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FORSCHUNG/434: Mit der ISS der Dunklen Materie auf der Spur (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 9/10 - September 2010

Kosmische Strahlung
Mit der ISS der dunklen Materie auf der Spur

Von Stefan Schael und Jan Hattenbach


Mit dem Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS), dem bislang aufwändigsten Weltraumobservatorium für geladene kosmische Strahlung, nimmt die Internationale Raumstation die astrophysikalische Grundlagenforschung auf. AMS soll die Dunkle Materie enträtseln helfen, aber auch nach Antimaterie suchen.


In Kürze
In wenigen Monaten bringt ein Spaceshuttle das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS) zur Internationalen Raumstation. Es könnte sich als die vom wissenschaftlichen Standpunkt aus interessanteste Komponente unseres Außenpostens im All erweisen.
Sein Ziel ist es, die geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung zu untersuchen und so zu Erkenntnissen über ihre Quellen in den Tiefen des Universums zu gelangen.
Vor allem auch das Rätsel der Dunklen Materie soll der Teilchendetektor lösen helfen. Die wichtigsten Hinweise erhoffen sich die Forscher von Positronen. Sind sie in der Strahlung häufiger als erwartet, lässt sich dies möglicherweise auf die Zerstrahlung von Dunkle-Materie-Teilchen zurückführen.

Am 26. Februar 2011 wird es so weit sein: Eines der ambitioniertesten astrophysikalischen Grundlagenexperimente hebt mit dem Spaceshuttle Endeavour vom John-F.-Kennedy-Raumfahrtzentrum in Florida ab. Rund einen halben Tag später wird es bei seinem Ziel in 400 Kilometer Höhe über dem Erdboden angelangt sein, der Internationalen Raumstation (ISS). Dort fährt der Shuttle seinen Roboterarm aus, hebt das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS) aus der Ladebucht und reicht es an den Roboterarm der ISS weiter. Dieser, gesteuert von den Astronauten an Bord der ISS und des Shuttles, manövriert AMS erst an seine endgültige Position. Nach mehr als zehn Jahren Bau- und Entwicklungsarbeiten schlägt dann endlich die Stunde der Astroteilchenphysiker. Mindestens zehn Jahre lang soll AMS die kosmische Strahlung beobachten und so vor allem eines der größten Rätsel der Astrophysik lösen helfen: das der Dunklen Materie.

Das rund 1,5 Milliarden Euro teure, fast sieben Tonnen schwere und knapp vier Meter hohe Instrument ist in gewisser Weise eine Kamera für geladene Teilchen. Statt aber Licht verschiedenster Wellenlängen zu registrieren, »fotografiert« AMS die kosmische Partikelstrahlung über einen weiten Energiebereich hinweg. 2000 Bilder pro Sekunde schafft das hochkomplexe Instrument, und sein »Aufnahmechip«, dessen Auflösung 200.000 Pixel beträgt, misst gleich sechs Quadratmeter.

Während Astronomen oft nur die elektromagnetische Strahlung registrieren, die von fernen Ort en zu uns gelangt, erlaubt es AMS, Materie aus den entferntesten Winkeln des Weltalls direkt in einem Detektor zu untersuchen (siehe »Auf der Spur der kosmischen Beschleuniger«, SdW 7/2009, S. 28). Die Teilchen in der kosmischen Strahlung zeugen von den Überresten gewaltiger Supernova-Explosionen, von Pulsaren, Schwarzen Löchern oder aktiven Galaxienkernen. In solchen Regionen extremer physikalischer Bedingungen werden sie auf Energien beschleunigt, die wir auch mit den leistungsfähigsten Maschinen auf der Erde nie werden erreichen können.

Die Zusammensetzung der Strahlung ist indessen simpel: Wasserstoff- und Heliumkerne, also Protonen und Alphateilchen - die Grundbausteine des Kosmos -, stellen zusammen fast 99 Prozent der kosmischen Partikel. Protonen sind dabei zehnmal häufiger als Heliumkerne. (Die Zusammensetzung der Strahlung variiert mit der Energie der Teilchen.) Das Interesse der Forscher gilt aber vor allem dem restlichen Prozent, in dem zu einem geringen Bruchteil Antimaterie enthalten ist. Insbesondere Anti elektronen, so genannte Positronen, könnten Antworten auf zentrale Fragen der Astrophysik und Kosmologie liefern.

Die Positronen sollten in der kosmischen Strahlung eigentlich nur als Sekundärteilchen enthalten sein: Sie entstehen, wenn Protonen auf interstellare Materie prallen. Danach verlieren sie durch Wechselwirkungen mit dem interstellaren Medium und den galaktischen Magnetfeldern schnell ihre Energie, was ihre Reichweite auf etwa 1000 Lichtjahre beschränkt. Auf Grund ihrer Seltenheit gelten sie jedoch als sehr empfindliche Proben für neue Physik. Pointiert gesprochen: Jedes unerwartete zusätzliche Positron weist darauf hin, dass an seiner Quelle etwas Interessantes vor sich geht.

Die ersten Hinweise auf die Existenz der kosmischen Strahlung hatte der österreichische Physiker Victor F. Hess im Jahr 1912 entdeckt. Mit Hilfe eines Ballons, der in die dünne Hochatmosphäre vordrang, nahm er Messungen der Radioaktivität vor und stellte fest, dass diese mit der Höhe zunahm. Die »Höhenstrahlung«, mit der Hess dieses Phänomen erklärte, erwies sich später als Teilchenstrahlung aus den Tiefen des Weltalls. Zu ihrer Untersuchung benutzen Physiker auch heute noch Spezialballons, von denen sie ihre Detektoren in bis zu 40 Kilometer Höhe tragen lassen. Sind die zirkumpolaren Winde günstig, werden bei Flügen um den Südpol Messzeiten von bis zu 44 Tagen erreicht.

