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FORSCHUNG/599: Kommunikation - Auf den Hund gekommen (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - Oktober 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Auf den Hund gekommen

Von Patrick Philipon


Nachdem der Hund von den Psychologen lange Zeit zugunsten von Schimpansen und Ratten vernachlässigt wurde, ist er seit einigen Jahren ins Rampenlicht gerückt. Er brilliert nämlich auf einem ganz bestimmten Gebiet: dem Begreifen der menschlichen Kommunikation - Ergebnis einer langen gemeinsamen Geschichte.


"Jetzt müsste er nur noch sprechen können!" So oder ähnlich loben Besitzer von Pudel oder Schäferhund immer wieder die "Intelligenz" ihres vierbeinigen Freundes. Ohne so weit gehen zu wollen, scheint die Beziehung zwischen Hund und Mensch doch eine ganz besondere zu sein. Die Forscher arbeiteten jedoch lange Zeit lieber mit Menschenaffen, weil sie uns philogenetisch näherstehen, oder Ratten, weil sie einfacher zu züchten sind. Anfang dieses Jahrhunderts haben jedoch mehrere Forschungsergebnisse das Interesse der Wissenschaftler an Hunden wieder geweckt, die offenbar überraschend gut menschliche Kommunikationscodes verstehen, und zwar sogar viel besser als die Primaten. "Für Psychologen könnten Hunde die neuen Schimpansen werden", schreibt der Amerikaner Paul Bloom im Jahre 2004 (1).


Rico und die zweihundert Wörter

Im gleichen Jahr beschäftigt sich ein Team des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (DE) unter der Leitung von Julia Fischer (2) mit Rico, einem Border Collie, der nach Aussagen seiner Besitzer "mehr als zweihundert Wörter versteht". Hierbei handelt es sich um die Namen von Spielzeugen oder kleinen Gegenständen, die er bei Aufforderung apportiert, wofür er dann eine Belohnung erhält. Rico hat im Alter von zehn Monaten mit diesem Lernprozess begonnen. Die Forscher untersuchten seine Fähigkeiten zunächst einmal in kontrollierten Experimenten, in denen seine Besitzerin - auch unbewusst - keine Hilfestellung geben konnte. Der Border Collie hat sich nicht ein einziges Mal im Gegenstand geirrt. Besser noch: Die Wissenschaftler haben daraufhin einen unbekannten Gegenstand unter einige vertraute Spielzeuge gemischt und seine Besitzerin hat den für Rico unbekannten Namen ausgesprochen. Der Hund hat sofort verstanden, dass dieses Wort zu dem Gegenstand gehören musste, den er noch nie zuvor gesehen hatte, und apportierte ihn. Vier Wochen später erinnerte er sich immer noch an diesen Namen.

Handelt es sich um einen außergewöhnlichen Hund? Zweifellos in Bezug auf den Umfang seines Wortschatzes, den die Forscher des Max-Planck-Instituts als "mit dem von sprachtrainierten Menschenaffen, Delfinen, Papageien und Ohrenrobben vergleichbar" bezeichnen. Ohne seine Leistungen mit dem Erlernen der Sprache menschlicher Babys vergleichen zu wollen, glauben sie, dass Rico eine Verbindung zwischen einem Wort und einem Gegenstand herstellen kann. Paul Bloom ist da skeptischer und betont, dass dieser Hund nur beim Spiel "lernt" und auch nur die Namen apportierbarer Gegenstände. Für ihn kann dieser Border Collie nicht den Namen der Gegenstandskategorie einbeziehen, sondern er verbindet einfach das Wort mit dem Apportieren. Eine weitere wichtige Einschränkung: Es funktioniert nur mit seinem Frauchen. Diese Schnelligkeit beim Erlernen von Wörtern zeigt jedoch, dass der Hund, genauso wie die Ratte oder der Schimpanse, zu Schlussfolgerungen in der Lage ist.


