agglutinin nannte. Jahrzehnte später entdeckte man, dass es sich dabei um ein Peptid aus 14 Aminosäuren handelt. Inzwischen ist bekannt, dass jede Seeigelart, jeder Seestern, ja vermutlich jede Meerestierspezies, die ablaicht, ihr ganz eigenes Agglutinin besitzt.

Bei der menschlichen Befruchtung gibt es dieses chaotische Getümmel von Spermien unterschiedlicher Spezies ja nicht. Sie findet - wenn nicht ausnahmsweise in vitro - innerhalb des Körpers statt. Bedarf es da überhaupt einer Chemotaxis? "Offenbar ja, aber nur in einem engen Bereich um das Ei herum", sagt Strünker. "Sozusagen zur Feinsteuerung auf den allerletzten Millimetern." Doch dazu später mehr.

Zurück zum Seeigel: Um dem kompletten biochemischen Mechanismus der Chemotaxis von Arbacia auf die Schliche zu kommen, bedurfte es einiger Tricks, Raffinesse und der Zusammenarbeit von Physikern, Chemikern und Biologen. Am Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin wird das kleine Peptid inzwischen künstlich hergestellt, von dem Chemiker Michael Beyermann. Sobald er es aufgereinigt hat, bekommt es von seinem Kollegen Volker Hagen eine "Tarnkappe" aufgesetzt - eine kleine chemische Schutzgruppe, die das Peptid biologisch inaktiv macht, aber durch einen UV-Blitz leicht abzuspalten ist, von den Forscher auch "caged compound" genannt.

Im "chemischen Käfig" festgesetzt werden dann bei caesar Peptid und Seeigel-Spermien in einer flachen Messkammer gemischt und unter dem Mikroskop mit einer Kamera beobachtet. Noch schwimmen die Spermien - erkennbar an ihren hellen Köpfen - mehr oder weniger regellos in ihrem Swimmingpool; anders als im Meer paddeln sie in der flachen Küvette lediglich im Kreis, was die Beobachtung erleichtert. Über eine Streifen-, Punkt- oder Micky-Maus-Maske - hier lassen die Forscher ihrem Spieltrieb freien Lauf - wird dann die Kammer mit einem UV-Blitz belichtet. Die Tarnkappen fallen ab und der Lockstoff ist aktiv.

Blitzschnell bewegen sich die Spermien zu der künstlichen Lockstoffquelle hin und bilden so das jeweilige Muster der Maske ab. Dabei folgt ihre Schwimmbahn winzigen Kreisen, die sich immer mehr zur Quelle hin verschieben. Die intrazelluläre Calciumkonzentration lässt sich sogar live verfolgen, wenn die Spermien mit einem Fluoreszenzfarbstoff beladen sind, der durch Calcium aktiviert wird: Periodisch leuchten die rotierenden Spermien auf - je mehr Calcium, desto heller.


Kreislauf aus Messen, Auswerten und Navigieren

Theoretische Physiker am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden haben ein Modell dafür entwickelt: Die kreisförmige Schwimmbahn der Spermien führt zu einer periodischen Stimulation, die - mit einer Phasenverschiebung - in ein oszillierendes Calciumsignal umgewandelt wird. Die Spermien schwimmen im Kreis und messen dabei quasi die Lockstoffkonzentration. Dafür benötigt das Spermium etwa einen halben Kreisumlauf.

Während sie ihre Messung auswerten - gemessen wird keine absolute Konzentration, sondern deren zeitliche Änderung - schwimmen sie einen weiteren Halbkreis. Schlussendlich löst dann ein Anstieg in der intrazellulären Calciumkonzentration eine kombinierte Verhaltensantwort aus: eine starke Biegung der Kreisbahn (turn) gefolgt von einem Abschnitt geraden Schwimmens (run). Anschließend geht's wieder zurück in den Kreis und es wird erneut gemessen, ausgewertet, navigiert - turn and run, turn and run - immer weiter den Gradienten hinauf bis zum Ei.

Der Lockstoffrezeptor in der Spermienmembran, das Enzym Guanylatzyklase, war bereits bekannt. Der Signalweg, der die Änderung des Schwimmverhaltens bewirkt, wurde von Kaupps Team aufgeklärt: Bindet ein Lockstoffmolekül an den Rezeptor, so wandelt besagtes Enzym GTP (Guanosintriphosphat) in den intrazellulären Botenstoff cGMP um. Zyklisches Guaninmonophosphat sei übrigens auch in den Sehzellen der entscheidende Botenstoff, ergänzt Kaupp.