AMS, das den offiziellen Namen AMS-02 trägt, stößt hingegen in völlig neue experimentelle Dimensionen vor. Von der Raumstation kontinuierlich mit Energie versorgt, kann der hochkomplexe Teilchendetektor eine Messzeit von vielen Jahren erreichen. Die Machbarkeit eines solchen Vorhabens hatte das AMS-Konsortium schon im Juli 1998 unter Beweis gestellt. An Bord des Spaceshuttles Discovery umrundete ein Prototyp, AMS-01, zehn Tage lang die Erde. Bereits auf diesem kurzen Flug vermaß das Instrument über 100 Millionen geladene Teilchen. Und schon damals waren das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) und die RWTH Aachen beteiligt. Klaus Lübelsmeyer, Vorgänger einer der Autoren (Schael) auf dem Lehrstuhl für Experimentalphysik, hatte das Projekt mitinitiiert und gehört noch heute zu den führenden AMS-Forschern.


WAS IST DIE DUNKLE MATERIE?

Seit der schweizerisch-amerikanische Astronom Fritz Zwicky in den 1930er Jahren beobachtete, dass sich Galaxien in großen Galaxienhaufen viel schneller bewegen, als sich durch ihre Masse erklären lässt, rätseln die Forscher: Beherbergen die Galaxien mehr Masse, als wir vermuten, ist sie einfach nur nicht sichtbar? Die zur Erklärung nötige, aber noch hypothetische Dunkle Materie trägt ihren Namen, weil sie elektromagnetische Strahlung weder emittiert noch absorbiert und sich bisher nur durch ihre Massenanziehung nachweisen lässt.

Sie ist allerdings weit mehr als ein astronomisches Kuriosum. Normale, so genannte baryonische Materie, aus der Himmelskörper ebenso wie Menschen bestehen, repräsentiert nur vier Prozent der Energie im Universum. Ohne die zusätzliche Schwerkraft der Dunklen Materie hätte die Entwicklung von Galaxien, Sternen und Planeten, so wie wir sie kennen, überhaupt nicht stattfinden können - und dann wäre auch kein Leben entstanden.


Ausgezeichnete Versteckspieler

Photonen und Neutrinos durchqueren den Kosmos praktisch auf gerader Linie, weil sie keine elektrische Ladung tragen. Ihre Vermessung kann darum auch Aufschluss über den Ort ihrer Entstehung geben. Anders die geladenen Teilchen, nach denen AMS fahndet: Sie bewegen sich nahezu chaotisch durch das Weltall, denn dort sind sie Magnetfeldern ausgesetzt, die sie immer wieder aufs Neue ablenken. Sie treffen daher aus allen möglichen Richtungen ein und selbst ein Instrument wie AMS kann kein Abbild ihrer Quellen liefern. Stattdessen identifiziert es die gemessenen Teilchen mittels dreier wesentlicher Kenngrößen: ihrer Masse, ihrer elektrischen Ladung und ihrer Energie.

Im Zentrum der Suche stehen Teilchen, von denen wir bis heute nicht sicher wissen, ob es sie gibt: WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles; massebehaftete, schwach wechselwirkende Teilchen). Ihre Entdeckung wäre ein gewaltiger Fortschritt, denn die meisten Teilchenphysiker sind davon überzeugt, dass die Dunkle Materie (siehe Randspalte und »Die Suche nach Dunkler Materie«, SdW 10/2003, S. 44) aus diesen bislang noch nicht nachgewiesenen Elementarteilchen besteht. Sie vereinen wahrscheinlich die Masse von mehr als 100 Wasserstoffkernen auf sich, sollen elektrisch ungeladen und natürlich langlebig sein. Zudem treten sie bestenfalls über die zwei Fundamentalkräfte Gravitation und schwache Wechselwirkung mit gewöhnlicher Materie in Austausch. Das macht sie zu ausgezeichneten Versteckspielern, die bei Experimenten oder Beobachtungen kaum in Erscheinung treten.

Was aber ist ein WIMP genau? Das könnten neue physikalische Theorien wie zum Beispiel die Supersymmetrie erklären. Dieser bislang hypothetische Ansatz versucht, einige der fundamentalen Probleme zu lösen, denen sich das Standardmodell der Elementarteilchenphysik gegenübersieht (siehe »Weltbild vor dem Umbruch«, SdW 11/2008, S. 12). In der Theorie der Supersymmetrie treten neue, noch unbekannte Elementarteilchen auf. Die meisten von ihnen zerfallen nach kurzer Zeit, doch in manchen Theorievarianten ist zumindest das leichteste supersymmetrische Teilchen stabil. Da dieses so genannte Neutralino zudem elektrisch neutral ist und über die »richtigen« Wechselwirkungen verfügt, wäre es ein nahezu idealer Kandidat für die Dunkle Materie.

Wegen ihrer geringen Wechselwirkungsfreude und fehlenden Ladung kann zwar auch AMS die WIMPs nicht direkt registrieren. Doch weil sie zugleich ihre eigenen Antiteilchen sind, zerstrahlen sie, wenn sie mit ihresgleichen kollidieren. Aus der Energie, die bei einer solchen Annihilation von WIMPs frei wird, entstehen dann wieder gewöhnliche Partikel, unter anderem Positronen (Bild). Diese mischen sich unter die Teilchen der kosmischen Strahlung und können als so genannter Überschuss im Energiespektrum in Erscheinung treten.

Tatsächlich stießen Forscher in der kosmischen Strahlung bereits auf überschüssige Teilchen. So entdeckte das Ballonexperiment HEAT bei zwei Flügen in den Jahren 1995 und 2000 mehr Positronen als erwartet. Nimmt man an, dass sie von Protonen stammen, die mit interstellarer Materie kollidieren, müsste der so genannte Positronenuntergrund mit wachsender Energie abnehmen. Stattdessen aber nimmt er ab einer bestimmten Energie wieder zu. Eine solche klare Änderung im so genannten spektralen Index lässt nur eine einzige mögliche Erklärung zu: Es muss eine noch unbekannte Positronenquelle existieren.

Manche Forscher wandten zwar ein, dass für den Überschuss auch Sekundärprozesse in der oberen Erdatmosphäre in Frage kommen könnten, die bislang noch unzureichend verstanden sind. Doch mit Hilfe der Daten, die AMS-01 jenseits der Atmosphäre aufgezeichnet hatte, konnte die Arbeitsgruppe der RWTH Aachen die Beobachtungen von HEAT im Jahr 2004 erstmals bestätigen und damit auch diese Einwände ausräumen.