Die Macht der Zeichen

Zur gleichen Zeit wurden allgemeinere Experimente mit nicht trainierten Tieren und ohne besondere affektive Bindung zu den Versuchsleitern durchgeführt. Es geht folglich nicht mehr um ein außergewöhnliches Individuum, sondern um die Fähigkeiten einer Spezies. Alle diese Studien basieren auf dem gleichen Schema: Die Forscher stellen zuerst einmal mehrere identische Gefäße auf, nachdem sie in einem Futter oder einen anderen begehrenswerten Gegenstand versteckt haben. Dann bringen Sie das Tier in den Raum und zeigen ihm die richtige Schachtel auf die eine oder andere Weise: entweder durch einen Fingerzeig, einen Blick, ein Kopfnicken oder einen farbigen Würfel - kurz, indem sie die Zeichen der nonverbalen menschlichen Kommunikation verwenden. Ab einem Alter von 14 Monaten verstehen Säuglinge problemlos diese Art der Kommunikation. Schimpansen scheitern hierbei jedoch kläglich. Sie brauchen Dutzende Versuche, um die vom Versuchsleiter gegebenen Informationen zu verwenden. Darüber hinaus haben sie sich als unfähig erwiesen, dieses Wissen auf eine andere Art der Information zu übertragen (zum Beispiel wenn der Versuchsleiter den Kopf dreht, anstatt zu nicken). Hunde aber lösen dieses Problem mit bemerkenswerter Leichtigkeit, und zwar bereits beim ersten Versuch.

Andere Experimente zeigen, dass der Hund versteht, dass Menschen mit ihren Augen sehen, und reagiert entsprechend. Ein Hund legt einen apportierten Ball beispielsweise vor dem Ausbilder ab, selbst wenn sich dieser in der Zwischenzeit umgedreht hat. Er entscheidet sich, bei einer Person mit offenen Augen um Futter zu betteln und nicht bei der neben ihm mit verbundenen Augen stehenden - im Gegensatz zu Schimpansen. Er nähert sich einem verbotenen Gegenstand nur, wenn der Versuchsleiter die Augen geschlossen hat oder wenn eine fensterlose Trennwand dazwischen steht.

Alle diese Ergebnisse sind um so überraschender, da Hunde mit nicht-sozialen Hinweisen nur schlecht umgehen können: Sie durchschauen die Welt der Physik nämlich nur in sehr begrenztem Maße. So versteht ein Schimpanse sofort, dass bei zwei auf dem Boden liegenden Brettern das Futter unter dem erhobenen und nicht unter dem anderen versteckt ist. Dazu sind Hunde völlig unfähig.


Wölfe und Füchse

Warum übertrifft aber der Hund mit geringeren kognitiven Fähigkeiten als der Menschenaffe diesen bei der Kommunikation mit dem Menschen oder seinen Artgenossen? Der deutsche Psychologe Michael Tomasello (3) hat vor kurzem eine Synthese über die Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht, worin er eine Erklärung vorbringt. Er hat zuerst einmal die Hypothese der Dressur ausgeräumt, da Welpen, die mit ihrer Mutter im Zwinger aufgewachsen sind, das gleiche Verständnis besitzen wie erwachsene Hunde, die vom Menschen aufgezogen wurden. Die Tatsache, dass der Wolf, der Vorfahre des Hundes, in der Meute jagt und folglich die Absichten seiner Artgenossen einbeziehen muss, trägt auch nicht sehr viel zu einer Erklärung bei. Wölfe verstehen, selbst wenn sie von Menschen aufgezogen wurden, deren Signale nicht, auch wenn sie bei Aufgaben, die physikalisches Verständnis erfordern, genauso gut abschneiden wie Hunde, wenn nicht sogar besser.

