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PLANET/459: Auf der Spur von Tau Bootis - neue Methode zur Untersuchung von Exoplanetenatmosphären (idw)


Max-Planck-Institut für Astronomie, ESO Science Outreach Network, 27.06.2012

Auf der Spur von Tau Bootis - neue Methode zur Untersuchung von Exoplanetenatmosphären



Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching) - Astronomen haben eine neue Technik zur Untersuchung der Atmosphären von Exoplaneten entwickelt und sie mit Hilfe des Very Large Telescope der ESO auf den Exoplaneten Tau Bootis b angewandt. Sie fingen das schwache Leuchten des Planeten direkt auf und konnten so erstmals seine Masse präzise bestimmen, seine Umlaufbahn vermessen und seine Atmosphäre analysieren. Sie stellten außerdem fest, dass die Atmosphäre des Planeten unerwarteterweise in großer Höhe kühler ist als weiter innen - obwohl der Planet seinem Stern sehr nahe ist. Die Ergebnisse werden in der Ausgabe vom 28. Juni 2012 der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Der Planet Tau Bootis b [1] wurde bereits im Jahre 1996 entdeckt und ist damit einer der ersten bekannten Exoplaneten überhaupt.Nach wie vor ist er einer der erdnächsten Exoplaneten, den die Astronomen kennen. Sein Mutterstern ist daher leicht mit bloßem Auge zu sehen. Für den Planeten gilt das allerdings nicht: Bislang hatte sich Tau Bootis b ausschließlich durch seine Schwerkraftwirkung auf seinen Stern bemerkbar gemacht. Der Planet ist ein sogenannter "heißer Jupiter": ein großer Gasplanet, dessen Umlaufbahn sehr nah am Stern liegt.

Wie bei den meisten Exoplaneten führt seine Umlaufbahn Tau Bootis b von der Erde aus gesehen nicht direkt vor seinem Mutterstern vorbei - es gibt keinen sogenannten Transit (so wie ihn irdische Beobachter kürzlich beim Venustransit in unserem eigenen Sonnensystem erleben konnten). Bis vor kurzem waren solche Transits allerdings die einzige Möglichkeit, die Atmosphäre solcher "heißer Jupiter" zu untersuchen: Wenn der Planet vor dem Stern vorbeiläuft, durchläuft ein winziger Teil des Sternlichts die Atmosphäre des Planeten. Dabei wird ein Teil des Lichtes herausgefiltert - und die Art und Weise, wie dies geschieht, ist für die Atmosphäre ähnlich charakteristisch wie ein Fingerabdruck für einen Menschen. Da bei Tau Bootis b kein Transit stattfindet, konnte man seine Atmosphäre bislang nicht auf diese Art und Weise untersuchen.

Nach 15 Jahren erfolgloser Versuche, das schwache Leuchten zu untersuchen, das heiße Jupiter aussenden, ist es den Astronomen nun endlich gelungen, die Atmosphärenstruktur von Tau Bootis b zu entschlüsseln und außerdem noch die Masse des Planeten präzise zu bestimmen. Dazu nutzte das Team den CRIRES-Spektrografen [2] am Very Large Telescope (VLT), das sich am Paranal-Observatorium der ESO in Chile befindet. Die Astronomen kombinierten hochpräzise Infrarotbeobachtungen bei einer Wellenlänge von ungefähr 2,3 Mikrometern [3] mit einem innovativen Verfahren, das es ermöglicht, das schwache Leuchten des Planeten aus dem ungleich stärkeren Leuchten des Zentralgestirns herauszulösen [4].

"Dank der herausragenden Qualität der VLT/CRIRES-Beobachtungen konnten wir das Spektrum des Systems viel genauer untersuchen als jemals zuvor. Nur etwa 0,01% des Lichts, das wir sehen, gehört dabei zu dem Planeten. Der gesamte Rest stammt vom Stern. Es war also keine leichte Aufgabe, das eine vom anderen zu trennen!" erklärt Matteo Brogi von der Sterrewacht Leiden (Niederlande), der Erstautor der Studie.

Die Mehrzahl der bekannten Exoplaneten wurde durch die Wirkung ihrer Schwerkraft auf ihr Zentralgestirn entdeckt. Mit dieser Methode kann jedoch nur eine Untergrenze für die Planetenmasse bestimmt werden, nicht die tatsächliche Masse [5]. Die bei der hier vorgestellten Studie erstmals angewandte neue Methode ist weit leistungsfähiger: Indem sie das Licht des Planeten direkt untersuchten, konnten die Astronomen den Winkel zwischen seiner Bahnebene und der Sichtlinie zur Erde messen. Daraus lässt sich wiederum die Masse des Planeten sehr genau bestimmen. Über die Veränderungen in der Bewegung des Planeten um seinen Stern konnte das Astronomenteam den Winkel zu 44° und die Masse des Planeten zu sechs Jupitermassen bestimmen.

"Die neuen VLT-Beobachtungen lösen das 15 Jahre alte Rätsel der tatsächlichen Masse von Tau Bootis b. Die neue Technik erlaubt es uns, nun auch die Atmosphären von Exoplaneten zu untersuchen, die von uns aus gesehen nicht vor ihrem Stern vorbeiziehen, und gleichzeitig ihre Masse exakt zu bestimmen. Das war vorher nicht möglich und ist daher ein bedeutender Fortschritt," erläutert Ignas Snellen, ebenfalls von der Sterrewacht Leiden und Koautor der Studie.