Täuschungsmanöver aus dem Untergrund

Die erforderliche Präzision, um den Effekt statistisch zweifelsfrei zu belegen, ließ sich aber erst mit dem Satellitenexperiment PAMELA (Payload for Antimatter Matter Exploration and Light-nuclei Astrophysics) erreichen. Die seit 2006 gewonnenen Daten zeigen einen Anstieg des Positronflusses ab etwa zehn Gigaelektronvolt (GeV). Er setzt sich in jedem Fall bis etwa 100 GeV fort; in Kürze werden auch die Auswertungen bis zur technischen Messgrenze des Detektors bei 500 GeV veröffentlicht. Bei weiteren Experimenten, die leider nicht zwischen Elektronen und Positronen unterschieden, wurde auch für die Summe beider Teilchensorten im Energiebereich von 500 bis 1000 GeV ein signifikanter Überschuss ermittelt.

Die Messungen sind extrem schwierig. Denn um den Positronenfluss bestimmen zu können, muss zunächst der Untergrund der ebenfalls positiv geladenen Protonen »unterdrückt«, also von den Messungen abgezogen werden. Auf jedes Positron in der kosmischen Strahlung kommen aber je nach Energie zehnoder gar hunderttausend Protonen (Bild). Darum bestehen bei den Messungen bis heute große systematische Unsicherheiten. Sollte der Untergrund deshalb falsch bestimmt worden sein - was aber unwahrscheinlich ist -, täuschen die Ergebnisse einen Positronenüberschuss nur vor. Für eine endgültige Entscheidung kann indessen erst AMS sorgen.

Um die beobachteten Anomalien im Positronspektrum (und entsprechende Auffälligkeiten im Elektronspektrum) zu erklären, favorisieren Astroteilchenphysiker zwei Ansätze. Entweder sind wir tatsächlich bereits auf Annihilationssignale der Dunklen Materie gestoßen. Dann lassen sich aus der Form des Positronspektrums zumindest im Prinzip Rückschlüsse auf die physikalischen Eigenschaften der WIMPs ziehen. Zuvor müssten wir allerdings die Obergrenze der Energie kennen, bis zu der sich ein Überschuss nachweisen lässt (siehe Diagramm auf der Folgeseite). Diese Obergrenze könnte AMS liefern, denn es wird den Messbereich von PAMELA auf Energien von mehr als 1000 GeV verdoppeln und so wohl Elektronen als auch Positronen zuverlässig registrieren und unterscheiden.

Allerdings lässt sich auch eine weniger exotische Variante mit den Messdaten in Einklang bringen: Die Teilchen könnten von einem nahen Pulsar stammen. Ein solcher ultrakompakter Neutronenstern, der Überrest eines als Supernova explodierten Sterns, rotiert sehr schnell um seine Polachse und beschleunigt durch sein starkes Magnetfeld geladene Teilchen auf extrem hohe Energien. Dadurch werden die Partikel angeregt, in Richtung der Achse so genannte Synchrotronstrahlung im Gammaspektrum auszustrahlen. Zeigt die Achse in Richtung der Erde, dann scheint der Stern in einem festen Rhythmus aufzublitzen.

Die geladenen Elektronen und Positronen selbst verteilen sich unterdessen im Raum und gelangen so auch in Richtung Erde, wo sie uns als Anomalien in den Spektren auffallen. Modellrechnungen zeigen, dass die Quelle der überschüssigen Teilchen tatsächlich bei einem oder mehreren Pulsaren in der kosmischen Nachbarschaft liegen könnte. Geeignete Kandidaten wären unter anderem Vela und Geminga, die weniger als 1000 Lichtjahre entfernt sind. Astronomen nehmen aber auch die Existenz weiterer, bislang unentdeckter Pulsare in der näheren Umgebung an.

Dunkle Materie sollte allerdings gleichmäßig über den Himmel verteilt sein, während ein benachbarter Pulsar zu einer messbaren räumlichen Anisotropie führen würde. Weil AMS eine komplette Himmelskarte im »Licht« energiereicher Elektronen und Positronen erstellen wird, kann es zwischen diesen Szenarien also möglicherweise experimentell unterscheiden.

Doch das Instrument kann auch weitere Hinweise liefern. In dem von PAMELA vermessenen Energiebereich unterscheiden sich die Vorhersagen der Modelle kaum, egal ob ein Pulsar oder Dunkle Materie als zusätzliche Quelle angenommen wird. Oberhalb dieses Werts müssten jedoch signifikante Unterschiede auftreten: So ist für den Fall eines Pulsars ein stetiger Anstieg des Positronenflusses bis zu Energien von - je nach Modell - 1000 GeV oder mehr zu erwarten. Sind hingegen WIMPs für den Teilchenexzess verantwortlich, sollte das Spektrum weniger stark ansteigen und schon viel früher - abhängig von der noch unbekannten WIMP-Masse - steil abfallen (siehe Grafik unten).

Doch wie groß ist überhaupt der Untergrund? Erst wenn wir diesen kennen, können wir den Überschuss genau bestimmen. Bis etwa zehn GeV messen wir genau so viele Positronen, wie wir erwarten; die Modelle sind also zuverlässig. Für höhere Energien müssen wir dies aber erst noch nachweisen. Mit Hilfe aufwändiger Computersimulationen muss dazu die von »gewöhnlichen« Quellen ausgehende Strahlung möglichst genau berechnet werden. Dafür wurden eine Reihe von Modellen entwickelt, die aber wiederum zahlreiche freie Parameter besitzen, die sich nur durch Beobachtungen eingrenzen lassen. AMS wurde deshalb auch dafür optimiert, dass wir diese Parameter möglichst genau bestimmen können. Diesem Zweck dienen etwa seine Messungen der Energiespektren von schweren Isotopen in der kosmischen Strahlung.

Die Frage nach der Natur der Dunklen Materie hat sich, wie allein schon die bisherigen Anmerkungen zeigen, als sehr komplex erwiesen. Weil die Messergebnisse häufig verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulassen, wird AMS das Rätsel ohnehin nicht alleine lösen können. Um zusätzliche unabhängige Beobachtungen zu machen, arbeiten wir daher auch intensiv am Teilchenbeschleuniger LHC mit, wo einer von uns (Schael) maßgeblich an Entwicklung und Betrieb des CMS-Experiments beteiligt ist. Vielleicht gelingt es, hier Dunkle Materie künstlich zu erzeugen und im CMS- oder ATLAS-Detektor nachzuweisen.