Das cGMP öffnet Kaliumkanäle (CNGK), durch die positiv geladene Kalium-Ionen aus der Zelle hinausströmen. Dadurch wird das Zellinnere natürlich negativer und das Membranpotenzial sinkt, das heißt, die Membran wird hyperpolarisiert. Und das führt zur Öffnung der eingangs erwähnten Schrittmacher-Kanäle - "Beim Herzmuskel sorgen genau diese Schrittmacher-Kanäle für die rhythmischen Kontraktionen", wirft Kaupp ein - Natrium strömt nun in die Zelle ein, und das Membranpotenzial steigt wieder an. Die mit dieser Depolarisation verbundene Öffnung von Calcium-Kanälen lässt schließlich Calcium-Ionen einströmen, wodurch sich das Schlagmuster des Flagellums ändert und damit die Schwimmbahn des Spermiums.

Wie die Forscher feststellten, reagieren die Spermien bereits auf einzelne Lockstoffmoleküle. Ein einziger aktivierter Rezeptor reicht aus! Es war ein hartes Stück Arbeit, dies Schritt für Schritt durch Versuch und Gegenversuch herauszufinden. "Ohne die optischen Schalter, darunter auch caged-Signalstoffe, wäre das gar nicht möglich gewesen", betont Timo Strünker.

Und wie läuft das Ganze beim Menschen ab? "Darüber wissen wir immer noch wenig. Fest steht, dass wohl vieles anders ist", so Strünker. Und das beginnt damit, dass unsere Spermien keine Helix schwimmen, sondern nur geradeaus. Es scheint auch mehr ein gleitendes Schwimmen an einer Oberfläche zu sein, dem Eileiter-Epithel - durch ein viskoses Medium also, nicht vergleichbar mit dem freien Schwimmen im Meerwasser.

Beim Mensch kommt hinzu, dass immer nur etwa 10 bis 20 Prozent der Spermien in einem Ejakulat gleichzeitig in der Lage sind, zur Eizelle vorzudringen - was ihre Beobachtung schwierig macht. Aber auch menschliche Spermien werden angelockt. Tropft man zu Spermien Follikelflüssigkeit, so schwimmen sie darauf zu. "Aber weder Rezeptor noch intrazelluläre Signalstoffe oder ein Lockstoff konnten bisher identifiziert werden." Es gibt auch Forscher, die eher an Thermotaxis glauben, da innerhalb des Eileiters eine Temperaturdifferenz von 1,6 bis 1,8 Grad Celsius herrscht.


Ein Steroidhormon als Lockstoffkandidat

Aber folgen unsere Spermien denn nicht dem Maiglöckchenduft Bourgeonal, wie Hanns Hatt aus Bochum behauptet? Kaupp wiegt den Kopf: "Nach dem, was wir vom Seeigel wissen, haben wir Zweifel. Sicher ist, dass bei beiden eine Änderung der Calcium-Konzentration die Motilität der Spermien steuert." Die menschlichen Spermien wurden in den Versuchen Bourgeonal-Konzentrationen von einigen Mikromol (ein Millionstel Mol) pro Liter ausgesetzt - die Spermien des Seeigels reagieren aber bereits auf femtomolare Konzentrationen (ein Billiardstel Mol pro Liter). Nicht getestet hat das Bochumer Team, ob Bourgeonal die Bildung intrazellulärer Botenstoffe anregt. Bei caesar tat man es - und es passierte nichts.

Eine japanische Gruppe habe zudem gefunden, dass es bei Mäusen ein anderer Duftstoff sei. An beiden Arbeiten zweifelt Kaupp. "Da es viele Substanzen gibt, die Calcium-Veränderungen in Spermien bewirken, haben wir den Verdacht, dass das alles lipophile, also fettlösliche Verbindungen sind, die direkt in die Membran reingehen können. Möglicherweise sind die Beobachtungen experimentelle Artefakte."

Aber was lockt dann unsere Spermien an? "Es gibt einige Kandidaten." Kaupp hält sich etwas bedeckt. "Man vermutet, dass es das Progesteron sein könnte." Das Steroidhormon wird nachweislich von den Cumuluszellen der Eizelle abgegeben. Normalerweise reguliert Progesteron im Körper Vorgänge über die Proteinsynthese, und das braucht Minuten bis zu Tagen. Reife Spermien stellen aber keine Proteine mehr her - wozu auch? Progesteron kann aber auch eine schnelle Wirkung ausüben: Innerhalb von Sekunden reagieren Spermien darauf mit einem intrazellulären Calcium-Signal. "Wir machen derzeit Tests mit caged-Progesteron."


Schwachstelle im Fruchtbarkeitstest

Da es beim Menschen so kompliziert ist: Gibt es andere Säugetiermodelle? "Ja, Ratten, Mäuse und Kaninchen. Wir haben früher auch mit Kaninchen gearbeitet", erzählt Kaupp. Heute wird bei caesar jedoch an frischen menschlichen Spermien geforscht, wozu das Institut ein kleines Netzwerk aus freiwilligen Spendern aufgebaut hat. Manche Wissenschaftler behaupten, dass die Lockstoffe von Mensch, Kaninchen und Maus identisch seien.