Für Michael Tomasello liegt die Antwort in der besonderen Geschichte des Hundes. "Die einzig verbleibende Möglichkeit ist, dass die sozialen Fähigkeiten des Hundes direkt vom Domestizierungsprozess herrühren und sich in den Zehntausenden von Jahren entwickelt haben, die Mensch und Hund bereits zusammenleben", schreibt er. Selbst, wenn das tatsächliche Datum nicht ermittelt werden kann, so ist doch sicher, dass der Mensch vor mehreren Jahrtausenden damit begonnen hat, Wölfe zu domestizieren, die auf der Suche nach Abfällen um seine Lagerstätten herumschlichen. Im Laufe der Zeit hat er die Tiere eliminiert, die sich ihm gegenüber ängstlich oder aggressiv verhielten. War die Auslese nach dem Kriterium des Verhaltens ausreichend, damit sich bei diesen Tieren Fähigkeiten zur sozialen Kommunikation entwickeln konnten? Erstaunlicherweise scheint das der Fall zu sein. Tomasello führt als Beweis ein Experiment mit sibirischen Silberfüchsen an. Hierbei wurde eine Gruppe dieser zur Familie der Hunde zugehörigen Tiere über einen Zeitraum von 40 Jahren einzig auf ihre Ruhe in Gegenwart von Menschen hin selektiert. Eine Kontrollgruppe konnte sich frei vermehren, wurde aber sonst unter gleichen Bedingungen gehalten. Heute verstehen die Jungfüchse der ersten Gruppe den Fingerzeig oder den Blick genauso gut wie Hundewelpen, obwohl sie in keiner Weise darin unterrichtet wurden. Dafür sind sie "unbegabter" als ihre wilden Artgenossen, wenn es darum geht, die physikalische Welt zu verstehen. "Erstaunlicherweise lassen diese Forschungsarbeiten an domestizierten Füchsen vermuten, dass die Fähigkeiten der Hunde bei der Entschlüsselung des sozialen und kommunikativen Verhaltens der Menschen ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Auslese hinsichtlich ihres ruhigen Verhaltens sind", folgert der Forscher.

Eine weitere Frage drängt sich unvermeidlich auf: Wie kommt es, dass der Schimpanse im Gegensatz zum Menschen, der ihm philogenetisch so nahesteht, keine Kommunikationsfähigkeiten entwickelt hat? Der Schimpanse, und erst recht der Bonobo, beherrscht die physikalische Welt, weiß, was der andere sieht, schreibt ihm Absichten zu, zieht aus dem Verhalten des Versuchsleiters oder eines Artgenossen Schlussfolgerungen, kurz gesagt, er verfügt über alle notwendigen kognitiven Fähigkeiten. Für Michael Tomasello liegt die Antwort in seiner natürlichen Tendenz zum Wettbewerb. Experimente zeigen, dass ein Schimpanse nur dann mit einem Artgenossen zusammenarbeitet, wenn - aufgrund einer räumlichen Trennung - keine Konfliktgefahr besteht und diese Zusammenarbeit sich für ihn auszahlt. Falls das nicht der Fall ist, verbieten die Dominanzbeziehungen jegliche Form der gemeinsamen Tätigkeit. Unter diesen Bedingungen ist es unnötig, ausgefeilte Kommunikationsfähigkeiten zu entwickeln. Darauf beruht auch die Hypothese, dass die einzigartigen Kommunikationsfähigkeiten des Menschen erst nach einer Selbst-Domestizierung auftreten konnten, en des Menschen erst nach einer Selbst-Domestizierung auftreten konnten, bei der "die Angehörigen einer sozialen Gruppe zu aggressive oder despotische Personen töteten oder verbannten". Diese Auslese hinsichtlich des emotionellen Friedens soll unseren hominiden Vorfahren einen neuen anpassungsfähigen Raum eröffnet haben, in dem sich ausgereifte Formen der sozialen Interaktion und Kommunikation entwickeln konnten. Kurzum, Hunde können immer noch nicht sprechen, aber sie haben uns vielleicht auf gewisse Weise dabei geholfen zu verstehen, wie wir Menschen es gelernt haben.

Patrick Philipon


Literatur

(1) Paul Bloom, Can a dog learn a word? Science 304, 1605, 2004.

(2) Juliane Kaminski, Josep Call, Julia Fischer, Word learning in a domestic dog: evidence for "fast mapping", Science 304, 1682, 2004.

(3) Brian Hare & Michael Tomasello, Human-like socials skills in dogs? Trends in cognitive sciences, 9(9), 439, 2005.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Rico kennt alle seine Spielzeuge mit Namen. Dieser Border Collie mit dem beeindruckenden Wortschatz stellt überraschend schnell und sicher eine Verbindung zwischen einem Wort und einem Gegenstand her.


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - Oktober 2008, Seite 30 - 31
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2008
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
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research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2009