Doch auch am LHC lassen sich nicht alle Fragen klären. Zwar ist ein solches Labor ein idealer Ort, um die Eigenschaften neu entdeckter Teilchen genauestens zu bestimmen. Andererseits lässt sich hier nicht entscheiden, ob sie tatsächlich etwas mit der Dunklen Materie im Kosmos zu tun haben. Weltweit verfolgen Forscher darum weitere und ganz unterschiedliche experimentelle Ansätze. An der Suche nach WIMPs beteiligen sich unter anderem das CDMS-Experiment in einer Mine im US-Bundesstaat Minnesota, die Tscherenkow-Teleskope HESS (siehe SdW 7/2009, S. 28) und Magic, der Gammasatellit Fermi (siehe SdW Dossier 5/2008, S. 56) und das Neutrinoexperiment IceCube am Südpol (siehe SdW Dossier 5/2008, S. 14).


Präzise Ausrichtung des Detektors an Fixsternen

Demnächst nimmt nun auch AMS die Arbeit auf. Das Herzstück des mit sechs Subdetektoren ausgestatteten Instruments bildet der von einem Permanentmagnet umgebene Spurdetektor. Zusammen bilden diese Bauteile das Spektrometer, dem AMS seinen Namen verdankt. Der Magnet zwingt geladene Teilchen, die das Experiment von oben nach unten durchfliegen, auf eine leicht gekrümmte Kreisbahn. Diese Flugbahn vermisst der aus neun Lagen mikrostrukturierter Siliziumstreifendetektoren aufgebaute Spurdetektor an neun Punkten mit einer Genauigkeit von jeweils 0,01 Millimeter. In jeder Lage hinterlässt das geladene Teilchen einen geringen Bruchteil seiner Energie, so dass sich dank der segmentierten Auslesestruktur der Siliziumdetektoren seine Flugbahn rekonstruieren lässt. Aus der Krümmung der Bahn können wir schließlich das Vorzeichen der elektrischen Ladung und den Impuls des Teilchens bestimmen (aber nicht seine Masse). Tatsächlich ist der Spurdetektor derjenige Teil von AMS, der einem Kamerachip am ähnlichsten ist: Die sechs Quadratmeter »Chipgröße« beziehen sich auf die Gesamtfläche der Siliziumstreifendetektoren, die Auflösung von 200.000 »Pixeln« entspricht der Zahl der Auslesekanäle des Spurdetektors.

Umgeben wird das Instrument von dem 80 Zentimeter hohen und rund 1,2 Meter durchmessenden Permanentmagneten. Dieser ist das einzige Bauteil des AMS, das - dank seines Einsatzes bei AMS-01 - schon über Weltraumerfahrung verfügt. In seinem Inneren erzeugt er ein Feld der Stärke 0,14 Tesla, was etwa dem 3000-fachen des Erdmagnetfelds entspricht. Zudem ist er selbstkompensierend, besitzt also praktisch kein magnetisches Dipolmoment. Sonst würde er durch seine Wechselwirkung mit dem Erdmagnetfeld die Raumstation ins Taumeln bringen, während sie die Erde umkreist.

Das AMS-Spektrometer weist nicht nur geladene Teilchen nach, sondern auch ungeladene Photonen. Diese nämlich können sich in den Detektorkomponenten oberhalb des Spurdetektors in ein Elektron-Positron-Paar umwandeln, das dann mit exzellenter Energie-, Winkel- und Zeitauflösung gemessen werden kann. Um die Photonen mit astronomischen Objekten in Verbindung bringen zu können, muss die Orientierung von AMS allerdings genauer registriert werden, als es die Lageregelung der Raumstation vermag. Deshalb verfügt AMS auch über einen so genannten Star Tracker, ein optisches System, das Fixsterne am Himmel anpeilt und so die Ausrichtung des Detektors im Weltraum ermittelt.

Vor allem aber sind die Positronen von Interesse. Zwischen ihnen und den 2000-mal massereicheren Protonen kann das Spektrometer jedoch nicht sicher unterscheiden: Beide tragen dieselbe Ladung, ein energiereiches Positron kann darum dieselbe Signatur wie ein energiearmes Proton hinterlassen.

Diese große experimentelle Schwierigkeit bei der Positronenspektroskopie überwindet AMS durch zwei weitere Subdetektoren: ein elektromagnetisches Kalorimeter sowie einen Übergangsstrahlungsdetektor. Das Kalorimeter besteht im Wesentlichen aus Blei und darin eingebetteten Szintillatorfasern. Beim Durchgang durch die Fasern erzeugen geladene Teilchen so genanntes Szintillationslicht, das am Ende der Fasern von Fotovervielfachern gemessen wird. Die leichten Teilchen, also insbesondere die Positronen, verlieren im Kalorimeter ihre gesamte Energie: Sie lassen eine elektromagnetische Teilchenkaskade entstehen, deren Energie und Form das Instrument vollständig vermessen kann. Schwerere Partikel wie Protonen deponieren hingegen nur einen sehr geringen Teil ihrer Energie (vor allem, indem sie mit Atomkernen zusammenstoßen) und verlassen den Detektor an seiner Unterseite wieder. Aus dem Vergleich zwischen Energie und dem zuvor im Spektrometer gemessenen Impuls lässt sich also ermitteln, ob es sich um ein Proton oder um ein Positron gehandelt hat.

Elektromagnetische Kalorimeter werden bei vielen Experimenten wie etwa auch Fermi eingesetzt. Und schon die PAMELA-Forscher haben es mit einem Spektrometer kombiniert und so die Unterscheidung zwischen Elektronen, Positronen und Protonen ermöglicht. Ein Problem für Ballon- ebenso wie für Weltraumexperimente ist das Gewicht von Magnet und Kalorimeter. Je größer die geometrische Akzeptanz sein soll, also das Produkt aus Sensorfläche und Öffnungswinkel, desto mehr steigt die Masse. Um große Detektoren kommen die Forscher aber auch deshalb nicht herum, weil der Elektron- und Positronfluss in der kosmischen Strahlung schneller als mit der dritten Potenz der Energie abnimmt und sie dennoch genügend Teilchen einfangen wollen.