"Wir wissen, dass die Follikelflüssigkeit von Frauen auch Kaninchenspermien anzieht", bestätigt Kaupp. "Das hat auch eine gewisse Logik: Der Seeigel entlässt seine Gameten ins Meer und überlässt sie ihrem Schicksal. Da ist Chemotaxis immens wichtig! Beim Säugetier, wo Sexualität vorgeschaltet ist, muss keine Spezifität des Erkennens über den Lockstoff erfolgen." Beim sogenannten Hamstertest, der das Fertilisierungspotenzial menschlicher Spermien prüft, macht man sich dies zunutze: Wenn die Spermien eines Mannes in der Lage sind, in Eizellen eines Hamsters einzudringen, gilt das als Hinweis auf eine intakte Spermienfunktion.

Timo Strünker hat allerdings seine Zweifel, denn der Test hat einen Schwachpunkt: An Knock-out-Mäusen hat man festgestellt, dass Tiere, denen ein bestimmter, nur in Spermien vorkommender Calcium-Kanal fehlt, zwar qietschfidel sind - aber unfruchtbar. Ihre Spermien können die Eihülle nicht durchdringen. "Beim Hamstertest wird jedoch vorher die Eihülle entfernt. Und heute weiß man, dass es auch Menschen gibt, die einen Defekt in diesem Kanal haben."

Damit wird klar, welche Anwendung die Grundlagenforschung bei caesar einmal finden könnte. Zum Beispiel um Paaren mit Fruchtbarkeitsstörungen zu helfen - diagnostisch und vielleicht sogar therapeutisch. Bestimmte Ionenkanäle, Pumpen und Transporter kommen zudem nur in Spermien vor. Diese Proteine sind ideale Zielstrukturen, neudeutsch Targets genannt, für selektive Kontrazeptiva. Endlich doch die "Pille für den Mann"! Und für technische Sensoren, die einzelne Moleküle in einem Gemisch aus Billiarden anderen herausfinden könnten, gäbe es natürlich auch Verwendung. Benjamin Kaupp reizt an seiner Arbeit jedoch etwas anderes: die evolutionären Zusammenhänge. "Riechen, Sehen, die Chemosensorik in den Spermien - das ist für mich die Variation eines Themas. Wie wurde es abgewandelt, um so unterschiedliche Funktionen zu erfüllen?"


Hummer entschädigt für die Arbeit im Dunkeln

Derzeit bereitet sich das Team wieder auf eine Reise an die Ostküste der USA vor. Messgeräte werden verpackt und verschifft, denn man will - wie jeden Sommer - gemeinsam mit vielen anderen Forschern aus aller Welt drei Monate lang im legendären, 1888 gegründeten meeresbiologischen Laboratorium in Woods Hole arbeiten. Zurück zu den Wurzeln, nach Cape Cod, wo einst die Chemotaxis beim Seeigel entdeckt wurde.

Es muss fantastisch sein, in einer so malerischen Gegend zu arbeiten, oder? "Na ja", winkt Timo Strünker ab, "davon sehen wir nicht viel. Da die caged compounds extrem lichtempfindlich sind, arbeiten wir stundenlang im Dunkeln." Kein Grund für Mitleid! Zum Ausgleich gibt's fangfrischen Hummer zum Dinner. Und dazu den Blick auf einen gigantischen Ozean, dessen seltsame Bewohner bis heute größtenteils unerforscht sind.


GLOSSAR

Extrakorporal
Außerhalb des Körpers befindlich.

Chemotaxis
Bezeichnet eine auf einen chemischen Reiz hin gerichtete Bewegung innerhalb eines chemischen Gradienten. Bei positiver Chemotaxis erfolgt die Bewegung in Richtung des Lockstoffs; negative Chemotaxis führt zu einem gezielten Entfernen von der Reizquelle (Schreckstoff).

Helix
Eine Schraube, die sich mit konstanter Steigung um den gedachten Mantel eines Zylinders windet.

Ionenkanäle
Poren bildende, die Zellmembran durch spannende Proteine, die elektrisch geladenen Teilchen, sogenannten Ionen, das Durchqueren der Membran ermöglichen.

Flagellum
Auch Geißel genannt; langes, fadenförmiges Gebilde, das der Bewegung dient.

caged compound
Ein biologisch relevantes Molekül, das aufgrund einer angehängten chemischen Schutzgruppe (cage) inaktiv ist. Die Verbindung ist photolabil und kann durch Lichtblitze entsprechender Wellenlänge wieder gelöst werden, wodurch das Molekül in einen aktiven Zustand versetzt wird.

Membranpotenzial
Die elektrische Spannung, die zwischen der Innen- und Außenseite einer Biomembran anliegt.

Follikelflüssigkeit
Flüssigkeit in den Eibläschen, in denen das befruchtungsfähige Ei heranreift.

Mol
Ein Mol (mol) besteht aus 6,022 × 1023 Teilchen eines bestimmten Stoffs.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 2/2009, Seite 17-23
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2009