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FORSCHUNG/1155: Studie zu Hefezellen - Protein entdeckt, das Zelltod einleitet (idw)


Technische Universität Kaiserslautern - 13.11.2019

Studie zu Hefezellen: Protein entdeckt, das Zelltod einleitet - ähnlicher Prozess auch bei menschlichen Zellen?


Wenn Zellen sterben, leiten sie den Zelltod ein. Bei höheren Lebewesen ist so dafür gesorgt, dass der gesamte Organismus keinen Schaden nimmt. Aber auch bei Einzellern gibt es den Mechanismus. Warum war bislang unklar. Kaiserslauterer Forscher haben nun eine Lösung gefunden. Sie haben bei Hefezellen ein Protein entdeckt, das in zwei Formen vorkommt. In gesunden Zellen fungiert es als Enzym, bei defekten leitet es den Zelltod ein. Auch bei menschlichen Zellen könnte der Prozess ähnlich funktionieren. Aus evolutionärer Sicht macht dies Sinn, da so bei Einzellern Zellen aussortiert werden, die nicht "fit", also angepasst sind. Die Studie ist in der Fachzeitschrift "Molecular Cell" erschienen.

Jeder Organismus besteht aus Zellen. Egal ob bei Menschen, Tieren und Pflanzen - in Aufbau und Funktion sind sie sehr ähnlich. Während aber zum Beispiel die Zellen der Mundschleimhaut nur wenige Tage leben und ständig ersetzt werden, begleiten uns die meisten Nervenzellen das gesamte Leben und werden somit 80 oder 90 Jahre alt. "Wenn Zellen sterben, leiten sie dafür meist ein spezielles Programm ein, das Fachleute Apoptose nennen", sagt Professor Dr. Johannes Herrmann, der das Lehrgebiet für Zellbiologie an der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK) leitet.

Dieses "Selbstmord"-Programm stellt sicher, dass die sterbenden Zellen keine schädlichen Auswirkungen für den gesamten Organismus haben. "Seit langem ist bekannt, dass Zellen, die bei der Embryonalentwicklung anderen Strukturen weichen müssen, durch Apoptose entfernt werden", fährt er fort. Wenig verstanden ist dagegen, warum auch einzellige Organismen wie etwa Hefezellen ein solches Programm haben, das auch noch in weiten Teilen dem von Menschen und Tieren entspricht. Einzeller haben keine Embryonalentwicklung und einen Umbau von Geweben gibt es hier auch nicht.

SreeDivya Saladi und Felix Boos, die in Herrmanns Team forschen, haben nun eine Erklärung für die grundlegende Bedeutung des Zelltods gefunden. Boos, der vor seiner Promotion Mathematik und Biologie in Kaiserslautern studiert hat, beschäftigte sich als Doktorand mit der Lebensdauer von Proteinen in Zellen der Bäckerhefe. "Wir nutzen diesen einzelligen Organismus als Testmodell", sagt der Doktorand, "da er menschlichen Zellen in vielen Eigenschaften ähnlich ist."

Boos hat ein neues Verfahren eingesetzt, mit dem es möglich ist, die Lebenszeit von Hunderten von Proteinen gleichzeitig zu messen. Dabei kommt die Massenspektrometrie zum Einsatz, mit der sich Eiweiße genau identifizieren lassen - ähnlich wie bei einem Fingerabdruck, der nur einem Menschen zugeordnet werden kann. Das Hauptaugenmerk von Boos liegt bei Proteinen der Mitochondrien, den Kraftwerken unserer Zellen. "Über deren Herstellung weiß die Wissenschaft ziemlich viel, über ihren Abbau hingegen bislang sehr wenig", sagt Boos. Bei seiner Analyse hat er gesehen, dass die Proteine recht langsam und sehr gleichmäßig abgebaut wurden. Allerdings gab es ein paar Ausnahmen. Vor allem ein Protein hatte dabei sein Interesse geweckt. "Besonders schnell abgebaut wird das Protein Nde1", fährt er fort. "Offensichtlich wird ein recht großer Teil davon kurz nach seiner Bildung gleich wieder entfernt. Wir wollten wissen, was es mit dieser außergewöhnlich kurzen Lebensdauer auf sich hat."

Die Arbeiten hat seine Kollegin SreeDivya Saladi weitergeführt. Die Doktorandin hat entdeckt, dass das Protein neben einer bekannten Funktion noch eine weitere besitzt. "Es ist ein Enzym, das für die Atmung wichtig ist", sagt sie. "Es kann aber auch den Zelltod einleiten." Die Wissenschaftlerin ist nun der Frage nachgegangen, warum es toxisch für die Zelle ist. Dabei hat sich gezeigt, dass es in zwei Formen vorkommt. "In gesunden Zellen dient es vornehmlich als Enzym", sagt die Forscherin. Anders sieht es allerdings in Zellen aus, in denen die Mitochondrien nicht richtig funktionieren. "Hier gibt es eine zweite Variante. Diese Proteine befinden sich nicht wie die gesunde Version im Inneren der Mitochondrien, sondern auf der Oberfläche der Mitochondrien", sagt sie. In gesunden Zellen wird diese Oberflächenvariante schnell abgebaut. "Dies erklärt auch die hohe Abbaurate des Proteins", ergänzt Boos. "In defekten Zellen ist dies allerdings nicht der Fall. Sie reichern sich an, was zum Absterben der Zelle führt", fährt Saladi fort.

"Die Evolution hat damit einen ausgeklügelten Selektionsmechanismus hervorgebracht, durch den sichergestellt wird, dass Zellen, die Defekte haben, absichtlich eliminiert werden", resümiert Herrmann. Dies sei bei Einzellern zum Beispiel wichtig, wenn die Zellen durch Gärung wachsen. "Viele Funktionen der Mitochondrien werden hierbei gar nicht gebraucht", so der Professor weiter. "Zellen, die weniger fit, also an die jeweiligen Bedingungen schlechter angepasst sind, werden dadurch aussortiert. Somit erklärt sich auch, warum Einzeller die Apoptose nutzen."

Auch bei Tieren und Menschen gibt es ein ähnliches Protein. "Von ihm ist seit langem bekannt, dass es beim Menschen den Zelltod auslösen kann", sagt der Kaiserslauterer Professor. Bislang war aber unklar, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck dies geschieht. Ob der oben beschriebene Mechanismus beim Menschen genauso funktioniert, müssen weitere Studien klären. Die Parallelen der Zelltypen sind allerdings sehr groß, "daher vermuten wir, dass wir eine neue generelle Funktion der Apoptose entdeckt haben, die Zellen aufgrund ihrer Funktion selektiert", so Herrmann.

Die Doktorandin SreeDivya Saladi forschte drei Jahre in der Arbeitsgruppe von Professor Herrmann. Mittlerweile ist sie wieder in Indien, um die Rolle von Mitochondrien weiter zu untersuchen.


Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift "Molecular Cell" erschienen: "The NADH dehydrogenase Nde1 executes cell death after integrating signals from metabolism and proteostasis on the mitochondrial surface"
DOI: https://doi.org/10.1016/j.molcel.2019.09.027

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Kaiserslautern, 13.11.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2019

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