Es gibt aber noch eine weitere Schwierigkeit. Denn gelegentlich erzeugt das Proton auch ein neutrales Pion, das noch im Detektor in zwei Photonen zerfällt. Diese lösen ihrerseits wieder einen elektromagnetischen Schauer aus. Eine solche Signatur ist in einigen Fällen nicht allein mit dem Kalorimeter von der eines Positrons zu unterscheiden. Zwar sorgt nur ein geringer Anteil von Protonen für solche Ereignisse; doch weil die Partikel in der kosmischen Strahlung so häufig sind, macht auch dieser Fall den Experimentatoren das Leben schwer.

Die wesentliche Verbesserung von AMS gegenüber PAMELA ist daher nicht nur die 20mal größere geometrische Akzeptanz. Erstmals bei einem Weltraumexperiment kombiniert AMS ein Kalorimeter mit einem Übergangsstrahlungsdetektor (siehe unten), um den Protonenuntergrund zu verringern. Entwickelt und gebaut wurde er an der RWTH Aachen, während Industrieunternehmen die einzelnen Komponenten zugeliefert haben. Der Detektor separiert die Teilchen, indem er die Tatsache nutzt, dass geladene Teilchen Röntgenstrahlung emittieren, so genannte Übergangsstrahlung, wenn sie die Grenzfläche zwischen zwei Materialien mit unterschiedlichen Dielektrizitätskonstanten passieren. Die Teilchen durchlaufen darum mehrere Lagen aus Radiatoren, in denen die Strahlung erzeugt wird, und dazwischen liegenden Detektorkammern, in denen die Teilchen zusammen mit der Strahlung nachgewiesen werden. Die massearmen Positronen geben sich leicht zu erkennen, weil sie bei gleicher Energie weitaus mehr Übergangsstrahlung als Protonen emittieren.


EIN INSTRUMENT, VIELE TEAMS

Der Übergangsstrahlungsdetektor ist ein typisches Beispiel für die komplexe internationale Zusammenarbeit, die es zur Realisierung großer Projekte der Grundlagenforschung bedarf. Gebaut und entwickelte wurde er vom Team des Autors an der RWTH Aachen. Das zugehörige Datenerfassungssystem realisierte das Team um Wim de Boer vom Karlsruhe Institute of Technology, das Gasversorgungssystem stammt von Ulrich Becker vom Massachusetts Institute of Technology und dessen Regelungselektronik wiederum von Bruno Borgia von der Università degli Studi di Roma (La Sapienza).


Allerdings ist die Übergangsstrahlung ein relativistischer Effekt, hängt also vom Verhältnis zwischen Energie und Masse des Teilchens ab. Bei sehr hohen Energien von mehr als 400 GeV beginnen daher auch Protonen, Übergangsstrahlung zu erzeugen, so dass die Fähigkeit des Detektors, zwischen Positronen und Protonen zu unterscheiden, entsprechend abnimmt. Bereits im Energiebereich bis 100 GeV sorgt er aber für eine im Vergleich mit PAMELA um das Tausendfache verbesserte Protonenunterdrückung.

Die 328 Detektorkammern zum Nachweis der Übergangsstrahlung setzen sich aus insgesamt 5248 bis zu 2,5 Meter langen und sechs Millimeter durchmessenden Röhrchen zusammen. Die auch »Strohhalme« genannten Röhrchen bestehen aus einer speziellen Kunststofffolie, die mit einem Zählgasgemisch aus Xenon und Kohlendioxid gefüllt ist. In jedem von ihnen ist ein vergoldeter Wolframdraht von 0,03 Millimeter Durchmesser gespannt, an dem eine Hochspannung von 1500 Volt anliegt. Werden die Moleküle des Zählgases von Teilchen oder Photonen der Übergangsstrahlung ionisiert, trennt die Hochspannung die entstehenden Ionisationsladungen und verstärkt das Signal, so dass es registriert werden kann.


DIE KOMPONENTEN DES ALPHA-MAGNET-SPEKTROMETERS

Die Solarpaneele der ISS versorgen den 6850 Kilogramm schweren AMS-Detektor (siehe Grafik rechts) mit einer Leistung von rund zwei Kilowatt. Ein großer Teil davon wird für die Datenerfassungssysteme der einzelnen Komponenten benötigt. Das Instrument besteht aus sechs Subdetektoren sowie einem Magneten.

Der Übergangsstrahlungsdetektor an der Spitze des AMS dient der Unterscheidung zwischen leichten und schweren Teilchen. Er besteht aus einer 20-lagigen Abfolge von Kunststofffasermatten, dem so genannten Radiator, sowie Detektorkammern, die mit einem Gemisch aus Xenon und Kohlendioxid gefüllt sind. Die 20 Millimeter dicken Matten bestehen aus hunderten extrem dünnen Polypropylen-Polyethylen-Fasern. Die 328 Detektorkammern, jede sechs Millimeter dick, sind aus jeweils 16 einzelnen, waagerecht liegenden Detektorröhrchen aufgebaut.

Der Radiator dient als Medium, in dem geladene Teilchen an der Grenzfläche zwischen jeder Faser und dem Vakuum Übergangsstrahlung im Röntgenbereich erzeugen. Die Intensität dieser Strahlung hängt vom Verhältnis der Gesamtenergie eines Partikels zu seiner Ruhemasse ab. Registriert werden sowohl die Energie, die bei der Ionisation des Xenongases im Instrument deponiert wird, als auch die Energie der Röntgenphotonen. Eine achteckige Struktur aus Kohlefaserverbundmaterial hält die gesamte Anordnung aus Kammern und Radiator auf 0,1 Millimeter genau in Position.

Der Spurdetektor ist gemeinsam mit dem ihn umgebenden Magneten, der die eindringenden Teilchen auf gekrümmte Bahnen zwingt, das Herzstück von AMS und besteht aus neun Siliziumlagen. Die Positionen der inneren sieben Lagen werden relativ zu einander von einem Lasersystem überwacht. In diesen Lagen deponieren die Teilchen beim Durchflug Energie, indem sie Ladungsträger freisetzen, die dann ähnlich wie bei einer digitalen Kamera elektronisch nachgewiesen werden.