Neben dem direkten Nachweis der Atmosphäre und der Bestimmung der Masse von Tau Bootis b gelang es den Astronomen, die Menge an Kohlendioxid und die Temperatur in verschiedenen Schichten der Planetenatmosphäre zu messen. Dazu verglichen sie ihre Beobachtungen mit theoretischen Modellen. Ein überraschendes Ergebnis dieser Studie ist, dass die Temperatur der Atmosphäre in großen Höhen mit zunehmender Höhe geringer wird. Dies ist das genaue Gegenteil der Temperaturinversion - also des Ansteigens der Temperatur mit der Höhe - die man bei anderen Exoplaneten aus der Klasse der "heißen Jupiter" gefunden hat [6] [7].

Die VLT-Beobachtungen zeigen, wie wichtig hochaufgelöste Spektroskopie mit bodengebundenen Teleskopen ist, wenn man präzise Analysen der Atmosphären derjenigen Exoplaneten vornehmen will, die nicht vor ihren Zentralgestirnen vorüberziehen. In Zukunft sollte der Nachweis von unterschiedlichen Molekülsorten die Astronomen in die Lage versetzen, die Atmosphären dieser Planeten noch besser zu verstehen. Führt man diese Art von Beobachtung mehrmals durch und erfasst dabei unterschiedliche Positionen des Planeten auf seiner Umlaufbahn, dann könnten sich sogar Unterschiede des Atmosphärenzustands am Morgen und am Abend herausarbeiten lassen.

"Unsere Studie zeigt das große Potenzial heutiger bodengebundener Teleskope und ihrer Nachfolger wie des E-ELT. Möglicherweise werden wir mit dieser Methode eines Tages sogar Anzeichen für biologische Aktivität auf erdähnlichen Exoplaneten finden können", schließt Ignas Snellen.


Endnoten

[1] Der Name des Planeten, Tau Bootis b, setzt sich zusammen aus dem Namen des Zentralgestirns (Tau Bootis oder &tau: Bootis, wobei τ der griechische Buchstabe "tau" ist). Das b besagt, dass es sich um den ersten in diesem System gefunden Planeten handelt. Tau Bootis a wäre das Zentralgestirn selbst.

[2] CRIRES steht für CRyogenic InfraRed Echelle Spectrometer, wörtlich das "gekühlte Echelle-Spektrometer für den Infrarotbereich"

[3] Im infraroten Spektralbereich sind die Helligkeitsunterschiede zwischen Stern und Planet weniger ausgeprägt als im sichtbaren Licht. Daher ist der Infrarotbereich besonders gut geeignet, um das schwache Signal des Planeten vom hellen Licht des Sterns zu trennen.

[4] Diese Methode nutzt die Geschwindigkeit des Planeten auf seiner Umlaufbahn um den Stern, um sein Licht von dem des Sterns und von Veränderungen des Lichts durch die Erdatmosphäre zu unterscheiden. Das Astronomenteam hatte die Methode zuvor an einem Planeten getestet, der vor seinem Mutterstern vorüberzieht. Sie hatte dabei die Umlaufgeschwindigkeit des Planeten gemessen, während er vor dem Sternscheibchen vorbeilief.

[5] Die Unsicherheit rührt daher, dass der Winkel zwischen Bahnebene und Sichtlinie typischerweise unbekannt ist. Bei großem Winkel verursacht ein massereicher Planet scheinbar genauso kleine Bewegungen des Sterns, wie sie ein masseärmerer Planet bei kleinerem Winkel hervorruft, ohne dass man zwischen den beiden Fällen unterscheiden könnte.

[6] Photometrische Beobachtungen von heißen Jupitern mit dem Spitzer-Weltraumteleskop legen nahe, dass sich eine Temperaturinversion durch Molekülbanden in Emission statt in Absorption verrät. Der Exoplanet HD 209458 b ist der am besten untersuchte Fall eines Exoplaneten mit atmosphärischer Temperaturinversion.

[7] Diese Beobachtung stützt Modelle, in denen starke UV-Einstrahlung durch chromosphärische Aktivität des Zentralgestirns - in ganz ähnlichem Ausmaß, wie es bei Tau Bootis tatsächlich beobachtet wurde - für die Temperaturinversion verantwortlich ist.


Zusatzinformationen

Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse von Brogi et al. erscheinen am 28. Juni 2012 unter dem Titel "The signature of orbital motion from the dayside of the planet τ Bootis b" in der Zeitschrift Nature.

Die beteiligten Wissenschaftler sind Matteo Brogi (Sterrewacht Leiden, Niederlande), Ignas A. G. Snellen (Sterrewacht Leiden), Remco J. de Kok (SRON, Utrecht, Niederlande), Simon Albrecht (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA), Jayne Birkby (Sterrewacht Leiden) und Ernst J. W. de Mooij (University of Toronto, Kanada und Sterrewacht Leiden).

Im Jahr 2012 feiert die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) das 50-jährige Jubiläum ihrer Gründung. Die ESO ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop der 40-Meter-Klasse für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird, das European Extremely Large Telescope (E-ELT).

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.

Weitere Informationen unter:
http://www.eso.org/public/germany/news/eso1227/
- Webversion der Pressemitteilung mit weiteren Bildern und Videos, auch in höher aufgelösten Versionen.

http://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso1227/eso1227.pdf
- Fachartikel in Nature

http://www.eso.org/public/images/archive/search/?adv=&subject_name=Very%20Large%20Telescope
- Fotos vom Very Large Telescope

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie,
Carolin Liefke - ESO Science Outreach Network, 27.06.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012