Weil die Siliziumlagen auf fotolithografischem Weg in feine Streifen mit jeweils 30 Mikrometer Abstand unterteilt wurden, lässt sich der Durchstoßpunkt der geladenen Teilchen durch die jeweilige Lage auf 0,01 Millimeter genau bestimmen. Zudem sind die Streifen der einzelnen Lagen gekreuzt angeordnet, so dass die dreidimensionale Flugbahn des Teilchens rekonstruiert werden kann. Radius und Richtung der Bahn gibt den Forschern dann Aufschluss über Impuls und Ladung der Partikel. Der Spurdetektor besitzt rund 200.000 »Pixel«, also einzelne Auslesekanäle.

Der Permanentmagnet, der den Spurdetektor umgibt, kam bereits 1998 im AMS-Prototypen AMS-01 zum Einsatz. Er besteht aus 6400 Blöcken einer Niob-Eisen-Bor-Verbindung, die zu einem Ringzylinder mit einem Durchmesser von 1,2 Metern und einer Höhe von 0,8 Metern angeordnet sind. In seinem Inneren herrscht ein Magnetfeld von 0,14 Tesla. Konstruiert ist er als so genannter selbstkompensierender Magnet. Sein Außenfeld ist also so klein, dass es die Raumstation durch seine Wechselwirkung mit dem Erdmagnetfeld nicht ins Taumeln bringen kann.

Als so genannte Flugzeitzähler (TOF) dienen je zwei gekreuzte Lagen von Plastikszintillatoren ober- und unterhalb des Spurdetektors. In diesem Material lösen passierende Teilchen kurze Lichtblitze aus, die der Messung von Fluggeschwindigkeit und Flugrichtung dienen. Sobald sie auf ein Teilchen ansprechen, senden die Flugzeitzähler außerdem ein Signal an den Spurdetektor, den Übergangsstrahlungsdetektor und alle anderen Instrumente: Jetzt Daten auslesen!

Der Anti-Koinzidenz-Zähler besteht aus Plastikszintillatoren, mit denen die Seiten des Spurdetektors ausgekleidet sind. Sie senden bei seitlich eindringenden Teilchen ein so genanntes Vetosignal. So verhindert der Zähler, dass die entsprechenden Messungen fehlinterpretiert werden. Seine Szintillatoren (nicht im Bild) umgeben einen Stützzylinder aus Kohlefasern, der den Spurdetektor (schwarzer Zylinder) aufnimmt. Ihre Signale werden über Lichtleiterkabel (schwarz) zu Fotovervielfachern (goldfarbene Boxen) geführt und von diesen verstärkt.

Der abbildende Ring-Tscherenkow-Detektor
Unterhalb des Spurdetektors treten die Teilchen in einen Radiator aus silikatischem Aerogel ein - ein in hohem Maß von Poren durchsetzter Festkörper -, in dem sie auf Grund ihrer hohen Geschwindigkeit so genanntes Tscherenkowlicht erzeugen. Dessen kegelförmige Abstrahlung führt auf Sensoren in einem Abstand von 45 Zentimeter zu charakteristischen Ringstrukturen. Die Messungen erlauben die Bestimmung von Atomkernmassen und die Identifizierung verschiedener Isotope.

Das elektromagnetische Kalorimeter
Am unteren Ende des AMS-Detektors, das die Teilchen zuletzt erreichen, ist ein elektromagnetisches Kalorimeter angebracht, das sandwichartig aus gekreuzten Blei- und Szintillatorfibern auf gebaut ist. Hier geben Elektronen und Positronen ihre Energie vollständig ab, indem sie einen elektromagnetischen Schauer auslösen; schwerere Partikel verlieren nur wenig Energie und durchdringen das Instrument. Das Kalorimeter dient der Unterscheidung der Teilchensorten, indem es die Impuls- und Ladungsmessung des Spektrometers durch eine Energiemessung ergänzt.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Der Übergangsstrahlungsdetektor von AMS
- Der Spurdetektor wird in den Stützzylinder eingelassen.


Wie übersteht die Präzisionsmaschine siebenfache Erdbeschleunigung?

Eine besondere Schwierigkeit neben vielen anderen war beim Bau der Detektorkammern zu überwinden. Ihre Wände sind nur 0,07 Millimeter stark, damit sie die Photonen der Übergangsstrahlung nicht absorbieren. Gleichzeitig müssen sie der mechanischen Belastung von bis zu siebenfacher Erdbeschleunigung beim Start des Spaceshuttles standhalten und auch danach noch ausreichend gasdicht sein, um auf der Raumstation - also im Vakuum - das Zählgasgemisch festzuhalten. Darüber hinaus hängt das Ansprechverhalten des Detektors von der Homogenität des elektrischen Felds im Innern der Röhrchen ab und damit von der Präzision, mit der der Draht zentriert ist. Da die Röhrchen fast keine Eigensteifigkeit besitzen, müssen sie über ihre Länge von bis zu 2,5 Metern unterstützt werden. Die geometrisch anspruchsvolle Tragestruktur aus Kohlefaserverbundmaterial verfügt über eine mechanische Präzision von 0,1 Millimeter, um die Geradlinigkeit der Detektorkammern und damit die Homogenität des elektrischen Felds mit der notwendigen Präzision zu gewährleisten.

Schließlich verfügt AMS noch über einen sechsten Subdetektor: den abbildenden Ring-Tscherenkow-Detektor, der präzise Massenbestimmungen erlaubt. So lässt sich etwa das Verhältnis der verschiedenen Helium- und Berylliumisotope in der kosmischen Strahlung ermitteln oder auch das Verhältnis von Bor- zu Kohlenstoffkernen. Diese Daten fließen in Modelle und Simulationsrechnungen ein, mit welchen die kosmischen Strahlungsflüsse und die Wege der Teilchen von ihren Quellen zur Erde berechnet werden. Die Messdaten von AMS-02 werden die Zuverlässigkeit dieser Modelle deutlich verbessern.

AMS birgt große Chancen. Sollten die beobachteten Anomalien tatsächlich von Dunkler Materie stammen, dann wird es dazu beitragen, dass wir deren Natur endlich aufklären können. Doch sein wissenschaftliches Programm ist wesentlich breiter angelegt. Auch der Verbleib der kosmischen Antimaterie ist eine drängende Frage, die sich Elementarteilchenphysiker wie Kosmologen gleichermaßen stellen. Denn bislang ist völlig ungeklärt, warum im Universum offenbar nur Materie, aber keine Antimaterie existiert, obwohl der Urknalltheorie zufolge beide Materiearten in gleichem Verhältnis hätten entstehen müssen. Kam es also - und aus welchen Gründen - zu einem Ungleichgewicht? Oder befindet sich Antimaterie im Universum, ist aber von der übrigen Materie isoliert? Dank AMS werden wir unser Wissen über das Vorhandensein von Antimaterie nun bis an den Rand des beobachtbaren Universums erweitern können.

Von Antiwasserstoffkernen wissen wir bereits, dass er in der kosmischen Strahlung zu finden ist. Doch weil er bei Kollisionen von Protonen in galaktischen Gaswolken permanent gebildet wird, muss er nicht unbedingt ein Relikt des Urknalls sein. Schon der Nachweis eines einzigen Antiheliumkerns würde hingegen belegen, dass Antimaterie aus dem Urknall noch heute existiert. Fände man Antimateriekerne, die noch schwerer sind, so bewiese dies gar die Existenz von Sternen aus reiner Antimaterie, denn schwere Elemente können nur in stellaren Fusionsöfen erbrütet worden sein.


Flug mit dem allerletzten Shuttle

Es war ein weiter Weg bis zur Fertigstellung von AMS und er verlief selten geradlinig. So sollte das Instrument ursprünglich nur drei Jahre lang in Betrieb sein und danach mit einem Shuttle zur Erde zurückkehren, um Platz für andere Experimente zu machen. Diese Variante ist aber vom Tisch, seit klar ist, dass das Shuttleprogramm ausläuft. Im Jahr 2005 hatte die NASA das AMS-Projekt sogar ganz von ihrem Flugplan gestrichen, denn bemannte Flüge zu Mond und Mars waren plötzlich wichtiger. Das Konsortium entwarf daraufhin Alternativen, etwa die Konstruk tion eines Satelliten, der auf einer unbemannten Rakete hätte starten können. Doch 2008 wendete sich das Blatt erneut: Damals entschied der US-Kongress, einen weiteren Shuttleflug durchzuführen, der AMS wie geplant zur Raumstation bringt. Und inzwischen sind auch die Ambitionen der USA, zu Mond und Mars zu fliegen, wieder in den Hintergrund gerückt.

Weil Anfang 2010 auch die Betriebsdauer der ISS über das Jahr 2020 hinaus verlängert wurde, haben sich für AMS neue Möglichkeiten ergeben: Der Detektor kann nun wohl als Dauergast im Orbit bleiben. Zudem stellte sich bei Tests des supraleitenden Magneten im Frühjahr 2010 heraus, dass er auf der Raumstation eine Lebensdauer von nur 20 Monaten erreichen würde. Ursprünglich hätte ihn ein Tank mit flüssigem Helium für den gesamten Dreijahreszeitraum auf Betriebstemperatur halten sollen.

In den letzten Monaten vor dem Start wurde er daher durch einen schwächeren Permanentmagneten identischer Abmessung ersetzt. Dieser stärkt mit seiner im Prinzip unendlichen Lebensdauer vor allem auch das Physikprogramm von AMS.

Koordiniert wurde der Umbau von Klaus Lübelsmeyer, und ein Großteil der erforderlichen Arbeiten wurde an der RWTH Aachen durchgeführt. Dabei mussten, um das schwächere Magnetfeld zu kompensieren, zwei der Siliziumstreifenlagen des Spurdetektors weiter nach außen verlegt werden. Die Messgenauigkeit des Detektors ist dadurch praktisch gleich geblieben, allerdings verringerte sich sein »Gesichtsfeld«, er sieht also weniger Teilchen pro Zeiteinheit. Diesen Nachteil gleicht aber die erheblich verlängerte Messzeit mehr als aus.

Außerdem hat sich der eigentlich für Juli 2010 vorgesehene Starttermin zwei weitere Male verschoben: Jetzt ist der 26. Februar anvisiert. Weil das Shuttleprogramm im Jahr 2011 endet, ist dies wohl die letzte Chance für AMS, auf die Raumstation zu gelangen. An diesem Tag wird die spannendste Phase der Arbeit von mehr als 500 beteiligten Forschern und Ingenieuren aus 16 verschiedenen Ländern beginnen. Seit über zehn Jahren arbeiten sie unter Leitung des US-amerikanischen Nobelpreisträgers Samuel Ting, der 1974 das Charm-Quark entdeckte, an dem Projekt. Ist der Start erfolgreich, wird die Internationale Raumstation endlich ihr Versprechen erfüllen, eine Forschungsplattform auch für die astrophysikalische Grundlagenforschung im Weltall zu sein. Gemessen an dem Aufwand, der weltweit dafür getrieben wird, spielt AMS in einer Liga mit dem Weltraumteleskop Hubble und anderen wichtigen Weltraumexperimenten wie Fermi, Planck oder WMAP. Seine Ergebnisse dürften unser Verständnis vom Aufbau der Welt ebenso nachhaltig beeinflussen.

Wirklich bahnbrechende Experimente haben sich aber immer auch durch unerwartete Ergebnisse ausgezeichnet. Nur zwei prominente Beispiele: Das japanische Superkamiokande-Experiment war gebaut worden, um die Lebensdauer des Protons zu messen; doch seine wichtigste Entdeckung ist die Tatsache, dass Neutrinos eine Masse besitzen. Das Weltraumteleskop Hubble sollte vor allem entfernte Galaxien studieren; sein größter Erfolg ist jedoch der Nachweis der beschleunigten Expansion des Universums. Noch wissen wir nicht, welche Überraschungen die Natur auch in Zukunft für uns bereithält. Aber wenn wir Glück haben, wird AMS uns schon bald Einblicke in neue wissenschaftliche Fragestellungen geben, an die wir vorher noch gar nicht gedacht haben.


Stefan Schael lehrt und forscht seit dem Jahr 2000 als Professor an der RWTH Aachen auf dem Gebiet der Experimentalphysik, nachdem er zuvor am Max-Planck-Institut für Physik und am Teilchenforschungszentrum CERN gearbeitet hatte. Im Fokus seiner Arbeit, bei der er Experimente an Beschleunigern und Ergebnisse der Astroteilchenphysik miteinander verknüpft, stehen Fragen zur Natur der Dunklen Materie. Im Rahmen des AMS-Projekts koordiniert er die deutschen Beiträge und hat mit seiner Gruppe maßgeblichen Anteil am Physikprogramm von AMS und an Ent icklung und Bau des Überwgangsstrahlungsdetektors, des Spurdetektors und des Antikoinzidenzzählers. Außerdem war er führend an Entwicklung und Bau des Spurdetektors für das CMS-Experiment am Beschleuniger LHC beteiligt.

Jan Hattenbach ist Wissenschaftsjournalist in Aachen. Er hat im Rahmen seiner Diplomarbeit am Bau des AMS-Übergangsstrahlungsdetektors mitgearbeitet.


Literatur

Adriani, O. et al.: An Anomalous Positron Abundance in Cosmic Rays with Energies 1.5-100GeV. In: Nature 458, S. 607-609, 2. April 2009.

Aguilar, M. et al.: Cosmic-Ray Positron Fraction Measurement from 1 to 30-GeV with AMS-01. In: Physics Letters B 646, S. 145-154, März 2007.

Alcaraz, J. et al.: The Alpha Magnetic Spectrometer (AMS) on the International Space Station: Part I - Results from the Test Flight on the Space Shuttle. In: Physics Reports 366, S. 331-405, 2002.

Beischer, B. et al.: Perspectives for Indirect Dark Matter Search with AMS-2 Using Cosmic-Ray Electrons and Positrons. In: New Journal of Physics 11, S. 105021, Oktober 2009.

Weblinks zu diesem Thema finden Sie unter www.spektrum.de/artikel/1040552.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 22-23:
Das Alpha-Magnet-Spektrometer AMS (Kreis) hat auf dieser Computergrafik bereits an die Raumstation ISS angedockt. Tatsächlich werden aber nur die Strahlungsschilde (im Vordergrund) und die Abschirmung gegen energiearme Teilchen (oben) zu sehen sein; den Rest des Instruments wird eine isolierende Hülle umgeben. Kleineren Weltraumschrottpartikeln halten die Schilde ebenso wie die Instrumente selbst stand. Dank deren modularem Aufbau soll aber auch eine schwerere Kollision nicht zu einem Totalausfall des 1,5 Milliarden Euro teuren Geräts führen.

Abb. S. 24:
Flug mit offenem Verdeck: Das von der russischen Raumstation Mir aus aufgenommene Foto zeigt den Spaceshuttle Discovery, der 1998 den Prototyp AMS-01 (Kreis) zehn Tage lang um die Erde flog.

Abb. S. 25 oben:
Die Zerstrahlung zweier Dunkle-Materie-Teilchen (WIMPs) führt zu einer Kaskade von Teilchenzerfällen. Für das AMS sind insbesondere die entstehenden Elektronen und Positronen von Bedeutung. Die schematische Darstellung zeigt nur die wesentlichen Komponenten des Prozesses.

Abb. S. 25 unten:
Wie ist die kosmische Strahlung zusammengesetzt?
Bei einer Energie von zehn Gigaelektronvolt kommen auf 9398 Protonen in der kosmischen Strahlung gerade einmal drei der physikalisch viel interessanteren Positronen. Weil sich die Zusammensetzung der Strahlung energieabhängig verändert, kann das Verhältnis auch noch ungünstiger sein und die Unterscheidung weiter erschweren.

Abb. S. 26:
Positronen in der kosmischen Strahlung, so erwarteten Forscher ursprünglich, sollten von Protonen stammen, die mit interstellarer Materie kollidieren. Dann würde ihr Anteil in der Strahlung etwa der schwarzen Linie im Diagramm folgen. Das solare Magnetfeld ruft im Lauf der Zeit aber Variationen hervor (gelber Bereich). Tatsächlich zählte das PAMELA-Experiment ab etwa zehn Giga elektronvolt mehr Positronen als erwartet. Die künftigen AMS-Daten könnten zeigen, ob sie aus der Zerstrahlung von WIMPs stammen oder von einem Pulsar.

Abb. S. 27:
Fast sieben Tonnen schwer und knapp vier Meter hoch ist AMS. Hier ist es nach dem Probezusammenbau im Jahr 2008 in einem Reinraum am Teilchenforschungszentrum CERN zu sehen. Gehalten wird es von einer Stützstruktur (Aluminiumstreben rechts und links). Diese hatte in Experimenten nachweisen müssen, dass sie den mit siebenfacher Erdbeschleunigung einhergehenden Start des Spaceshuttles unbeschadet überstehen wird.

Abb. S. 30:
Erst das Zusammenspiel seiner Subdetektoren macht AMS zu einem so mächtigen Werkzeug. Die Tabelle visualisiert sche matisch das Ansprechverhalten der einzelnen Instrumente. Dabei stehen die Symbole für die unterschiedlichen Signalformen und -höhen. Letztere werden durch die Dicke der Linie angegeben. Im Fall des Spurdetektors ist auch die Krümmung der (Flug-)Kurve entscheidend. Aus der Tabelle kann man beispielsweise herauslesen, dass sich Protonen und Positronen nicht allein anhand des Spurdetektors unterscheiden lassen - erst die Signalstärken von Übergangsstrahlungsdetektor und Kalorilmeter erlauben es, die Teilchen korrekt zu identifizieren. Ein weiteres Beispiel: Die Unterscheidung zwischen schwereren Teilchen anhand ihrer jeweiligen Kernladung gelingt dank des Tscherenkow-Detektors, dessen Daten mit denen von Flugzeitzähler und Spurdetektor kombiniert werden.


© 2010 Stefan Schael, Jan Hattenbach, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 9/10 - September 2010, Seite 22 - 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2010